Die juristische Presseschau vom 1. Dezember 2020: Ent­wurf für Home­of­fice-Gesetz / Frei­spruch für Anwalt von erfun­denem Opfer / EuGH zu EU-Haft­be­fehl

01.12.2020

Gesetzentwurf zum Homeoffice soll die Vereinbarung vereinfachen, aber ohne Rechtsanspruch. Der Anwalt eines erfundenen NSU-Opfers wird vom Betrugsvorwurf freigesprochen. EuGH-Urteil zu EU-Haftbefehl betrifft auch deutsche Staatsanwaltschaften.

Thema des Tages

Homeoffice: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat einen Gesetzentwurf zur Möglichkeit des regelmäßigen mobilen Arbeitens in die Ressortabstimmung der Bundesregierung gegeben, den u.a. Hbl (Jan Hildebrand/Frank Specht) und spiegel.de vorstellen. Danach sollen Arbeitnehmende einen entsprechenden Wunsch äußern und mit Arbeitgebenden erörtern können; eine eventuelle Ablehnung von Seiten der Arbeitgebenden müsse spätestens nach zwei Monaten begründet und schriftlich erfolgen. Die Arbeit im Homeoffice solle dabei dem Versicherungsschutz unterfallen und eine Arbeitszeiterfassung stattfinden. Vom ursprünglichen Plan, einen Anspruch auf 24 Tage Homeoffice im Jahr zu schaffen, wenn keine betrieblichen Gründe dagegensprächen, habe Heil indes Abstand genommen. 

Rechtspolitik

BND-Gesetz: SZ (Ronen Steinke) und netzpolitik.org berichten über einen neuen Entwurf des Bundeskanzleramtes für die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Korrektur des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst. Den Entwurf wolle das Bundeskabinett noch im Dezember auf den Weg bringen. Der BND darf bei der sogenannten Auslands-Auslands-Überwachung zwar weiter ausländische Journalistinnen und Journalisten abhören, die Hürden wurden gegenüber dem ersten Entwurf aber erhöht. Erforderlich ist nun, dass die Medienleute selbst Täterin oder Teilnehmer bestimmter schwerer Straftaten sind oder dies notwendig ist zur Verhinderung einer Gefahr für Leib oder Leben, lebenswichtige Güter oder den Bestand eines EU-Staats oder der Nato. Die Abhörpraktiken sollen künftig von einem "Unabhängigen Kontrollrat" aus sechs erfahrenen Juristinnen und Juristen überprüft werden, die von Bundestagsabgeordneten gewählt werden. 

Bundespolizeigesetz: Über die Reform des Bundespolizeigesetzes, auf die sich die Große Koalition am Wochenende verständigt hat, berichten nun auch spiegel.de und zeit.de. Zu den neuen Befugnissen zählt die umstrittene Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) – also das Mitlesen von Nachrichten in verschlüsselten Diensten – wohingegen Onlinedurchsuchungen sowie elektronische Gesichtserkennung nicht vorgesehen sind.

Corona und Geschäftsgrundlage: Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) beabsichtigt nach einem Bericht des Hbl (Heike Anger/Dietmar Neuerer) eine gesetzliche Klarstellung dahingehend, dass Corona-bedingte Beschränkungen in Gewerbemiet- und Pachtverhältnissen regelmäßig eine Störung der Geschäftsgrundlage darstellen. Mit einer entsprechenden Regelung im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch solle eine flexible Vertragsanpassung möglich werden.  

Eizellspende: In einem Gastbeitrag im FAZ-Einspruch fordert die Rechtsreferendarin Christine Straub ein Ende des Verbots der Eizellspende. Der Einwand, dass nur das Verbot die Exklusivität und Statusklarheit hinsichtlich der Mutterstellung garantiere, überzeuge nicht: Schon heute lebten in Deutschland Kinder, die mittels einer im Ausland vorgenommenen Eizellspende gezeugt worden seien und bei denen genau diese vermeintlich abzuwendende Spaltung von genetischer Mutter und Geburtsmutter vorliege. Unter psychosozialen Gesichtspunkten sei dies nicht problematisch, da Studien keine nachhaltigen Auswirkungen einer Eizellspende auf das Kindeswohl ausmachen könnten.

