Die juristische Presseschau vom 7. April 2022: Schutz von Whist­le­b­lower:innen / Raz­zien gegen Neo­nazi-Netz­werke / Kritik an Corona-Emp­feh­lungen

07.04.2022

BMJ legt Gesetzentwurf zum Schutz von Whistleblower:innen vor. Bei Razzien gegen Mitglieder gewaltbereiter rechtsextremistische Gruppierungen wurden vier Neonazis festgenommen. Rechtsprofessor kritisiert Ersatz von Recht durch Moral.

Thema des Tages

Whistleblowing: Das Bundesjustizministerium hat einen Gesetzentwurf zum besseren Schutz von Whistleblower:innen in Deutschland erarbeitet. Danach sollen Angestellte oder Beamte, die in einem privaten Unternehmen oder im öffentlichen Dienst relevante Gesetzesverstöße aufdecken, vor Kündigung und anderen Nachteilen geschützt werden. Wie die FAZ (Corinna Budras/Marcus Jung), taz (Christian Rath), das Hbl (Heike Anger) und LTO (Markus Sehl) schreiben, müssen sich die Hinweisgeber:innen aber grundsätzlich zunächst an bestimmte innerbetriebliche oder externe staatliche Meldestellen wenden und dürfen nur im Notfall Hinweise direkt an die Öffentlichkeit geben. Der Gesetzentwurf geht über die bloße Umsetzung einer EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblower:innen hinaus, weil nicht nur die Aufdeckung von Verstößen gegen EU-Recht, sondern auch gegen deutsches Recht geschützt wird.

Corinna Budras (FAZ) meint, dieses Gesetz sei längst überfällig, denn aufmerksame Mitarbeiter:innen verdienen Respekt und ordentlich Schutz. Christian Rath (taz) betont, dass auch Unternehmen ein Interesse haben, frühzeitig auf Missstände aufmerksam gemacht zu werden. Whistleblower:innen, die sich nicht an benannte externe Meldestellen wie das Bundesamt für Justiz wenden, sondern an die zuständigen Behörden (etwa die Heimaufsicht oder das Umweltamt), sollten ebenfalls geschützt werden. 

Rechtspolitik

Corona - Impfpflicht: Am heutigen Donnerstag wird im Bundestag über eine Corona-Impfpflicht abgestimmt. Jasper von Altenbockum (FAZ) wirbt für eine Impfpflicht. Der Grundrechtseingriff sei geringer als der vieler  anderer Corona-Schutzmaßnahmen. Angelika Slavik (SZ) kritisiert die parteipolitische Instrumentalisierung des Themas. Die Regierung hätte einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen sollen. 

Parteinahe Stiftungen: Die Ampelkoalition will die Vergabe von Geldern aus dem Bundeshaushalt an parteinahe Stiftungen in einem Stiftungsgesetz regeln. Dort sollen insbesondere die Voraussetzungen für die Vergabe der staatlichen Mittel festgelegt werden. Bisher waren die Regeln von den Abgeordneten im Haushaltsausschuss aufgestellt worden. Wie das Gesetz genau aussehen soll, ist derzeit noch offen, berichtet die FAZ (Helene Bubrowski), ein solches Gesetz sei aber seit der Einstufung der AfD als rechtsextremer Verdachtsfall drängender denn je. Die AfD fordert staatliche Mittel für ihre parteinahe Desiderius-Erasmus-Stiftung.

Extremismus in Sicherheitsbehörden: Im Haushaltsausschuss des Bundestags haben die Abgeordneten der Ampelkoalition mit Unterstützung der Linken einen Änderungsantrag zum Etatentwurf für das Innenministerium beschlossen, der 800.000 Euro für eine Studie zum Extremismus in Sicherheitsbehörden vorsieht. Seit Jahren wird auch aus juristischen Kreisen eine Studie zu Rassismus in Polizeibehörden gefordert, diese kam aber aufgrund der Weigerung des damaligen Innenministers Horst Seehofer (CSU) nicht zustande. Die jetzt geplante Studie soll auch andere Sicherheitsbehörden wie den Verfassungsschutz einbeziehen, schreibt die taz (Tobias Schulze).

