Die juristische Presseschau vom 4. Mai 2021: Pro­zess­be­ginn gegen Amok­fahrer / Bal­dige Locker­ungen für Geimpfte / Kla­gende Seen

04.05.2021

In Kassel begann der Prozess wegen der Amokfahrt auf den Rosenmontagszug in Volkmarsen. Lockerungen für Geimpfte und Genesene sollen schon diese Woche beschlossen werden. In Florida reichen Flüsse und Seen Klage gegen ihre Zerstörung ein.

Thema des Tages

LG Kassel – Amokfahrt Volkmarsen: Vor dem Landgericht Kassel hat der Prozess um die Amokfahrt auf den Rosenmontagszug in Volkmarsen am 24. Februar 2020 begonnen. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt wirft dem 29-jährigen Angeklagten Maurice P. unter anderem versuchten Mord in 91 Fällen vor. 28 Menschen mussten nach der Tat stationär behandelt werden, zwei waren lebensgefährlich verletzt. SZ (Gianna Niewel), FAZ (Julian Staib) und spiegel.de (Beate Lakotta) schildern den ersten Verhandlungstag sowie die Rekonstruktion des Tatgeschehens in der Anklageschrift. Der Angeklagte schweigt bislang zu den Anschuldigungen. Bis Mitte Dezember sind 30 weitere Verhandlungstage angesetzt.

Rechtspolitik

Corona – Rechte von Geimpften: Die große Koalition hat sich darauf verständigt, dass eine Bundes-Verordnung zu Ausnahmen und Erleichterungen für Geimpfte und Genesene noch in dieser Woche verabschiedet werden soll. Am heutigen Dienstag werde der Rechtsausschuss in einer Sondersitzung über die Verordnung beraten, am Mittwoch werde sie im Kabinett beschlossen. Am Donnerstag könne der Bundestag zustimmen und am Freitag auch der Bundesrat, zitiert die FAZ (Heike Schmoll) den rechtspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Johannes Fechner. Über die geplanten Ausnahmen bei Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen für Geimpfte und Genesene schreiben ebenfalls SZ (Angelika Slavik) und Hbl (Jürgen Klöckner).

TKÜ Verfassungsschutz: Wie die Welt (Manuel Bewarder) und spiegel.de berichten, haben sich Union und SPD auf eine Verfassungsschutzreform einigen können. Nachrichtendienste sollen demnach künftig mehr Befugnisse zur Überwachung von Kommunikation in Messengerdiensten erhalten. Dabei geht es vor allem um die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ), also die Überwachung von Nachrichten vor der in Messengern üblichen Verschlüsselung. Noch in dieser Woche soll ein Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht werden.

Frauenquoten: Die CDU/CSU-Fraktion hat neue Forderungen gestellt im Gesetzgebungsprozess um ein Gesetz für mehr Frauen in Führungspositionen (FüPoGII). Laut SZ (Cerstin Gammelin) fordert die Union eine längere Übergangszeit von nunmehr 18 Monaten, bis die Regeln greifen sowie die Möglichkeit, dass amtierende Vorstände wiederberufen werden können. Ob das Gesetz noch rechtzeitig vor der Sommerpause Bundestag und Bundesrat passieren wird, ist derzeit unklar.

In einem separaten Kommentar kritisiert Cerstin Gammelin (SZ) die neuen Forderungen der Union. Sie würden "das geplante Gesetz derart verwässern, dass man es im parlamentarischen Papierkorb entsorgen könnte". Das Gesetz sehe ohnehin schon nur "homöopathische" Eingriffe in die Besetzung von Vorständen vor.

Suizidhilfe: Beim digitalen Deutschen Ärztetag soll am heutigen Dienstag eine "Orientierungsdebatte" über die berufsrechtlichen Konsequenzen des BVerfG-Urteil zur Suizidhilfe von 2020 geführt werden, berichtet die SZ (Rainer Stadler/Annette Zoch). Außerdem geht der Artikel auf die Diskussion um eine Pflichtberatung vor der Hilfe zur Selbsttötung ein.

Umsetzung EU-Urheberrecht: In einem Gastbeitrag für zeit.de erläutert Julia Reda, Expertin für Kommunikationsfreiheiten, weshalb sich derzeit zahlreiche Musikschaffende für den Einsatz von Uploadfiltern stark machen. Sie fürchten Verletzung ihrer Urheberrechte etwa durch das Teilen kurzer Musikschnipsel. Angesichts der zu erwartenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit beim Einsatz von Uploadfiltern wünscht sich die Autorin von den Musikschaffenden jedoch mehr Verständnis auch für die Fans, die gegen Uploadfilter auf die Straßen gegangen sind.

Künstliche Intelligenz: Die EU plant ein rechtliches Rahmenwerk für den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI), ein erster Entwurf eines Artificial Intelligence Act wird derzeit im EU-Parlament diskutiert. Für LTO stellt Rechtsanwalt Sebastian Cording den Entwurf vor: Dieser folge einem gefahrenbasierten Ansatz mit unterschiedlichen Regelungen, je nachdem, welches Gefährdungspotential für zentrale Rechtsgüter wie Gesundheit und Sicherheit bestehe. So sollen etwa sogenannte Social Scoring-Anwendungen unter bestimmten Voraussetzungen grundsätzlich verboten werden.