Arbeitsschutz in der Fleischindustrie: Werkverträge in der Fleischindustrie sollen ab Januar 2021 verboten werden, das Verbot von Leiharbeit folgt ab April. Die Einzelheiten dieses Gesetzentwurfs, auf den sich die Große Koalition nun geeinigt habe, stellt beck-community (Markus Stoffels) vor.

Wohnungseigentumsgesetz: In einem Gastbeitrag für die Welt erläutert die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz Rita Hagl-Kehl das am Dienstag in Kraft tretende Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz. Dieses werde etwa den Sanierungsstau bekämpfen, indem für bauliche Veränderungen von Gemeinschaftseigentum künftig die einfache Mehrheit statt drei Viertel aller Eigentümer einer Wohnanlage ausreiche. Auch gestatte es jedem Eigentümer und jeder Eigentümerin den Einbau einer Lademöglichkeit für Elektrofahrzeuge, womit es "regelrecht visionär" sei.

Justiz

LG Aachen zu erfundenem NSU-Opfer: Der Anwalt Ralph W., der vor dem Oberlandesgericht München im NSU-Prozess ein angebliches Opfer vertreten hatte, das es tatsächlich gar nicht gab, ist vom Landgericht Aachen vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen worden. Das Gericht glaubte seiner Einlassung, wonach er selbst auf eine Täuschung hereingefallen sei, als ihm seine angebliche Mandantin von einem tatsächlichen Opfer des Nagelbomben-Anschlags in Köln vermittelt worden sei. Er habe zwar fahrlässig gehandelt und gegen Regeln des Berufsrechts verstoßen, aber nicht vorsätzlich betrogen. Wie SZ (Christian Wernicke), FAZ (Reiner Burger)LTO (Pia Lorenz) und spiegel.de berichten, hatte der Anwalt für den NSU-Prozess mehr als 200.000 Euro aus der Staatskasse bezogen, die er nun in monatlichen Raten zurückzahlt.

EuGH zu Europäischem Haftbefehl: Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, wonach eine niederländische Staatsanwaltschaft einem Europäischen Haftbefehl keine Zustimmung erteilen darf, wird wohl auch auf Deutschland Auswirkungen haben, erklärt LTO (Annelie Kaufmann). Denn deutsche Staatsanwaltschaften seien ebenso wie die niederländischen auch in konkreten Einzelfällen weisungsgebunden und damit mangels Unabhängigkeit keine "vollstreckenden Justizbehörden". Die Rechtsprechung des EuGH könnte gesetzgeberischen Handlungsbedarf auslösen, wird ein Sprecher des Bundesjustizministeriums zitiert. Schon 2019 hatte der EuGH festgestellt, dass deutsche Staatsanwaltschaften keine "ausstellenden Justizbehörden" sind.

EGMR – Klimaklage: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die von sechs jungen Menschen aus Portugal eingereichte Klage gegen Deutschland und 32 weitere vorwiegend europäische Staaten wegen unzureichender Bekämpfung des Klimawandels für besonders dringlich erklärt und die Staaten zur Stellungnahme aufgefordert. Über die überraschende Entscheidung berichten FAZ (Constantin van Lijnden) und LTO.

BVerfG zu Beleidigung: Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Strafurteile wegen Beleidigungen aufgehoben und dabei an den besonderen Schutz von Machtkritik erinnert, berichtet SZ (Wolfgang Janisch). In dem einen Fall hatte ein Mann einem Familienrichter vorgeworfen, er habe bei einer Urteilsverkündung "dämlich gegrinst", im anderen hatte ein Mann einen Beamten bei der Grenzkontrolle entnervt gefragt, ob dieser der deutschen Sprache mächtig sei und einfache Sachverhalte erfassen könne. Das BVerfG sah beides von der Meinungsfreiheit gedeckt, da es den Betroffenen im Kern um eine – wenn auch überzogene – Kritik an staatlichen Entscheidungen und Prozeduren gegangen sei.