Sondervermögen Bundeswehr: Der Abgeordnete Philip Amthor (CDU) verteidigt in der FAZ die Ankündigung des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz, seine Fraktion werde bei der angestrebten Grundgesetzänderung zur Verankerung des Bundeswehr-Sondervermögens im Grundgesetz nur 75 Stimmen beisteuern, so dass die Verfassungsänderung nur zustandekommt, wenn alle Abgeordneten der Ampelkoalition zustimmen. Dies sei kein Eingriff in das freie Mandat der Unions-Abgeordneten. Amthor verweist auf § 31 Abs. 2 der Bundestags-Geschäftsordnung: "Jedes Mitglied des Bundestages kann vor der Abstimmung erklären, dass es nicht an der Abstimmung teilnehme." Außerdem zeigt er historische Präzedenzfälle auf. 

Online-Notariat: Ab August 2022 soll es nun auch in Deutschland möglich sein, mittels Videokommunikation und elektronischer Signatur eine Gesellschaft zu gründen oder bestimmte Beglaubigungen zu erhalten. Die Notarin Astrid Plantiko erläutert auf LTO einen Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums, der auf die Ergänzung des Gesetzes zur Umsetzung der EU-Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) abzielt. Die Bundesnotarkammer habe weitergehende Änderungswünsche. Die Autorin lehnt eine ortsgebundene Zuständigkeit von Notar:innen in Online-Verfahren ab. 

Patient:innenrechte: Als Lehre aus der Corona-Pandemie hat der nordrhein-westfälische Landtag Änderungen im Gesetz zur Krankenhausgestaltung beschlossen, die für künftige pandemische Lagen und vergleichbare Gefahrensituationen den Kliniken klarere Handlungsvorgaben machen und Patient:innenrechte stärken sollen. So soll ein gesetzliches Besuchsrecht in Krankenhäusern verankert, Kliniken zur Bestellung von Fürsprecher:innen für Patientinnen und Patienten verpflichtet und eine stärkere Rechtsaufsicht über Krankenhäuser geschaffen werden. LTO berichtet.

Justiz

GBA - Gewaltbereits rechtsextremistische Vereinigungen: Am gestrigen Mittwochmorgen durchsuchten mehr als 800 Polizeibeamte auf Anweisung der Bundesanwaltschaft in elf Bundesländern 61 Wohnungen und Häuser von rund 50 Mitgliedern mehrerer rechtsterroristischer oder krimineller Vereinigungen durch. Im Visier standen der deutsche Ableger der rechtsterroristischen US-Gruppierung "Atomwaffen Division", die bereits 2020 verbotene, aber weiterbestehende Gruppe "Combat 18" und die Kampfsportgruppe "Knockout 51". Unter den vier Festgenommenen befindet sich neben einem aktiven Unteroffizier der Bundeswehr auch der Thüringer Rechtsextremist Leon R., dem die Bundesanwaltschaft neben der Rädelsführerschaft einer kriminellen Vereinigung auch gefährliche Körperverletzung und Landfriedensbruch vorwirft. Leon R. und die anderen Festgenommenen sollen eine militante Struktur aufgebaut haben, die unter anderem zum Ziel hatte, in Eisenach mit Gewalt einen "Nazi-Kiez" durchzusetzen. Es berichten die taz (Konrad Litschko), zeit.de (Holger Stark), die FAZ (Stefan Locke/Marlene Grunert) und spiegel.de (Jörg Diehl u.a.).

Dass Innenministerin Nancy Faeser (SPD) den Druck erhöhe und die Sicherheitsbehörden nun nachlegen, sei  längst dringend notwendig gewesen und passe zur Ansage der Ministerin, härter gegen die rechtsextreme Szene vorgehen zu wollen, meint Konrad Litschko (taz) und begrüßt das Vorgehen gegen die rechtsextremen Netzwerke. Thomas Holl (FAZ) kommentiert, der Staat zeige nun, dass er es ernst meine, nachdem die Strafverfolgungsbehörden und der Verfassungsschutz lange Zeit "zumindest eine Sehschwäche auf dem rechten Auge hatten".

tagesschau.de (Christoph Kehlbach/Michael Nordhardt) gibt einen Überblick über rechtsterroristische Aktivitäten seit Auffliegen des NSU 2011 und ihre jeweilige juristische Aufarbeitung. 

