Die juristische Presseschau vom 10. Dezember 2020: Letzte Worte im Halle-Pro­zess / Eini­­gung beim Rechts­­staats­­­me­cha­­nismus? / IfSG-Novelle hält vor BayVGH

10.12.2020

Im Halle-Prozess wurden die Schlussplädoyers der Verteidigung gehalten und der Angeklagte hatte das letzte Wort. Gibt es eine Last-Minute Einigung in der EU-Rechtsstaatlichkeitsdebatte? Der neu eingeführte § 28a IfSG hält vor dem BayVGH.

Thema des Tages

OLG Naumburg – Angriff auf Synagoge: In dem Prozess um den Anschlag auf die Synagoge in Halle wurden die Schlussplädoyers der Verteidigung vorgetragen, das letzte Wort hatte dann der Angeklagte Stephan B. Die B. vorgeworfenen zwei Morde, die Volksverhetzung und die Leugnung des Holocausts stellte die Verteidigung nicht in Abrede. Den Angriff auf die Synagoge in Halle wertete sie im Gegensatz zur Bundesanwaltschaft aber nicht als versuchten Mord in 51 Fällen. Die Verteidigung sah hier laut taz (Konrad Litschko/Pia Stendara) einen straflosen Rücktritt vom Versuch. Zudem sei der Angeklagte vermindert schuldfähig. Der Angeklagte nutzte das ihm zustehende letzte Wort zur erneuten Leugnung des Holocaust, woraufhin die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens ihn auf die Strafbarkeit seiner Aussage hinwies und B. schon nach wenigen Minuten das Wort entzog. Die taz schildert den Prozesstag ausführlich und lässt u.a. einige der zur Tatzeit in der Synagoge Betenden zu Wort kommen. Auch in der SZ (Annette Ramelsberger/Antonie Rietzschel) werden auf Seite 3 die Sichtweisen verschiedener Prozessbeteiligter auf den Prozess wiedergegeben. spiegel.de (Beate Lakotta), faz.net und die Welt (Per Hinrichs) berichten ebenfalls. Das Urteil soll am 21. Dezember fallen.

Rechtspolitik

EU-Rechtstaatlichkeit: Im Trilog Deutschland-Polen-Ungarn hat es gerade noch rechtzeitig vor dem zweitägigen Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU eine Einigung gegeben. In einem dreieinhalb Seiten langen Text-Entwurf, der SZ (Karoline Meta Beisel u.a.) und FAZ (Thomas Gutschker u.a.) vorliegt, heißt es unter anderem, der vorgesehene Rechtsstaatsmechanismus werde erst nach einer Prüfung durch den Europäischen Gerichtshof in Kraft treten. Diese "Interpretative Erklärung" müsse nun noch von allen EU-Mitgliedsstaaten sowie dem EU-Parlament angenommen werden, damit der EU-Haushalt der kommenden sieben Jahre verabschiedet werden kann.

Die Zeit (Matthias Krupa) blickt zurück, wie sich aus der reinen Wirtschaftsgemeinschaft die heutige Wertegemeinschaft der EU entwickelt hat und welche Mechanismen zu deren Schutz entstanden.

EU-Verbandsklage: Die Rechtsanwälte Claus Thiery und Sandra Renschke erklären für LTO die nun in der Form einer Richtlinie beschlossene EU-Verbandsklage und grenzen sie dabei insbesondere zur US-amerikanischen Class Action ab. Die neue EU-Verbandsklage als kollektive Klageform soll Verbrauchern den Zugang zur Justiz erleichtern und zu mehr Waffengleichheit führen. Spätestens Mitte 2023 sollen Verbraucher von den neuen Regelungen profitieren können.

Corona-App: In einem Essay in der Welt fordern der Philosoph Julian Nida-Rümelin und der Rechtsprofessor Eric Hilgendorf, eine viel weitergehendere Nutzung einer Corona-App. Wenn es möglich sei, durch digitale Tools, die eine zeitlich befristete Einschränkung des informationellen Selbstbestimmungsrechts beinhalten, die Pandemie so einzudämmen, dass nur ein Bruchteil von Erkrankungen und Todesfälle durch Covid-19 einträte, so wäre ihr Einsatz aus Sicht der Autoren ethisch wie rechtlich gerechtfertigt. Die derzeit bestehenden Datenschutzbedenken müssten (vorübergehend) hintenanstehen.

Paritätsgesetze: Für den Verfassungsblog hat Christine Hohmann-Dennhardt, ehemalige Bundesverfassungsrichterin, die gängigen Argumente für und wider gesetzlich verordneter Parität in den Parlamenten analysiert. Warum die dadurch entstehende Einschränkung der Freiheit von Parteien bei der Kandidatenauswahl unverhältnismäßig, dagegen eine Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz zuwiderlaufende Perpetuierung der Männerbevorzugung gegenüber Frauen tolerabel sein soll, ist für sie jedoch nach wie vor nicht nachvollziehbar.

