Die juristische Presseschau vom 17. März 2022: IGH ver­bietet rus­si­sche Mili­tär­ge­walt / BVerfG zu Hotels und Corona / Teil­sieg für Drosten gegen Kri­tiker

17.03.2022

Der IGH verpflichtete Russland, den Krieg in der Ukraine einzustellen. Das BVerfG lehnte eine Klage gegen Corona-Beschränkungen für Hotels als unzulässig ab. Physiker Wiesendanger muss künftig einige Äußerungen über Drosten unterlassen. 

Thema des Tages

IGH/Russland: Der Internationale Gerichtshof hat auf Antrag der Ukraine in einer Eilentscheidung Russland dazu verpflichtet, die militärische Gewalt in der Ukraine unverzüglich einzustellen. Russland muss zudem sicherstellen, dass sämtliche Separatist:innen unter ihrer Kontrolle die militärische Operation nicht weiter unterstützen. Der IGH hat es zudem sowohl der Ukraine als auch Russland untersagt, Handlungen zu unternehmen, die den Konflikt verschlimmern. Das Urteil hat zwar bindende Wirkung, das Gericht kann Moskau jedoch nicht zur Umsetzung zwingen. Experten zweifeln daran, dass sich Russland an die Anordnung halten werde. Es bleibe bei einer internationalen Signalwirkung, die den Druck auf Russland erhöhen könnte. Es berichten SZ (Ronen Steinke), LTO und spiegel.de.

Ronen Steinke (SZ) sieht in der Entscheidung einen "Punkt für das Völkerrecht", denn die völkerrechtliche Klarstellung, dass Putins Krieg "illegal" sei, "schwäche ihn". So könnten sich zum Beispiel "kleine Staaten, die sich Moskaus Wünschen nach Unterstützung im Krieg schwer widersetzen können", hierauf berufen. Immerhin habe Russland die Legitimität des IGH-Verfahrens dadurch erhöht, dass es sich mit einem Schriftsatz an dem Verfahren beteiligte.

Ukraine-Krieg und Recht

Europarat/Russland: Das Ministerkomitee des Europarats hat entschieden, Russlands Mitgliedschaft nach 26 Jahren mit sofortiger Wirkung zu beenden, denn Russland habe seine "militärischen Aktivitäten gegen die Ukraine auf ein beispielloses Niveau gesteigert, sei für Tausende getötete Zivilisten, Millionen Vertriebene und Zerstörungen im Land verantwortlich". Am Tag zuvor hatte Russland bereits seinen Austritt erklärt. Es berichten FAZ (Marlene Grunert/Friedrich Schmidt) und taz (Barbara Oertel).

Reinhard Müller (FAZ) begrüßt die Entscheidung und findet, wer "mit allem Recht" breche, habe in einer "Rechtsgemeinschaft nichts verloren". Gleichzeitig hofft er, dass das russische Volk den "Weg seines Gewaltherrschers nicht dauerhaft mitgehe". Das Tor stehe offen und kein Unrecht sei von Dauer, so Müller.

Russische Kriegsverbrechen: In einem Interview mit spiegel.de (Dietmar Hipp) erläutert Rechtsprofessor Daniel-Erasmus Khan an Beispielen, wann militärische Handlungen Russlands Kriegsverbrechen darstellen können. "Bei einem gezielten Beschuss von Wohngebäuden besteht natürlich der Anfangsverdacht eines Kriegsverbrechens. Dass sich dort womöglich der Gegner verschanzt hielt, müsste der Angreifer beweisen." Auch gegen Präsident Putin könne ermittelt werden, da Staatsoberhäupter nach dem Römischen Statut des IStGH keine Immunität haben. 

Kriegspropaganda: In einem Interview mit der FAZ (Elena Witzeck) erläutert Rechtsprofessor Tobias Keber, dass  der UN-Zivilpakt zwar Kriegspropaganda verbiete, aber sie nicht definiere. Es gebe auch keinen internationalen Konsens darüber, was Kriegspropaganda ist. Keber kritisiert auch, dass sich die kriegsbezogene Sperrung von Inhalten in sozialen Netzwerken nach deren "Hausrecht" richte.

Russland – Enteignung von Unternehmen: Nun berichtet auch die SZ (Elisabeth Dostert/Thomas Fromm) über die in Russland angedrohte Quasi-Enteignung von Unternehmen, die ihre Geschäfte im Land wegen des Krieges geschlossen haben.

