Die juristische Presseschau vom 29. Juni 2021: Zu viele Ket­ten­be­wäh­rungen? / Haften Ver­eine für ihre Fans? / Regu­lie­rung der Digi­tal­kon­zerne

29.06.2021

Das BMJV untersuchte das Phänomen der Kettenbewährungen – CDU sieht Handlungsbedarf. BGH muss über Haftung von Sportvereinen für Pyroverstöße der Fans urteilen. In den USA sollen Big Tech-Unternehmen stärker reguliert werden.

Thema des Tages

Kettenbewährungen: Eine Untersuchung des Bundesjustizministeriums (BMJV) hat ergeben, dass 0,74 Prozent aller im Jahr 2019 ergangenen Bewährungsentscheidungen Teil einer sogenannten "Kettenbewährung" gewesen sind. Darunter versteht das Ministerium mindestens drei aufeinanderfolgende Bewährungsentscheidungen, zwischen denen jeweils nicht mehr als drei Jahre vergangen sind. Das BMJV erkennt darin einen verantwortungsvollen Umgang der Gerichte, während die CDU Handlungsbedarf sieht. Die Gewährung mehrfacher Bewährungschancen sende grundsätzlich ein falsches Signal. Zudem ist an den vom BMJV errechneten Zahlen Kritik aufgekommen, schildert LTO (Annelie Kaufmann) und erläutert, auf welcher Grundlage sie errechnet wurden.

Rechtspolitik

Corona – Bundesnotbremse: Am 30. Juni läuft auf Wunsch der SPD die Bundesnotbremse im Infektionsschutzgesetz aus, die bei Inzidenzwerten über 100 automatisch Begrenzungen des öffentlichen Lebens in Kraft setzt. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hätte eine Fortgeltung begrüßt. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wies im Mai darauf hin, dass eine Reaktivierung möglich wäre, dann aber durch ein neues Gesetz. Es berichtet die Welt (Nikolaus Doll/Ricarda Breyton).

Corona – Arbeitsschutz: Die Corona-Arbeitsschutzverordnung wird wegen der anhaltenden pandemischen Lage zunächst bis zum 10. September verlängert. Das meldet beck-community (Christian Rolfs) und erklärt, welche Regelungen dennoch entfallen. Das betrifft z.B. die Vorgabe einer Mindestfläche von 10 qm pro Person in mehrfach belegten Räumen sowie die strikte Vorgabe zur Ermöglichung von Arbeit im Homeoffice.

Corona – Grundrechte: Auch LTO berichtet nun über den Vorstoß des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmanns (Grüne), in einem pandemischen Notstand auch möglicherweise unverhältnismäßige Grundrechtseinschränkungen zu ermöglichen sowie die Kritik daran. Inzwischen hat Kretschmann die Aussage relativiert und spricht von einem Missverständnis.

Umsatzsteuer: Am 1. Juli tritt die größte EU-weite Umsatzsteuerreform seit Schaffung des Binnenmarktes 1993 in Kraft. Betroffen sind alle Handeltreibende, die online grenzüberschreitend Produkte verkaufen oder aus Drittstaaten nach Europa liefern. Die SZ (Michael Kläsgen) stellt die wichtigsten Neuerungen im Frage-und-Antwort-Format vor.

Justiz

BGH – Vereinssanktionen: Am Donnerstag verhandelt der Bundesgerichtshof über die Geldstrafen, die Vereine an den DFB zahlen müssen, wenn ihre Fans Pyrotechnik verwenden. Viertligist Carl Zeiss Jena hält diese Regelung zwischen Vereinen und Verband für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und prozessiert nun anlässlich einer Geldstrafe in Höhe von 24.900 € gegen den DFB. Für spiegel.de (Benjamin Knaack) erklärt Vereins- und Verbandsrechtsexperte Johannes Arnhold, welche verfassungsrechtlichen Güter hier kollidieren: Auf der einen Seite streite die Verbandsautonomie für den DFB. Problematisch sei jedoch, dies mit dem Verschuldensprinzip in Einklang zu bringen, demzufolge eine Strafe nur bei nachgewiesenem Verschulden möglich ist.

