Die juristische Presseschau vom 22. September 2021: Söders frag­wür­diger Wahl­tipp / Keine "Hängt die Grünen"-Pla­kate in Zwickau / Abt­rei­bungen in USA auf dem Prüf­stand

22.09.2021

Bayerns Ministerpräsident Söder könnte zur Wählertäuschung aufgerufen haben. Die Wahlplakate einer rechtsextremen Partei wurden vom OVG Bautzen in zweiter Instanz beanstandet. Der US-Supreme Court prüft das Recht auf Schwangerschaftsabbruch.

 

Thema des Tages

StA Schweinfurt – Wählertäuschung: Nachdem Markus Söder (CSU) bei einer Wahlkampfveranstaltung in Schweinfurt unter anderem vorgeschlagen hatte, Personen einen falschen Termin für die Wahl zu nennen, die womöglich bei der Bundestagswahl am nächsten Sonntag nicht CSU wählen wollen, prüft die Staatsanwaltschaft Schweinfurt, ob der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt. Die beschriebene Handlung könnte eine Wählertäuschung gemäß Paragraph 108a Strafgesetzbuch sein, bei Söder ginge es ggf. um § 111 StGB, Aufforderung zu Straftaten*. Es berichtet spiegel.de (Anna Clauß/Dietmar Hipp)

Justiz

OVG Sachsen zu "Hängt die Grünen": Laut LTO hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht in Bautzen auf Beschwerde der Stadt Zwickau hin entschieden, dass die "Hängt die Grünen"-Wahlplakate der rechtsextremen Partei "Der Dritte Weg" nun doch abgehängt werden müssen. Es stufte die Plakate als Volksverhetzung ein und gab damit der Stadt Zwickau recht, die gegen die Plakate vorgegangen war. Das Verwaltungsgericht Chemnitz hatte in erster Instanz noch anders entschieden. Das LG München I hatte inzwischen aber per einstweiliger Verfügung einen bundesweit wirksamen Unterlassungsanspruch der Grünen gegen den III. Weg festgestellt.

BVerfG zu "Dritter Weg" bei Facebook: Das Bundesverfassungsgericht hat einen Eilantrag der Partei "Der Dritte Weg" zur Entsperrung ihrer Facebookseite abgelehnt. Die rechtsextreme Keinstpartei wollte durch den Antrag erreichen, dass Facebook die gesperrte Seite vor der Bundestagswahl am 26. September wieder freigeben muss. Da die Seite vom Parteivorsitzenden eingerichtet worden war, hätte die antragstellende Partei begründen müssen, warum auch sie von der Sperrung betroffen sei. netzpolitik.org (Holly Hildebrand) und LTO berichten. 

OLG München zu Handtuchspendern: Das Oberlandesgericht München hat entschieden, dass Marken-Papierhandtuchspender auch mit fremden No-Name-Papierhandtüchern befüllt werden dürfen, wie LTO schreibt. Es stelle keine Markenverletzung dar, wenn Handtuchspender einer bestimmten Marke mit Produkten anderer Hersteller befüllt werden. Damit wich das Oberlandesgericht in seiner Bewertung der heutigen Verkehrsauffassung im Hinblick auf Papierhandtuchspender von der vom Bundesgerichtshof vor über 30 Jahren festgestellten Auffassung ab, dass Handtuchspender nichts weiter seien als eine "Umhüllung der eingelegten Tücher". Der Bundesgerichtshof hatte somit noch angenommen, es könne vom außen angebrachten Warenzeichen auf die Herkunft der Handtücher geschlossen werden.

ArbG* Berlin zu Tarifeinheitsgesetz/GDL: Das Arbeitsgericht Berlin hat eine Klage der Lokführergewerkschaft GDL gegen den Arbeitgeberverband MOVE auf Anwendung ihrer Tarifverträge abgewiesen, wie FAZ (Marcus Jung) und spiegel.de berichten. Die Deutsche Bahn wende das von der GDL für verfassungs- und EU-rechtswidrig gehaltene Tarifeinheitsgesetz zurecht an.

LG Braunschweig – Dieselskandal/VW-Führungskräfte: Am zweiten Prozesstag im sogenannten Dieselprozess am Landgericht Braunschweig hat einer der Angeklagten, ein VW-Ingenieur, den früheren VW-Vorstandschef Martin Winterkorn sowie einen weiteren Ex-VW-Vorstand schwerer als erwartet belastet, wie die SZ (Max Hägler), FAZ (Christian Müßgens) und spiegel.de schreiben. Der Ingenieur behauptete, bereits 2012 den damaligen Entwicklungschef der Volkswagen-Kernmarke über seine Bedenken wegen der in den USA eingesetzten Täuschungssoftware informiert zu haben. Er sei jedoch nur weggeschickt worden und habe die entsprechenden Unterlagen vernichten sollen. Weiter bezeichnete der Ingenieur Winterkorn als den vermutlichen "Kopf der Bande".

