Die juristische Presseschau vom 29. Dezember 2020: Recht­spre­chung zu Sil­vester / Ver­fas­sungs­be­schwerde gegen Sach­sens PolG / Chi­ne­si­sche Blog­gerin ver­ur­teilt

29.12.2020

Mehrere Gerichte entscheiden über Feuerwerks- und andere Silvesterfragen. Die GFF legt Verfassungsbeschwerde gegen sächsisches Polizeigesetz ein. Chinesisches Gericht verurteilt chinesische Menschenrechts-Bloggerin.

Thema des Tages

OVG Berlin-BB zu Feuerwerksverkaufs-Verbot: Das bundesweite Verkaufsverbot für Silvester-Pyrotechnik ist rechtmäßig. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg und wies damit die Eilanträge einiger Pyrotechnikhersteller und -händler ab. Zwar greife das Verkaufsverbot stark in die Berufsausübungsfreiheit ein, dennoch überwiege das Ziel, eine weitere Belastung der bereits angespannten medizinischen Versorgungssituation in den Krankenhäusern abzuwenden. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) untersagte den Pyrotechnik-Verkauf deutschlandweit bereits vor Weihnachten, schreibt das RND weiter.

VerfGH Thü zu Corona-VO an Silvester: An Silvester darf in Thüringen Alkohol in der Öffentlichkeit weder ausgeschenkt noch konsumiert werden. Außerdem sind das Verbot des Abbrennens von Pyrotechnik und die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen rechtmäßig. So entschied der Verfassungsgerichtshof in Weimar und lehnte damit, wie LTO berichtet, den Eilantrag der AfD Landtagsfraktion gegen die Thüringer Corona-Verordnung ab. Der von der Verordnung verfolgte Zweck des effektiven Infektionsschutzes und des Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung wiegen schwerer als die vorgebrachten Grundrechtseingriffe. Über das ebenfalls beklagte, bundesweite Verkaufsverbot für Pyrotechnik, könne der VerfGH aufgrund mangelnder Zuständigkeit allerdings nicht entscheiden. 

VG Hamburg zu Feuerwerksverbot: Wie LTO berichtet, befand auch das Verwaltungsgericht Hamburg das von der hanseatischen Corona-Verordnung vorgesehene Pyrotechnik-Verbot für rechtmäßig. Danach darf weder in der Öffentlichkeit noch im privaten Rahmen Pyrotechnik verwendet werden. Das Verbot sei eine notwendige Schutzmaßnahme zur Eindämmung der Corona-Pandemie und von vergleichsweise geringer Eingriffsintensität und verhältnismäßig. Damit lehnten zwei Kammern des VG die zwei Eilanträge ab. Einer der Eilantragssteller hat bereits Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht erhoben.

Rechtspolitik

Brexit-Handelspakt Nun erläutert auch LTO Details des zwischen der EU und Großbritannien ausgehandelten 1.250 Seiten starken Brexit-Handelspakts. Die langen Verhandlungen waren erst an Heiligabend abgeschlossen worden. Dem europäischen Parlament bleibt nun aber nicht mehr genug Zeit, um den Vertrag noch vor dem Vertragsbeginn am 31. Dezember zu ratifizieren. Wie die SZ (Michael Bauchmüller), die FAZ und die taz berichten, stimmten die Botschafter der 27 verbleibenden EU-Mitgliedstaaten deshalb am gestrigen Montag einer "vorläufigen Anwendung" zu und eröffneten das schriftliche Verfahren zur formalen Zustimmung. So kann das Abkommen vorläufig in Kraft treten. Diese provisorische Anwendung ist zunächst bis zum 28. Februar befristet. Die Zustimmung des britischen Parlaments gilt als sicher und ist für den morgigen Mittwoch anberaumt.  

Corona – Impfung: Auch wenn die Bundesregierung eine allgemeine Corona-Impfpflicht klar ausschließt, kann es durch die Gewährung von Sonderrechten durch private Unternehmen durchaus zu einer indirekten Impfpflicht kommen. Baden-Württembergs Datenschutzbeauftragter Stefan Brink fordert deshalb im Hbl (Neuerer/Gregor Waschinski), dass der Gesetzgeber Fragen nach dem Gesundheitsstatus unterbindet und damit einen "Impfzwang durch die Hintertür" verhindert.  

Gregor Waschinski (Hbl) meint, dass für bestimmte Bereiche wie etwa in Pflegeheimen ein Immunitätsnachweis durchaus sinnvoll sein kann. Das Impfzeugnis dürfe aber nicht zu einer "Art allgemeinem Corona-Passierschein" werden und umgekehrt Menschen, die keinen Nachweis vorlegen wollen oder können von wirtschaftlicher und sozialer Teilhabe ausschließen.  

