Die juristische Presseschau vom 15. Dezember 2020: VW-Klagen nach 2018 ver­jährt? / Ent­wurf zum Digital Ser­vices-Paket / Kirche als Gebrauchs­kunst

15.12.2020

Der BGH wird wohl eine nach 2018 eingereichte VW-Klage wegen Verjährung abweisen. Die EU-Kommission stellt an diesem Dienstag ihre Pläne zur Regulierung der Digital-Konzerne vor. LG Hannover erlaubt Einbau von Lüpertz-Kirchenfenster.

Thema des Tages

BGH – VW-Dieselskandal: Zahlreiche Klagen von VW-Kunden, die erst nach 2018 eingereicht wurden, könnten aufgrund der Verjährung der geltend gemachten Schadensersatzansprüche abgewiesen werden. Dies deutete der Bundesgerichtshof am gestrigen Montag an und würde damit der Auffassung des beklagten VW-Konzerns folgen. Dieser argumentiert, dass die dreijährige Verjährungsfrist Ende des Jahres 2015 begonnen habe, da zu diesem Zeitpunkt eine umfassende Medienberichterstattung zum Abgasskandal stattgefunden habe. Dementsprechend könnten sich die betroffenen Kunden nicht darauf berufen, von der eingebauten Schummel-Software nicht gewusst bzw. erst später erfahren zu haben. Im konkreten Fall klagte der Käufer eines vom Abgasskandal betroffenen VW-Pkws auf Schadensersatz, erhob die Klage aber erst 2019, weshalb das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart die Klage wegen Verjährung ablehnte. Der BGH hatte in der Vergangenheit Ausnahmen von der Verjährung anerkannt, wenn die Rechtslage für die VW-Kunden derart unsicher und zweifelhaft war, dass ihnen eine Klageerhebung unzumutbar war. Sollte der BGH nun aber entscheiden, dass diese Klage tatsächlich wegen dem Eintritt der Verjährung abzuweisen ist, könnten auch die rund 9000 weiteren Klagen, die nach 2018 gegen VW eingereicht wurden, abgewiesen werden. Der Rechtsanwalt des Klägers argumentierte jedoch, es handle sich bei dem verhandelten Fall um einen "exotischen Einzelfall" und betreffe damit eine nur geringe Anzahl der nach 2018 gegen VW erhobenen Klagen. Das Urteil soll laut BGH "kurzfristig" verkündet werden. Es berichten die FAZ (Marcus Jung), LTO und die SZ.

Rechtspolitik

Digitale Dienste: Am heutigen Dienstag stellt die EU-Kommission den ersten Entwurf eines Pakets an Rechtsakten vor, das in Brüssel Digital Services Act (DSA) genannt wird. Wie das Hbl (Till Hoppe/Larissa Holzki) und zeit.de (Eike Kühl) berichten, soll der bereits im Vorfeld viel diskutierte DAS zum einen die Vereinheitlichung des digitalen, europäischen Binnenmarkts vorantreiben und zum anderen die Macht der großen Digital-Konzerne wie Google und Facebook regulieren. So sollen Konzerne ab einer bestimmten Größe als "Gatekeeper" eingestuft werden und damit an einen Pflichtenkatalog gebunden sein. Damit soll es der Kommission in Zukunft möglich sein, "sehr viel schneller einzugreifen, da die Beweishürden im Falle einer Ex-ante-Regulierung viel geringer sind", erläutert Rechtsanwalt Michael Dietrich im Hbl den Entwurf.

Whistleblower: Nun erörtern auch LTO und taz.de (Christian Rath) den Entwurf des Bundesjustizministeriums für ein "Gesetz zum Schutz hinweisgebender Personen". Damit soll eine EU-Richtlinie zum stärkeren Schutz von Whistleblowern aus dem Jahr 2019 umgesetzt werden. Uneinigkeit besteht in der Koalition jedoch, wie die Richtlinie umgesetzt werden soll. CDU/CSU forderten bisher eine richtliniennahe Umsetzung. Der nun vorliegende Entwurf des SPD-geführten Ministeriums geht aber über die Richtlinie hinaus und schützt Whistleblower nicht nur beim Hinweis auf Verstöße gegen europäisches Recht, sondern auch beim Hinweis auf Verstöße gegen deutsches Recht.

Künstliche Intelligenz: Bei der Konferenz zum "Europäischen Weg für KI" drängte der EU-Kommissar für Justiz, Didier Reynders, auf eine schnelle Regulierung von digitalen Anwendungen, bei denen Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz kommt. Verbraucher müssten über einen solchen Einsatz von KI informiert und Unternehmen dazu gezwungen werden, ihre Algorithmen offenzulegen. Viele Unternehmen und öffentliche Institutionen nutzen bereits KI-Anwendungen, allerdings werden dabei häufig Grundrechte wie das Verbot von Diskriminierung nicht mitbedacht, wie eine Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte zeigt. Laut FAZ (Corinna Budras) will die Kommission im Frühjahr 2021 einen Vorschlag zur Regulierung erarbeiten.