BGH zu Altersdiskriminierung: Rechtsprofessor Antonio Miras analysiert im FAZ-Einspruch ein jetzt veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Mai dieses Jahres, in dem der Gerichtshof entschied, dass einem 46-Jährigen der Zutritt zu einer Techno-Party verwehrt werden durfte. Eine Konsequenz dieses Urteils sei es, dass zwar ein punktueller Ausschluss bestimmter Menschen von einer Veranstaltung verboten sei, es bei einem entsprechenden Konzept jedoch möglich sei, von vornherein ganze Menschengruppen auszuschließen. Der BGH überlasse es so den Kräften des Marktes, ob sich etwa Fitnessclubs nur für Heterosexuelle oder Discotheken nur für Christen durchsetzen könnten.

BGH zu Hausfinanzierung: Im Rechtsstreit um hohe Kosten für Bankkunden bei vorzeitigem Ausstieg aus einem Immobilienkredit hat der Bundesgerichtshof die Nichtzulassungsbeschwerde der Commerzbank zurückgewiesen. Die Ausführungen der Commerzbank zur Berechnung der Entschädigung in dem strittigen Darlehensvertrag genügten "nicht den gesetzlichen Anforderungen", "klar, prägnant, verständlich und genau" zu sein. faz.net erläutert den Beschluss und die Auswirkungen auf die Branche.

OLG Köln zum Tarifwechsel mit neuem Smartphone: Ein Mobilfunkvertrag kann sich bei einem vor Ablauf der vereinbarten Vertragslaufzeit seitens des Kunden gewünschten Tarifwechsel mit einem neuen Handy in zulässiger Weise um weitere 24 Monate ab dem Ende der jeweiligen Vertragslaufzeit verlängern. Das entschied das Oberlandesgericht Köln laut LTO und lehnte den u.a. auf § 309 Nr. 9a BGB gestützten Unterlassungsanspruch ab.

LG Berlin – Abou-Chaker/Bushido: spiegel.de (Wiebke Ramm) schreibt über den nunmehr dritten Verhandlungstag, an dem die Ehefrau Bushidos, Anna-Maria Ferchichi, über den Einfluss des Clanchefs Arafat Abou-Chaker auf das Leben Bushidos berichtete. Bushido sei Abou-Chakers "Goldesel" gewesen, er habe sich von ihm ausquetschen lassen.

LG Limburg zu verschlucktem Apfelstück: Das Landgericht Limburg hat einem Kind ein Schmerzensgeld von insgesamt einer Million Euro zugesprochen. Auslöser ist laut Feststellungen des Gerichts ein Vorfall aus 2011, bei dem sich der damals einjährige Junge an einem Stück Apfel verschluckte, weil er bei der Gabe eines Antibiotikums geweint und geschrien hatte. Wie LTO berichtet, befand das Gericht, dass die Krankenschwester dies hätte voraussehen können. Der Junge erlitt schwerste Hirnschäden.

AG Berlin-Tiergarten – Deniz Yücel: Der Welt-Autor Deniz Yücel hat vor dem Amtsgericht Tiergarten eine Einlassung im Rahmen eines internationalen Rechtshilfeersuchens eingereicht. Von der türkischen Staatsanwaltschaft wird ihm vorgeworfen, Hasan Yilmaz, den derzeit stellvertretenden türkischen Justizminister, beleidigt zu haben. Die Anklage beruht dem Bericht der Welt (Daniel-Dylan Böhmer) zufolge auf einem Tweet, in dem Yücel der Beschreibung eines ehemaligen Polizisten zustimmte, der den damaligen Staatsanwalt Yilmaz als den "dümmsten Staatsanwalt von Caglayan" bezeichnete.

GenStA München – Messerangriff in Würzburg: Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft München zunächst die Ermittlungen im Fall des Messerangriffs von Würzburg übernommen hatte, spekuliert die Welt (Uwe Müller) nun über eine Übernahme der Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft. Das hänge jedoch maßgeblich von dem Motiv des Täters ab, wobei laut der Zeitung mehrere Hinweise für einen islamistischen Hintergrund sprächen.

Die BadZ (Christian Rath) geht davon aus, dass der somalische Messerstecher entweder wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitstrafe verurteilt oder in die Psychiatrie eingewiesen wird. Bei der Entscheidung zwischen den Alternativen seien psychiatrische Gutachten maßgeblich. 

GenStA Koblenz – Stefan Räpple: Wegen einer Rede im vergangenen September hat die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz laut LTO Anklage gegen den ehemaligen baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Stefan Räpple erhoben. Er habe öffentlich zu einem gewaltsamen Sturz der Bundesregierung aufgerufen sowie bei der Erstürmung der Reichstagstreppen vergangenes Jahr Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet.

