Die juristische Presseschau vom 16. August 2022: Auf­nehmen von Poli­zei­ein­satz strafbar / "Habeck-Pro­zess" als Aufruf zu Selbst­justiz / GenStA für Tem­po­limit

16.08.2022

OLG Zweibrücken zu Handy-Aufnahmen von Polizeikontrolle. Verbot von rechtsextremer Inszenierung eines Prozesses gegen Robert Habeck bleibt bestehen. Generalstaatsanwaltschaft Sachsen-Anhalt bestätigt Einstellung von Verfahren gegen 417-Stundenkilometer-Raser. 

Thema des Tages

OLG Zweibrücken zu Aufnahmen von Polizeieinsatz: Filmaufnahmen von Polizeieinsätzen in der Öffentlichkeit können strafbar sein, wenn dabei auch der Ton aufgenommen wird. Das entschied das Oberlandesgericht Zweibrücken und wies damit die Sprungrevision gegen ein entsprechendes Urteil des Amtsgerichts Kaiserslautern zurück. Das OLG stützte sein Urteil auf § 201 Strafgesetzbuch, wonach keine unbefugten Tonaufnahmen von "nichtöffentlichen" Gesprächen angefertigt werden dürfen. Die Frage, ob Gespräche bei einem Polizeieinsatz in der Öffentlichkeit als "nichtöffentlich" im Sinne der Norm zu werten sind, haben Amts- und Landgerichte bisher unterschiedlich entschieden. Das OLG Zweibrücken sah im konkreten Fall einer nächtlichen Polizeikontrolle in einem Park keine Öffentlichkeit gegeben. Eine junge Frau hatte sowohl eine Gruppensituation also auch davon getrennte Einzelgespräche mit ihrem Handy gefilmt und dabei auch den Ton aufgenommen. Das OLG habe zwar nur eine Einzelfall-Entscheidung getroffen, erläutert LTO (Markus Sehl), es sei aber die erste OLG-Entscheidung zu dieser Frage.

Die Richter:innen haben damit "die Chance verpasst, eine echte Grundsatzentscheidung mit klaren Leitlinien zu treffen", meint Markus Sehl (LTO) in einem seperaten Kommentar. Nun sei es an der Rechtspolitik, die Frage zu klären, "ob Tonaufnahmen von Polizeieinsätzen überhaupt strafrechtlich verfolgt werden müssen oder ob [...] nicht auch eine Sanktionierung als Ordnungswidrigkeit ausreichen würde."

Rechtspolitik

GenStA S-A – Raser: Die Generalstaatsanwaltschaft Sachsen-Anhalt hat laut spiegel.de vorgeschlagen, ein Tempolimit von 200 km/h einzuführen, um zumindest extrem große Geschwindigkeitsunterschiede auf deutschen Autobahnen zu verhindern. Der Vorschlag findet sich in der Begründung eines Beschlusses, in dem die GenStA die Einstellung eines Verfahrens gegen einen tschechischen Millionär bestätigt, der im Juli 2021 mit bis zu 417 Kilometern pro Stunde auf der deutschen Autobahn A2 gefahren sein soll. Auch wenn dies "leichtsinnig und lebensmüde" erscheine, bestehe im konkreten Fall kein hinreichender Tatverdacht für ein grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten und damit für eine Straftat.

Justiz

OVG Sachsen zu "Prozess" gegen Habeck: Die von der rechtsextremen Partei Freie Sachsen geplante Prozess-Inszenierung gegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) beim "Heidenauer Bürgerportest" bleibt verboten. Das sächsische Oberverwaltungsgericht in Bautzen bestätigte jetzt die gleichlautende Entscheidung des Dresdner Verwaltungsgerichts, so LTO. Durch das öffentliche Zurschaustellen Habecks an einem Pranger, solle dieser schutzlos öffentlichen Schmähungen ausgesetzt werden und dem anwesenden "Volk" verdeutlicht werden, dass Formen der Selbstjustiz gegen den Minister richtig und sogar geboten seien, so das OVG.

BVerfG - Masern-Impfpflicht: Am kommenden Donnerstag wird das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der seit März 2020 für Kinder geltenden Masern-Impfpflicht veröffentlichen. Kommt ein Kind neu in eine Kita oder wird eingeschult, müssen Eltern gem. § 20 Infektionsschutzgesetz nachweisen, dass dieses gegen Masern geimpft oder genesen ist. Seit August 2022 gilt diese Nachweispflicht nun auch für alle Kinder, die bereits in den Einrichtungen waren. Die von einigen Eltern bereits im Mai 2020 dagegen eingelegten Eilanträge hatte das BVerfG abgelehnt, nun wird die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden veröffentlicht. Es berichtet LTO.