Justiz

VGH Bayern zu § 28a IfSG: Der neue § 28a Infektionsschutzgesetz (IfSG) ist laut Bayerischem Verwaltungsgerichtshof verfassungsgemäß, wie das Gericht im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens gegen die Neunte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung feststellte. Die in § 28a IfSG geregelten Befugnisse der Infektionsschutzbehörden seien zwar "zum Teil sehr weitgehend und in die Grundrechte der Betroffenen tief eingreifend", ließen den Behörden und Fachgerichten aber genügend Spielraum, um eine verhältnismäßige Anwendung der Regelung im Einzelfall sicherzustellen, berichtet LTO.

BVerfG – Rundfunkbeitrag: Die ARD will noch in diesem Jahr die Verfassungsbeschwerde zum Rundfunkbeitrag beim Bundesverfassungsgericht einreichen, kündigte der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow laut FAZ an. Anlass dafür ist, dass Sachsen-Anhalt die Anhebung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent auf 18,36 Euro blockiert hatte. 

BFH zu studentischer Rechtsberatung: Vor der tatsächlichen studentischen Beratung im Bereich des Steuerrechts könnten sich Gerichte nicht mit der Verfassungsmäßigkeit des Verbots eben dieser studentischen Beratung befassen. Das entschied der Bundesfinanzhof laut LTO (Pauline Dietrich) und verneinte so das Feststellungsinteresse der klagenden Tax Law Clinic Hannover. Diese wird nun also ihre Tätigkeit erst einmal aufnehmen müssen und repressive Maßnahmen der Finanzbehörden abwarten müssen.

OLG Celle zu Prevent versus VW/Skoda: Die VW-Tochter Skoda muss dem früheren Lieferanten Prevent nach der Aufkündigung eines mehrjährigen Vertrags Schadensersatz zahlen, hat das Oberlandesgericht Celle laut FAZ (Christian Müßgens) und LTO entschieden. VW hatte Verträge mit der Firmengruppe nach einem Lieferboykott und heftigen Krach um Konditionen einseitig beendet.

OLG Rostock zu Auftragsvergabe für Corona-Tests: Das Oberlandesgericht Rostock hat laut LTO die Vergabe eines Auftrags zur Testung von Bewohnern und Beschäftigten in Alten- und Pflegeheimen durch das Schweriner Gesundheitsministerium für unwirksam erklärt. Trotz der dringlichen Lage hätte das Land andere Angebote einholen müssen.

LG Kiel – vorgetäuschter Tod: Vor dem Kieler Landgericht hat eine Verhandlung gegen einen 53-Jährigen begonnen, der seinen eigenen Tod auf der Ostsee vorgetäuscht haben soll und sich nun wegen versuchten Betrugs in 14 Fällen verantworten muss. Durch den vorgetäuschten Tod sollten seine Ehefrau und seine Mutter aus insgesamt 14 verschiedenen Lebens- und Unfallversicherungen rund 4,1 Millionen Euro erhalten. Die beiden sollen ihn bei dem Plan unterstützt haben und sind deshalb ebenfalls angeklagt, wie die SZ (Peter Burghardt) berichtet.

LG Frankfurt – Cum Ex/Maple Bank: Das Landgericht Frankfurt lässt die Anklage gegen sechs Banker der Maple Bank sowie zwei frühere Freshfields-Partner zu. Sie sollen Aktiendeals vorbereitet und mit Gutachten abgesichert haben, durch die ein Steuerschaden von mehr als 388 Millionen Euro entstanden ist, wie die FAZ (Marcus Jung) und die SZ berichten. Der Vorwurf lautet auf schwere Steuerhinterziehung. Im bevorstehenden Prozess dürfte nun erstmals die Rolle von an Cum-Ex-Geschäften beteiligten Beratern vor Gericht geklärt werden.

AG Berlin-Tiergarten zu Abdulkadir O.: Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat das Remmo-Clan-Mitglied Abdulkadir O. wegen Sachbeschädigung an den Türen seiner Nachbarn sowie wegen Nötigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 200 Tagessätzen à zehn Euro verurteilt. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet über den Ausgang des Verfahrens, in dem unter anderem auch das Werfen von Eiern und Quark auf benachbarte Balkone verhandelt wurde. Eine Sachbeschädigung sei darin jedoch nicht zu sehen.

GBA – Spionage: Die Bundesanwaltschaft hat laut SZ (Christoph Giesen) das Ermittlungsverfahren gegen den deutschen Ex-Botschafter Gerhard Sabathil eingestellt. Sabathil wurde zeitweilig Spionage für China vorgeworfen. Er hatte dies stets bestritten.

GenStA Düsseldorf – "Colonia Dignidad"-Arzt: Die Ermittlungen gegen Hartmut Hopp, einst Arzt der Sekte "Colonia Dignidad" in Chile, bleiben eingestellt. Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hat sich hinter die Entscheidung der Krefelder Staatsanwaltschaft gestellt und eine Beschwerde gegen deren Einstellung zurückgewiesen, wie ein Behördensprecher laut LTO mitteilte.

