Die juristische Presseschau vom 28. Januar 2021: BGH zu Alter­na­tiv­vor­satz / Urteil im Lübcke-Pro­zess erwartet / Men­sche­n­un­wür­dige Haft in Bayern?

28.01.2021

Alternativvorsatz kann laut BGH zu Verurteilung wegen zwei Delikten führen. Im Mordfall Lübcke wird das Urteil verkündet und das LG Augsburg muss sich erneut mit den Haftbedingungen in bayerischen Haftanstalten befassen.

Thema des Tages

BGH zum Alternativvorsatz: Ein Schlag mit einem Hammer, der nur eins von zwei möglichen Opfern trifft, kann zu einer Verurteilung wegen zweier Delikte führen. Der Bundesgerichtshof hat damit erstmals einen Fall zum bislang umstrittenen sogenannten Alternativvorsatz entschieden und den Täter wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Der Angeklagte hatte mit einem Hammer in Richtung einer Frau und ihrem Bruder geschlagen, letztlich aber nur den Bruder getroffen und es laut BGH dabei für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, einen der beiden treffen und verletzen zu können, berichtet LTO. Obwohl der BGH sich damit der Entscheidung des Landgerichts (LG) Frankenthal anschloss, war der Angeklagte mit seiner Revision teilweise erfolgreich. Der Strafausspruch sei in dem Fall rechtsfehlerhaft, so der BGH. Das LG habe das versuchte Delikt uneingeschränkt strafschärfend gewichtet, ohne den aufgrund des Alternativvorsatzes verminderten Handlungsunwert zu berücksichtigen.  

Rechtspolitik

BND-Gesetz: Diesen Freitag soll erstmals der Entwurf der Bundesregierung zur Reform des Bundesnachrichtendienstes im Bundestag debattiert werden. Aus diesem Anlass stellt die SZ (Ronen Steinke) einen Antrag der Grünen vor, der am Freitag ebenfalls beraten wird. Er sieht eine Ausweitung der Kompetenzen des geplanten unabhängigen richterlichen Kontrollrats vor. Neben der Überwachung von Ausländerinnen und Ausländern im Ausland soll dieser auch eine leistungsstärkere rechtsstaatliche Kontrolle von individuellen Abhörmaßnahmen gegen Deutsche ermöglichen und dabei die sogenannte G 10-Kommission ersetzen.

Migrantenquote Berlin: In der Debatte über eine Migrantenquote im öffentlichen Dienst in Berlin kommt Rechtsanwalt Sebastian Roßner auf LTO zu dem Schluss, dass Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz dem Vorhaben entgegenstehe. Nur mit einem noch zu schaffenden expliziten grundgesetzlichen Auftrag zur Gleichstellung von Migrantinnen und Migranten sei die Quote mit der sogenannten "Bestenauslese" in Einklang zu bringen.

Corona – Homeoffice: Mit dem Inkrafttreten der neuen "SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung" des Bundesarbeitsministeriums sind Arbeitgebende nunmehr grundsätzlich verpflichtet, Beschäftigten das Arbeiten von zu Hause anzubieten. Ausgenommen sind sie nur, wenn "zwingende betriebsbedingte Gründe entgegenstehen". Die Beweislast liege beim Unternehmen. tagesschau.de (Florian Scheffel/Frank Bräutigam) und faz.net erläutern die Einzelheiten.

Bundesfinanzhof: Im Staat und Recht-Teil der FAZ warnt die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Köln Anke Eilers bei der Besetzung der Stellen des Präsidenten sowie des Vizepräsidenten am Bundesfinanzhof das Anforderungsprofil vor dem anstehenden Besetzungsvorgang zu ändern. Sonst könne der Eindruck politischer Einflussnahme entstehen. In diesem Zusammenhang erläutert sie die Arbeit des Consultative Council of European Judges, das im Rahmen des Europarats angesiedelt und bestrebt ist, einen europaweiten Maßstab für die richterliche Unabhängigkeit zu erarbeiten.

Justiz

OLG Frankfurt/M. – Mord an Walter Lübcke: Im Mordfall Walter Lübcke wird am heutigen Donnerstag das Urteil verkündet. Aus diesem Anlass resümiert spiegel.de (Julia Jüttner) das bisherige Verfahren. Auch faz.net bringt einen Überblick über den Fall, die Angeklagten und den Prozess.

Die FAZ (Anna-Sophia Lang) beschreibt die Arbeit des Oberstaatsanwalts Benjamin Krause von der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität: Die Ermittler durchsuchen Online-Kommentare im Zusammenhang mit dem Tod Lübckes und untersuchen sie auf strafbare Inhalte, etwa der Billigung einer Straftat oder der öffentlichen Aufforderung zu solchen. Prozesse würden vornehmlich gegen Rentnerinnen und Rentner geführt, die etwa mit "… ein guter Anfang" die Ermordung Lübckes kommentiert hatten.