Wirtschaftsprüfer: Als Reaktion auf den Wirecard-Skandal plant die Bundesregierung ein Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG). Ziel ist, die Wirtschaftsprüfung und die Aufsicht über Unternehmen, Wirtschaftsprüfer und den Finanzmarkt zu verbessern. Das FISG sieht dafür unter anderem vor, dass Unternehmer ihre Wirtschaftsprüfer alle zehn Jahre wechseln müssen und die Haftungsbeschränkungen für Prüfgesellschaften schon bei grober Fahrlässigkeit aufgehoben werden. Dabei sei es viel zu früh, um bereits allgemeingültige Schlüsse aus dem Wirecard-Skandal zu ziehen und das Gesetz sei noch stark verbesserungswürdig, wie in einem Beitrag in der FAZ (Georg Giersberg) eingehend erläutert wird.

Legal Tech/Erfolgshonorare für Anwälte: In Kürze soll der Entwurf des "Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt" des Bundesjustizministeriums in die Ressortabstimmung gehen. Das Hbl (Heike Anger) stellt die Eckpunkte vor. Kritik an dem Entwurf kommt vor allem von der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und dem Deutschen Anwaltverein (DAV). Erfolgshonorare würden nur dazu führen, dass Rechtsanwälte gleichsam zur Partei würden und damit kein unabhängiges Organ der Rechtspflege mehr seien. Statt das Verbot anwaltlicher Erfolgshonorare zu lockern, sollten Legal-Tech-Firmen besser richtig reguliert werden.


Justiz

EuGH 2020: LTO (Annelie Kaufmann) trägt fünf wichtige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2020 zusammen (Vorratsdatenspeicherung, Privacy Shield, EU-Haftbefehl, Fack Ju Göhte, Dieselabgasreinigung). Einschneidend für den EuGH selbst dürfte vor allem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank gewesen sein. Das Karlsruher Gericht erklärte dabei zum ersten Mal eine Entscheidung des EuGH für unanwendbar, was zu heftigen Diskussionen unter anderem über die Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit in der EU führte. Dass diese Entscheidung tiefe Spuren hinterlassen hat, zeige zuletzt auch der Vorschlag des Generalanwalts Tanchev, statt sich über den EuGH hinwegzusetzen, doch ein neues Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen.

BVerfG – Sächsisches Polizeigesetz: Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat gemeinsam mit Journalistinnen, Rechtsanwälten, einem Fußballfan und einer Sozialarbeiterin Verfassungsbeschwerde gegen das im Vorjahr beschlossene Sächsische Polizeigesetz eingelegt. Wie netzpolitik.org (Tomas Rudl) schreibt, bekommt die sächsische Polizei durch das Gesetz neue weitreichende Befugnisse, wie den Einsatz von Handgranaten. Außerdem können beim bloßen Verdacht der Begehung einer Straftat Kontaktverbote erlassen und ein "enges Überwachungsnetzwerk" einschließlich des Einsatzes von verdeckten Ermittlern installiert werden. Abgeordnete der linken und grünen Landtagsfraktionen im sächischen Bundestag haben bereits im letzten Jahr einen Antrag auf abstrakte Normenkorntrolle vor dem Sächsichen Verfassungsgerichthof eingereicht, allerdings schiebe dieser den Fall vor sich her und warte die Entscheidung des BVerfG zum bayerischen Polizeiaufgabengesetz ab. Letzteres Gesetz gibt der Polzei noch weitreichendere Befugnisse.

BGH zu Betriebskostenabrechnung: Vermieterinnen müssen ihren Mietern bei der Betriebskostenabrechnung nicht nur Rechnungen, sondern auch die Zahlungsbelege zeigen. Dies entschied der Bundesgerichtshof in einem nun veröffentlichten Urteil. Nur mit Hilfe dieser Belege könne der Mieter die zu zahlenden Beträge tatsächlich überprüfen, begründet das Gericht, und wies damit die Revision der Vermieterin zurück. Dem Mieter stehe ein aus § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) folgendes Leistungsverweigerungsrecht zu, solange ihm die nach § 259 Absatz 1 BGB berechtigterweise begehrte Belegeinsicht verwehrt werde. Es berichten LTO und sz.de.