Recht in der Welt

USA – Präsidentschaftswahl: Der US Supreme Court wies am Dienstagabend (Ortszeit) einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung zurück, mit der Donald Trump und seine Anhänger den Sieg von Joe Biden im US-Bundesstaat Pennsylvania kippen wollten. Die Richter äußerten sich in ihrem knappen Beschluss nicht zu den Gründen. Trumps Juristen hatten geänderte Gesetze zur Briefwahl beanstandet. Bei LTO und in der SZ (Christian Zaschke) erfährt man zudem über die bereits verlorenen und die noch geplanten Klagen.

USA – Klagen gegen Trump: Nach der Aufhebung der präsidialen Immunität müsse gegen den scheidenden US-Präsidenten Trump unter anderem wegen steuerlichen Ungereimtheiten, aber auch wegen Behinderung der Justiz ermittelt werden. Dafür spricht sich einer der Hauptankläger unter Sonderermittler Robert Mueller, Andrew Weissmann, im Gespräch mit faz.net (Daniel C. Schmidt) aus.

USA – Waffenrecht: Für LTO hat der Volljurist Arne Koltermann die Entwicklungen des Waffenrechts in den USA sowie den Einfluss der National Rifle Association (NRA) darauf dargestellt.

Frankreich – Klage gegen Sarkozy: Wegen Bestechung und unerlaubter Einflussnahme soll der ehemalige Präsident zu vier Jahren Haft, davon zwei auf Bewährung, verurteilt werden. Das forderte laut FAZ (Michaelia Wiegel) die Staatsanwaltschaft. Die Gerichtsverhandlung soll am heutigen Donnerstag mit den Plädoyers der Verteidigung zu Ende gehen.

Juristische Ausbildung

Digitalisierung der Juristenausbildung: Das Examen am Computer hat doch keine so überwältigende Mehrheit der Studierenden und Referendare hinter sich. Dieses und weitere Ergebnisse der diesjährigen sogenannten "Digital Study" zur Digitalisierung der Juristenausbildung stellt LTO Karriere (Marcel Schneider) vor.

Sonstiges

Verfassungsschutz und "Querdenken 711": Der Verfassungsschutz von Baden-Württemberg hat "Querdenken 711" und regionale Ableger der Initiative im eigenen Bundesland zu einem Beobachtungsobjekt erklärt. Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) begründet diesen Schritt mit "hinreichend gewichtigen Anhaltspunkten" dafür, dass die Gruppierung extremistische Bestrebungen verfolge und gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorgehe. Darüber berichten u.a. SZ (Claudia Henzler), faz.net (Rüdiger Soldt) und taz (Benno Stieber).

Ronen Steinke (SZ) begrüßt die Einstufung und verweist darauf, dass sich die sogenannte "Querdenken-Bewegung" als "gigantisches Networking-Event" auch und besonders für (extreme) Rechte entpuppt habe. Auch Reinhard Müller (FAZ) sieht in der Gruppe eine "gefährliche Fusion", bei der sich unter dem Banner der Kritik mehr und mehr Verfassungsfeinde zusammenfänden. Der Antisemitismusbeauftragte Baden-Württembergs, Michael Blume, spricht sich im Interview mit der taz (Benno Stieber) gar für eine bundesweite Beobachtung durch den Bundesverfassungsschutz aus.

Verfassungsschutz und AfD Sachsen: Die Sammlung und vorübergehende Speicherung von Daten über AfD-Abgeordnete durch den sächsischen Verfassungsschutz war nach Ansicht der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) rechtmäßig. Die Daten hätten allerdings später wieder gelöscht werden müssen, berichtet LTO. Das ist das Ergebnis des am Dienstag vorgelegten Abschlussberichtes der PKK, die die Aktivitäten des Verfassungsschutzes kontrolliert.

Corona-Impfstrategie: Im FAZ-Einspruch plädiert Roman Poseck, Präsident des Staatsgerichtshofes Hessen und des Oberlandesgerichts Frankfurt/aM dafür, die Justiz bei der Corona-Impfstrategie stärker zu berücksichtigen. Angesichts der zentralen Rolle der Justiz für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung seien die Bediensteten der Justiz auf eine Stufe mit bereits herausgehobenen Bereichen der sogenannten kritischen Infrastruktur zu stellen.

M&A-Partnerin in Teilzeit: Im Interview mit LTO Karriere (Christian Dülpers) gibt Angelika Kapfer Einblicke in ihr Berufsleben als Partnerin in Teilzeit und wie man dieses Modell mit arbeitsintensiven M&A-Projekten vereinbart.

Das Letzte zum Schluss

Die macht, was ihr gefällt: Der berühmte Ausspruch Pippi Langstrumpfs gilt jedoch nicht für den Verfasser der deutschen Textversion des Liedes "Hey, Pippi Langstrumpf". Wie das Landgericht Hamburg laut spiegel.de entschied, hätte er die Erben Astrid Lindgrens an der Verwertung des Liedes teilhaben lassen müssen und muss nun Schadensersatz zahlen.

 

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lto/jpw

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 10. Dezember 2020: Letzte Worte im Halle-Prozess / Eini­gung beim Rechts­staats­me­cha­nismus? / IfSG-Novelle hält vor BayVGH . In: Legal Tribune Online, 10.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43695/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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