Die juristische Presseschau vom 10. November 2020: Rich­t­er­schelte nach Corona-Demo / Düs­sel­dorfer Mas­kenpf­licht auf­ge­hoben / Trumps Klagen schei­tern

10.11.2020

Nach der eskalierten "Querdenken"-Demo in Leipzig mehrt sich die Kritik am OVG Bautzen, das die Kundgebung in der Innenstadt zuließ. Nach einem Gerichtsurteil hebt Düsseldorf die allgemeine Maskenpflicht auf. Trump scheitert vor Gericht.

Thema des Tages

OVG Bautzen zu Corona-Demonstration: Reinhard Müller (FAZ) kritisiert im Leitartikel die Entscheidung des sächsischen Oberverwaltungsgerichtes, welche eine Demonstration der sogenannten "Querdenker"-Bewegung in der Leipziger Innenstadt am Wochenende zuließ. Die zugelassenen 16.000 Teilnehmer hätten sich auf dem Leipziger Augustusplatz unmöglich unter Corona-Bedingungen aufhalten können – diese Fehleinschätzung des OVG könne auch nicht mit dessen Sitz in Bautzen erklärt werden, da dort kaum einer der Richter lebe. Die Kritik teilt der emeritierte Rechtsprofessor Thomas Feltes in einem Artikel auf Verfassungsblog. Es sei von Anfang an klar gewesen, dass auf der Versammlung die Einhaltung und Kontrolle von Infektionsschutzauflagen unmöglich sei. 

Die taz (Michael Bartsch) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Vorsitzende Richter Matthias Dehoust, der mit dem sechsten Senat des OVG für Fragen des Versammlungsrechts zuständig sei, als Herausgeber einen "coronaleugnerischen Artikel" verantwortet habe. In der jüngsten Ausgabe der Sächsischen Verwaltungsblätter, deren dreiköpfiger Redaktion Dehoust angehöre, sei ein Artikel des Rechtsanwalts Dirk Wüstenberg erschienen, in dem es hieß, die Krankheit Covid-19 sei "im Vergleich mit der gewöhnlichen Grippe keine schlimmere" Krankheit. 

Ronen Steinke (SZ) kritisiert die uneinheitliche Linie von Behörden und Justiz zu Versammlungen während der Corona-Pandemie. Sie würden mal verboten, mal könnten sie mit Auflagen stattfinden: Es regiere der Zufall. Der Gesetzgeber solle eingreifen.

Rechtspolitik

e-Privacy-Verordnung: netzpolitik.org (Alexander Fanta/Ingo Dachwitz) berichtet über den Vorschlag der deutschen Ratspräsidentschaft zur e-Privacy-Verordnung, welche die Privatsphäre in der digitalen Kommunikation schützen solle. Sie solle es leichter machen, sich gegen Cookies und andere Tracking-Techniken zu wehren, und solle Privatsphäre zur Standardeinstellung in Browsern werden lassen. Verbraucherverbände würden den Vorschlag als gangbaren Weg akzeptieren.

Digitale Wertpapiere: Florian Glatz (Hbl) lobt den deutschen Entwurf eines Gesetzes für elektronische Wertpapiere. Er sei innovativ, indem er etwa die Anwendbarkeit des Sachenrechts auf rein immaterielle Güter erprobe. Der Vorschlag der Europäischen Kommission hingegen sei abzulehnen, u.a. weil er für Anbieter auf dem Erfordernis einer eingetragenen Rechtsform beharre.

Justiz

VG Düsseldorf zu Maskenpflicht: Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat einem Kläger Recht gegeben, der sich gegen die dortige Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung gewandt hatte. Die entsprechende Allgemeinverfügung sei zu unbestimmt formuliert, es sei für den Bürger nicht erkennbar, wo und wann er der Maskenpflicht unterliege. Vielmehr müsse er anhand der unbestimmten Begriffe "Tageszeit, räumliche Situation und Passantenfrequenz" selbst über das Vorliegen einer Situation entscheiden, in der ein Begegnungsverkehr "objektiv ausgeschlossen" sei. Wie FAZ (Reiner Burger), SZ und LTO (Tanja Podolski) berichten, hat die Stadt Düsseldorf in Reaktion die Allgemeinverfügung aufgehoben und eine überarbeitete Version angekündigt.

VG Frankfurt/M. zu Maskenpflicht: In Frankfurt/M. bleibt die Allgemeinverfügung zur Maskenpflicht nach einem Beschluss des dortigen Verwaltungsgerichts im Eilrechtsschutz zunächst bestehen. Zwar hatte die Kammer hier Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage, sie sah es aber aus "übergeordneten Gründen des Gemeinwohls" als geboten an, die bisherige Praxis bis zum Tätigwerden des Gesetzgebers hinzunehmen. Aus Gründen der Rechtsklarheit und -bestimmtheit sei es auch sinnvoll, die Maskenpflicht für ein zusammenhängendes Gebiet anzuordnen. Es berichtet LTO.