Insolvenzantragspflicht: Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für Unternehmen im Falle einer Verschuldung, ist bis Ende Januar verlängert worden, wie jetzt auch FAZ (Corinna Budras) und SZ berichten.

Corinna Budras (FAZ) meint, dass die Wirtschaft so jedoch noch tiefer in die Krise gerate, wenn "ein Geschäftspartner dem anderen nicht einmal mehr zutraut, die Rechnung zu bezahlen".

Justiz

LG Hannover zu Lüpertz-Fenster: Das vom Künstler Markus Lüpertz gestaltete und vom ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gestiftete neue Kirchenfenster darf in die Marktkirche von Hannover eingebaut werden. Das Landgericht Hannover wies damit die Klage des Erben des Kirchenarchitekten Dieter Oesterlen zurück. Da das farbige Lüpertz-Fenster den durch die Architektur Oesterlens geschaffenen schlichten Raumeindruck der Kirche verändern würde, sah der Erbe das Urheberrecht Oesterlens verletzt. Laut dem Gericht überwiege im vorliegenden Fall aber das Selbstbestimmungsrecht und die Religionsfreiheit der Marktkirchengemeinde. Bei dem Werk Oesterlens handle es sich zudem um ein Werk der Gebrauchskunst, an welchem Veränderungen hinzunehmen seien. Es berichten sz.de, taz-nord und FAZ (Reinhard Bingener).

LG Berlin zu rechtsextremen Drohmails: Wegen Störung des öffentlichen Friedens in 26 Fällen und Nötigung in neun Fällen verurteilte das Landgericht Berlin den 32-jährigen Andre M. zu vier Jahren Haft und ordnete die Unterbringung in der Psychiatrie an. M. hatte zwischen 2018 und 2019 bundesweit Drohschreiben insbesondere an Gerichte, Polizeidienststellen und Bundestagabgeordnete verschickt und diese meist mit "NationalSozialistischeOffensive" unterzeichnet. In den Mails äußerte er antisemitisches und rassistisches Gedankengut und drohte Tötungen und Sprengstoffanschläge an. Aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung sei M. laut Gericht vermindert schuldfähig. Es berichten FAZ (Markus Wehner)taz.de (Konrad Litschko) und zeit.de.

BVerfG – Rundfunkbeitrag: Die Rundfunkanstalten ARD, ZDF und Deutschlandradio haben inzwischen Verfassungsbeschwerden gegen die durch Sachsen-Anhalt verhinderte Anhebung des Rundfunkbeitrags beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Nun hat das Gericht für die damit verbundenen Eilanträge den Bundesländern eine nur sehr kurze Frist zur Stellungnahme gesetzt. Wie die SZ (Wolfgang Janisch) eruiert, könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass noch in diesem Jahr mit einer Eilentscheidung zu rechnen sei. Zwar werde das oberste deutsche Gericht die Beitragsanhebung aller Wahrscheinlichkeit nach vorerst nicht selbst anordnen, allerdings habe die Beschwerde ansonsten gute Aussichten auf Erfolg. So habe das BVerfG im Rundfunk-Urteil von 2007 schon einmal die Entscheidungsspielräume der Länder bei der Festlegung der Rundfunkgebühren eingeschränkt.

OLG Frankfurt/M. zu Akteneinsicht im Keller: Es ist unzumutbar, während der Coronapandemie eine Akteneinsicht mit drei Personen nur in einem kleinen, vollgestellten Kellerraum durchzuführen. Dies entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main vergangene Woche. Laut LTO war im konkreten Fall eine GmbH verurteilt worden, einer Gesellschafterin und ihren zwei Bevollmächtigten Akteneinsicht zu gewähren. Die GmbH stellte daraufhin lediglich einen kleinen engen Kellerraum zur Verfügung, weshalb die Vertreter der Gesellschafterin den Termin abbrachen. Gegen das daraufhin vom Landgericht gegen die GmbH verhängte Zwangsgeld auf Bereitstellung eines geeigneteren Raums, legte diese umgehend Beschwerde ein, welche das OLG nun aber abwies.