Schweden – Nato-Beitritt: Auf dem Verfassungsblog beschäftigt sich Rechtsprofessorin Ester Herlin-Karnell (in englischer Sprache) mit den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die schwedische Neutralität, einem möglichen Nato-Beitritt Schwedens und der gegenseitigen Unterstützung der EU-Mitgliedsstaaten in diesem Zusammenhang. Herlin-Karnell beleuchtet dabei, inwieweit die EU eine "Quasi-Nato" sei.

Rechtspolitik

Corona-Maßnahmen: Der Bundestag debattierte über die Reform des Infektionsschutzgesetzes, mit der eine Rechtsgrundlage für einen Basisschutz eingeführt werden soll, der nach dem Auslaufen der bisherigen Rechtsgrundlagen für Corona-Maßnahmen gelten soll. Neben den Oppositionsparteien zeigten sich auch Mitglieder der Ampel-Koalition skeptisch. Sonja Eichwede (SPD) hält das Gesetz für einen "hart errungener Kompromiss" und hätte es "gut gefunden", wenn eine weitgehende Maskenpflicht weiter ermöglicht worden wäre. Laut Maria Klein-Schmeink (Grüne) handele es sich nach "langem Ringen" um einen "Kompromiss, der die Grünen nicht zufriedenstelle". Es berichten FAZ (Heike Schmoll), zeit.de (Andreas Sentker) und spiegel.de (Kevin Hagen/Christian Teevs).

SZ (Rainer Stadler) und Hbl (Jürgen Klöckner) stellen in einem Überblick dar, welche Corona-Maßnahmen in den verschiedenen Bundesländern künftig gelten werden. Praktisch werden wohl alle Landesregierungen die neue zweiwöchige Übergangsfrist bis zum 2. April nutzen und auch danach auf eine völlige Freiheit von Corona-Beschränkungen verzichten.

Coronaregeln in Unternehmen: Auf spiegel.de (Florian Gontek) beantwortet die Fachanwältin für Arbeitsrecht Saskia Steffen wichtige Fragen, die sich aufgrund der auslaufenden Coronaregeln des Infektionsschutzgesetzes ab dem 20. März für Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen ergeben. So ende die gesetzliche Homeoffice-Pflicht. Home-Office-Regelungen könnten aber betrieblich vereinbart werden. Auch die gesetzliche 3G-Regelung ende. Arbeitgeber:innen könnten nun nicht mehr nach dem Impfstatus fragen. Die Corona-Arbeitsschutzverordnung regele aber weiterhin eine betriebliche Abstands- und Maskenpflicht.

Über die Verlängerung der Corona-Arbeitsschutzverordnung schreibt auch LTO. Die Basisschutzmaßnahmen müssen nun durch die Betriebe als Ergebnis einer Gefährdungsbeurteilung in betrieblichen Hygienekonzepten festgelegt werden. 

Kündigung durch Strom-/Gasfirmen: Die Bundesregierung verbietet in einem Gesetzentwurf zum Energiewirtschaftsgesetz (EnGW) abrupte Kündigungen und Lieferstopps durch Strom- und Gasfirmen, indem Versorger die Einstellung ihres Betriebs künftig drei Monate im Voraus bei der Bundesnetzagentur ankündigen und zeitgleich betroffene Kunden und Netzbetreiber schriftlich informieren müssen. Bei Verstoß drohe den Versorgern ein hohes Bußgeld. Es berichtet spiegel.de (Stefan Schultz).

Justiz

BVerfG zu Coronamaßnahmen im Hotel: Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde einer Hotelgruppe gegen die gesetzliche Ermächtigung zu Corona-Beschränkungen im Hotelbetrieb als unzulässig abgelehnt. Dem Gericht zufolge sei dem Gebot der Rechtswegerschöpfung nicht genüge getan, da zunächst geklärt werden müsse, ob sich aus dem Infektionsschutzgesetz Entschädigungsansprüche ergeben könnten. Es berichtet LTO.