VG Berlin zu Quarantäne: Die Anordnung der Quarantäne gegenüber einer gesamten Schule und ihrem Personal ist rechtmäßig, hat das Verwaltungsgericht Berlin laut LTO entschieden. Es ging um eine Grundschule mit 600 Schülerinnen und Schülern, in der erst eine Person aus der Schulleitung und kurz danach eine Angestellte des Hortes positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Das Infektionsschutzgesetz erlaube die Isolierung von Personen, für die der Verdacht einer Ansteckungsgefahr bestehe – der Maßstab für die Wahrscheinlichkeit der Ansteckungsgefahr sei dabei wegen der hohen Gefahr durch das Virus abgesenkt.

Corona-Maßnahmen: Die FAZ (Anna-Sophia Lang) berichtet über den Umgang der Justiz mit der Corona-Pandemie. Habe im März noch die Devise gegolten, abzusagen, was man absagen könne, habe sich der Umgang inzwischen eingespielt. Unter Einhaltung strikter Hygienepläne – etwa durch intensives Lüften auch von Verhandlungssälen – werde der Betrieb aufrechterhalten. 

BGH zu Handakte: Der Herausgabeanspruch hinsichtlich einer über ein anwaltliches Mandat angefertigten Handakte verjährt nach der allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Frist von drei Jahren. Das berufsrechtliche Gebot aus § 50 Abs. 1 Bundesrechtsanwaltsordnung, die Handakte sechs Jahre aufzubewahren, hat hierauf keinen Einfluss. Diese im Oktober ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofes erläutert Rechtsanwalt Tim Günther auf LTO. 

BGH zu Kindesunterhalt: Die Erklärung, "unbegrenzt leistungsfähig" zu sein, genügt nicht dem Auskunftsanspruch des Kindes gegen ein unterhaltspflichtiges Elternteil, wie der Bundesgerichtshof laut LTO entschieden hat. Kinder würden automatisch am Lebensstandard der Eltern teilnehmen, was auch beim Kindesunterhalt gelte. Es müsse daher sichergestellt werden, dass dies auch bei höheren Einkommen der Eltern entsprechend erfolge. 

BVerfG – Maskenpflicht im Bundestag: Bundestagsabgeordnete der AfD und ihre Mitarbeiter haben vor dem Bundesverfassungsgericht eine Klage gegen die von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) verhängte Maskenpflicht im Bundestag eingereicht. Dies berichtet Tsp (Jost Müller-Neuhof). Auch vor dem Berliner Verwaltungsgericht hätten sie Klage eingereicht und Eilrechtsschutz beantragt.  

BVerfG – Atomausstieg: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über eine Verfassungsbeschwerde des Energiekonzerns Vattenfall soll am 12. November veröffentlicht werden, berichtet LTO. Dabei geht es um finanzielle Ausgleichszahlungen des Bundes für sinnlos gewordene Investitionen und verfallene Produktionsrechte als Folge des Atomausstieges 2011.

VG Berlin zu Polizei-Tweet: Das Verwaltungsgericht Berlin hat eine Klage gegen einen sachlich falschen Tweet der Berliner Polizei im Jahr 2017 abgewiesen, berichtet taz (Erik Peter). Darin hatte die Polizei im Rahmen einer Räumungsaktion behauptet, Aktivisten hätten einen Türknauf unter Strom gesetzt und eine Lebensgefahr für die Beamten geschaffen, was erst am nächsten Tag korrigiert wurde. Das Gericht befand nun jedoch, dass es an dem nötigen Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Kläger fehle: Es bestehe keine Wiederholungsgefahr und auch ein Rehabilitierungsinteresse komme nicht in Betracht.

LSG Ba-Wü zu Cannabis als Medizin: Cannabis kann erst dann an Schmerzpatienten verordnet werden, wenn sämtliche andere Therapien ohne Erfolg geblieben sind. Das hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg im Oktober entschieden, berichtet beck-community (Michaela Hermes).  

Reproduktionsmedizin: Die in der letzten Woche ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Präimplantationsdiagnostik sowie des Bayerischen Oberlandesgerichts zum "Netzwerk Embryonenspende" kommentiert Jost Müller-Neuhof im Tsp. Beide stützten sich auf das Embryonenschutzgesetz, dessen restriktiver Gehalt seit 30 Jahren derselbe geblieben sei. Frauen, die sich vergeblich Nachwuchs wünschen, hätten in Deutschland keine Lobby.

Informelle Absprachen: Über die vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegebene Studie zu Absprachen im Strafprozess, u.a. von Rechtsprofessor Matthias Jahn, berichtet nun auch die FAZ (Sascha Zoske). Aus der Befragung von Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern gehe hervor, dass die gesetzlichen Vorgaben regelmäßig missachtet würden. Als Folge fordere Jahn, die Vorgaben praxistauglicher zu machen, wobei "Deal-Exzesse" aber vermieden werden sollten.