VerfGH Bayern zu Lobbyregistergesetz: Das neue bayerische Lobbyregistergesetz bleibt zunächst unverändert in Kraft. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat den Antrag der Mitgliedsgewerkschaften des Bayerischen Beamtenbundes auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt, wie nun bekannt wurde. Seit Anfang des Jahres dürfen sich in Bayern nur offiziell registrierte Lobbygruppen an Gesetzgebungsprozessen von Landtag und Staatsregierung beteiligen, wobei Arbeitgeber- und Arbeitnehmer:innenvertretungen von der Verpflichtung ausgenommen sind, sofern sie ihre "Funktion als Tarifpartner" wahrnehmen. Mit ihrer Popularklage könnten die Gewerkschaften im Hauptsacheverfahren aber noch Erfolg haben, ließ der Verfassungsgerichtshof durchblicken. Es berichten SZ.de und LTO.

BVerwG zu staatlichen Förderungen: Die Zusage staatlicher Fördermittel mit umweltpolitischer Zielsetzung darf nicht von bestimmten Religionsangehörigkeiten oder Weltanschauungen abhängig gemacht werden. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht und wies damit die Klage einer Stadt zurück, die einer Frau die finanzielle Zuwendung zum Kauf eines Pedelecs nach der Elektromobilitäts-Förderrichtlinie verweigerte. Laut LTO hatte die Frau die in dem Antragsformular enthaltene "Schutzerklärung", dass sie nicht der Scientology-Organisation angehört, verweigert. Erklärungen zur Weltanschauung einzufordern, sei jedoch keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft im Sinne des Artikel 28 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz, so die Leipziger Richter:innen.

BAG zu Aufnahmekriterien des ZIF: Bewerberinnen und Bewerber müssen die vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) selbst erstellten Kriterien erfüllen, um in dessen Expert:innenpool zu bleiben oder aufgenommen zu werden. Damit wies das Bundearbeitsgericht die Klage einer Volljuristin auf Verbleib im Expert:innenpool zurück, da das vom ZIF aufgestellte Kriterium der "hervorragenden sozialen und interkulturellen Kompetenz" sachgerecht und nicht diskriminierend sei. Solange sie das Kriterium nicht erfülle, stehe ihr weder ein Anspruch aus dem in Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verankerten "Recht auf Teilhabe", noch aus Artikel 33 Abs. 2 GG zu. Das ZIF vermittelt zivile Expertinnen und Experten in Friedenseinsätzen für multilaterale Organisationen wie die Europäischen Union und wird im Auftrag des Auswärtigen Amts und für Deutschland außenpolitisch tätig, berichtet LTO.

OLG Bremen zu Gorch-Fock-Sanierung: Der Bund bekommt keinen Schadensersatz für angebliche Baumängel bei der Sanierung des Segelschulschiffs "Gorch-Fock", muss aber auch keine weiteren 10,5 Millionen Euro an die ausführende Werft nachzahlen. Damit bestätigte das Bremer Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts und verwarf im Berufungsverfahren die Klage der Werft aus Bremerhaven und die Gegenklage des Bundes, schreibt LTO. Es gebe keine Grundlage für unmittelbare Ansprüche gegeneinander und der Bund habe der Werft insbesondere keine hinreichende Gelegenheit zur Mängelbeseitigung gegeben.

OVG Greifswald/VG Hamburg - Corona-Hotspots: Die AfD-Fraktion des mecklenburg-vorpommerischen Landtags hat beim Oberverwaltungsgericht Greifswald dagegen geklagt, dass die Landesregierung alle Kreise des Landes zu Corona-Hotspots erklärte, um weiterin Maskenpflichten anordnen zu können. Ein entsprechende Klage gegen den Hamburger Senat haben vier Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft beim Verwaltungsgericht Hamburg eingereicht. Die Hamburger FDP prüft noch ihr weiteres Vorgehen. LTO berichtet. 