LG Hamburg zu Drosten/Wiesendanger: Das Landgericht Hamburg hat entschieden, dass der Physiker Roland Wiesendanger vier Aussagen, die er im Interview mit dem Magazin Cicero machte und in denen er dem Virologen Christian Drosten unter anderem vorwarf, die Bevölkerung über den Ursprung des Coronavirus getäuscht zu haben, künftig unterlassen muss. Es fehle an hinreichenden Anknüpfungstatsachen, denn tatsächlich hatte Drosten gesagt, dass weder hinsichtlich einer tierischen noch der labortechnischen Herkunft des SARS-CoV-2-Virus eine klare wissenschaftliche Überzeugung bestehe. Weitere Aussagen von Wiesendanger, wie die verwendeten Begriffe "Desinformationskampagne" und "Unwahrheiten", seien jedoch Wertungen im wissenschaftlichen Meinungskampf und daher zulässige Meinungsäußerungen, so das Gericht. Auch die Behauptung, Drosten habe ein "allerhöchstes Interesse", den Verdacht nicht in Richtung Laborursprung zu lenken, sei zulässig. Es handele sich um eine wertungsgeprägte zulässige Schlussfolgerung. Es schreiben LTO (Pauline Dietrich/Felix W. Zimmermann) und spiegel.de (Hannah Pilarczyk).

BVerfG zu Gebot der Waffengleichheit: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass sich das Landgericht Berlin in einem Verfahren nicht an das prozessuale Gebot der Waffengleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) gehalten hat, nach dem beide Parteien vor Erlass einer einstweiligen Verfügung angehört werden müssen. In dem Fall hatte das Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung erlassen, die einem Presseverlag die Wort- und Bildberichterstattung über eine Feierlichkeit untersagte, hierzu aber zuvor nur der prominenten Antragstellerin die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Es schreibt LTO.

BVerwG zu Flüchtlingsaufnahme: Die Berliner Innensenatorin Iris Spranger (SPD) kommentierte die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom Dienstag zu Landesprogrammen der humanitären Flüchtlingsaufnahme. Sie habe sich einen anderen Ausgang des Verfahrens gewünscht. Der Handlungsspielraum der Länder sei damit deutlich eingeschränkt. Das Land Berlin fühle sich jedoch weiterhin verpflichtet, Menschen in Not zu helfen und werde dem auch zukünftig nachkommen. Das Bundesinnenministerium begrüßte zwar das Engagement der Länder, wegen des Anwendungsvorrangs des europäischen Rechts und des Erfordernisses einer politischen und operativen Abstimmung des Vorgehens auf europäischer Ebene sei aber kein Raum für Landesaufnahmeprogramme, die nicht mit dem Bund abgestimmt sind. Dies berichtet LTO.

OVG NRW – NetzDG-Meldepflichten: Wie LTO meldet, haben Google und Meta/Facebook beim Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen Beschwerden gegen die Eil-Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Köln eingelegt. Es geht dabei um die Frage, ob die Betreiber sozialer Netzwerke dazu verpflichtet werden können, auf Antrag betroffener Nutzer ihre Löschentscheidungen zu überprüfen.

OLG Dresden – militante Antifa/Lina E: Wie SZ (Antonie Rietzschel) und taz (Konrad Litschko) berichten, könnte es im Verfahren gegen Lina E. zu einem Ermittlungsfehler um die "Gruppe E." gekommen sein. Seinen Anwälten zufolge sei der Mitangeklagte Jonathan Philipp M. in der Nacht nicht in Eisenach bei einem antifaschistischen Überfall auf eine Nazi-Kneipe gewesen, sondern mit einem Bekannten in einer Kneipe in Berlin. Dies habe die Auswertung seines Handys ergeben, was der Bundesanwaltschaft auch bekannt gewesen sei, wie sich aus der Ermittlungsakte ergebe.

LG München I – EY/Markus Braun: Nun berichtet auch LTO über den Vorlagebeschluss des Landgerichts München I, der ein Kapitalanleger-Musterverfahren gegen den früheren Wirecard-Chef Markus Braun und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY vorsieht.