BVerfG – Kirchliches Arbeitsrecht: Über eine Tagung der kirchenkritischen Humanistischen Union, die sich mit den neueren Entwicklungen im kirchlichen Arbeitsrecht befasst, berichtet LTO (Christian Rath). Insbesondere ging es um eine Verfassungsbeschwerde der Diakonie gegen eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs von 2018 (Fall Egenberger). Danach sollen Gerichte voll kontrollieren können, ob kirchliche Sozialeinrichtungen für bestimmte Tätigkeiten besondere Anforderungen verlangen dürfen. In dieser Entscheidung sah Rechtsprofessor Christian Waldhoff einen "Übergriff" gegenüber dem Bundesverfassungsgericht, das für derartige kirchliche Entscheidungen nur eine gerichtliche Plausibilitätskontrolle für zulässig hält. Die betroffene Diakonie verlangt nun eine Identitätskontrolle des BVerfG. Die Rechtsprofessoren Christoph Möllers und Bernhard Schlink hielten das bei der Tagung für "abwegig" und "absurd".

BGH zu Anweisung an Richter: Es verstößt nicht gegen die richterliche Unabhängigkeit, wenn der für die Dienstaufsicht zuständige Präsident eines Landgerichts einen Amtsrichter auffordert, politische Meinungsäußerungen in Urteilen zu unterlassen. Dies hat das Dienstgericht des Bundes am Bundesgerichtshof nach Meldung von FAZ entschieden. Dabei ging es um einen Richter, der eine Frau vom Vorwurf der Volksverhetzung freisprach und dies im Urteil auch damit begründete, dass die Entscheidung von Bundeskanzlerin Merkel, "eine bisher nicht bekannte Anzahl von Flüchtlingen unkontrolliert ins Land zu lassen", viel mehr geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören, als der Facebook-Kommentar der Angeklagten. 

Reinhard Müller (FAZ) begrüßt das Urteil: Ein Richter, der in seiner Robe Politik machen wolle, sei in seinem Amt fehl am Platz. 

OLG Frankfurt/M. zu Aufrechnung mit Schiedsspruch: zpoblog.de (Peter Bert) erläutert zwei Entscheidungen des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. zur Frage, unter welchen Voraussetzungen im Verfahren über die Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs die Aufrechnung zulässig ist. Berufe sich eine Partei vor dem staatlichen Gericht zu Recht darauf, dass die einer Aufrechnung zu Grunde liegende bestrittene Forderung ihrerseits einer Schiedsabrede unterliege, dürfe die Aufrechnung im Verfahren über die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs nicht berücksichtigt werden.

LG Bremen – BAMF: Das Landgericht Bremen hat die von der dortigen Staatsanwaltschaft vorgelegte Anklage in der sogenannten BAMF-Affäre um mögliche Straftaten im Zusammenhang mit Asylanträgen in der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge von 121 auf 22 Fälle reduziert. Ein Rechtsanwalt wird u.a. wegen Verleitung zur missbräuchlichen Stellung eines Asylantrags angeklagt, die beurlaubte Leiterin der BAMF-Außenstelle u.a. wegen Vorteilsannahme. Die SZ (Reinhard Bingener) berichtet in diesem Zusammenhang über ein anonymes Schreiben an das Landgericht Bremen, dessen Verfasser mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Kreis der Ermittler stamme und in dem behauptet werde, die Staatsanwaltschaft Bremen habe einseitig zu Lasten der Beschuldigten ermittelt. 

LG Koblenz zu Haustier: Die Tatsache, dass sich eine Person hauptsächlich um ein Haustier gekümmert hat und für die meisten Kosten aufgekommen war, berührt die Eigentümerstellung eines anderen nicht. Dies hat das Landgericht Koblenz in einem Fall entschieden, in dem nach der Trennung zweier Lebenspartner der eine vom anderen die ihm geschenkten Katzen herausforderte. Die Schenkung der Katzen sei allein an den klagenden Lebensgefährten erfolgt, welcher dadurch ungeachtet der sonstigen Umstände Alleineigentümer geworden sei, berichtet LTO

