Die juristische Presseschau vom 2. Juni 2022: Drei EU-Bedin­gungen an Polen / BAG bil­ligt PCR-Tests im Betrieb / Pro­zess-Erfolg für Johnny Depp

02.06.2022

Die EU-Kommission verlangt von Polen drei Schritte zur Rechtstaatlichkeit, bevor die Milliarden fließen. Das Bundesarbeitsgericht billigte obligatorische Corona-Tests für Beschäftigte. Johnny Depp erhält rund 10 Mio. Dollar von Amber Heard.

Thema des Tages

EU/Polen - Justizreform: Die EU-Kommission hat den Plan Polens zur Verwendung von rund 35 Milliarden Euro aus dem Corona-Aufbaufonds der EU gebilligt. Ausgezahlt werden die Gelder aber erst, wenn drei Bedingungen der EU-Kommission erfüllt wurden: 1. Abschaffung der Disziplinarkammer am Obersten Gerichtshof. 2. Reform des Disziplinarrechts für Richter:innen. 3. Wiedereinstellung der von der Disziplinarkammer entlassenen Richter:innen. An diesem Donnerstag kommt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Polen. Es berichten die SZ (Viktoria Großmann/Josef Kelnberger) und spiegel.de.

Der NGO-Jurist Jakub Jaraczewski analysiert auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) das Nachfolgegremium für die abzuschaffende Disziplinarkammer. Geplant sei eine Kammer für berufliche Haftung, die nicht nur für Richter:innen zuständig sei. Die Kammer werde keine festen Mitglieder haben, sondern per Los aus den Richter:innen der anderen Kammern des Obersten Gerichts besetzt. Der Autor kritisiert, dass die bisherigen Mitglieder der Disziplinarkammer auch nach deren Auflösung am Obersten Gericht bleiben können und dass sie damit auch in die neue Kammer gelost werden könnten. Das neue Gesetz sei daher eine Finte, auf die sich die EU-Kommission nicht einlassen sollte. 

Ukraine-Krieg und Recht

Ukraine - russische Kriegsverbrechen: Rechtsprofessor Kai Ambos fasst im FAZ-Einspruch seine Zweifel an der rechtsstaatlichen Aufarbeitung russischer Kriegsverbrechen durch die ukrainische Justiz zusammen, die noch vor kurzem als nicht ausreichend unabhängig galt. So sei im ersten Prozess gegen einen russischen Soldaten die Befehlslage unzureichend aufgeklärt worden und die lebenslange Haftstrafe sei als Sanktion in diesem Fall unverhältnismäßig. Auch sei zweifelhaft, ob die ukrainischen Ermittler:innen bzw. das von ihnen geführte Eurojust Joint Investigation Team (JIT) ernsthaft auch mögliche ukrainische Kriegsverbrechen aufklären dürfen.

Rechtspolitik

Jumiko: LTO gibt einen Überblick über wichtige Themen der Justizministerkonferenz, die an diesem Donnerstag zu Ende geht. Hamburg fordert ein bundesweites Online-Portal zur Meldung von Hasskommentaren. Bayern will die Betreiber großer sozialer Netzwerke bestrafen, wenn sie Hassposts und Terror-Ankündigungen trotz Kenntnis nicht zeitnah löschen. Bayern und Niedersachsen wollen die Telefone von Zuhälterei-Verdächtigen überwachen. Bayern und Baden-Württemberg wollen die fahrlässige Hinnahme von Kindesmissbrauch in Institutionen bestrafen. Bayern und Berlin wollen, dass für alle Staatsanwaltschaften Antisemitismus-Beauftragte erwogen werden. Berlin und Bremen wollen das Schwarzfahren entkriminalisieren.

Parität im Wahlrecht: Ricarda Breyton (Welt) berichtet über eine Sitzung der Wahlrechts-Kommission des Bundestags, in der mit Sachverständigen über ein Paritätsgesetz für Bundestagswahlen diskutiert wurde. Nachdem derartige Gesetze, die ein ausgewogenes Geschlechter-Verhältnis im Parlament anstreben, bereits in Thüringen und Brandenburg für verfassungwidrig erklärt wurden, halten einige Sachverständige eine Regelung für Bundestagswahlen ebenfalls für unzulässig. Auch die FDP, als Mitglied der Ampel-Koalition, hat verfassungsrechtliche Zweifel.