LG Halle – Tod von Kleinkind: Vor dem Landgericht Halle begann am gestrigen Montag der Prozess gegen einen 30-jährigen Mann, der wegen schweren sexuellen Missbrauchs, Körperverletzung und Mord an einem Zweijährigen angeklagt ist. Die Mutter des Kindes muss sich wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen und fahrlässiger Tötung verantworten. Der kleine Junge war in Folge seiner zahlreichen Verletzungen im Juli gestorben. Die Mutter hatte ihr Kind vor den brutalen Übergriffen des Angeklagten wohl nicht geschützt, um ihre partnerschaftsähnliche Beziehung zu diesem nicht zu gefährden, meldet SZ.

LG Nürnberg zu Mord an Liebhaber: Eine 33-Jährige wurde wegen Anstiftung und versuchter Anstiftung zum Mord und ihr früherer Liebhaber wegen Mordes vom Landgericht Nürnberg zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Nach Berichten von SZ und FAZ stiftete die verheiratete Frau einen ihrer zwei Liebhaber an, den anderen Liebhaber umzubringen, was dieser dann auch tat.

LG Berlin – Abou-Chaker/Bushido: Die FAZ (Julia Schaaf) und Tsp.de (Kerstin Gehrke) schildern, wie vor dem Landgericht Berlin der Rapper Anis Ferchichi alias Bushido weiter als Zeuge vernommen wird. Diesmal geht es um den Tattag, an dem Abou-Chaker ihn eingesperrt, tätlich angegriffen, beleidigt und erpresst haben soll.

Recht in der Welt

Frankreich – Attentat auf "Charlie Hebdo": Am Mittwoch wird das Urteil im Prozess um die islamistischen Terroranschläge auf das Satiremagazin Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt in Paris vom Januar 2015 verkündet. Die FAZ (Michaela Wiegel) schildert den Verlauf des Prozesses, die Hintergründe und Tatmotive der Angeklagten. Der historische Prozess war nicht zuletzt auch mit vielen Hoffnungen verknüpft, wurde aber von erneuten islamistischen Angriffen im September und Oktober diesen Jahres überschattet.

Österreich – Suizidhilfe: Nun berichtet auch LTO über die Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs, in der er das pauschale Verbot der Hilfe zur Selbsttötung für verfassungswidrig erklärte.

Auf FAZ-Einspruch kommentiert Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof die Entscheidung. Assistierter Suizid dürfe in den neuen vom Gesetzgeber nun zu schaffenden Regeln nicht zur gesellschaftlichen Normalität werden und die Freiwilligkeit des Selbsttötungsentschlusses müsse gewährleistet werden.

Polen – EGMR-Besetzung: Da die Amtszeit des polnischen Richters Krzysztof Wojtyczek am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Herbst nächsten Jahres endet, muss die polnische Regierung eine Liste potentieller Nachfolger einreichen, was sie letzte Woche auch tat. In einem Beitrag auf dem Verfassungsblog schreiben die Menschrechtsanwältin Dominika Bychawska-Siniarska und der Menschrechtsanwalt Krzysztof Jarzmus (in englischer Sprache) über den intransparenten Auswahlprozess und die Bedenken bezüglich der von der polnischen Regierung vorgeschlagenen Kandidaten.

Sonstiges

Legal Tech: Das 2014 gegründete Legal Tech-Unternehmen Ross Intelligence kündigte an, sein Geschäft ab 31. Januar 2021 einzustellen. Wie die FAZ (Marcus Jung) erörtert, findet das Start-up wegen eines Rechtsstreits mit Medienkonzern Thomas Reuters vor dem Bundesgericht im US-amerikanischen Delaware keine Geldgeber für weitere Finanzierungsrunden mehr. Reuters wirft Ross vor, Inhalte von dessen Tochtergesellschaft Westlaw abgekupfert zu haben. Ross war ursprünglich von Studierenden der Universität Toronto entwickelt worden, um Wirtschaftsanwälte zu unterstützen.

Aufenthaltsrecht nach dem Brexit: Bevor ab dem 1. Januar 2021 der Übergangszeitraum endet und damit die Regelungen der EU endgültig nicht mehr für britische Staatsangehörige anwendbar sind, erläutert Rechtsanwalt Gunther Mävers auf dem Handelsblatt-Rechtsboard die Aufenthalts- und Arbeitsmigrationsbestimmungen, die im Fall eines Abkommens zwischen der EU und Großbritannien oder im Falle einer fehlenden Einigung gelten sollen.

Druckkündigungen: Rechtsanwältin Sarah Reinhardt-Kasperek schildert in LTO-Karriere, um was es sich bei einer sogenannten Druckkündigung handelt, wann eine solche vorliegt und unter welchen Voraussetzungen eine solch spezielle Kündigung wirksam sein kann.


Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ali

(Hinweis für Journalisten) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 15. Dezember 2020: VW-Klagen nach 2018 verjährt? / Entwurf zum Digital Services-Paket / Kirche als Gebrauchskunst . In: Legal Tribune Online, 15.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43734/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen