Die juristische Presseschau vom 28. Mai 2021: Milde Strafe im "BAMF-Skandal" / Eini­gung bei Lie­fer­ket­ten­ge­setz /

28.05.2021

Im "BAMF-Skandal" sprach das LG Bremen den angeklagten Asylrechtsanwalt vom Vorwurf des Asylrechtsmissbrauchs frei. Bundesregierung beschließt Entwurf für Lieferkettengesetz und LG Berlin schützt alte Mieterin vor Eigenbedarfs-Anspruch.

Thema des Tages

LG Bremen zu BAMF: Nach den Schlagzeilen zu angeblich massenhaftem Asylbetrug in der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Bremen vor vier Jahren, ist nun der Prozess gegen einen Rechtsanwalt mit einer Geldstrafe von 6.000 Euro geendet. Das Landgericht Bremen sprach den Flüchtlingsanwalt aus Hildesheim von allen angeklagten Verstößen gegen das Ausländer- und Asylrecht frei. Allerdings verurteilte das LG den Anwalt wegen Vorteilsgewährung in zwei Fällen, da er 2015 der mit ihm befreundeten damaligen Leiterin des Bremer Flüchtlingsamts bei zwei Treffen Übernachtungen in einem Hotel bezahlt hatte. Der jesidische Anwalt vertrat viele Angehörige dieser religiösen Minderheit und hatte sich für diese bei der Bremer Beamtin eingesetzt. Die Richterin sah darin eine ungute "Vermischung von privater und beruflicher Beziehung", wie die taz (Benno Schirrmeister), die FR (Eckhard Stengel), LTO und spiegel.de berichten. Der Prozess gegen die Beamtin war im April gegen eine Zahlung von 10.000 Euro eingestellt worden. Noch nicht abgeschlossen sind zwei strafrechtliche Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft Bremen gegen die Staatsanwaltschaft selbst, ob diese den vermeintlichen BAMF-Skandal mit vorverurteilenden Aussagen in den Medien erst richtig hat hochkochen lassen.

Rechtspolitik

Lieferketten und Menschenrechte: Das Bundeskabinett hat sich nun doch noch auf einen Entwurf für ein Lieferkettengesetz zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards geeinigt. Damit könnte das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode vom Bundestag beschlossen werden. Wie deutschlandfunk.de (Mischa Ehrhardt u.a.), die FAZ (Manfred Schäfers), die taz, das Hbl (Frank Specht) und der Tsp (Thorsten Mumme) erläutern, wurde im jüngsten Entwurf eingefügt, dass die geplanten Sorgfaltspflichten auch für große deutsche Niederlassungen ausländischer Unternehmen gelten, eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen wurde nun jedoch explizit ausgeschlossen.

Betriebsräte: Im Handelsblatt-Rechtsboard gibt Rechtsanwalt Thomas Köllmann einen Überblick über das vergangene Woche vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Stärkung der Rechte der Betriebsräte und zur Vereinfachung der Wahl von Betriebsräten.

EGMR/Zulässigkeitshürden: Im August 2021 wird ein neues Protokoll für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Kraft treten, wonach der EGMR in Zukunft noch strengere Zulässigkeitskriterien anwenden wird. Rechtsanwältin Blaga Thavard erörtert auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache), welche Schwierigkeiten dies für politische Anträge von Opfern autokratischer Regime wie der Türkei oder Bulgarien birgt. Der EGMR stehe schon lange in der Kritik, Anträge für unzulässig zu erklären, bei denen es um offensichtliche Menschenrechtsverletzungen durch Autokratien geht.

Justiz

LG Berlin zu Mieterschutz: Eine 89-jährige Berliner Mieterin kann wegen ihres hohen Alters und ihrer tiefen Verwurzelung am Ort der Mietsache von ihrer Vermieterin die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, obwohl diese Eigenbedarf geltend gemacht hatte. Damit wies das Landgericht Berlin die Berufung der Vermieterin erneut zurück, nachdem deren Revision am Bundesgerichtshof Erfolg gehabt hatte, erläutert LTO. Laut dem Berliner Gericht seien die Folgen des Wohnungsverlusts für die beklagte Mieterin so schwerwiegend, dass sie auf eine Verletzung ihrer Menschenwürde hinausliefen.

BVerfG zu deutscher Europapolitik: Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom vergangenen Mittwoch zur europapolitischen Informationspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag sichergestellt, dass der "sehr parlamentsfreundliche" Grundgesetz-Artikel 23 ernst zu nehmen ist, begrüßt nun auch Christian Rath (taz) das Urteil. Dass das Gericht befand, in Fällen, in denen das frühzeitige Bekanntwerden der deutschen Verhandlungsposition das "Staatswohl" gefährden könnte, sei auch eine vertrauliche Benachrichtigung des Parlaments möglich, hält der Autor allerdings für bedenklich. Schließlich sei die öffentliche Debatte, an der sich alle Interessierten vor einer Entscheidung beteiligen können, Grundpfeiler einer lebendigen Demokratie.

