BVerfG lehnt AfD-Eilanträge auf vorläufige Änderungen des Wahlverfahrens für das Bundestagspräsidium ab. Bayerischer Landtag darf im "Bündnis für Toleranz" bleiben, so der BayVerfGH. Gerichte uneins über Verwertung von EnchroChat-Daten.
Thema des Tages
BVerfG zu Bundestagspräsidium: Der Bundestag muss keine "vorläufigen verfahrensmäßigen Vorkehrungen" für die Wahl seines Präsidiums treffen. Das Bundesverfassungsgericht wies einen entsprechenden Eilantrag der AfD-Fraktion als "unzulässig" ab. Die AfD hatte mehrfach Kandidatinnen und Kandidaten für einen Posten im Bundestagspräsidium zur Wahl aufgestellt, die allesamt aber vom Bundestag nicht die nötige Mehrheit der Stimmen erhielten. Damit ist die AfD die einzige Fraktion, die in der auslaufenden Legislatur mit keinem Vizepräsidenten im Präsidium vertreten ist. Der Eilantrag sei laut BVerfG unzulässig, da das Ziel der AfD – eine Änderung beim Wahlverfahren – auch auf dem Organklageweg nicht erreicht werden könne. Außerdem lehnte das Karlsruher Gericht den Eilantrag des AfD-Abgeordneten Fabian Jacobi ab, der einen Fraktionskollegen zur Wahl des Bundestags-Vize vorschlagen wollte, was aber als unzulässig zurückgewiesen worden war. Nur über die Klage des Abgeordenten will der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts am 10. November diesen Jahres mündlich verhandeln. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Helene Bubrowski/Markus Wehner), taz (Christian Rath), tagesschau.de (Klaus Hempel) und LTO.
In einem gesonderten Kommentar begrüßt Wolfgang Janisch (SZ) die Entscheidung des BVerfG. Die Präsidentin oder der Präsident des Bundestags hüte das demokratische Gespräch, "dort jemanden zu platzieren, der das Gespräch zerstören will, wäre schon eine bizarre Idee." Christian Rath (taz) meint, auch wenn es grundgesetzlich nicht vorgeschrieben ist, sei es von den anderen Parteien politisch unklug, der AfD einen Posten im Bundestagspräsidium zu verweigern. Die AfD könne sich nun wieder als "ausgegrenzte Minderheit" präsentieren.
Rechtspolitik
Lieferketten und Menschenrechte: Im Interview mit dem Journalisten Caspar Dohmen befasst sich der SWR RadioReportRecht (Bernd Wolf/Alessa Böttcher) mit dem neuen Lieferkettengesetz. Ein zentraler Punkt der neuen Regelung sei es, dass Unternehmen dafür Sorge tragen müssen, dass ihre Zulieferer die Gewerkschaftsfreiheit gewährleisten, erläutert Dohmen.
Justiz
VerfGH Bayern zu "Bündnis für Toleranz": Der bayerische Landtag darf weiterhin als gesamtes Organ Mitglied im gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus aktiven "Bündnis für Toleranz" bleiben. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof wies die Klage der AfD-Fraktion ab, schreiben SZ und LTO. Die AfD sah sich durch die Mitgliedschaft in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt und hatte deshalb im Wege des Organstreitverfahrens die Aufkündigung der Mitgliedschaft erreichen wollen. Die Richter:innen sahen das Neutralitätsgebot allerdings als nicht verletzt, schließlich sei die Bayrische Verfassung gerade nicht wertneutral, sondern vom Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung des Staates geprägt, einem Ziel, das der Landtag durch seine Öffentlichkeitsarbeit fördern dürfe.
LG Berlin – EnchroChat-Daten: Wie LTO (Markus Sehl) erläutert, sind nicht alle Gerichte mit der Verwertung der so genannten EnchroChat-Daten einverstanden. So sah nun das Landgericht Berlin in der Überwachung unter anderem einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das Telekommunikationsgrundrecht und in das sogenannte IT-Grundrecht. Jemand der ein Krypto-Handy besitzt stehe deshalb noch nicht unter Tatverdacht. Die Verstöße wögen so schwer, dass sie ein Beweisverwertungsverbot nach sich zögen. Das LG Berlin weiche damit von der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Rostock, Schleswig und Bremen ab. Französischen Ermittlungsbehörden war es im Frühjahr 2020 gelungen mittels einer aufgespielten Überwachungssoftware den auf verschlüsselte Kommunikation spezialisierten Kommunikationsanbieter "EncroChat" zu infiltrieren und so Kommunikation von rund 32.000 Nutzer:innen in 122 Ländern – darunter auch Deutschland – quasi live mitzulesen.
