Die juristische Presseschau vom 26. November 2020: Keine Ver­ant­wor­tung für US-Drohnen / JuMiKo beginnt / Schla­fende Schöffen

26.11.2020

Deutschland hat laut BVerwG keine Schutzpflicht für Ziele von US-Drohnen, die von Ramstein aus gesteuert werden. Die Video-Justizministerkonferenz beginnt. Langwieriger Prozess muss wegen schlafendem Schöffen neu beginnen. 

Thema des Tages

BVerwG zu US-Drohnen und Ramstein: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Klage dreier Jemeniten gegen die Bundesregierung abgewiesen und das anderslautendes Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster abgeändert. Die drei Kläger forderten, die Bundesregierung müsse sicherstellen, dass die vom Luftwaffenstützpunkt Ramstein aus gesteuerten Einsätze von US-Kampfdrohen im Jemen mit dem Völkerrecht in Einklang sind. Laut BVerwG hat Deutschland zwar prinzipiell eine grundrechtliche Schutzpflicht für Ausländer im Ausland, allerdings gelten dafür bestimmte Voraussetzungen. Diese lägen im konkreten Fall nicht vor, da die Einsatzentscheidungen für die US-Drohnen nicht auf deutschem Boden stattfänden. Und selbst wenn eine Schutzpflicht bestünde, hätte die Bundesregierung genug zu ihrer Erfüllung getan, indem sie in Konsultationen mit den USA eingetreten sei und dort auch rechtliche Fragen zu den Drohneneinsätzen thematisiert habe. Wegen des außenpolitischen Schadens habe sie nicht den Nutzungsvertrag für Ramstein kündigen müssen. Die Kläger können noch vor das Bundesverfassungsgericht und eventuell auch vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ziehen. Es berichten sz.de (Wolfgang Janisch), faz.net (Marlene Grunert) und spiegel.de.

Rechtspolitik

JuMiKo: An diesem Donnerstag und dem morgigen Freitag findet – per Video – die Justizministerkonferenz statt. Dabei wird es neben Legal Tech oder kürzeren Ersatzfreiheitsstrafen auch grundsätzlicher um die Zusammenarbeit vom Bundesjustizministerium (BMJV) mit den Ländern gehen. Laut LTO (Annelie Kaufmann) kritisieren die Justizministerinnen, das BMJV verschicke viele Gesetzesentwürfe nur mit viel zu kurzen Stellungnahmefristen. Zudem befasse sich der Bundestag mit Gesetzesentwürfen der Länder häufig nicht, sondern verschleppe diese und "unterhöhle so das Gesetzesinitiativrecht des Bundesrates". In einer Beschlussvorlage des Bayerischen Justizministeriums fordert dieses ferner, die Beteiligung des Bundes an den Kosten für aufwendige Verfahren in Staatsschutzsachen, wie dem NSU-Prozess.

JuMiKo – Mutterschutz im Vorstand: Bei der Justizministerkonferenz wird auch über den Vorschlag einiger Bundesländer diskutiert, die eine Reform des Gesellschaftsrechts anstoßen wollen, um Mutterschutz für Frauen in Vorständen und der Geschäftsführung einzuführen. Anders als Arbeitnehmerinnen können Frauen in Vorstandspositionen nach dem derzeitigen Gesellschaftsrecht ihr Amt in und nach der Schwangerschaft nicht ruhen lassen, ohne sich Haftungsrisiken auszusetzen. Wie LTO (Tanja Podolski) erläutert, ist ein solcher Vorstoß nicht unumstritten.

Kohleausstieg: Die EU-Kommission hat die beihilferechtliche Genehmigung für die im Kohleausstiegsgesetz vorgesehenen Entschädigungszahlungen für Steinkohlekraftwerkbetreiber erteilt. Damit können wie geplant noch dieses Jahr die ersten Kohlekraftwerke vom Netz genommen werden. Für die Braunkohle sieht das Gesetz ein anderes Entschädigungsmodell vor, bei welchem die Kommission noch die Höhe der Entschädigungen prüfen will. Es berichten die FAZ (Manfred Schäfers) und das Hbl (Klaus Stratmann).