BVerfG zum EZB-Anleihenkauf und zum EU-Corona-Aufbaufonds: Im FAZ-Einspruch befasst sich Detlef Horn, Rechtsprofessor und Prozessvertreter im EZB-Verfahren, mit den Folgen von zwei aktuellen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Die Ablehnung des Vollstreckungsantrags im EZB-Verfahren führe dazu, dass die EZB sich künftig auf eine eher aufzählende Prüfung der Verhältnismäßigkeit beschränken kann und ein Abnicken der deutschen Verfassungsorgane genüge. Nach der Ablehnung von Eilanträgen gegen die Ratifizierung des EU-Eigenmittelbeschlusses sei es beruhigend, dass die neue EU-Verschuldung "unter Karlsruher Aufsicht" bleibe, aber es solle nicht zum Kalkül der Politik werden, dass das BVerfG immer erst im Nachhinein entscheiden kann. 

OLG Frankfurt/M. zum Wesen eines "Shitstorms": Wenige kritische Einzelstimmen zu einem Instagram-Posting einer Sängerin sind noch kein "riesiger Shitstorm", weshalb ein Presseportal das auch nicht behaupten durfte. Dies entschied das Oberlandesgericht Frankfurt/M. in einem Eilverfahren, über das die FAZ und LTO berichten. Bei der Aussage handle es sich um eine unwahre Tatsachenbehauptung.

OLG Oldenburg zu Corona-Tests in der Schule: Ein schulischer Corona-Schnelltest, der durch Mitarbeitende des Gesundheitsamts durchgeführt wird, ist keine Körperverletzung im Amt, wie das Oberlandesgericht Oldenburg entschied. Es verwarf den entsprechenden Antrag der Mutter des getesteten Kindes in einem strafrechtlichen Klageerzwingungsverfahren. Eine Ärztin hatte dem Kind bescheinigt, schwere psychische Traumatisierung wegen des Tests erlitten zu haben, so LTO und Tspworaus sich für das Gericht ein Anfangsverdacht gegen die Ärztin wegen Ausstellens eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses (§ 278 Strafgesetzbuch) ergab.

OLG Karlsruhe zu virtuellen Genossenschafts-Versammlungen: Ende März entschied das Oberlandesgericht Karlsruhe, dass eine Genossenschaft im Rahmen einer präsenzlosen virtuellen Vertreterversammlung keinen gültigen Verschmelzungsbeschluss fassen kann, (auch) nicht auf Basis des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie (COVMG). Laut beck-community (Cornelius Wilk) verwies das Gericht vergleichend auf die Vorgaben für andere Gesellschaftsformen, woraus deutlich werde, dass für Genossenschaften und GmbHs im COVMG keine Möglichkeit rein virtueller Versammlungen geschaffen worden ist.

VG Berlin – AfD-Spendenaffäre: Nach Informationen der SZ (Markus Balser) will das Verwaltungsgericht Berlin am 16. Juni über die Klage der AfD gegen eine von der Bundestagsverwaltung angeordnete Strafe wegen illegaler Zuwendungen verhandeln. Die Strafe i.H.v. 396.000 Euro war verhängt worden, nachdem bekannt geworden war, dass 2017 aus der Schweiz Spenden von 132.000 Euro (betitelt als Wahlkampfunterstützung) auf das Konto von Alice Weidels AfD-Kreisverband geflossen waren. Die AfD hält diese Strafe in dreifacher Höhe der Spende jedoch für unrechtmäßig, auch weil der Kreisverband das über Strohleute gezahlte Geld längst zurücküberwiesen habe.

Mit dieser Klage könnte sich die AfD nun mitten im Wahlkampf selbst in Schwierigkeiten bringen, äußert sich Markus Balser (SZ) in einem separaten Kommentar. Dabei hätte sich die AfD doch zu gerne als Antikorruptions-Partei präsentiert.

LSG SH zu Wegeunfall: Auch wenn ein Unfall sich nicht auf dem Weg vom Arbeitsort zur vom Versicherten selbst angemieteten Wohnung ereignet, sondern auf dem Weg zu einem als "erweiterten häuslichen Bereich" anzusehenden Ort, kann dieser als ein Wegeunfall anzuerkennen sein. Zu diesem erweiterten häuslichen Bereich zählt auch der Wohnort der Partnerin oder des Partners, unabhängig davon, in welchem der beiden privaten Rückzugsräume mehr gemeinsame Zeit verbracht wird. Über diese Entscheidung des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein von Anfang März berichtet auf beck-aktuell die Rechtsanwältin Ursula Mittelmann.

