Die juristische Presseschau vom 19. Februar 2021: Ermitt­lungen wegen Hanau / BFH kri­ti­siert Jus­tiz­mi­nis­te­rium / EU klagt wegen Natur­schutz in Deut­sch­land

19.02.2021

Ein Jahr nach dem Attentat von Hanau ist rechtliche Aufklärung nicht in Sicht. Der Bundesfinanzhof nutzt seinen Jahresbericht zu Kritik an der Nicht-Besetzung der BFH-Führungsposten. Die Kommission will Deutschland zum Naturschutz zwingen.

Thema des Tages

GBA/StA Hanau – Morde von Hanau: Heute vor einem Jahr erschoss ein Mann mit rassistischem Motiv neun Menschen in Hanau. Die FAZ (Julian Staib/Marlene Grunert) portraitiert den Vater eines der Opfer, seinen Umgang mit dem Anschlag und geht auch auf die Ermittlungen der Justiz ein. Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen der Tat an sich gezogen. Nicht gegen den Täter, der sich selbst erschoss, sondern gegen unbekannt wird seither ermittelt, um andere Beteiligte der Tat zu finden. Bislang gebe es jedoch keinen Hinweis auf weitere Tatbeteiligte. Das Verfahren soll bald eingestellt werden. Angehörige der Opfer hatten außerdem Anzeige erstattet, da in der Arena-Bar in Hanau, einem der Tatorte, zur Zeit des Anschlags der Notausgang versperrt war. Aufgrund dessen nahm die Staatsanwaltschaft Hanau kürzlich Ermittlungen auf und hat nun fast ein Jahr nach der Tat die Bar offenbar zum ersten Mal durchsucht.

Rechtspolitik

Bundesfinanzhof: Wie LTO (Markus Sehl) berichtet, hat der Bundesfinanzhof in seinen Jahresbericht für 2020 auch den schwelenden Streit zwischen dem Bundesgericht und dem Bundesjustizministerium um die Besetzung der Führungspositionen am BFH kommentiert: "Einem obersten Bundesgericht einen solchen Personalnotstand über viele Monate hinweg zuzumuten, ist ein bislang einmaliger Vorgang und verletzt das dem Grundgesetz zugrunde liegende Prinzip, dass die drei Gewalten unseres Staates einander zu fördern und die jeweilige Arbeitsfähigkeit bestmöglich sicherzustellen haben." Dargestellt wird in dem Bericht auch Geschichte und Stand des Konflikts. Die FAZ (Corinna Budras/Marcus Jung) analysiert zudem auch einige der Kennzahlen des BFH-Berichts und stellt fest, dass Klagende vor dem höchsten deutschen Steuergericht immer häufiger Erfolg haben.

Psychosoziale Prozessbegleitung: Wie LTO (Pauline Dietrich) berichtet, hat das Bundesjustizministerium in einem Bericht an den Nationalen Normenkontrollrat die Erfahrungen mit der Anwendung der im Jahr 2017 neu eingeführten Vorschriften zur psychosozialen Prozessbegleitung zusammengetragen. Die psychosoziale Prozessbegleitung wurde eingeführt, um die Belastungen für Opfer in einem Strafverfahren möglichst erträglich zu gestalten.

Leistungsschutzrecht: Aus Anlass des Facebook-Konflikts in Ausstralien beschreibt die taz (Christian Rath) wie die Bundesregierung mit einem Anfang Februar beschlossenen Gesetzesentwurf das Leistungsschutzrecht für Presseverlage neu auflegen will. Dies hätte zur Folge, dass Google und ähnliche Dienste Lizenzgebühren an Verlage zahlen müssten, wenn sie mehr als wenige Worte aus Presseveröffentlichungen benutzen. Das Leistungsschutzrecht wurde erstmals 2013 eingeführt, hatte aber wenig praktische Bedeutung und wurde 2019 vom Europäischen Gerichtshof aus formalen Gründen für nichtig erklärt.

