Die juristische Presseschau vom 17. November 2020: Ungarn und Polen blo­ckieren EU-Corona-Hilfen / Lübcke-Witwe sagt aus / Aus­kunft über Hin­ter­grund­ge­spräche

17.11.2020

Aus Protest gegen den Rechtsstaatsmechanismus blockieren Ungarn und Polen den EU-Haushalt. Die Witwe von Walter Lübcke bittet die Angeklagten um Aufklärung. Journalist muss Auskunft über Hintergrundgespräche der Bundeskanzlerin erhalten. 

Thema des Tages

EU-Rechtsstaatlichkeit: Ungarn und Polen haben am Montag das 1,8 Billionen Euro schwere Corona-Finanzpaket der EU für die kommenden Jahre blockiert. Sie protestieren hiermit gegen den neuen Rechtsstaatsmechanismus, der Zahlungen von EU-Geldern an rechtsstaatliche Prinzipien knüpft. Dies berichten SZ (Björn Finke/Matthias Kolb), FAZ (Hendrik Kafsack/Thomas Gutschker), Hbl (Hans-Peter Siebenhaar), Welt (Tobias Kaiser) und LTO.

Björn Finke (SZ) sieht in der Blockade einen "Ritterschlag" für den Rechtsstaatsmechanismus. Sich nun den beiden Erpressern zu beugen, sei keine Option. Auch Hans-Peter Siebenhaar (Hbl) sieht in dem Verhalten eine "Geiselnahme Europas." Thomas Gutschker (FAZ) fordert die EU-Staaten auf, konsequent bei ihrer Linie zu bleiben.

Rechtspolitik

Corona – Infektionsschutzgesetz: Über die geplanten Änderungen an der Reform des Infektionsschutzgesetzes berichten nun auch FAZ (Alexander Haneke), taz (Christian Rath) und LTO (Hasso Suliak). Mit den Änderungen solle auf die Kritik von Staats- und Verfassungsrechtlern bei der Sachverständigenanhörung in der letzten Woche reagiert werden. Zu den Änderungen gehört, dass Gästelisten von Restaurants nur für die Seuchenbekämpfung (und nicht für polizeiliche Zwecke) benutzt werden dürfen. Für Eingriffe in Versammlungs- und Religionsfreiheit gelten besonders hohe Hürden. Auch solle eine "soziale Isolation" bestimmter Gruppen ausgeschlossen sein. Corona-Verordnungen sollen begründet und befristet werden.

Thomas Tuma (Hbl) sieht in der Corona-Krise die Stunde des Parlamentes gekommen und rät den Parlamentariern, aktiv mitzumachen und den Bundestag als Bühne des Einander-Zuhörens zu verstehen.

Corona – Parteirecht: In einem Gastbeitrag für die Welt begründet die promovierte Juristin Anna von Notz ihre Auffassung, dass es für einen digitalen Parteitag keine Gesetzesänderung brauche. Die Parteien selbst könnten bestimmen, ob sie einen solchen durchführen möchten und nach welchen Regeln sie die Wahlen ermöglichen möchten. 

Geschäftsgeheimnis: Die Grundlagen des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen erklärt Rechtsanwältin Anja Mengel auf LTO. Ein Geschäftsgeheimnis sei danach eine im Unternehmen nicht allgemein bekannte oder zugängliche Information, die von dem Inhaber mit angemessenen Maßnahmen in berechtigter Weise geheim gehalten werde. Es empfehle sich, ein unternehmensweites Schutzkonzept zu erstellen, das digitale Maßnahmen wie den Passwortschutz mit analogen Maßnahmen wie der gesonderten Lagerung von Papierunterlagen kombiniere.

Justiz

OLG Frankfurt/M. – Mord an Walter Lübcke: Im Prozess um die Ermordung des ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat seine Witwe, Irmgard Braun-Lübcke, ausgesagt. Dabei sprach sie die beiden Angeklagten an und bat sie eindringlich darum, Fragen zu den letzten Minuten ihres Mannes zu beantworten. SZ (Annette Ramelsberger), FAZ (Marlene Grunert), zeit.de (Martín Steinhagen) und spiegel.de (Julia Jüttner) schildern den emotionalen Tag im Gericht.  

VG Berlin zu Hintergrundgesprächen: Das Bundeskanzleramt ist verpflichtet, einem Pressevertreter Auskunft über sogenannte Hintergrundgespräche zu geben, die Vertreter des Bundeskanzleramts unter Vereinbarung der Vertraulichkeit mit Journalisten führen. Dies hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden und damit dem Journalisten Jost Müller-Neuhof (Tsp) Recht gegeben, der wissen wollte, welche Hintergrundgespräche im Jahr 2016 wann mit welchen Teilnehmern zu welchem Thema stattfanden. Einem presserechtlichen Auskunftsanspruch des Journalisten aus Artikel 5 Grundgesetz stünden keine Interessen öffentlicher Stellen oder Privater an der Vertraulichkeit dieser Informationen entgegen. Es berichten der Tsp (Jost Müller-Neuhof) und LTO.

