Die juristische Presseschau vom 21. Oktober 2021: Frontex wegen Push­backs ver­klagt / BGH zu Trep­pen­liften / Ter­r­o­ris­ti­sche Ver­ei­ni­gung ehe­ma­liger Bun­des­wehr­sol­daten?

21.10.2021

Eine syrische Familie klagt vor dem EuG gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex. Der BGH billigt bei der Bestellung eines Treppenlifts ein Widerrufsrecht zu. Die BAW ermittelt gegen Ex-Bundeswehrsoldaten wegen geplanter Söldnertruppe.

Thema des Tages

EuGH – Frontex: Vor dem Europäischen Gerichtshof haben der Syrer Omar B. und seine Familie, vertreten durch niederländische Anwält:innen, eine Klage auf Schadensersatz gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex eingereicht. Das berichten SZ (Thomas Kirchner) und tagesschau.de (Ann Esswein/Bartholomäus Laffert). Omar B., der mit seiner Familie wegen des syrischen Bürgerkriegs nach Griechenland geflüchtet war und dort einen Asylantrag stellte, sei im Oktober 2016 unter Vorspiegelung, nach Athen gebracht zu werden, in die türkische Stadt Adana abgeschoben worden. Bei dem Flug, der unter Anwesenheit von Frontex-Beamten erfolgte, habe die Familie zudem eine demütigende Behandlung erfahren. Die Kinder im Alter von zwei, fünf und sieben Jahren seien von den Eltern getrennt worden und niemand habe sprechen dürfen. Laut Klageschrift handle es sich bei dem Vorgang um einen illegalen Pushback, der die Grundrechte der geflüchteten Personen verletze. Die Klage gegen Frontex sei die erste ihrer Art und deshalb von besonderer Bedeutung. Der EuGH müsse nun prüfen, inwieweit Frontex für illegale Pushbacks, an denen die Grenzschutzagentur bis jetzt eine Beteiligung bestritten hatte, verantwortlich ist. Der Fall sei ausführlich dokumentiert, die Beweislage laut Anwältin des Klägers "erdrückend". Deshalb schätzt sie die Erfolgsaussichten der Klage als sehr hoch ein. 

Rechtspolitik

Schuldenbremse: Rechtsprofessor Hanno Kube befasst sich auf dem Verfassungsblog umfassend mit aktuellen Problemen der grundgesetzlichen Schuldenbremse. So seien pandemiebedingte Mehrausgaben möglich, die aber nicht für Klimaschutz und Digitalisierung verwendet werden dürften. Möglich wäre dagegen eine Grundgesetzänderung, die Ausgaben für Klimaschutz generell von der Schuldenbremse ausnimmt – was Kube aber nicht befürwortet.

UN-Menschenrechtsrat: Die CDU-Bundestagsabgeordnete Katja Leikert kritisiert im FAZ-Einspruch den Zustand des UN-Menschenrechtsrats und bezeichnet das Organ als "unbrauchbar und eine Zumutung für die Völker der Welt". Gründe dafür seien unter anderem Mitglieder wie Eritrea, die die Menschenrechte in ihrem Land nicht achteten. Auch würden Staaten wie China und Russland bei systematischen Menschenrechtsverletzungen vom Menschenrechtsrat nicht konsequent ermahnt. Die einzige Möglichkeit, die Integrität des Organs wiederherzustellen, sei eine Zerschlagung der alten Strukturen und eine vollständige Erneuerung des Menschenrechtsrats.

Digitale Dienste: Die Beratungsstelle HateAid hat mit elf Partnerorganisationen die Petition "Stoppt digitale Gewalt gegen Frauen! #makeitsafe" ins Leben gerufen. Den Petentinnen reichen die aktuellen Vorschläge der EU-Kommission zum Digital Services Act (DSA) nicht aus. Es seien unter anderem strengere Maßnahmen gegen den Missbrauch von Nacktbildern notwendig und Online-Plattformen müssten stärker in die Verantwortung genommen werden, wie netzpolitk.org (Christina Braun) berichtet.

Digitale Märkte: Rechtsprofessor Sebastian Mertens stellt auf beck-community Neuregelungen für Online-Marktplätze und sonstige Vermittlungsdienste (wie Vergleichsplattformen) vor, die ab Mitte 2022 gelten. Diese Umsetzung einer EU-Richtlinie führe insbesondere neue Informationspflichten ein. Nach der kritischen Prognose des Autors sei dadurch "die Informationsflut für Verbraucher und der Bürokratieaufwand für Unternehmer ein weiteres Mal erheblich vergrößert worden".