Investitionskontrolle: Der Rechtsanwalt Oliver Schröder und die Rechtsanwältin Stephanie Birmanns analysieren auf LTO einen kürzlich vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vorgelegten Referentenentwurf zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung. Grundsätzlich sei es verständlich, dass sich Deutschland mit neuen Regelungen besser vor unlauteren Marktteilnehmenden aus weniger regulierten Staaten schützen möchte. Der Entwurf schaffe jedoch erhebliche Rechtsunsicherheit aufgrund vager Rechtsbegriffe und der Breite der erfassten Investitionsaktivitäten.

Mutterschutz/Elternzeit für Vorstände: Der LTO (Anja Hall) liegt ein Änderungsvorschlag zum Gesetzesentwurf für das Führungspositionengesetz II des Bundesjustizministeriums vor, welcher die Vorstandsetagen deutscher Unternehmen familienfreundlicher gestalten soll. Der Kern der Neuregelung liegt darin, dass Vorstandsmitglieder für die Zeit von Haftungsrisiken befreit sein sollen, in der sie ihr Mandat ruhen lassen, etwa wegen Mutterschutz, Elternzeit, der Pflege von Angehörigen oder Krankheit.

Pakt für den Rechtsstaat: Nun berichtet auch die FAZ (Marcus Jung) über den Hamburger Vorstoß, den "Pakt für den Rechtsstaat" zu verlängern. Die Vereinbarung soll laut dem Positionspapier des Hamburger rot-grünen Senats um mindestens zwei Jahre verlängert und mit 220 Millionen Euro vom Bund unterfüttert werden.

Corona – Beschränkungen: Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) beschäftigt sich mit dem neuen Zielwert bei der Inzidenz von 35 Neuinfektionen pro Woche und 100 000 Einwohnern. Verfassungsrechtler warnten bereits, dass bei niedrigen Inzidenzen strenge Maßnahmen in den Verordnungen der Länder immer schwieriger zu rechtfertigen seien. So halte das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen in einem aktuellen Beschluss die 35 als neue Lockerungsschwelle für einen Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz.

Justiz

EuGH – Naturschutzgebiete: Die Europäische Kommission hat gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof eine Vertragsverletzungsklage wegen jahrelang andauernder Verstöße gegen geltendes Naturschutzrecht eingereicht, wie FAZ (Hendrik Kafsack), taz (Heike Holdinghausen) und LTO schreiben. Deutschland verstoße gegen eine EU-Richtlinie, welche die Ausweisung von Schutzgebieten regelt, die den Bestand von Arten schützen oder wiederherstellen sollen. Die Europäischen Kommission bemängelt insbesondere, dass "die für die einzelnen Gebiete in Deutschland festgelegten Erhaltungsziele nicht hinreichend quantifiziert und messbar" seien.

Michael Bauchmüller (SZ) kommentiert die Klage, die zeige, wie gut es sei, dass es die EU gäbe. Durch den Kontrollmechanismus auf EU-Ebene könne gewährleistet werden, dass Naturschutz nicht mehr in den Mühlen der deutschen Bürokratie ende.

BVerfG zu Datenschutz/Schadensersatz: Rechtsanwalt Johannes Flötotto analysiert auf LTO einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom vergangenen Mittwoch zu immateriellem Schadensersatz für Datenschutzverstöße nach der Datenschutzgrundverordnung (DGSVO). Das Amtsgericht Goslar hatte die Klage eines Anwalts abgewiesen, der wegen einer Werbe-Mail 500 Euro Schadensersatz gefordert hatte, da es sich um eine Bagatelle handele. Wie nun das Bundesverfassungsgericht entschied, hätte das Amtsgericht Goslar die Frage dem Europäischen Gerichtshof vorlegen müssen. Geldentschädigungsansprüche aus der DGSVO seien in der Rechtsprechung des EuGH weder erschöpfend geklärt noch könne ein solcher Anspruch unmittelbar aus der DSGVO bestimmt werden.

BGH zu Taschenrechner am Steuer: Auf dem Weg zu einem bevorstehenden Kundentermin wollte ein Immobilienmakler am Steuer mit seinem Taschenrechner die Provision berechnen und wurde dabei erwischt. Laut tagesschau.de (Bernd Wolf) und LTO hat der Bundesgerichtshof nun entschieden, dass dieser Gebrauch des Taschenrechners rechtlich genauso zu bewerten sei wie der Gebrauch eines Handys am Steuer und somit gegen § 23 Abs. 1a der Straßenverkehrsordnung verstoße. 