BVerfG zum Rundfunkbeitrag: Nun diskutiert auf dem Verfassungsblog auch der Rechtsprofessor Matthias Cornils das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Rundfunkbeitrag, den das Gericht vergangene Woche veröffentlichte, und rekapituliert nochmal die Vorgeschichte der Streitigkeit.
BGH zu Facebook-Gemeinschaftsstandards: Im Staat und Recht-Teil der FAZ befasst sich nun auch Rechtsprofessor Rolf Schwartmann mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs zu Facebooks Nutzungsbedingungen. Die Entscheidung stelle "eine wichtige Weiche für die entgleiste Gesprächskultur im Netz" und stärke die Meinungsfreiheit. Der BGH hatte Facebooks AGBs für unwirksam erklärt, diese enthielten zwar Anforderungen, die über die des Strafgesetzbuches hinausgingen, schränkten mit diesen aber nach Auffassung des Gerichts die Rechte der Nutzer:innen zu stark ein.
OLG Frankfurt/M. – Franco A.: Seit vergangenem Mai läuft vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main der Prozess gegen den mutmaßlichen Rechtsterroristen Franco A. Am heutigen Donnerstag geht der Prozess nach vierwöchiger Sommerpause weiter. Die FAZ (Anna-Sophia Lang) fasst die bisherigen Befragungen und die Schwierigkeiten der Beweisermittlung zusammen.
StA Bonn – Kinderpsychiater: Laut SZ (Nicole Rosenbach/Rainer Stadler) und Tsp (Daniela Martens) wurde nach den massiven Vorwürfen gegen den Bonner Kinderpsychater Michael Winterhoff eine erste Strafanzeige gegen ihn bei der Staatsanwaltschaft Bonn erhoben. Laut Anzeige bestünde der Anfangsverdacht der Körperverletzung sowie der schweren Körperverletzung und des Abrechnungsbetrugs. In einem kürzlich ausgestrahlten Dokumentarfilm erheben Eltern und ehemalige Patient:innen schwere Vorwürfe gegen Winterhoff, einigen sollen ohne Indikation starke sedierende Medikamente verabreicht worden sein.
GBA – Britischer Spion: Die Bundesanwaltschaft hat einen Mitarbeiter der britischen Botschaft in Berlin festnehmen lassen. Der mutmaßliche Spion soll dem russischen Geheimdienst mindestens einmal Dokumente übermittelt haben, die er im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit erlangt hatte und dafür bezahlt worden sein. Dem Briten drohen bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe, erläutert die FAZ (Helene Bubrowski).
Luftfilter in Gerichtsräumen: In Hamburger Gerichtssälen soll es bald mobile Luftfilter geben, die Prozessbeteiligte vor Ansteckungen schützen sollen. Das kündigte die Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) an und erklärte, dass die Geräte wahrscheinlich vor allem im Strafjustizgebäude eingesetzt werden, da dort häufig viele Personen gleichzeitig an einem Prozess beteiligt sind. Es berichtet LTO.
Recht in der Welt
Polen – Justizreform: Rechtsprofessorin Angelika Nußberger thematisiert in einem Beitrag in der FAZ, dass die europäischen Institutionen mit ihrer Idee von einer europäischen Rechtsstaatlichkeit derzeit in einer Sackgasse gelandet seien. Die polnischen Justizreformen könnten zwar auf der gesetzlichen Ebene rückgängig gemacht werden. Die Absetzung von "neuen" Richter:innen und die Aufhebung von rechtskräftigen Urteilen dieser Richter:innen sei jedoch problematisch. Der Rechtsstaat stehe dabei seiner eigenen Reparatur im Wege. Im Versprechen der polnischen Regierung, die umstrittene Disziplinarkammer aufzulösen, sieht Nussberger immerhin ein Hoffnungszeichen, "vielleicht sogar ein Zeichen der Bereitschaft, an einen runden Tisch zurückzukehren, um gemeinsam über einen Weg aus der europäischen Rechtsstaatssackgasse nachzudenken."