Rechtsausschuss-Anhörungen: Linke, Grüne und FDP beantragen laut LTO erneut, dass Anhörungen des Rechtsausschusses des Bundestages per Livestream übertragen werden, wie das bei anderen Ausschüssen üblich ist. Bisher war dies immer abgelehnt worden, wegen Corona halten die Antragstellenden jedoch eine neue Bewertung für erforderlich.

Corona-Impfung: In einem Interview mit LTO (Hasso Suliak) erläutert Staatsrechtler und Ethikrat-Mitglied Steffen Augsberg die unter anderem vom Deutschen Ethikrat veröffentlichte Empfehlungen zur Verteilung des Covid-19-Impfstoffs. Außerdem äußert er Verwunderung darüber, dass es bisher keine ausreichende gesetzliche Regelung zur Impfverteilung gebe und drängt dabei auf eine frühzeitige Beteiligung der Legislative.

EU-Rechtsstaatlichkeit: Polen und Ungarn blockieren seit letzter Woche den politischen Entscheidungsprozess für das EU-Finanzpaket, da sie nicht mit dem neuen Verfahren zur Ahndung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit einverstanden sind. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderte laut SZ und LTO die beiden Länder nun auf, bei Zweifeln an dem Rechtsstaatsmechanismus vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen, ihre Blockade gegen den Finanzpakt aber aufzugeben. Dieser enthält unter anderem die milliardenschweren Corona-Konjunkturhilfen.

Justiz

BGH zu schlafendem Schöffen: Ein langwieriger Strafprozess am Landgericht (LG) Kassel muss nochmal von vorn beginnen, da bei der Verlesung der Anklage einer der Schöffen schlief. Das entschied der Bundesgerichtshof bereits Mitte Oktober, wie aus dem nun veröffentlichten Beschluss hervorgeht. Die Verlesung der Anklageschrift war nicht wiederholt worden, obwohl ein Verteidiger den Richter auf das Versäumnis des Schöffen aufmerksam gemacht hatte. Laut spiegel.de und LTO ist dies nicht der erste Prozess, der wegen eines schlafenden Laienrichters erneut verhandelt werden muss.

BVerfG zu Rassismus im Betrieb: Die Begründung des am Dienstag veröffentlichten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur arbeitsrechtlichen Kündigung eines Arbeitnehmers wegen der rassistischen Äußerung von Affenlauten gegen einen Kollegen erörtern nun auch Doktorandin Annika Fischer-Uebler und der Wissenschaftliche Mitarbeiter Felix Thrun auf Verfassungsblog sowie Rechtsprofessor Markus Stoffels auf beck-community. Das BVerfG hatte bestätigt, dass die rassistische Äußerung eine fundamentale Herabwürdigung darstellte und deshalb die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt war.

BVerfG zu Offshore-Windenergieanlagen: Der Wissenschaftliche Mitarbeiter Nikolas Klausmann stellt auf JuWissBlog die rechtlichen und energiewirtschaftlichen Zusammenhänge des Bundesverfassungsgerichts-Beschlusses zum Gesetzes zur Entwicklung und Förderung der Windenergie auf See (WindSeeG) von Juni dieses Jahres dar. Das Gericht hatte darin entschieden, dass Teile des WindSeeG gegen den in der Verfassung verankerten Vertrauensschutz verstoßen.

BSG zu Sozialversicherungspflicht: Niederlassungsleiterinnen sind sozialversicherungspflichtig, auch wenn sie als stille Gesellschafter an eben jenem Unternehmen beteiligt waren. So entschied das Bundesozialgericht am Dienstag und gab damit der Vorinstanz recht. Es liege anders als von den Klägern angenommen keine selbständige Tätigkeit vor. Beck-aktuell (Joachim Jahn) berichtet.