Justiz und Corona: community-beck (Markus Meißner) berichtet von Warnungen des Deutschen Richterbundes vor einer Überlastung der deutschen Justiz in Folge der Corona-Pandemie. So hätte die Justiz allein etwa 20.000 Strafverfahren mit Corona-Bezug zu bewältigen, bei denen es etwa um erschlichene Corona-Hilfen gehe. Verantwortlich sei indes nicht allein die Pandemie, sondern auch die stetig zunehmende Regelungsdichte und der Abschied vom Ultima-Ratio-Grundsatz: Das Strafrecht werde medienwirksam als "Allheilmittel" genutzt, um gesellschaftliche Probleme vermeintlich zu lösen.

Recht in der Welt

Thailand – Majestätsbeleidigung: In Bangkok sind fünf Anführer der dortigen Proteste wegen Majestätsbeleidigung auf die Polizeiwache einbestellt worden. Wie SZ (Arne Perras) erläutert, drohen ihnen bei einer strafrechtlichen Verurteilung bis zu 15 Jahren Haft für jeden einzelnen Vorwurf, obwohl greifbare Kriterien, was jeweils als eine Beleidigung seiner Majestät zu werten sei, nicht bekannt seien. Der Straftatbestand könne ein Werkzeug darstellen, um Andersdenkende einzuschüchtern. 

Frankreich – Filmen der Polizei: Nach heftigen Protesten hat die französische Regierung laut SZ und Welt (Martina Meister) angekündigt, einen umstrittenen Artikel des neuen Sicherheitsgesetzes neu zu formulieren, der das Filmen von Polizeieinsätzen einschränken sollte. Am Wochenende waren landesweit mehr als 100.000 Menschen auf die Straße gegangen, die gegen Polizeigewalt und das Sicherheitsgesetz demonstrierten.

Niederlande – Shell und Klima: In den Niederlanden haben verschiedene Umweltgruppen nach einem Bericht der taz (Susanne Schwarz) den britisch-niederländischen Shell-Konzern verklagt, um ihn zur Einhaltung internationaler Klimaziele zu zwingen. Sie berufen sich auf das im niederländischen Zivilgesetzbuch festgeschriebene Verursacherprinzip, wonach derjenige, der durch unerlaubtes Handeln einen Schaden herbeiführt, diesen auch wieder beseitigen muss. 

USA – Trump: Entgegen der ursprünglichen Hoffnung von Donald Trump wird die US-Präsidentschaftswahl wohl nicht den Weg vor den US-Supreme Court finden. Wie die SZ (Hubert Wetzel) schildert, seien Trumps Klagen vor Bundesgerichten klar gescheitert und die Rechtslage eindeutig, weshalb es unwahrscheinlich sei, dass der Supreme Court sich ihrer annehmen werde.

Sonstiges

"Scraping": Mit der rechtlichen Zulässigkeit des sogenannten "Scrapings", also des Extrahierens und Speicherns von Daten von Websites zu Analyse-Zwecken, beschäftigen sich Amelie Heldt, Matthias C. Kettemann und Paddy Leerssen auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache). Online-Plattformen sollten die Verfügbarkeit von Daten zu Recherchezwecken erleichtern und Regierungen einen klaren rechtlichen Rahmen schaffen. 

Das Letzte zum Schluss

Schleckermaul: In der Adventszeit stehen Süßigkeiten bekanntlich hoch im Kurs. So wurde in Berlin-Köpenick ein mutmaßlicher Ladendieb mit 86 Tafeln Schokolade erwischt, meldet die SZ. Dabei hatte er das Unheil zuvor noch abwenden wollen: Als er bemerkte, dass er einem Ladendetektiv aufgefallen war, versuchte er noch "unauffällig", die Tafeln im gesamten Supermarkt zurück in die Regale zu legen.

 

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lto/mps

(Hinweis für Journalisten)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. Dezember 2020: Entwurf für Homeoffice-Gesetz / Freispruch für Anwalt von erfundenem Opfer / EuGH zu EU-Haftbefehl . In: Legal Tribune Online, 01.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43586/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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