BVerfG – parteinahe Stiftungen: Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am 25. Oktober in einem Organstreitverfahren der AfD gegen den Bundestag und die Bundesregierung. Dabei hat es zu klären, ob die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) an staatlichen Globalzuschüssen beteiligt werden muss. Allerdings käme "[d]ie Einbeziehung un- oder antidemokratischer politischer Kräfte in diesen Verteilungsmechanismus […] einer Selbstparadoxierung des freiheitlichen Staates gleich", meint in einem Gastbeitrag auf FAZ-Einspruch der Ex-Grünen-Abgeordnete und heutige Lehrbeauftragte Volker Beck. Die AfD rügt in dem Verfahren die Verletzung ihres Rechts auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) und aus Art. 3 Abs. 1 GG.

LG Berlin – Coronatest-Betrug: Am Landgericht Berlin hat der Prozess gegen einen Spätkauf-Betreiber und seine Schwester begonnen, die durch Betrug bei der Abrechnung von Corona-Tests mehr als 12 Millionen Euro erschlichen haben sollen. Zwischen Mai 2021 und Februar 2022 sollen die Angeklagten in 67 Fällen bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin Corona-Tests abgerechnet haben, die gar nicht oder nicht in der angegebenen Anzahl erbracht worden seien. Wie der Tsp und LTO berichten, geht die Staatsanwaltschaft bei dem Angeklagten von besonders schwerem Betrug, bei der Schwester von Beihilfe hierzu aus, der Angeklagte weist jegliche Vorwürfe von sich.

LG Berlin – Abou-Chaker/Bushido: Vor dem Landgericht Berlin ist die Beweisaufnahme im Prozess gegen Arafat Abou-Chaker mit dem Vorspielen einer Audiodatei fortgesetzt worden. Der Tonmitschnitt soll das entscheidende Gespräch zwischen Abou-Chaker und Anis Ferchichi alias Bushido dokumentieren, bei dem es zu den Drohnungen und dem Flaschenwurf Abou-Chakers gegen Ferchichi gekommen sein soll. Allerdings ist davon auf der Aufnahme nichts zu hören, weshalb Ferchichi behauptete, die Audiodatei sei manipuliert. Das Gericht kündigte nun an, dies gutachterlich zu prüfen, schreiben spiegel.de (Wiebke Ramm) und der Tsp.

Personalmangel in der Justiz: Der Schleswig-Holsteinische Richterverband befürchtet, dass wegen Personalmangels einige Kernaufgaben nicht mehr wahrgenommen werden können und fordert die Landesregierung und den Landtag zur Verbesserung der Personalsituation in der Justiz auf. Hintergrund sind die Entlassungen von 11 Untersuchungsgefangenen im vergangenen Jahr, wie LTO schreibt. Deren Haft war aufgehoben worden, da zwischen Haftbeginn und Hauptverhandlung die maximale Haftdauer von sechs Monaten wegen Personalmangels überschritten worden war.

Recht in der Welt

Russland – Brittney Griner: Die US-Basketballerin Brittney Griner hat Berufung gegen das Urteil eines russischen Gerichts eingelegt, das sie wegen Drogenbesitzes und Drogenschmuggels zu neun Jahren Lagerhaft verurteilt hatte. Im Februar war Griner an einem Moskauer Flughafen wegen einer kleinen Menge Haschisch-Öl festgenommen und nun im August verurteilt worden, so LTO und das RND. Die USA kritisierten das Urteil scharf und hoffen auf einen Gefangenenaustausch Griners gegen einen russischen Staatsbürger in US-Gefangenschaft.

USA – R. Kelly: Der US-amerikanische Popstar R. Kelly steht wegen Herstellung von Kinderpornografie in mehreren Fällen und der Behinderung der Justiz erneut vor Gericht. Kelly war 2008 von einer Jury freigesprochen worden, nachdem er die Hauptbelastungs-Opferzeugin in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs derart unter Druck gesetzt habe, dass sie nicht mehr aussagte, so die Staatsanwaltschaft. Die inzwischen volljährige Frau wird in dem neu aufgerollten Verfahren vor einem Bundesgericht in Chicago nun aber aussagen, wie die SZ und das RND berichten. Ende Juni war der Sänger bereits von einem New Yorker Gericht unter anderem wegen Missbrauchs Minderjähriger zu einer Haftstrafe von 30 Jahren und einer Geldbuße von 100.000 Dollar verurteilt worden.

Sonstiges

Ex-rbb-Intendantin: Der Rundfunkrat des öffentlich-rechtlichen Senders Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) hat Patricia Schlesinger als Intendantin abberufen. Damit wird formal ihre Vertragsauflösung in die Wege geleitet, die konkreten Modalitäten und Themen wie Abfindung oder Pensionsansprüche werden dann vom Verwaltungsrat ausgehandelt. Schlesinger war nach zahlreichen Vorwürfen der Vetternwirtschaft – die sie zurückweist – vor einer Woche als Chefin des rbb zurückgetreten. spiegel.dezeit.de und LTO berichten. 

 

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LTO/ali

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. August 2022: Aufnehmen von Polizeieinsatz strafbar / "Habeck-Prozess" als Aufruf zu Selbstjustiz / GenStA für Tempolimit . In: Legal Tribune Online, 16.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49328/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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