Die österreichische Rechtsprofessorin Monika Polzin kritisiert in der FAZ den Vorschlag des Europäischen Parlaments für ein neues Europawahlrecht, das Parität im Europäischen Parlament anstrebt. Der Vorschlag beeinträchtige die Freiheit der Kandidatenaufstellung und sollte deshalb vom Europäischen Rat nicht übernomen werden. Notfalls sollte der Europäische Gerichtshof die Regelung als unzulässig verwerfen. 

Vorratsdatenspeicherung: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sich für eine Vorratsdatenspeicherung der IP-Adressen ausgesprochen, mit denen sich Computer im Internet anmelden. Sie will so den sexuellen Missbrauch von Kindern besser strafverfolgen können. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) bevorzugt weiter das Quick Freeze-Verfahren, bei dem Daten erst gespeichert werden, wenn ein konkreter Verdacht besteht. Dies berichten die FAZ (Helene Bubrowski) und spiegel.de (Max Hoppenstedt).

Reinhard Müller (FAZ) plädiert für schnelles Handeln. Man müsse nicht auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland warten, weil der EuGH in anderen Verfahren die vorsorgliche Speicherung aller IP-Adressen bereits abgesegnet hat. Es gehe um "eine rechtsstaatlich begrenzte Maßnahme im Kampf gegen Massenverbrechen, die nur schwer zu verfolgen sind".

Fake-Bewertungen: Die Anwältinnen Anna-Kristine Wipper und Marie-Valentine Goffin analysieren auf LTO die am 28. Mai in Kraft getretene Änderung des Gesetzes gegen unlautere Werbung (UWG), die sich gegen Fake-Bewertungen im Internet richtet. Künftig muss der Anbieter einer Ware oder Leistung entweder die Echtheit der Bewertungen prüfen oder mitteilen, dass er die Echtheit nicht geprüft hat. Die Autorinnen befürchten, dass sich Letzteres durchsetzt, womit den Verbraucher:innen aber wenig geholfen wäre. 

Justiz

BAG zu Corona-Tests im Betrieb: Arbeitgeber dürfen - auf Grundlage eines betrieblichen Schutz- und Hygienekonzepts - regelmäßige Corona-Tests ihrer Beschäftigten anordnen, entschied nun das Bundesarbeitsgericht. Schließlich seien Arbeitgeber verpflichtet, Arbeitsleistungen so zu regeln, dass die Arbeitnehmer soweit gegen Gefahren für Leben und Gesundheit geschützt sind, wie die Natur der Arbeitsleistung es gestattet. Der mit der Durchführung der Tests verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit sei minimal und somit verhältnismäßig. Geklagt hatte eine Flötistin der Bayerischen Staatsoper. Es berichten FAZ (Marcus Jung), Welt (Laurin Meyer), beck-aktuell (Joachim Jahn) und der Anwalt Michael Fuhlrott auf LTO.

BVerfG zum Verbot von Ferienwohnungen: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Vorlage des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, die das Berliner Zweckentfremdungs-Verbotsgesetz für verfassungswidrig hielt, als unzulässig abgelehnt. Die Vorlage sah einen unverhältnismäßigen Eingriff des Gesetzes in das Grundrecht auf Eigentum, weil auch bereits bestehende Ferienwohnungen vom grundsätzlichen Verbot erfasst wurden. Das BVerfG vermisste nun aber eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob Ferienwohnungen in Wohngebieten nicht schon bauplanungsrechtlich verboten sind und deshalb gar keine Verschlechterung vorliege. Es berichten FAZ (Katja Gelinsky), taz berlin (Christian Rath) und LTO.