StA Osnabrück – FIU und Strafvereitelung/Durchsuchungen: Auf deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) findet sich eine Darstellung zu verschiedenen Fragen rund um die Durchsuchungen im Bundesfinanz- und Bundesjustizministerium im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die Financial Intelligence Unit. Es wird beleuchtet, warum überhaupt Büros in den Ministerien durchsucht wurden, was an den Durchsuchungen kritisiert wird, welche Vorwürfe es gegen Olaf Scholz gibt und warum gegen Scholz Staatssekretär ermittelt wird.

Ex-Bundesrichter Thomas Fischer kommentiert auf spiegel.de die Durchsuchungen und widmet sich dabei unter anderem der Ausdehnung der Strafbarkeit von Geldwäsche sowie einem wahrscheinlich nicht strafbaren Tweet des Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium. Dabei hält er die vermeintliche Strafvereitelung durch die FIU für nicht besonders skandalös.

Klimaklagen der Deutsche Umwelthilfe: Wie die SZ, FAZ und Hbl (Volker Votsmeier/Kathrin Witsch) schreiben, hat die Deutsche Umwelthilfe an den zuständigen Landgerichten in München und Stuttgart Klage erhoben, um die Autokonzerne BMW und Mercedes-Benz zum Ausstieg aus Verbrennungsmotoren bis 2030 zu zwingen.

Staatsanwaltschaften und Rechtsextremismus: Ronen Steinke (SZ) stellt fest, dass das Prinzip der Meinungsfreiheit nicht dazu führen dürfe, dass sich die Justiz "schlicht blöd stellt". Sowohl im Fall der Aktion von Neonazis, die drei Strohpuppen mit Fotos von Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Armin Laschet zu Leichentüchern und Kunstblut in einer Fußgängerzone auf den Boden gelegt hatten als auch im Fall der "Hängt die Grünen“-Plakate seien die zuständigen Staatsanwaltschaften in Würzburg bzw. in Zwickau erst mit mehreren Tagen Verspätung und nach starker öffentlicher Kritik und auf Druck von oben tätig geworden. Manchmal sei es bloß ein feiner Unterschied zwischen einer Staatsanwaltschaft, der die Hände gebunden seinen und einer, die die Hände in den Schoß lege.

Recht in der Welt

Russland/EGMR – Litwinenko-Mord: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat laut spiegel.de festgestellt, dass die beiden Männer, die den Ex-Agenten Alexander Litwinenko 2006 in London mit radioaktivem Polonium 210 vergiftet hatten, dem Anschein nach im Auftrag oder unter Kontrolle der russischen Behörden handelten. Russland habe sich geweigert, interne Ermittlungsdokumente zu teilen, die das Gegenteil hätten beweisen können. Litwinenkos Witwe, die vor dem Straßburger Gerichtshof geklagt hatte, soll von Russland 100.000 Euro Entschädigung erhalten. Der Kreml wies die Entscheidung zurück.

USA – Abtreibungsgesetz Mississippi: Der Supreme Court der USA hat die mündliche Verhandlung zu einem Rechtsstreit angesetzt, bei dem es um ein Gesetz des Bundesstaats Mississippi geht, das Schwangerschaftsabbrüche nach der 15. Schwangerschaftswoche verbietet. Seit der Grundsatzentscheidung des Supreme Court im Fall Roe v. Wade von 1973 sind Schwangerschaftsabbrüche in den USA bisher bis zur etwa 24. Schwangerschaftswoche erlaubt. Da das Gericht unter dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump deutlich konservativer besetzt worden sei, erscheine die Wahrscheinlichkeit, dass Roe v. Wade gekippt wird, so groß wie selten zuvor. Es berichten die taz (Dorothea Hahn) und LTO.

USA – Harvey Weinstein: Der Filmproduzent und bereits verurteilte Sexualstraftäter Harvey Weinstein wurde im Vorfeld einer neuen Verhandlung vor dem Los Angeles County Superior Court verhört. Ihm wird, ähnlich wie schon zuvor in New York, nun auch in Los Angeles Vergewaltigung und sexuelle Nötigung vorgeworfen. Seine Anwälte versuchen dabei offensichtlich zu zeigen, dass es ihm körperlich schlecht gehe und er unter den Haftbedingungen leide. Es berichtet die SZ (Jürgen Schmieder).

Polen – Rundfunkgesetz: Die SZ (Florian Hassel) berichtet über die aktuelle Situation des Fernsehsenders TVN 24 in Polen, der von einer Novelle des polnischen Rundfunkgesetzes bedroht wird. Da der Sender einem US-amerikanischen Konzern gehört, sah sich nun auch der US-Außenminister Antony Blinken veranlasst, das geplante Gesetz scharf zu kritisieren. Jedoch könnten nicht nur die Gesetzesnovelle, sondern auch der Rundfunkrat in Polen dem Sender schaden.