Im Interview mit taz.de (Christian Rath) sagt der Kläger Jost Müller-Neuhof: "Es muss für die Öffentlichkeit erkennbar sein, wenn die Kanzlerin von ihr ausgewählte Medien mit Regierungsinformationen versorgt, die diese dann als eigene Recherche verbreiten, ohne die wahre Quelle zu nennen."

BVerwG zu DIHK: Hbl (Frank Specht) berichtet über ein Gutachten des Rechtsprofessors Winfried Kluth, das sich mit den Voraussetzungen für Meinungsäußerungen von Handwerkskammern beschäftigt. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Oktober, das einem Kläger Recht gegeben hatte, der sich an allgemeinpolitischen Äußerungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertag gestoßen hatte. Das Gutachten betone, dass Äußerungen sicherzustellen hätten, dass Minderpositionen oder abweichende Meinungen angemessen berücksichtigt würden. 

EuGH – Urheberrecht/Upload-Filter: Auf dem Verfassungsblog schildert Julia Reda (in englischer Sprache) eine Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof in der letzten Woche, bei welchem es um die Vereinbarkeit von Artikel 17 der EU-Urheberrechtsrichtlinie mit der EU-Grundrechtecharta ging. Dabei ging es um die Frage, ob die Richtlinie eine faktische Verpflichtung zur Verwendung von Upload-Filtern schaffe und dies das Recht auf Meinungsfreiheit verletze. Das für den April 2021 angekündigte Urteil werde jedoch zu spät kommen: Bis dahin sei die Frist zur nationalstaatlichen Umsetzung der Richtlinie bereits abgelaufen.

EGMR zu JVA-Leibesvisitation: Die Verurteilung Deutschlands vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen anlassloser routinemäßiger Leibesvisitationen in der Justizvollzugsanstalt Straubing erläutert die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Eva Neumann auf dem Verfassungsblog. Die Entscheidung zeige insbesondere, dass der deutsche Amtshaftungsanspruch mit seinem Verschuldenserfordernis und seiner restriktiven Handhabung bei der Verletzung immaterieller Rechtsgüter den Grundrechtsschutz nicht immer ausreichend gewährleisten könne.

BVerfG zu Cum-Ex-Prozess und Corona: Wie FAZ (Marcus Jung) berichtet, ist der im zweiten Cum-Ex-Prozess vor dem Landgericht Bonn angeklagte Christian S. mit einem Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Mit diesem habe der 77-Jährige versucht, den Prozessbeginn am Dienstag mit Berufung auf die Corona-Pandemie zu verhindern. Christian S., der mehr als zwanzig Jahre lang für die Hamburger Privatbank M.M. Warburg arbeitete, wird besonders schwere Steuerhinterziehung in 13 Fällen vorgeworfen, es geht um einen Schaden von 325 Millionen Euro. 

BSG-Präsident zu Corona: Im Interview mit der FAZ (Heike Göbel) spricht der Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, über die rechtliche Bewältigung der Corona-Pandemie, etwa durch Ausweitung des Kurzarbeitergeldes und den erleichterten Zugang zur Grundsicherung. Wichtigste Aufgabe des Gesetzgebers nach der Bundestagswahl sei die Reform der Altersvorsorge und die Konsolidierung des Gesundheitssystems. Schlegel gibt darüber hinaus auch zu bedenken, ob die gesetzliche Krankenversicherung künftig von der Beitragsfinanzierung auf eine Steuerfinanzierung umgestellt werden solle.

OVG NRW zu Corona und Fußball: Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat im Eilverfahren das Verbot des Freizeit- und Amateursports in der dortigen Corona-Schutzverordnung bestätigt, berichtet LTO. Sport mit mehreren Personen sei auch im Freien nach wie vor ein Infektionsrisiko. Außerdem würde das Öffnen von Vereinssport automatisch auch wieder zu vermehrten Sozialkontakten führen. 

LG Frankfurt/M. zu Corona und Mietminderung: Die staatlich verordnete Schließung eines Einzelhandelsgeschäftes im Zuge der Corona-Pandemie stellt keinen Mangel dar und rechtfertigt keine Mietminderungen, hat das Landgericht Frankfurt/M. laut LTO entschieden. Denn die Ursache der Schließung liege nicht in dem Mietobjekt selbst begründet, sondern an der allgemeinen Infektionsgefahr durch Publikumsbetrieb. Auch eine Störung der Geschäftsgrundlage komme nicht in Betracht, da ein vorübergehender finanzieller Engpass nicht für die Annahme einer Existenzbedrohung ausreiche. 