VG Berlin zu Taxi-Lizenzen: Die Allgemeinverfügung, welche die Vergabe der Taxi-Lizenzen für den BER Flughafen regeln sollte, ist rechtswidrig und nichtig. Dies entschied das Verwaltungsgericht Berlin am gestrigen Montag und wies damit auch den Antrag des klagenden Taxiunternehmers zurück. Dieser hatte bei dem Zulassungsverfahren nicht teilgenommen und wollte nun seinen Anspruch auf Berücksichtigung im Auswahlverfahren geltenden machen. Laut Gericht setzt das eine wirksame Rechtsgrundlage voraus. Daran fehle es hier aber, da die Allgemeinverfügung aufgrund ihrer schwerwiegenden Fehler nichtig sei. Laut LTO muss nun das gesamte Zulassungsverfahren für die Taxis neu geregelt werden.

Klagen gegen Rückholkosten: Im Frühjahr kurz nach Ausbruch der Corona-Pandemie waren insgesamt 240.000 Reisende teilweise mit Chartermaschinen der Bundesregierung aus aller Welt nach Deutschland zurückgebracht worden. Die dadurch entstandenen Kosten in Höhe von knapp 94 Millionen Euro stellte die Regierung den Passagieren anteilig in Rechnung. Nun wurde bekannt, dass es inzwischen 60 Klagen gegen Zahlungsbescheide des Auswärtigen Amts gibt, berichtet die FAZ. Diese Kostenbeteiligung ist im Konsulargesetz vorgeschrieben, nicht aber die genaue Höhe.

Recht in der Welt

China – Bloggerin verurteilt: Weil sie "Streit geschürt und Unruhe gestiftet" habe, ist die 37-jährige Anwältin und Bloggerin Zhang Zhan von einem Gericht in Shanghai zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Wie die taz (Felix Kretschmer), die FAZ, netzpolitik.org (Anna Biselli) und zeit.de schreiben, veröffentlichte die Bloggerin Artikel und Videos, in denen sie kritisch über die Ausbreitung des Coronavirus in Wuhan berichtet. Wegen ähnlicher Beiträge aus Wuhan befinden sich weitere Blogger in Untersuchungshaft oder sind gar verschwunden.

Dass die Verurteilung Zhans genau zwischen den Weihnachtstagen und Silvester stattfindet sei kein Zufall, meint Sven Hansen (taz). In dieser Zeit rechne die chinesische Regierung mit einer geringeren Aufmerksamkeit ausländischer Diplomaten, Journalisten und der internationalen Öffentlichkeit.

Saudi-Arabien – Frauenrechtlerin verurteilt: Im saudi-arabischen Riad wurde die bekannte Aktivistin und Frauenrechtlerin Loujain al-Hathloul von einem Terrorismus-Gericht zu fünf Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. In dem Urteil heißt es, sie habe Spionage betrieben und "im Königreich eine ausländische Agenda mit dem Internet umsetzen" wollen. Al-Hathloul war bekannt geworden, als sie 2014 in einem Video gegen das Frauenfahrverbot in Saudi-Arabien demonstrierte. Seit 2018 ist sie nun inhaftiert und berichtet immer wieder von schweren Misshandlungen und Folter in der Haft. Es berichten SZ (Paul-Anton Krüger), FAZ (Reiner Hermann) und zeit.de.

Italien – Richter selig gesprochen: Die katholische Kirche hat den 1990 von der Mafia erschossenen Richter Rosario Livatino selig gesprochen, wie die SZ (Oliver Meiler) berichtet. 

Italien/EuGH – Sea-Watch Schiffe: Aufgrund angeblicher nicht-behobener Mängel halten die italienischen Behörden die zwei Schiffe der zivilen Seenotrettungsorganisation Sea-Watch weiter fest. Gegen dieses Vorgehen klagte die Organisation im November vor dem Verwaltungsgericht Palermo. Dieses legte die Fälle nun dem Europäischen Gerichtshof vor, meldet die FAZ. Im Kern geht es dabei um die Deutungshoheit zwischen Flaggenstaat und Hafenstaat bei Hafenstaatkontrollen.

Sonstiges

Corona und Völkerrecht: Rechtsprofessorin Anne Peters diskutiert in einem Interview mit dem Doktoranden Muratcan Sabuncu auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) über die Herausforderungen und Chancen, welche die Corona-Pandemie für internationale Beziehungen und internationales Recht birgt. Dabei wird im ersten Teil des Interviews unter anderem auf die Verteilung des Corona-Impfstoffs Covax und dessen völkerrechtliche Bedenken eingegangen. Im zweiten Teil werden ferner die Aufgaben und Relevanz der WHO in unserer globalisierten Gesellschaft erörtert.
 


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lto/ali

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 29. Dezember 2020: Rechtsprechung zu Silvester / Verfassungsbeschwerde gegen Sachsens PolG / Chinesische Bloggerin verurteilt . In: Legal Tribune Online, 29.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43847/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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