BVerfG zur Unterbringung von Häftlingen: Das Bundesverfassungsgericht hat den Verfassungsbeschwerden zweier Häftlinge stattgegeben, die sich gegen ihre Haftbedingungen in bayerischen Haftanstalten rechtlich zur Wehr setzten. In einem Fall stellte das BVerfG einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör fest und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Augsburg zurück. Die Vorinstanz habe das Beweisangebot des Inhaftierten, die mit einem anderen Häftling geteilte Zelle sei lediglich 7,41 und nicht wie vom Freistaat Bayern behauptet 8,98 Quadratmeter groß gewesen, berücksichtigen müssen. Sollte sich die vom Inhaftierten behauptete Größe als korrekt herausstellen, stehe ein Verstoß gegen das Verbot der unmenschenlichen Behandlung im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention im Raum. In dem anderen Fall sei der Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit verletzt gewesen, weil das Gericht verschiedene noch ungeklärte Fragen unzulässigerweise in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlegt hatte. LTO, tagesschau.de (Klaus Hempel) und spiegel.de berichten.

BVerwG zu Sonntagsarbeit bei Amazon: Das Versprechen, Kunden am Tag der Bestellung zu beliefern, rechtfertigt keine Ausnahme vom Verbot der Sonntagsarbeit. Dies urteilte das Bundesverwaltungsgericht im Fall von Amazon. Das Unternehmen hatte 2015 für mehrere seiner Logistikzentren Sonntagsarbeit im Advent beantragt und dies mit den zusätzlichen Bestellungen im Weihnachtsgeschäft begründet, so LTO und faz.net.

BGH – völkerstrafrechtliche Immunität: Genießt ein Ex-Soldat der afghanischen Armee in Deutschland Immunität vor Strafverfolgung, auch wenn er dem Völkerstrafrecht unterfallende Kriegsverbrechen begangen haben soll? Darüber will der Bundesgerichtshof am heutigen Donnerstag eine Grundsatzentscheidung treffen. Die Vorinstanz, das Oberlandesgericht München, hatte den Angeklagten zu zwei Jahren Haft auf Bewährung unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Die Frage einer möglichen Immunität für staatliche Funktionsträger war erst vom BGH aufgebracht worden. Bisher wird der Ausschluss der Immunität bei Kriegsverbrechen völkergewohnheitsrechtlich begründet, auf internationaler Ebene wird dies aber derzeit in Zweifel gezogen. Wenn staatliche Funktionsträger auch bei Kriegsverbrechen Immunität hätten, würde das Völkerstrafgesetzbuch weitgehend leerlaufen, schreibt LTO (Markus Sehl) in einem ausführlichen Vorbericht. Möglich ist auch eine Vorlage des BGH an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 2 Grundgesetz zur Klärung der völkerrechtlichen Grundlagen. 

BGH zu Thermofenstern: Auch LTO berichtet nun über den Beschluss des Bundesgerichtshofs zum Einsatz von Thermofenstern bei Daimler. Entwicklung und Einsatz allein begründen noch keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen sittenwidriger Schädigung, entschied der BGH.

BAG zum Betriebsübergang in der Insolvenz: Für LTO hat die Rechtsanwältin Tanja Kurtzer die derzeitige Rechtslage zu der Frage dargestellt, wer die Betriebsrente zahlt, wenn ein Betrieb aus der Insolvenz im Rahmen eines Betriebsübergangs herausgekauft wird. Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu kürzlich entschieden, dass die Haftung des Erwerbers für vorinsolvenzliche Betriebsrentenansprüche nicht erweitert wird, selbst wenn der Pensions-Sicherungs-Verein aG (PSV) für solche Ansprüche nicht bzw. nicht voll eintritt. Der PSV haftet bei Insolvenz im Grundsatz für die Betriebsrentenansprüche.

VG Köln – AfD und Verfassungsschutz: Das Verwaltungsgericht Köln hat nunmehr beschlossen, keine Zwischenregelung zu erlassen, um dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Einstufung der AfD als "Verdachtsfall" oder "gesichert extremistische Bestrebung" zu verbieten. Weil das BfV zugesagt habe, sich bis zum Abschluss eines Eilverfahrens jedenfalls nicht öffentlich zu einer möglichen Einstufung zu äußern, sei dieser Zwischenschritt nicht nötig, teilte das Gericht laut spiegel.de und faz.net mit.

LG Kassel – falsche Ärztin: Vor dem Landgericht Kassel muss sich nun eine 50-Jährige wegen Mordes in fünf Fällen und versuchten Mordes in elf Fällen veranworten. Ihr wird laut spiegel.de (Beate Lakotta) und SZ vorgeworfen, ohne die erforderliche Approbation als Ärztin praktiziert und dadurch aus reiner Geltungssucht Menschen, die ihr Gesundheit und ihr Leben anvertraut haben, schwer verletzt und teilweise auch getötet zu haben.

LG Bonn – Cum-Ex/Hanno Berger: Auch die FAZ (Marcus Jung) berichtet nun über die am Landgericht Bonn zugelassene Anklage gegen den Steuerrechtsanwalt Hanno Berger wegen dessen mutmaßlicher Verstrickung in Cum-Ex-Deals.