VG Gießen zum Danneröder Forst: Das Verwaltungsgericht Gießen hat laut LTO die Klage eines Aktivisten im Danneröder Forst abgewiesen, der das Polizeipräsidium dazu verpflichten wollte, die dortigen Rodungsarbeiten zu seinem Schutz aufzuhalten. Das Gericht befand demgegenüber, dass der Aktivist selbst der Gefahrverursacher sei, der sich in den Gefahrenbereich der Fällarbeiten begebe, nicht die mit den Rodungsarbeiten betraute Firma. 

StA Gießen – Danneröder Forst/Polizeieinsatz: Die Staatsanwaltschaft Gießen hat Ermittlungen gegen einen Polizeibeamten aufgenommen, der durch das Kappen eines Seils dafür verantwortlich gewesen sein soll, dass eine Baumbesetzerin im Dannenröder Forst etwa fünf Meter tief stürzte und schwer verletzt wurde. Es bestehe der Anfangsverdacht der fahrlässigen Körperverletzung im Amt, für ein vorsätzliches Handeln bestünden hingegen keine Hinweise. Es berichten die taz (Christoph Schmidt-Lunau) und zeit.de

LG Düsseldorf zu Kunstfälschung: Das Landgericht Düsseldorf hat einer Käuferin Recht gegeben, die ein angebliches Werk des Künstlers Günther Uecker nach dem Kauf für eine Fälschung hielt. Das Gericht bejahte einen Anspruch auf Rückabwicklung, nachdem der Künstler selbst vor Gericht aufgetreten war und ausgesagt hatte, das Werk nicht zu kennen. Es berichtet die SZ.

Kia Vahland (SZ) begrüßt das Urteil: Es weise alle Händler in ihre Schranken, die ihre Ware nicht gründlich genug prüften.

Wiederaufnahmeverfahren: deutschlandfunkkultur.de (Peggy Fiebig) berichtet ausführlich über die Praxis der Wiederaufnahme von Strafverfahren in Deutschland. Ein neues Forschungsprojekt wolle durch die Auswertung von 750 Akten von Wiederaufnahmeverfahren Fehlerquellen für Fehlurteile ausmachen. Grundsätzlich bestünden hohe Hürden für ein Wiederaufnahmeverfahren, die es im Zusammenspiel mit anderen prozessualen Regelungen schwierig machen könnten, Fehlurteile zu verhindern oder zu korrigieren.  

Recht in der Welt

Frankreich – Polizeivideos: Die taz (Rudolf Balmer) berichtet über ein in Frankreich debattiertes Gesetzesvorhaben, das das Verbreiten von Videos von öffentlich intervenierenden uniformierten Ordnungskräften verbiete. Verschiedene Organisationen und Journalistengewerkschaften kritisierten den Vorstoß, da viele Fälle von Polizeigewalt nur dank Videos von Augenzeugen überhaupt der Öffentlichkeit bekannt geworden seien.

Sonstiges

Femizide: Die taz (Patricia Hecht) berichtet über die Forderung der Linksfraktion im Bundestag, Tötungen von Frauen im Kontext geschlechtsbezogener Gewalt genauer zu untersuchen. Dabei geht es auch um die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der bei Trennungstötungen die Annahme von niedrigen Beweggründen verneint, wenn "die Trennung vom Tatopfer ausgeht und der Angeklagte sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren wolle." Der Deutsche Juristinnenbund habe vor dem Hintergrund der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen eine Abkehr von dieser Rechtsprechung gefordert. In einem weiteren Bericht erläutert die taz (Carolina Schwarz) die Forderung der Landesjustizminister der Grünen, frauenfeindlich motivierte Straftaten insgesamt als solche zu benennen und bundeseinheitlich zu erfassen.

Datentransfers: Im FAZ-Einspruch erläutert Rechtsanwalt Nikolaus Bertermann die Empfehlungen des Europäischen Datenschutzausschusses (EDSA) zu der Frage, wie Unternehmen mit Datentransfers in Länder außerhalb der EU umgehen sollen. 

Das Letzte zum Schluss

Mit Alles: 40 Kilogramm bringt ein Dönerspieß auf die Waage und ist deshalb nicht leicht unauffällig mit dem Fahrrad zu transportieren. So fiel ein 34-Jähriger in Krefeld den Streifenpolizisten auf, der beides gestohlen hatte: Fahrrad und Spieß. Der Mann wurde vorläufig festgenommen, das Diebesgut beschlagnahmt, schreibt spiegel.de

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mps

(Hinweis für Journalisten)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 17. November 2020: Ungarn und Polen blockieren EU-Corona-Hilfen / Lübcke-Witwe sagt aus / Auskunft über Hintergrundgespräche . In: Legal Tribune Online, 17.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43443/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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