Justiz

BGH zu Widerrufsrecht bei Treppenlift: Laut Bundesgerichtshof steht Verbauchern beim Kauf eines maßangefertigten Treppenlifts ein vierzehntägiges Widerrufsrecht zu. Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg hatte die Firma AP+ Treppenlift, die ein Widerrufsrecht bei der Montage von Treppenliften ausschloss, auf Unterlassung dieses Ausschlusses verklagt. Ein Ausschluss des Widerrufsrechts umfasst nach der Vorschrift des § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB aber nur Kaufverträge und Werklieferungsverträge, nicht jedoch Werkverträge. Für den BGH steht bei Treppenlift-Verträgen nicht der Eigentumserwerb im Mittelpunkt, sondern der bedürfnisgerechte Einbau des Lifts, was einem Werkvertrag entspreche. Es berichten FAZ, LTO und tagesschau.de.

BAW – geplante Söldnertruppe: Die Bundesanwaltschaft hat zwei ehemalige Bundeswehrsoldaten wegen Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung festnehmen lassen. Laut Bundesanwaltschaft wollten die beiden ehemaligen Fallschirmjäger 100 bis 150 ehemalige Soldaten und Polizisten rekrutieren, um eine Söldnertruppe aufzustellen, die zunächst im Jemen eingesetzt werden sollte. Die Verdächtigen, Achim A. und Arend-Adolf G., hätten auf eine Finanzierung der Söldner durch Saudi-Arabien gehofft. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch/Klaus Ott/Angelika Alavik), taz (Sebastian Erb) und zeit.de (Fabian Albrecht).

EuG zu Air-Berlin-Übernahme: Das Gericht der Europäischen Union hat Klagen der polnischen Fluggesellschaft LOT gegen die Übernahme von Air-Berlin-Teilen sowie der Air-Berlin-Tocher LGW durch EasyJet und Lufthansa abgewiesen. Das EuG konnte keine Fehler der EU-Kommission bei der Genehmigungen feststellen, wie faz.net berichtet.

BGH zu Streit um Farbmarke: Laut Beschluss des Bundesgerichtshofs muss der Beck-Verlag beweisen, dass die Farbmarke "NJW-Orange" immer noch markenrechtlich schützenswert sei, wie LTO (Hasso Suliak) schreibt. Voraussetzung dafür sei, dass die "Farbe Orange sich infolge ihrer Benutzung für Juristische Fachzeitschriften in den beteiligten juristischen Verkehrskreisen" durchgesetzt habe. Die Beweislast hierfür liegt laut BGH beim Beck-Verlag. Der BGH änderte dabei seine bisherige Rechtsprechung und entschied auch anders als die Vorinstanz, das Bundespatentgericht.

BVerwG zu Fahreignung: Das Bundesverwaltungsgericht urteilte im September, dass eine Prüfung der Fahreignung in einem EU-Mitgliedstaat in Deutschland anerkannt werden müsse, wenn sie den inhaltlichen Standards der deutschen MPU entspreche. Auf beck-aktuell (Michael Dollmann) findet sich eine Zusammenfassung des Urteils.

OLG Köln zu Recht am Bild von Polizisten: Das Oberlandesgericht Köln verurteilte einen Studenten, der Videos von Polizist:innen bei Routineeinsätzen im Internet veröffentlicht hatte, ohne deren Gesichter unkenntlich zu machen, zu einer Geldstrafe in Höhe von 2800 Euro wegen Verletzung des Kunsturhebergesetzes. Polizeibeamt:innen haben ein Recht am eigenen Bild, hinter dem die Meinungs- und Pressefreiheit zurückstehen müsse, wenn es sich nicht um zeitgeschichtlich relevante Geschehnisse oder die Dokumentation von Polizeigewalt handle, so das Gericht, laut spiegel.de.

OLG München – IS-Rückkehrerin Jennifer W.: Die SZ (Annette Ramelsberger) gibt auf Seite 3 einen Überblick über den Verlauf des Prozesses gegen Jennifer W. Sie beschreibt die wegen versuchten Mordes und Sklavenhaltung mit Todesfolge Angeklagte als Frau, die beim IS im Irak vor allem ein "ruhiges" Leben suchte. Die Mutter des getöten Mädchens, das als jesidische Sklavin für den IS-Ehemann von Jennifer W. dienen musste, wurde als schwierige Zeugin beschrieben. Die Bundesanwaltschaft habe einerseits im Gerichtssaal mit der Mutter fraternisiert und zugleich die Verteidiger von Jennifer W. mit schikanösen Ermittlungsverfahren überzogen. Der Gerichtsprozess sei einzigartig, weil es gelungen sei, einzelne Verantwortliche der Terrorherrschaft des IS ausfindig zu machen und zur Rechenschaft zu ziehen. Am 25.Oktober soll in München das Urteil verkündet werden.