Justiz

BVerfG zu Klimaschutz: Auf dem JuWissBlog gehen die studentische Hilfskraft Lilo Rösch und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Liv Christiansen der Frage nach, welche konkreten Forderungen das Bundesverfassungsgericht mit seinem vergangenen Donnerstag veröffentlichten Beschluss an den Gesetzgeber stellt. Neben der Festlegung von konkreten "Meilensteinen" für die Zeit nach 2030 im Klimaschutzgesetz (KSG) solle auch der Modus dieser Festlegung stärker demokratisch legitimiert werden. Als Beispiel nennen die Autorinnen die Festlegung der Emissionsreduktionspfade gem. § 4 Abs. 6 KSG, die nunmehr statt per Verordnung per Gesetz getroffen werden könnten.

Parallel zu der derzeit in allen Parteien geführten politischen Debatte über die Umsetzung des Beschlusses laufen im Bundesumweltministerium unter Hochdruck Vorbereitungen für eine KSG-Novelle. So hieß es laut taz (Bernhard Pötter) aus dem Ministerium, dass bereits in der zweiten Wochenhälfte mit einem Entwurf zu rechnen sei.

LVerfG S-A zu Briefwahl: Unter den Voraussetzungen einer "pandemischen Notlage" kann eine reine Briefwahl trotz der Einschränkung der Wahlgrundsätze ausnahmsweise zulässig sein. Das entschied laut LTO das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt. Nachdem vorigen Dezember entsprechende Bestimmungen der Landeswahlgesetze geändert worden waren, wendeten sich 22 Landtagsabgeordnete mit einem Normenkontrollantrag an das LVerfG, vor dem sie nun scheiterten.

OVG SH zu Corona-Testpflicht an Schulen: Die Verpflichtung, vor Teilnahme am Präsenzunterricht in Schulen in Schleswig-Holstein ein negatives Corona-Testergebnis vorlegen zu müssen, ist nach Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts in Schleswig rechtmäßig. spiegel.de berichtet.

VG Berlin – Öffnung eines Ferienparks für Geimpfte: Der Betreiber eines Ferienwohnparks am Bodensee möchte mit einem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Berlin erreichen, dass die Bundesregierung es in der geplanten Verordnung ermöglicht, auch touristische Beherbergungsbetriebe für Geimpfte und Genesene zu öffnen. Wie die taz (Christian Rath) berichtet, beruft sich der Ferienwohnpark, eine GmbH, dabei auf das Grundrecht der Berufsfreiheit. Es sei die erste derartige Klage.

LG Bonn – Cum-Ex/Jens Meier: Das Landgericht Bonn hat laut Hbl (Sören Ingwersen/Volker Votsmeier) eine Anklage gegen den früheren Banker Jens Meier wegen Mittäterschaft oder Beihilfe zu schwerer Steuerhinterziehung und gewerbsmäßigen Bandenbetrug im Zusammenhang mit dem Cum-Ex-Skandal zugelassen. Meier hat unter anderem den Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer sowie eine Schweizer Privatbank beraten. Der Beginn der Hauptverhandlung ist auf den 14. Juni terminiert.

LG Kassel zu Strafvereitelung: In dem Verfahren gegen zwei linke Senioren, die Ladendetektive aus Zivilcourage bei der Fixierung eines iranischen Ladendiebs behindert hatten und wegen versuchter Strafvereitelung angeklagt waren, ist es vor dem Kasseler Landgericht nun zu einer Einstellung des Verfahrens unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils gekommen. Wie spiegel.de (Peter Maxwill) berichtet, sprach einer der beiden Rentner zwar von einem "Freispruch zweiter Klasse", war letztlich aber mit dem Ergebnis sehr einverstanden.

LG München I zu abgesagter Hochzeit: Auch wenn eine Hochzeit wegen der Coronamaßnahmen abgesagt werde, ist die Miete für die dafür eingeplanten Räumlichkeiten zu bezahlen. Das entschied das Landgericht München I in einem Fall, über den LTO berichtet. Der Mieter hätte sich auf die Versuche des Vermieters, eine einvernehmliche Lösung zu finden, einlassen können. Das Überlassen der Räume sei nicht unmöglich geworden, sodass das Hochzeitspaar das Risiko, die Räume nutzen zu können, trage.

AG Düsseldorf zu Christoph Metzelder: Nachdem die Staatsanwaltschaft zunächst angekündigt hatte, Rechtsmittel gegen die Entscheidung im Fall Christoph Metzelder einzulegen, weil über die Einziehung des Mobiltelefons mit den inkriminierten Dateien nicht entschieden worden war, hat sie nun die Berufung zurückgenommen. Metzelder verzichtete nämlich auf die Rückgabe des Mobiltelefons und die Einlegung von Rechtsmitteln, wie LTO berichtet. Damit ist das Urteil gegen ihn wegen Besitz und Weiterleitung kinderpornografischer Dateien jetzt rechtskräftig.