LG Frankfurt/M. – "NSU 2.0"-Drohschreiben: Im NSU 2.0-Prozess haben die Fernsehmoderatorin und Journalistin Anja Reschke, die Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah und der Schulsprecher eines hessischen Gymnasiums ausgesagt. Alle hatten Drohschreiben mit dem Kürzel "NSU 2.0" erhalten. Es schreiben SZ (Gianna Niewel) und spiegel.de (Julia Jüttner)

LG Berlin zu Promi-Anwalt Hartmut Fromm: Das Landgericht Berlin hat entschieden, dass sich der 77-jährige Promi-Anwalt Hartmut Fromm nicht der schweren Untreue strafbar gemacht hat. Ihm und Partner seiner Kanzlei wurde vorgeworfen, das Vermögen seines früheren Mandanten, des Kunstsammlers Erwin Marx, veruntreut zu haben. Es ging um den Verkauf von Aktien einer polnischen Immobilien-Holding an die Ex-Geliebte von Marx. Dem Gericht zufolge sei nicht auszuschließen, dass Marx die Transaktion gebilligt habe. Dies berichtet die FAZ (Marcus Jung).

StA Hamburg – Cum-Ex/Olaf Scholz: Nun berichtet auch spiegel.de darüber, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg ihre Ermittlungen gegen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eingestellt hat.

Recht in der Welt

Großbritannien – Julian Assange: Bernd Pickert (taz) kommentiert die Ablehnung des vorerst letzten Rechtsmittels von Julian Assange durch den britischen Supreme Court. Die Frage, ob Assange nach einer Auslieferung an die USA suizidgefährdet ist, sei ohnehin nur ein Nebenschauplatz gewesen. Nun müsse es wieder um die Hauptfrage gehen, ob es der Westen verantworten kann, dass jemand ins Gefängnis muss, weil er an der Aufdeckung von Kriegsverbrechen beteiligt war. 

Sonstiges

Corona – Pflege-Impfpflicht: Bis zum 15. März mussten Beschäftige im Pflege- und Gesundheitswesen nachweisen, dass sie geimpft oder genesen sind. zeit.de (Carolin Rückl) erläutert, dass die Betroffenen auch nach der Meldung an die örtlichen Gesundheitsämter weiterarbeiten dürfen, bis entschieden ist, ob ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen wird. Je nach Land und Personalsituation in den Einrichtungen können die Ämter dabei mehr oder weniger streng entscheiden. Auch die Schnelligkeit des Verfahrens werde sich von Land zu Land unterscheiden.

Lkw-Demo: In einem Interview mit LTO (Tanja Podolski) erläutert Strafverteidiger Ingo Bott, wann das Blockieren der Autobahn durch Lkw-Fahrer:innen im Rahmen der angekündigten Proteste gegen die hohe Spritpreise strafbares Verhalten darstellt und wo die Grenzen zu einer rechtmäßigen Demonstration liegen. Bott zufolge spreche vieles für ein "strafbares Verhalten im Sinne des Nötigungstatbestandes (§ 240 StGB)". So auch die bisherige Rechtsprechung, nach der "derjenige, der im Straßenverkehr eine physische Barriere errichtet, diejenigen, die durch diese Barriere gebremst werden, nötigt".

"Z"-Symbol: Auf LTO befasst sich Rechtsprofessor Ulrich Stein mit der Frage, wann die Verwendung des russischen Propaganda "Z"-Symbols nach deutschem Recht eine strafbare Billigung des Angriffskriegs (§ 140 Nr. 2 StGB i.V. mit § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB und § 13 VStGB) darstellt und wann eine harmlose Zeichenverwendung vorliegt. Mit einer Strafverfolgung sei nur zu rechnen, wenn die Verwendung den "eindeutigen Eindruck erwecke", es solle damit eine "positive Bewertung der Ukraine-Invasion" zum Ausdruck gebracht werden, so Stein.

Prüfung von Spritpreisen: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grünen) hat aufgrund der hohen Benzin- und Dieselpreise das Bundeskartellamt dazu aufgefordert zu kontrollieren, ob Mineralölkonzerne wettbewerbswidrig tätig werden, indem sie die Benzin- und Dieselpreise durch Preisabsprachen in die Höhe treiben. Es dürfe nicht sein, dass "Unternehmen aus der jetzigen Situation unangemessene Gewinne schlügen". Dies berichtet spiegel.de (Stefan Schultz).

 

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LTO/ok

(Hinweis für Journalist:innen

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 17. März 2022: IGH verbietet russische Militärgewalt / BVerfG zu Hotels und Corona / Teilsieg für Drosten gegen Kritiker . In: Legal Tribune Online, 17.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47856/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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