BGH zu Pflegekosten und Corona: Die Bewohner:innen von Pflegeheimen mussten auch während der coronabedingten Ausgangs- und Besuchsbeschränkungen die vollen Heimkosten bezahlen, entschied der Bundesgerichtshof Ende April in einem jetzt veröffentlichten Urteil. Die Heime hätten die Hauptleistungen der Pflegeverträge - etwa das Bereitstellen eines Zimmers sowie Pflege- und Betreuungsleistungen - in vollem Umfang angeboten. Die Kontakt-Einschränkungen seien im Interesse der Bewohner:innen gewesen. LTO berichtet.

BGH zu Email-Werbung: Die Zusendung von Werbeemails an das Posteingangsfach eines Nutzers ist unzulässig, wenn keine ausdrückliche Zustimmung des Nutzers eingeholt wurde. Eine derartige Zustimmung kann auch beim Nutzer eines kostenlosen Email-Postfachs nicht unterstellt werden. Über ein entsprechendes Urteil des BGH vom Januar, das nach Vorabentscheidung des EuGH erging, berichtet nun u.a. beck-aktuell.

OLG Celle zu IS-Rückkehrerin: Das Oberlandesgericht Celle verurteilte eine 34-jährige Frau wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeite zu drei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe. Die Frau war 2014 mit ihrer damals vierjährigen Tochter in die IS-Gebiete gereist, hatte dort mit IS-Kämpfern zusammengelebt und weitere Kinder bekommen. Sie wurde von der Bundesregierung 2021 nach Deutschland zurückgeholt und saß seither in U-Haft. spiegel.de berichtet. 

OLG Hamm - Klimaschutz/peruanischer Bauer: Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Silvia Steininger und Juan Camilo Herrera stellen auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) den Ortstermin des Oberlandesgerichts Hamm an einem peruanischen Bergsee in Verbindung zu Ortsterminen des Inter-Amerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs und sprechen von "Richtern mit Roben und Rucksäcken". Solche Ortstermine eines deutschen Gerichts zeigen, dass Deutschland beginne. global Verantwortung für die Folgen seines Handelns zu übernehmen. Der Vorwurf des Neo-Kolonialismus sei bei einem globalen Problem wie  dem Klimawandel nicht gerechtfertigt. 

VGH Kassel zu islamischem Religionsunterricht: Das Land Hessen hat Rechte des Verbandes Ditib verletzt, als es den von Ditib an hessischen Schulen erteilten islamischen Religionsunterricht 2020 wegen Zweifeln an der Unabhängigkeit Ditibs aussetzte. Dies sei aufgrund eines rechtskräftigen Bescheides von 2012 nicht möglich gewesen. Das Land hätte nur versuchen können, den Bescheid von 2012 aufzuheben. faz.net und LTO berichten.

LG Berlin - Abou Chaker/Bushido: Das Landgericht Berlin zog eine Zwischenbilanz zur Beweisaufnahme. Danach sei nicht erwiesen, dass Abou Chaker den Rapper erpressen und ihm zeitweise seine Freiheit nehmen wollte. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet. Alle seien davon ausgegangen, dass Abou Chaker nach der Trennung noch Geld von Bushido bekommen sollte. Der Raum sei eventuell nur abgeschlossen worden, um ungestört reden zu können. Es sei wohl nicht eindeutig gewesen, dass Bushido gehen wollte.

LG Detmold - Klimaschutz/VW: Nun berichtet auch die Zeit (Tasnim Rödder) über die Klage des Landwirtes Ulf Allhof-Cramer gegen VW, mit der das Unternehmen gezwungen werden soll, bis spätestens 2030 weltweit keine Verbrenner mehr zu vermarkten und seine Treibhausgasemissionen um 65 Prozent gegenuber 2018 zu senken. Der Landwirt macht geltend, dass der Klima-Wandel bereits jetzt einen großen Teil seines Wald absterben lassen ließ. Der Prozess werde in vier Wochen fortgesetzt.