AG Berlin-Tiergarten – Missbrauch durch Arzt: Im Strafprozess gegen einen schwulen Arzt, dem sexuelle Übergriffe gegenüber seinen erwachsenen schwulen Patienten vorgeworfen werden, sagte ein Opferzeuge aus, der sich als erster bei der Landesärztekammer beschwert hatte. Die Verteidigung äußerte den Verdacht, dass der Mann andere Patienten gegen den Arzt aufgewiegelt habe. Es berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm).

Klimaklagen: Rechtsanwalt Remo Klinger kündigt im Interview mit spiegel.de (Gerald Traufetter) Klagen gegen deutsche Unternehmen an, die ihre Unternehmensverantwortung für Klimafragen nicht Ernst genug nehmen. Er greift damit den Impuls auf, der von dem niederländischen Shell-Urteil ausgeht.

Recht in der Welt

USA – Bayer/Glyphosat: Im Rechtsstreit um potenzielle Krebsrisiken des glyphosathaltigen Unkrautvernichters Roundup hat der Bayer-Konzern eine erneute Niederlage erlitten. Ein US-amerikanisches Gericht in Kalifornien lehnte es ab, die Beilegung künftiger Glyphosat-Streitigkeiten gegen Zahlung von rund 1,6 Mrd. Euro vorläufig zu genehmigen. Erst vergangene Woche hatte das Gericht des Bundesrichters Vince Chhabria, bei dem zahlreiche landesweite Verfahren gegen den Pharma- und Chemiekonzern aus Leverkusen anhängig sind, einen Vorschlag zur Beilegung der Streitigkeiten abgelehnt. Nach Berichten von SZ (Elisabeth Dostert), taz (Felix Lee), Hbl (Siegfried Hofmann) und LTO will Bayer nun das Vergleichsverfahren verlassen und eigene Wege gehen. Dazu hat Bayer einen noch etwas schwammigen Fünf-Punkte-Plan entwickelt.

Hongkong – Wahlrechtsreform: Wie die taz und spiegel.de schreiben, hat das Parlament in Hongkong die von China vorgegebene radikale Wahlrechtsreform beschlossen. Damit sichert sich Peking eine noch stärkere Kontrolle über die Parlamentswahlen und macht es für Oppositionskandidat:innen noch schwerer, ins Parlament einzuziehen.

China – australischer Blogger: Seit dem gestrigen Donnerstag steht der Australier Yan Hengjun in Peking vor Gericht. Der in China geborene und als Kritiker von Chinas autokratischem System bekannte Aktivist, Blogger und Romanautor wurde im Januar 2019 an einem chinesischen Flughafen von Sicherheitskräften abgeführt und ist seitdem in Haft. Dabei ist Hengjun wohl vor allem eine Geisel, mit der China versucht, Druck auf die australische Regierung auszuüben, so die SZ (Lea Sahay) und FAZ (Frederike Böge).

Sonstiges

Querdenken und Verfassungsschutz: Wie die SZ (Florian Flade uA) weiß, hat der Berliner Verfassungsschutz das Internetprogramm KenFM des Moderators Ken Jebsen als Verdachtsfall eingestuft. Mit seinem Fernsehstudio und seiner Website verbreite KenFM als eines der bekanntesten sog. "alternativen Medien" Desinformationen und Verschwörungstheorien und radikalisiere damit die "Querdenker"-Szene, so der Vorwurf der Verfassungsschützer. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet bundesweit seit Ende April die erstarkende Verschwörungsszene, für die neben der Kategorie des Rechtsextremismus die eigenständige Kategorie "verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" geprägt wurde. Zu diesem Phänomenbereicht wird nun auch KenFM gerechnet.

Staatenlosigkeit: Auf dem JuWissBlog geht der Jurist und Gründer der Kompetenzstelle Kinderrechte Stephan Gerbig der Frage nach, was die Entscheidung des UN-Menschenrechtsausschusses in der Sache D.Z. v Netherlands zum Recht (staatenloser) Kinder auf die Feststellung ihrer Nationalität bzw. Staatenlosigkeit für die innerstaatliche Rechtsanwendung in Deutschland für eine Bedeutung haben sollte.
 

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ali

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. Mai 2021: Milde Strafe im "BAMF-Skandal" / Einigung bei Lieferkettengesetz / . In: Legal Tribune Online, 28.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45063/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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