BayVerfGH zu Corona-Einreisequarantäne: Die von Mitte April bis Mitte Mai dieses Jahres geltende bayerische Quarantäne-Verordnung für Einreisende aus dem Ausland war laut einer Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs verfassungsgemäß. Damit wies das Gericht die Popularklage als zulässig, aber unbegründet ab. Die vom Antragsteller vorgebrachte Willkür liege nicht vor. LTO erläutert die Urteilsbegründung.

OVG Bremen zu Polizeikosten bei Hochrisikospielen: Die Deutsche Fußball Liga (DFL) muss die zusätzlichen Polizeikosten für Hochrisikospiele tragen. Das hatte das Bundesverwaltungsgericht bereits im Frühjahr in einem Grundsatzurteil beschlossen. Das Oberverwaltungsgericht Bremen hatte sich noch mit der Frage zu befassen, wie die Kosten gegenüber den Störern abzurechnen wären und stellte nun fest, dass die DFL als Veranstalterin mit den Störern als Gesamtschuldnerin haftet. Es berichtet LTO.

LG Hamburg zu tödlichem Autounfall: Wegen fahrlässiger Tötung, Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung hat das Landgericht Hamburg einen 23-jährigen Autofahrer zu einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Ein 20-jähriger Fahrer wurde freigesprochen. SZ und spiegel.de berichten, dass zunächst der Verdacht bestand, die Männer hätten sich an einem illegalen Autorennen mit Todesfolge beteiligt, welcher sich im Laufe der Verhandlung aber nicht bestätigte.

LG Bremen zu Volksverhetzung durch Pastor: Weil er in einem auf YouTube veröffentlichten Vortrag Homosexuelle als Verbrecher bezeichnete, wurde der streng konservative Pastor Olaf Latzel vom Amtsgericht Bremen wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Wie taz-Nord (Benno Schirrmeister), die FR (Eckhard Stengel) und spiegel.de schreiben, hat die Bremische Evangelische Kirche gegen den Theologen bereits ein Disziplinarverfahren eingeleitet. 

StA Erfurt – Immunität Ramelow: FAZ (Stefan Locke) und SZ melden, die Staatsanwaltschaft Erfurt habe wegen des Vorwurfs der Beleidigung beantragt, die Immunität von Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) aufzuheben. Ramelow hatte den AfD-Abgeordneten Stefan Möller im Landtag Mitte Juli als "widerlichen Drecksack" bezeichnet und ihm den Mittelfinger gezeigt, woraufhin Möller Strafanzeige erstattete. Ramelow selbst hat die Abgeordneten des Immunitätsausschusses im Landtag bereits um Zustimmung zur Aufhebung seiner Immunität gebeten.

Recht in der Welt

Türkei – EGMR zu Journalistenhaft: Der türkische Investigativjournalist Ahmet Sik hätte in der Türkei nicht inhaftiert werden dürfen. Das entschied laut LTO der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Es liege ein Verstoß gegen Siks Rechte auf Freiheit und Sicherheit und freie Meinungsäußerung vor. Für die Haft soll die Türkei dem Journalisten 16.000 Euro Entschädigung zahlen. Sik war 2016 wegen des Vorwurfs der Terrorpropaganda inhaftiert und erst 2018 entlassen worden.  

Frankreich – Klima-Urteil: Auf dem Verfassungsblog schreibt der Doktorand Nathan de Arriba-Sellier (in englischer Sprache) über das Grundsatzurteil des obersten französischen Verwaltungsgerichts zur Pflicht Frankreichs, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und vergleicht dies mit dem niederländischen Urteil zur Urgenda-Klimaklage.