HRE-Vergleich: Ehemalige Aktionär:innen der Münchner Bank Hypo Real Estate (HRE), die 2009 im Zuge der Finanzkrise verstaatlicht worden war, bekommen einen Teil ihrer Verluste ersetzt. Die Finanzagentur des Bundes einigte sich jetzt mit den Anwält:innen der Kläger:innen auf Zahlung von rund 190 Millionen Euro. Zu dem Vergleich kam es, nachdem der BGH im Vorjahr ein Urteil des OLG München aufhob, das den Kläger:innen weitgehend Recht gegeben hatte. Es berichten FAZ (Marcus Jung) und LTO.

Bereitschaftsdienst des Amtsgerichts: Richter Thomas Melzer beschreibt in seiner Zeit-Kolumne eine Woche nächtlichen Bereitschaftsdienstes, in der er über Freiheitsentziehungen und -Beschränkungen entscheiden musste. Den Schwerpunkt solcher Dienste bilden seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2018 Fixierungen von Psychiatrie-Patient:innen. Der Autor hat bisher alle Anträge genehmigt.  "Die Erfahrung seit 2018 zeigt, dass bereits der gesetzliche Zwang zur richterlichen Kontrolle des Einzelfalls präventiv wirkt. Auf die Kontrolle selbst kommt es da gar nicht mehr an, weil die Ärzte längst prognostisch wie Richter denken und nur die wirklich überzeugenden Fälle zur Genehmigung anmelden."

Führungsaufgaben in Teilzeit: Das nordrhein-westfälische Justizministerium hatte jetzt die Auswertung einer Umfrage unter mehr als 2000 Justizbeschäftigten zur Führung in Teilzeit vorgelegt. Danach bestehe hierfür eindeutig ein Bedarf, es müssten sich aber die Rahmenbedingungen verbessern. NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) sagte: "Führung in Teilzeit darf nicht eine gewöhnungsbedürftige Ausnahme bleiben, sondern muss Normalität werden." LTO-Karriere (Franziska Kring) berichtet.

Recht in der Welt

USA - Johnny Depp und Amber Heard: Ein Bezirksgericht in Fairfax im US-Bundesstaat Virginia verurteilte die Schauspielerin Amber Heard, ihrem Ex-Mann, dem Schauspieler Johnny Depp, 10,35 Millionen Dollar wegen Verleumdung zu bezahlen. Sie hatte ihm indirekt häusliche Gewalt vorgeworfen. Zugleich muss Depp 2 Millionen Dollar an Heard zahlen, weil sein Anwalt rufschädigende Äußerungen über Heard gemacht hatte. Es berichten LTO (Felix W. Zimmermann), spiegel.de und zeit.de.

Türkei - Ekrem Imamoglu: Vor einem Gericht in Istambul begann der Strafprozess gegen Istanbuls populären sozialdemokratischen Bürgermeister Ekrem Imamoglu. Ihm wird vorgeworfen, einen Beamten "Dummkopf" genannt zu haben. Beobachter gehen davon aus, dass mit dem Prozess der einflussreichste Widersacher von Präsident Recep Tayyip Erdogan aus dem Weg geräumt werden soll. Die Verhandlung wurde schnell auf Ende September vertagt. Imamoglu hatte sich durch seine Anwälte vertreten lassen.  Die FAZ (Rainer Herrmann) berichtet. 

Finnland - Kriegsverbrecher-Prozess in Liberia: Im Dossier der Zeit (Johannes Böhme) wird der Kriegsverbrecher-Prozess eines finnischen Gerichts geschilder,t das den Prozess während 16 Wochen in Liberia durchführte. Angeklagt war ein Mann aus Sierra Leone, der in Liberia Verbrechen begangen haben soll. Im Verfahren stellte sich heraus, dass der Angeklagte für manche Taten ein Alibi hat und an anderen Tatorten von Zeugen nicht erkannt wurde. Der Autor äußert den Verdacht, dass ein Dolmetscher und Helfer des Gerichts Zeugen manipulierte. Am Ende wird der Angeklagte freigesprochen. 

 

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LTO/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 2. Juni 2022: Drei EU-Bedingungen an Polen / BAG billigt PCR-Tests im Betrieb / Prozess-Erfolg für Johnny Depp . In: Legal Tribune Online, 02.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48631/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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