KG Berlin – Hinrichtung in Mossul: Die Zeit (Markus Sehl) widmet sich zwei Prozessen vor dem Berliner Kammergericht, in denen es um die Beteiligung zweier irakischer Flüchtlinge, Vater und Sohn, an einer Hinrichtung in Mossul geht. Dabei werden sowohl die Schwierigkeiten beleuchtet, Ermittlungen an einem mehrere tausend Kilometer entfernten Tatort durchzuführen, als auch die Frage, ob und ggf. unter welchen Bedingungen eine Abschiebung in den Irak möglich ist.

AG Berlin-Tiergarten – Rapper Fler: Im Prozess gegen den Rapper Fler hat dieser den Gerichtssaal verlassen, nachdem er mit einem anwesenden Journalisten verbal aneinandergeraten war. Der Prozess wird gegen ihn unter anderem wegen diverser Beleidigungen, Sachbeschädigung und versuchter Nötigung geführt. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet.

AG Rottweil zu Corona-Hilfen-Betrug: Das Amtsgericht Rottweil hat einen 32-Jährigen wegen Missbrauchs von Corona-Soforthilfen zu drei Jahren und zwei Monaten Freiheitsstrafe wegen Subventionsbetruges verurteilt. Laut focus.de (Göran Schattauer) und spiegel.de habe der Mann im vergangenen Jahr über mehrere Monate hinweg immer wieder neue Anträge auf Hilfen eingereicht und sich so 488.000 Euro erschlichen.

BAW – rechtsextremer Brandanschlag: Die Bundesanwaltschaft hat Anklage gegen eine 55 Jahre alte Rechtsextremistin aus Mittelfranken erhoben, die Brandanschläge auf Politiker und Muslime geplant haben soll. Ihr wird unter anderem die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vorgeworfen. Laut SZ (Wolfgang Janisch/Olaf Przybilla) und faz.net (Alexander Haneke) sei die angeklagte Heilpraktikerin Susanne G. in die Strukturen der rechtsextremen Partei III. Weg eingebunden gewesen.

Corona – Justiz: In der Zeit kritisiert Rechtsprofessor Josef Franz Lindner die Verwaltungsgerichtsbarkeit insbesondere im zweiten Jahr der Pandemie als "mittlerweile auf Linie einer auf Repression fokussierten Exekutive". Auch wenn in den zahlreichen Eilverfahren nur eine summarische Prüfung stattfinden könne, so Lindner, würden zahlreiche Gerichte in "aktionistischer Willkür" selbst Maßnahmen mit minimalen Auswirkungen auf die Kontaktreduzierung durchwinken.

Im Feuilleton der Welt zeigt sich Jörg Phil Friedrich zudem beunruhigt angesichts der aus seiner Sicht verschwindend geringen Anzahl an Verfassungsbeschwerden im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Als Gründe hierfür sieht er zum einen die unklare Dynamik des Pandemie-Geschehens, die eine klare Meinungsbildung verhindere, aber auch den Glauben, dass in Ausnahmesituationen wie dieser ein effektives Handeln der Exekutive vielen wichtiger sei als abstrakte Verfassungsprinzipien.

Recht in der Welt

Polen – Justizreform: Weil die Disziplinarkammer des obersten polnischen Gerichtshofs weiter Entscheidungen mit direkter Auswirkung auf Richter treffe, droht Polen eine weitere Klage der EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof im Zusammenhang mit der umstrittenen Justizreform, so LTO und SZ. Das Land hat nun einen Monat Zeit, die Bedenken auszuräumen.

USA – Verfassungskrise: Der emeritierte Professor der Politikwissenschaften Peter Graf von Kielmannsegg erklärt im Staat und Recht-Teil der FAZ warum die Verfassung der USA nicht aus der Demokratiekrise helfen wird. Sie sei zwar zum einen die älteste Verfassung, aber zugleich auch diejenige, die Änderungen die höchsten Hürden entgegenstellt und weshalb keine Anpassungen etwa des Wahlsystems an die heutigen politischen Realitäten erfolgt sind.

Juristische Ausbildung

Auseinandersetzung mit NS-Unrecht: Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) plädiert in der FAZ dafür, dass die Auseinandersetzung mit dem NS-Unrecht verpflichtender Teil der juristischen Ausbildung wird. Es gehe ihr dabei explizit nicht um bloßes historisches Faktenwissen, sondern darum, dass Studierende lernen, das positive Recht und die Rechtspraxis kritisch zu reflektieren und die Ideologieanfälligkeit des Rechts und sein Missbrauchspotential zu erkennen. In den kommenden Wochen werde die Bundesregierung einen entsprechenden Vorschlag zu einer Anpassung des Deutschen Richtergesetzes in den Bundestag einbringen.

 

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lto/jpw

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. Januar 2021: BGH zu Alternativvorsatz / Urteil im Lübcke-Prozess erwartet / Menschenunwürdige Haft in Bayern? . In: Legal Tribune Online, 28.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44114/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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