Reinhard Müller (FAZ) findet, dass das Strafrecht in solchen Fällen naturgemäß nur hinterherlaufe. Prävention und Therapie seien die wirksamsten Mittel, diese Verbrechen möglichst frühzeitig zu verhindern.

AG Bamberg zu Abiklausuren: Drei ehemalige Schüler eines Bamberger Gymnasiums sind vom Amtsgericht Bamberg zu Bewährungsstrafen verurteilt worden, weil sie im vergangenen Mai Abitur-Prüfungen aus einem Tresor gestohlen hatten. Verurteilt wurde das Entwenden von Prüfungsaufgaben in den Fächern Deutsch, Englisch und Latein wegen Sachbeschädigung und Diebstahls, meldet die FAZ.

GenStA Bremen – BAMF-Skandal/StA: Im Zuge der Aufarbeitung des Bremer BAMF-Skandals ermittelt nun die Generalstaatsanwaltschaft Bremen gegen den Leiter der örtlichen Staatsanwaltschaft, Janhenning Kuhn, und drei seiner Beamt:innen wegen der Weitergabe interner Ermittlungsergebnisse an die Presse. Das Verfahren werde unter anderem wegen des Verdachts der "Verletzung von Privatgeheimnissen" geführt. Es berichten FR (Eckhard Stengel) und taz-nord (Benno Schirrmeister).

Recht in der Welt

USA – Klagen von Wasserwegen: Zwei Bäche, ein Stückchen Schwemmland sowie zwei Seen in Orange County, Florida, haben Klage gegen einen Immobilienentwickler eingereicht, der durch ein Bauprojekt wertvolle Feuchtgebiete zerstöre bzw. verschmutze. Was auf den ersten Blick nicht nur für Jurist:innen skurril anmutet, ist laut SZ (Hubert Wetzel) neuerdings möglich in Orange County, Florida: Mittels Referendum statteten die Einwohner:innen der Region ihre Gewässer mit einem juristisch verbindlichen, einklagbaren Recht aus – dem "Recht zu existieren, zu fließen, vor Verschmutzung geschützt zu werden und ein gesundes Ökosystem aufrechterhalten zu können". Die gerichtliche Vertretung der Gewässer besorgt eine Umweltgruppe.

Juristische Ausbildung

OVG Berlin-BB zu mündlicher Prüfung: Ein Examenskandidat, der gegen seine mündliche Prüfung wegen des Vorwurfs der Befangenheit gerichtlich vorging, scheiterte nun auch vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Schriftlich vorbenotet mit 12,71 Punkten, wollte er mit der mündlichen Prüfung das "sehr gut" erreichen, kam mit einer mit 11 Punkten bewerteten mündlichen Prüfung letztlich jedoch "nur" auf 11,46 Punkte. Die Vorwürfe, dass die Benotung im Zusammenhang mit "subjektiven Antipathien wegen seiner Herkunft" stehe und der Vorsitzende ihm im Vorgespräch mit einem "schrägen, abwertenden Blick" bedacht habe, überzeugten das OVG laut LTO-Karriere (Antonetta Stephany) nicht.

Sonstiges

Rastatter Prozesse: Neben den weithin bekannten Nürnberger Prozessen fanden nach dem zweiten Weltkrieg auch in den sogenannten Rastatter Prozessen eine juristische Aufarbeitung des NS-Unrechts statt. Bis 1949 waren es rund 235 Prozesse gegen mehr als 2.000 Angeklagte, hauptsächlich Personal der NS-Lager auf dem Gebiet der französischen Besatzungszone. Die FAZ (Oliver Jungen) gibt einen Überblick über die Prozesse und den Dokumentationsfilm, der am heutigen Dienstag um 20:15 Uhr auf arte zu sehen ist.

Deutsche Anwältin in der Schweiz: Die Rechtsanwältin Charlotte Rosenkranz schildert auf LTO-Karriere, wie sie als deutsche Rechtsanwältin in der Schweiz juristisch Fuß gefasst hat.

Das Letzte zum Schluss

Sicher in den Mai gekommen: In der Nacht zum 1. Mai haben Unbekannte in Bonerath bei Trier mit nicht abwaschbarer weißer Farbe einen Zebrastreifen auf die Straße gemalt. Trotz großem Verständnis der Bürgermeisterin für das Sicherheitsbedürfnis ihrer Bürger:innen müsse der nicht regelkonforme Fußgängerüberweg nun dennoch mühsam entfernt werden. Die Welt berichtet und die Polizei ist auf der Suche nach Hinweisen wegen der Sachbeschädigung.

 

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lto/jpw

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. Mai 2021: Prozessbeginn gegen Amokfahrer / Baldige Lockerungen für Geimpfte / Klagende Seen . In: Legal Tribune Online, 04.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44875/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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