EuGH/Polen – Braunkohleabbau: Nun berichten auch FAZ (Reinhard Veser), taz (Gabriele Lesser) und Hbl (Mathias Brüggmann) über die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über eine Strafzahlung Polens wegen des Abbaus von Braunkohle im Tagebau Turów im polnisch-tschechisch-deutschen Dreiländereck. Der polnische Ministerpräsident Morawiecki machte deutlich, dass Polen der Entscheidung nicht Folge leisten werde.

Italien – organisierte Kriminalität: In Rom wurden 43 Angehörige des sogenannten Casamonica-Clans zu hohen Gefängnisstrafen wegen Wucher, Erpressung, Zuhälterei und vor allem Drogenhandel in Rom und in der Peripherie der Hauptstadt verurteilt, wie die FAZ (Matthias Rüb) schreibt. Die Gruppe hatte ihre kriminellen Geschäfte wie die überwiegend aus Süditalien stammenden Mafiaorganisationen organisiert und war wegen ihrer Brutalität gefürchtet. Nach gut zwei Jahren Prozess fiel nun das Urteil in erster Instanz, es ist noch nicht rechtskräftig.

Sonstiges

"Verfassungsgerichtsbarkeit" von Dieter Grimm: Die Habilitandin Pia Lange und der Doktorand Sebastian Hapka besprechen auf LTO einen zum 70. Geburtstag des Bundesverfassungsgerichts erschienenen Sammelband, in welchem Dieter Grimm, ehemaliger Richter des Bundesverfassungsgerichts, 17 seiner Veröffentlichungen zur Verfassungsgerichtsbarkeit gebündelt hat. Angesichts des politischen Drucks auf Verfassungsgerichte halten die Autor:innen das Thema für hochaktuell und sehen in Grimm einen starken Fürsprecher für die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit als solche. Kritischer hingegen sieht Grimm die Rolle des Europäischen Gerichtshofs, dessen Rechtsprechung ein spezifischer Ausdruck des Demokratiedefizits der Europäischen Union sei.

125. Geburtstag von Elisabeth Selbert: Zum 125. Geburtstag der Juristin und Sozialdemokratin Elisabeth Selbert (1896-1986) hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Hass und Hetze im Internet insbesondere gegen politisch aktive Frauen als unerträglich bezeichnet, wie die SZ meldet. Frauenfeindlichkeit und Sexismus seien niemals erträglich, seien niemals zu dulden und dürften auch niemals unwidersprochen bleiben. Selbert hatte als eine der vier Mütter des Grundgesetzes den Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" im Grundgesetz verankert.

Freiheit und Sicherheit: Unter den Schlagworten "ohne Sicherheit keine Freiheit" kritisiert Reinhard Müller (FAZ) das "Fehlen einer interessengeleiteten Einwanderungspolitik" und hält unter anderem auch die Abschiebung von bereits gut integrierten Kindern für notwendig. Auch sogenannte Gefährder müssten konsequent überwacht werden, was nicht an einem falsch verstandenen Datenschutz scheitern dürfe. Außerdem müsse das Personal von Polizei und Justiz zwar auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, dürfe aber nicht von der Politik unter den Dauerverdacht der Verfassungsfeindlichkeit gestellt werden.

Strategische Prozessführung:  Der wissenschaftliche Mitarbeiter Nam Nguyen beschreibt auf JuWissBlog.de, warum strategische Prozessführung, wie etwa jüngst bei den sogenannten Klimaklagen, weder den Grundsatz des Individualrechtsschutzes aushöhlt noch gegen das Gebot der Gewaltenteilung verstößt.

Urheberrechtsschutz im Strafrecht: In einem Gastbeitrag auf FAZ-Einspruch erläutert der Rechtsprofessor Norbert Flechsig, dass Plagiate, wie sie unlängst unter anderem den Kanzlerkandidat:innen Laschet, Scholz und Baerbock vorgeworfen wurden, abseits des Zivilrechts auch strafrechtlich verfolgt werden können. Der Autor nimmt eine genaue Analyse vor, welche Vorschriften im Strafgesetzbuch im Falle eines Plagiats einschlägig sein könnten.

Obduktionen: Der SWR-Radio-Report-Recht (Klaus Hempel/Florian Scheffel) beschreibt wie Obduktionen durchgeführt werden und geregelt sind. Er kommt zum Schluss: "Es sollte in Deutschland mehr obduziert werden, um unentdeckte Tötungen aufzudecken".
 

(* Korrektur am Erscheinungstag, 10.30 h, dass es bei Söder ggf. um Aufforderung zu Straftaten geht, nicht um Wählertäuschung.)
(** Korrektur am Folgetag, 6.45 h, dass - entgegen der spiegel.de-Meldung - das ArbG Berlin entschieden hat, nicht das LAG Berlin)

 

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lto/ls

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 22. September 2021: Söders fragwürdiger Wahltipp / Keine "Hängt die Grünen"-Plakate in Zwickau / Abtreibungen in USA auf dem Prüfstand . In: Legal Tribune Online, 22.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46076/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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