Großbritannien – Julian Assange: Im Verfahren um die Auslieferung des Wikileaks-Gründers Julian Assange an die USA hat der High Court in London entschieden, den Umfang für die im Oktober geplante Hauptverhandlung im Berufungsverfahren um einige zuvor bereits abgehakte Punkte zu erweitern. Vor allem das von der US-Anwältin infrage gestellte Gutachten über Assanges psychische Gesundheit soll überprüft werden. Wie die taz (Daniel Zylbersztayn-Lewandwoski), die Welt und LTO schreiben, hatte das Gutachten im Januar dazu geführt, dass eine Richterin des englischen Kriminalgerichts Old Bailey die Auslieferung mit Hinweis aus Assange Suizid-Gefahr ablehnte.
ICC/Sudan – Omar al-Baschir: Die sudanesische Übergangsregierung hat entschieden, den 77-jährigen früheren Diktator Omar al-Baschir an den Internationalen Strafgerichtshof zu überstellen. Wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit liegt bereits seit zwölf Jahren ein Haftbefehl aus Den Haag vor. Laut FAZ (Claudia Bröll) und taz (Dominic Johnson) war Sudan bisher nicht dem Römischen Statut des Gerichtshofs beigetreten, allerdings hatte das sudanesische Parlament der Ratifizierung des Gründungsvertrags vergangene Woche zugestimmt und damit der Überstellung den Weg bereitet.
China – Geiselhaft: Ein chinesisches Gericht hat den kanadischen Geschäftsmann Michael Spavor der vermeintlichen Spionage und Beschaffung von Staatsgeheimnissen schuldig gesprochen und zu elf Jahren Haft verurteilt. Spavor war Ende 2018 festgenommen worden, nur wenige Tage nachdem die Finanzchefin des chinesischen Telekommunikationsunternehmens Huawei, Meng Wanzhou, wegen eines Auslieferungsgesuchs der USA in Vancouver verhaftet worden war. Im gleichen Zeitraum wurde auch der ehemalige kanadische Diplomat Michael Kovrig in Gewahrsam genommen, eine weitere Geisel Chinas als Druckmittel zur Freilassung Meng Wanzhous, berichten SZ (Lea Sahay), FAZ (Frederike Böge) und taz (Fabian Kretschmer).
Die Botschaft Chinas an die Welt sei klar, meint Lea Sahay (SZ) in einem gesonderten Kommentar: "Wer sich gegen uns erhebt, wird bestraft; einen Schuldigen finden wir dann schon." So schmerzhaft die Konsequenzen für die Geiseln auch sei, dürfe der rechtsstaatliche Prozess in Kanada nicht geschwächt und Pekings Wille nicht toleriert werden.
Sonstiges
Abschiebungen nach Afghanistan: Anders als noch vor wenigen Tagen, hat das Bundesinnenministerium am gestrigen Mittwoch bekannt gegeben, Abschiebungen aus Deutschland nach Afghanistan bis auf Weiteres auszusetzen. Allerdings sollen die Abschiebungen von Straftäter:innen und Gefährder:innen wieder aufgenommen werden, sobald es die Lage zulässt. Seit dem Abzug der deutschen und amerikanischen Truppen verschlechtert sich die Sicherheitslage durch die vorrückenden Taliban auch in den afghanischen Städten stetig, weshalb bereits alle EU-Botschafter die Aussetzung von Abschiebungen forderten, berichten die taz (Ralf Pauli), die FAZ, die SZ (Constanze von Bullion/Björn Finke) und LTO.
Corona-Beihilfe für Deutsche Bahn: Die Bundesregierung darf der Deutschen Bahn auf der Grundlage von Artikel 107 Absatz 2b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) für ihre Umsatzeinbußen aufgrund der Corona-Pandemie Unterstützungszahlungen in Höhe von 550 Millionen Euro zahlen. Die Europäische Kommission hatte die Beihilfe geprüft und sie nun für angemessen und europarechtskonform befunden. Es berichtet LTO.
Cookie-Banner: Die Datenschutzorganisation noyb hat 422 formelle Beschwerden über DSGVO-Verstöße bei der Ausgestaltung von Cookie-Bannern auf Websites von großen Unternehmen bei der Bundesnetzagentur eingereicht. Viele Unternehmen nutzen irreführende Farben oder Designs, die Nutzer:innen manipulieren und es ihnen schwer machen, der Verwendung von Cookies zu widersprechen. Dabei hatte der Europäische Gerichtshof bereits 2019 betont, dass Daten nur nach der aktiven Zustimmung des Nutzers gesammelt werden dürfen. netzpolitik.org (Holly Hildebrand) berichtet.
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lto/ali
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Die juristische Presseschau vom 12. August 2021: . In: Legal Tribune Online, 12.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45717 (abgerufen am: 09.11.2024 )
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