OVG NRW zu Pflichten von Flughafenbetreibern: Es ist die Pflicht des Düsseldorfer Flughafenbetreibers (und nicht der Polizei), die nicht genutzte Kontrollspuren für die von der Bundespolizei durchgeführte Fluggastkontrollen baulich abzusichern. Das entschied das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht und führt aus, dass es sich dabei um einen Teil der Eigensicherungspflichten des Flughafenbetreibers zum Schutz des Flughafenbetriebs vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs handele. Bei einer Überprüfung von nicht genutzten Kontrollspuren hatte das Land die vorhandene Absicherung als unzureichend bemängelt und einen baulichen Schutz vom Flughafenbetreiber gefordert, wogegen dieser klagte, da er die Bundespolizei für zuständig hielt, schreibt LTO.

ArbG Berlin zu Kündigungen bei Gorillas-Lieferdienst: Die fristlosen Kündigungen von drei Beschäftigten beim Lieferdienst Gorillas sind wirksam. Das entschied das Landesarbeitsgericht Berlin. Den Beschäftigten war gekündigt worden, nachdem sie sich im Oktober 2021 an Streiks beteiligten, deren grundlegende Forderung eine pünktliche und fehlerfreie Auszahlung von Löhnen war. Solche "wilden Streiks", die nicht von einer Gewerkschaft geführt werden, gelten in Deutschland als illegal. Die Gekündigten wollen in Berufung gehen und kritisieren insbesondere das restriktive deutsche Streikrecht. Die taz (Simon Zamora Martin) berichtet.

Recht in der Welt

Frankreich – Berateraffäre: Die französische Finanzstaatsanwaltschaft hat Voruntersuchungen wegen des Verdachts auf Steuerbetrug gegen die Beraterfirma McKinsey eingeleitet. Zuvor waren in einem Kommissionsbericht des französischen Senats unter Führung der oppositionellen Republikaner der starke Anstieg der Beratungshonorare in Präsident Macrons Amtszeit, "intransparente Ausschreibungsverfahren" und die Nähe der Beraterinnen und Berater zu sensiblen Informationen kritisiert worden. Die FAZ (Niklas Záboji) berichtet.

Großbritannien – Ed Sheeran: Im Urheberrechtsstreit um Teile des Songs "Shape of You" gewann der britische Sänger und Songwriter Ed Sheeran vor dem Londoner High Court. Das Gericht entschied, dass Sheeran weder absichtlich noch unbewusst von dem Song der beiden klagenden Künstler abgeschrieben hatte, berichtet LTO.

Sonstiges

Corona-Empfehlungen: In der Rubrik Staat und Recht der FAZ kritisiert Rechtsprofessor Peter Oestmann die "dringenden Empfehlungen" zum Maskentragen seitens staatliche Repräsentant:innen, die an die Stelle der seit der letzten Ändeurng des Infektionsschutzgesetzes nicht mehr möglichen rechtlichen Anordnungen traten. Diese Empfehlungen, so Oestmann, seien Ausdruck der herrschenden Moral und nicht des Rechts. So werde zwar offiziell niemand mehr zu etwas gezwungen, die Stimmung, die diese Empfehlungen aber hervorrufen "und die soziale Brandmarkung von Personen, die sich nicht im Sinne des Leitungsorgans verhalten, erzeugen einen Druck, der über die bei Ordnungsverstößen angedrohte Geldbuße erheblich hinausgeht." Dabei gehöre die Trennung von Recht und Moral zu den "großen Errungenschaften moderner freiheitlicher Rechtsordnungen."  

Strafbedürfnis: In den letzten Jahrzehnten hat sich ein gesteigertes Strafbedürfnis entwickelt. Strafverteidiger Stefan Conen zeigt in der Zeit auf, wie sich dies in der Praxis auswirkt und welche Schritte er und seine Kolleginnen und Kollegen dagegen unternehmen. Dass die Ampelkoalition sich im Koalitionsvertrag einer evidenzbasierten Kriminalpolitik verpflichtet, hält er für einen wichtigen Ansatz und hofft, dass diese Ergebnisse auch in der Öffentlichkeit anerkannt werden.

 

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LTO/ali

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 7. April 2022: Schutz von Whistleblower:innen / Razzien gegen Neonazi-Netzwerke / Kritik an Corona-Empfehlungen . In: Legal Tribune Online, 07.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48078/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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