OLG Düsseldorf zu fliegendem Gerichtsstand: Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat entschieden, dass gegen Wettbewerbsverstöße im Internet und anderen Telemedien nicht mehr bundesweit im Rahmen eines "fliegenden Gerichtsstands" vorgegangen werden kann, wie LTO (Hasso Suliak) berichtet. Nach einer gesetzlichen Neuregelung ist nun bei allen Verstößen im Internet oder im Online-Handel nur noch das Gericht am Sitz des oder der Beklagten zuständig.

OVG NRW zu AfD und Verfassungsschutz: Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat entschieden, dass im Streit um eine eventuelle Einstufung der AfD als Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz kein Bedarf für eine Zwischenregelung bestehe, nachdem das Bundesamt mehrere Stillhaltezusagen abgab. Das OVG bestätigte laut LTO einen entsprechenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln. 

VGH BaWü zu Corona-Öffnungsverbot: Wie die FAZ (Marcus Jung) und Hbl (Florian Kolf/Anja Müller) schreiben, hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einen Eilantrag des Modehauses Breuninger abgewiesen, der auf die Aufhebung der Betriebsuntersagung gerichtet war. Aus Sicht der Richter sei die Einschränkung zum Zweck des Infektionsschutzes weiterhin verhältnismäßig.

OLG Koblenz – Folter in Syrien: Die taz (Sabine am Orde) berichtet in einem ganzseitigen Beitrag vom Prozesses gegen den Syrer Eyad A., welcher wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit während seiner Tätigkeit für den syrischen Geheimdienst vor dem Oberlandesgericht Koblenz angeklagt ist. In seinem Plädoyer ging der Oberstaatsanwalt nicht nur auf Eyad A.s individuellen Fall ein, sondern prangerte auch generell die Verbrechen des syrischen Regimes von Baschar al-Assad an. Nächste Woche wird das Urteil erwartet.

KG Berlin zu Verdachtsberichterstattung über Arzt: Die Medien Vice und Buzzfeed News dürfen wieder über einen Arzt berichten, dem sexueller Missbrauch von schwulen Patienten vorgeworfen wird. Allerdings dürfen die Medien die Vorwürfe weiterhin nicht detailliert und drastisch darstellen. Das Berliner Kammergericht hat jetzt auch die schriftlichen Urteilsgründe vorgelegt, über die die taz (Christian Rath) berichtet.

LG Hannover zu Mord durch Stalker: Das Landgericht Hannover hat einen Mann zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen Mordes verurteilt, da er eine ehemalige Arbeitskollegin umbrachte, wie spiegel.de (Julia Jüttner) schreibt. Vor der Tat hatte der Täter das Leben der jungen Frau rund um die Uhr überwacht und sie verfolgt.

LG Frankfurt/M. – Werbung für Aktienfonds: Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg hat die Fondsgesellschaft Deka vor dem Landgericht Frankfurt/M. verklagt, wie die SZ (Clara Thier) berichtet. Die Deka hatte auf ihrer Internetseite mit der Nachhaltigkeit eines Investmentfonds geworben, ohne die gemachten Angaben belegen zu können. Laut der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg handele es sich daher um irreführende Werbung.

LG Hamburg zu Immobilienkauf von Jens Spahn: Das Landgericht Hamburg hat entschieden, dass die Nennung des vom Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gezahlten Preises für eine Villa in Berlin-Dahlem untersagt sei, wie der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet. Spahn und sein Ehepartner hatten das Urteil gegen den Tagesspiegel erwirkt, nachdem die Zeitung über den vom Grundbuchamt bestätigten Kaufpreis berichtete. Der Grundstückspreis in Höhe von mehreren Millionen Euro sei vor allem daher brisant, da Spahn zuvor mit der Aussage aufgefallen war, Hartz IV bedeute keine Armut.