Thailand – Majestätsbeleidigung: Monarchen von Thailand dürfen nicht beleidigt werden. So regelt es der Strafrechtsparagraph 112 gegen Majestätsbeleidigung. SZ (Arne Perras) und taz (Nicola Glass) berichten, dass bei Verstoß gegen die Norm bis zu 15 Jahre Haft drohen. Während der derzeit anhaltenden Proteste in Thailand dient das Gesetz als Abschreckungsinstrument gegen Regimekritikerinnen.

Sonstiges

Wirecard-Untersuchungsausschuss: Mitarbeitende der Wirtschaftsprüfergesellschaft EY, die sich schon vor ihrem Erscheinen im Untersuchungsausschuss zum Wirecard-Skandal auf ihre Schweigepflicht berufen haben, wurden von zwei Vorständen von Wirecard der Schweigepflicht entbunden. Es ist aber rechtlich weiterhin unklar, ob sie am heutigen Donnerstag im Ausschuss aussagen müssen, so LTO und FAZ (Georg Giersberg). EY strebt deshalb an, die Frage nach der Rechtsgültigkeit von der Verschwiegenheitspflichtbefreiung vor dem Bundesgerichtshof zu klären. Zehn Jahre lang war EY Wirtschaftsprüfer des Zahlungsdienstleisters Wirecard.

Das Hbl (Thomas Sigmund/Felix Holtermann) berichtet als Thema des Tages, dass inzwischen auch gegen die Wirtschaftsprüfer von EY wegen verschiedener Verstöße gegen die Berichtspflichten ermittelt werde. Die Wirtschaftsprüferaufsicht Apas habe Vorwürfe gegen die für Wirecard tätigen Bilanz-Prüfer von EY an die Generalstaatsanwaltschaft in Berlin übermittelt.

Whistleblower: In einem Interview mit der ZEIT (Heinrich Wefing) diskutiert Bürgerrechtler Malte Spitz über den unzureichenden Schutz von Whistleblowern in Deutschland und der EU.

Rechtsextremismusstudie: Der Polizeibeamte Udo Behrendes schildert in der ZEIT-Rubrik "Verbrechen" warum es seiner Meinung nach keiner Rechtsextremismusstudie innerhalb der Polizei bedürfe. Die Ursachen des Problems seien doch hinreichend bekannt, es müsse nun konkret überlegt werden, wie den Fehlentwicklungen innerhalb der Polizei entgegengewirkt werden könne.

Gewalt gegen Frauen: Da viele Richter und Richterinnen überfordert sind, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht, hält der Deutsche Juristinnenbund (djb) Fortbildungen für Juristen in diesem Bereich für dringend notwendig. Nur so könne erkannt werden, dass es für die Bewertung einer Tat keine Rolle spielen kann, ob ein Paar vorher eine sexuelle Beziehung hatte, erläutert tagessschau.de (Gigi Deppe) den Vorschlag des djb.

Legal Design Thinking: Wie der Zivilprozess der Zukunft aussehen könnte, digitalisiert und bürgernäher, beschreiben Richterin Sina Dörr und Rechtsanwältin Alisha Andert auf LTO

Geheimdienste-Sonderermittler: Am gestrigen Mittwochabend beriet das geheim tagende Parlamentarische Geheimdienst-Kontrollgremium über den Entwurf eines Abschlussberichts des Sonderermittlers Arne Schlatmann. Daraus geht nach ausführlichen Berichten von SZ (Martin Kaul/Ronen Steinke) und taz (Christina Schmidt/Sebastian Erb) unter anderem hervor, dass die Bundeswehr ihr Rechtsextremismusproblem nicht unter Kontrolle habe und auch innerhalb der Polizei "einzelnen Beschäftigte mit rechtsextremistischem – auch gewaltorientiertem – Gedankengut" tätig sind. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) und der Verfassungsschutz würden nicht systematisch genug dagegen vorgehen.

 

 

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lto/ali

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 26. November 2020: Keine Verantwortung für US-Drohnen / JuMiKo beginnt / Schlafende Schöffen . In: Legal Tribune Online, 26.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43546/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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