OVG Nds zu Naturschutzgebiet "Totes Moor": Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat ein Flugverbot für den Luftraum oberhalb einer Flughöhe von 150 Metern über dem Boden oder Wasser für unwirksam erklärt, solange dieser außerhalb des Europäischen Vogelschutzgebiets liegt. Damit hat es den Anträgen von Veranstaltern von Ballonfahrten zum Überfliegen des Steinhuder Meers teilweise stattgegeben, berichtet LTO

LG Stuttgart – klimaVest: Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg zieht gegen die Fondsgesellschaft der Commerzbank-Real vor das Landgericht Stuttgart. Sie wirft der Gesellschaft vor, dass diese ihre Kund:innen bei ihrem Fonds klimaVest "fragwürdige Nachhaltigkeitsversprechen" mache und diese so hinters Licht führe. Die Gesellschaft bietet den Kund:innen an, mit einem CO2-Rechner zu berechnen, mit welchem Anlagebetrag in grünen Projekte investiert werden müsse, um den eigenen CO2-Fußabdruck ausgleichen zu können. Laut Verbraucherzentrale seien "die Abfragekriterien des CO2-Rechners zu solch exakten Rechnungen aber gar nicht fähig". Die FAZ berichtet.

StA Köln – Taskforce sexueller Missbrauch: Die sogenannte Taskforce sexueller Missbrauch, eine bei der Staatsanwaltschaft Köln ins Leben gerufene Arbeitsgruppe zur Bekämpfung von Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen im Internet habe sich bewährt und werde deshalb nun als dauerhafte Einrichtung etabliert, wie LTO berichtet. Über 3.800 Ermittlungsverfahren gegen mehr als 4.100 Beschuldigte seien in den letzten 15 Jahren durch die Taskforce eingeleitet worden.

Recht in der Welt 

EGMR – Rückholung von IS-Frauen: Johanna Mittrop setzt sich auf JuWissBlog mit dem aktuellen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auseinander, ob Frankreich verpflichtet ist, zwei französische IS-Anhängerinnen, die in kurdischen Lagern in Nordsyrien festgehalten werden, zurückzuholen. Entscheidende Frage sei, ob die Europäische Menschenrechtskonvention auch in irakischen Lagern anwendbar ist, obwohl Frankreich dort offensichtlich keine effektive Kontrolle ausübt. Möglicherweise werde der EGMR eine neue Ausnahme einführen, die auf die Verantwortung Frankreichs für seine Staatsangehörigen abstellt, was die Autorin jedoch problematisch fände, weil die Rechtsprechung nicht allen Menschen gleichermaßen zugute käme. 

Österreich – Corona/3G am Arbeitsplatz: Am ersten November tritt in Österreich die 3G-Regel am Arbeitsplatz in Kraft. Beschäftigte dürfen dann nur noch mit einem Nachweis, dass sie geimpft, getestet oder von einer Covid-19 Erkrankung genesen sind, am Arbeitsplatz erscheinen, wie FAZ und Hbl (Ivo Mijnssen) berichten.

Sonstiges

Frauen in Führungspositionen: Während der Frauenanteil in Aufsichtsräten der Privatwirtschaft gestiegen ist, sind Frauen in den Führungspositionen der Bundesverwaltung noch unterrepräsentiert, wie der aktuelle Bericht der Bundesregierung über den Frauen- und Männeranteil an Positionen auf der Führungsebene ergibt, der auf LTO vorgestellt wird. Einen weiteren Fortschritt bei der Gleichstellung von Männern und Frauen erhofft Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) von dem im August in Kraft getretenen Zweiten Führungspositionengesetz. 

Klima und Recht: Auf LTO (Franziska Kring) werden die Diskussionen der deutschen Sektion der Internationalen Juristenkommission zu Klima und Recht dokumentiert. Im Zentrum der Tagung, die am vergangenen Wochenende stattfand, stand die Frage welche Bedeutung Gerichte beim Klimaschutz haben und ob "Personal Carbon Trading" eine geeignete Alternative zum Emissionshandel darstellten könnte.

Netzneutralität: Verbraucherschützer:innen fordern die Regulierungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten auf, sogenannte Zero-Rating-Angebote wie StreamOn und Vodafone Pass, bei denen der Zugriff auf einen bestimmten Online-Dienst nicht auf das monatliche Datenvolumen angerechnet wird, vollständig und endgültig zu verbieten. Nach Einschätzung von netzpolitik.org (Tomas Rudl) gehe aus den jüngsten Urteilen des Europäischen Gerichtshofs klar hervor, dass derartige Angebote die Netzneutralität verletzen. 

 

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lto/mr

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. Oktober 2021: . In: Legal Tribune Online, 21.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46419 (abgerufen am: 05.10.2024 )

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