Asylverfahren: Die FAZ (Rüdiger Soldt) zeichnet die Wege der Geflüchteten Youssif O. und Alassa M. nach und nimmt ihre individuellen Fälle und Schicksale zum Anlass zu verdeutlichen, wie schwierig und unberechenbar das Asylrecht in Deutschland ist. Beide Männer hatten sich 2018 in Ellwangen gegen die Abschiebung von Youssif O. eingesetzt. Dieser ist nun wohl wieder zurück nach Ghana gereist, während Alassa M. weiterhin auf eine Entscheidung in seinem Asylverfahren in Deutschland wartet. Der Artikel nimmt darüber hinaus etwa auch Fragen der Unverletzlichkeit der Wohnung von Menschen in Sammelunterkünften in den Blick.

Recht in der Welt

Belarus – Haft für Journalistinnen: Zwei Journalistinnen wurden von einem Gericht in Minsk zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt, da sie Massenaktionen organisiert und die öffentliche Ordnung gestört haben sollen, wie die taz (Barbara Oertel) und spiegel.de berichten. Die beiden Frauen hatten Videoaufnahmen von einer politischen Versammlung gemacht und diese online gestreamt.

In einem getrennten Kommentar stellt Barbara Oertel (taz) fest, dass der belarussischen Regierung kein Vorwand zu plump sei, "um in die Privatsphäre von Journalist*innen einzudringen, sie festzunehmen, zu misshandeln sowie in politisch motivierten Verfahren zu verurteilen". Einem Machthaber, der so agiere, sitze die Angst im Nacken.

EGMR/Russland – Nawalny: Nun berichtet auch tagesschau.de (Klaus Hempel) über die Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, den Kremlkritiker Nawalny sofort aus der Haft in Russland zu entlassen. Die FAZ (Friedrich Schmidt) nimmt diese jüngste Entscheidung darüber hinaus zum Anlass, das Verhältnis von Russland zum EGMR und zum Völkerrecht zu beleuchten.

Sonstiges

Europäischer Haftbefehl: Die Europäische Kommission hat wegen den deutschen Regeln zum Europäischen Haftbefehl ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Die in Frage stehenden Regelungen behandelten deutsche Bürgerinnen und Bürger bevorzugt. Sie böten Möglichkeiten, einen Europäischen Haftbefehl abzulehnen und seien daher nicht EU-rechtskonform, wie LTO berichtet.

Politische Beamte: Die SZ (Wolfgang Janisch) nimmt das Wahljahr 2021 zum Anlass, um die 2008 und 2018 vom Bundesverfassungsgericht geäußerte Kritik an der hohen Anzahl von politischen Beamtinnen und Beamten in Bund und Ländern zu erläutern. Das Gericht hatte entschieden, dass politische Beamte die Ausnahme bleiben müssten, da auch sie prinzipiell auf Lebenszeit bestellt würden. So stellte etwa der Rechtsprofessor Hans Herbert von Arnim fest, dass die Kataloge politischer Beamter in Bund und Ländern eine Vielzahl von Stellen enthielten, die mit dem Verfassungsrecht nicht vereinbar seien.

Quellen-TKÜ: Das Bundesamt für Justiz hat in seiner Telekommunikationsüberwachungs-Statistik die Zahlen für die Quellen-TKÜ-Maßnahmen massiv nach unten korrigiert, berichtet die taz (Christian Rath). Nur drei Mal (statt 368 Mal) seien 2019 "Staatstrojaner" zum Abhören verschlüsselter Kommunikation eingesetzt worden. 

Corona – Grenzschließungen: Auf LTO stellt Rechtsprofessor Daniel Thym die neuen deutschen Einreiseverbote vor, die die Grenzen zu Österreich und Tschechien betreffen. Er nimmt die Anordnung, für die es keine abstrakt-generelle Regel gebe, zum Anlass, die rechtlichen Grundlagen zu Grenzkontrollen im Schengenraum zu erläutern. Thym kommt zum Schluss, dass die aktuelle Grenzschließung das strengste Grenzregime sei, dass die Bundesrepublik jemals eingeführt habe und zweifelt an der Vereinbarkeit der Regelungen mit EU-Recht.


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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ls

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 19. Februar 2021: Ermittlungen wegen Hanau / BFH kritisiert Justizministerium / EU klagt wegen Naturschutz in Deutschland . In: Legal Tribune Online, 19.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44309/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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