Justiz in MV: LTO berichtet über den personellen Engpass in der Justiz in Mecklenburg-Vorpommern, der sich durch die anstehende Pensionierungswelle in den kommenden Jahren zu verschärfen droht. Aus der Linkspartei kommt nun die Forderung, durch eine Wiedereröffnung des rechtswissenschaftlichen Studiengangs in Rostock mehr Juristinnen und Juristen im eigenen Land ausbilden zu können.

E-Akte am Sozialgericht Kassel: Die FAZ meldet, dass am Sozialgericht Kassel die sogenannte E-Akte eingeführt werden soll. Künftig werde es für die Bürgerinnen und Bürger möglich sein, die elektronische Akte über ein Onlineportal einzusehen, ohne persönlich zu Gericht zu müssen oder den Weg über einen Anwalt zu wählen.

Recht in der Welt

USA – Digitalkonzerne : netzpolitik.org (Tomas Rudl) stellt die wichtigsten Eckpunkte von insgesamt sechs Gesetzentwürfen vor, die der Macht der großen Technologieunternehmen Einhalt gebieten sollen. Unternehmen soll es u.a. nicht mehr erlaubt sein, kleinere Wettbewerber aufkaufen zu können. Welche dieser Gesetzentwürfe jedoch auch im US-Senat angenommen werden, sei derzeit noch nicht abschätzbar.

USA – Facebook: Im Rechtsstreit mit US-Behörden wegen des Vorwurfs einer marktbeherrschenden Stellung hat ein Bundesrichter laut spiegel.de die Klagen der US-Handelsbehörde FTC und von mehr als 40 Bundesstaaten gegen den Facebook-Konzern abgewiesen. Die Kartellbehörde habe nicht zeigen können, dass Facebook ein Monopol im Markt für soziale Netzwerke habe. Allerdings ließ er der Behörde noch die Möglichkeit offen, binnen 30 Tagen eine aktualisierte Klage einzureichen.

USA – Anklage gegen Trump-Konzern: Medienberichten zufolge rückt eine offizielle Anklage gegen eine Firma des ehemaligen US-Präsidenten immer näher. Die Vorwürfe beziehen sich auf den Wert einiger Vermögenswerte, der im Jahresabschluss überhöht, also falsch angegeben worden sei, um Geld für Kredite und Versicherungen zu sparen. Zudem seien andere Vermögenswerte zu niedrig angegeben worden, um Immobiliensteuern zu drücken. spiegel.de (Johannes Korge) berichtet.

USA – Transgender: Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat es abgelehnt, sich mit dem Fall eines Transgenders zu befassen, der das Recht haben wollte, die Schultoilette aufsuchen zu dürfen, die seiner Geschlechtsidentität und nicht seinem angeborenen Geschlecht entspricht. Drei Bundesberufungsgerichte hatten laut FAZ (Peter-Philipp Schmitt) zuvor bereits geurteilt, dass Transgender das Recht haben, die Toilette ihrer Wahl aufzusuchen.

Russland – Miftakhov: Im Januar wurde der Mathematiker Azat Miftakhov wegen "Hooliganismus aus politischem Hass" zu sechs Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt. Er habe ein Fenster eines Gebäudes der Partei "Einiges Russland" eingeschlagen. Die SZ (Allyn Jackson) berichtet über den internationalen Protest führender Mathematiker, die in der Inhaftierung politische Gründe sehen und die Freilassung Miftakhovs fordern.

Sonstiges

Fusion Deutsche Wohnen/Vonovia: Das Bundeskartellamt erhebt keine Einwände gegen den Zusammenschluss der beiden größten deutschen Wohnimmobilienkonzerne Vonovia und Deutsche Wohnen. Damit ist der Weg frei für die Fusion der beiden Konzerne, für die Vonovia rund 18 Milliarden Euro ausgeben wird. SZ (Benedikt Müller-Arnold) und LTO berichten.

Das Letzte zum Schluss

Erotischer Wochenausklang: Die Polizei hat zwei Männer dabei erwischt, wie sie einen Kondomautomaten geknackt und einen Erotikartikel daraus gestohlen haben sollen. Für den Bericht konnte es sich die Polizei dann laut der Welt nicht verkneifen, zu notieren, dass die Pläne der Männer "für einen erotischen Wochenausklang" nicht aufgegangen seien.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kos-tenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/jpw

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 29. Juni 2021: Zu viele Kettenbewährungen? / Haften Vereine für ihre Fans? / Regulierung der Digitalkonzerne . In: Legal Tribune Online, 29.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45326/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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