Recht in der Welt

USA – Präsidentschaftswahl: In fünf US-Bundesstaaten, darunter Pennsylvania, sind Klagen des noch amtierenden US-Präsidenten Donald Trump wegen Vorwürfen des Wahlbetruges abgewiesen worden, berichtet die taz (Bernd Pickert). In keinem einzigen Fall hätten die Anwälte durch konkrete Beweise Wahlbetrug nachweisen können. Auf dem Verfassungsblog warnt die US-Professorin Kim Lane Scheppele (in englischer Sprache) vor der theoretischen Möglichkeit, dass der US-Supreme-Court verschiedene Sonderregelungen der Bundesstaaten im Wahlrecht, mit denen diese auf die Corona-Pandemie reagiert hatten, aufheben könnte. Dies könnte das Wahlergebnis in viele Staaten in Zweifel ziehen und zum Resultat haben, dass die staatlichen Parlamente ihre Wahlleute selbst wählen könnten. Eine solche Entscheidung sei aber derart radikal und unerwartet, dass sie unwahrscheinlich sei.

Australien – Verstoß gegen Nachrichtensperre: Die SZ (Jan Bielicki) berichtet über einen Gerichtsprozess gegen 18 Journalisten in Australien, denen wegen eines angeblichen Verstoßes gegen eine gerichtlich angeordnete Nachrichtensperre hohe Haftstrafen drohen. Ein Richter hatte ihnen 2018 verboten, über die – inzwischen aufgehobene – Verurteilung des Kardinals George Pells wegen Kindesmissbrauchs zu berichten, damit die Unabhängigkeit der Jury in einem weiteren Strafverfahren gegen Pell nicht gefährdet werde. Eine Vielzahl australischer Journalisten hatte daraufhin in einer gemeinsamen Aktion in Anspielungen, aber ohne namentliche Nennung über eine Verurteilung einer prominenten Person berichtet. Ihnen wird nun vorgeworfen, Leser und Hörer dazu angestiftet zu haben, im Internet nach genauen Informationen zu suchen.        

Polen – Abtreibungsverbot: Das kürzlich ergangene Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, welches ein faktisches Abtreibungsverbot im Land darstellt, besprechen Karolina Kocemba und Michal Stambulski im Verfassungsblog (in englischer Sprache) und sehen es als Fortführung der religiös geprägten Rechtsprechung des Gerichtes. Es habe bereits zuvor Abtreibungen eingeschränkt, indem es etwa die soziale Indikation für verfassungswidrig erklärt habe.  

Kosovo – Hashim Thaçi: Der kürzlich zurückgetretene Präsident des Kosovos, Hashim Thaçi, hat sich bei seinem ersten Auftritt vor dem Kosovo-Sondertribunal in Den Haag für unschuldig erklärt, berichtet zeit.de. Thaçi befehligte die kosovarisch-albanische UÇK, die während des Unabhängigkeitskrieges 1998-1999 gegen die serbischen Sicherheitskräfte kämpfte. Anfang November hatte das Tribunal die Anklage wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestätigt und ihn in Untersuchungshaft genommen.

Juristische Ausbildung

Examensvorbereitung: LTO (Sabine Olschner) befasst sich mit der Frage, in welcher Reihenfolge Schwerpunkt und Staatsteil am besten absolviert werden sollten, und lässt dabei eine Vielzahl von Studierenden zu Wort kommen. Zwar sei ein Vorteil an der frühen Prüfung im Schwerpunkt, dass man dann nach der kräftezehrenden staatlichen Prüfung komplett fertig sei – ein wirkliches Richtig oder Falsch gebe es bei der Entscheidung aber nicht. 

Sonstiges

Corona und Verfassungsrecht: Die Rolle des Verfassungsrechts in der Corona-Politik beleuchtet FAZ-Einspruch (Christian Geyer-Hindemith) und verteidigt es gegen den Vorwurf, dabei nichts beitragen zu können. Ganz im Gegenteil sei die verfassungsrechtliche Perspektive allgegenwärtig und bilde den Rechtfertigungsmaßstab, etwa wenn Angela Merkel die jüngsten Einschränkungen wiederholt und lehrbuchartig als "geeignet, erforderlich und verhältnismäßig" beschreibe. 

Das Letzte zum Schluss

Höschen-Dieb: "Manche Leute haben ja eine Vorliebe dafür" – so begründete ein Polizeisprecher die Frage nach dem Motiv, als die Polizei in Hof (Bayern) einen notorischen Unterhosen-Dieb gestellt hatte. 54 Damenslips hatte der 29-Jährige in seiner Wohnung gehortet, berichtet die Welt.  

 

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lto/mps

(Hinweis für Journalisten)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 10. November 2020: Richterschelte nach Corona-Demo / Düsseldorfer Maskenpflicht aufgehoben / Trumps Klagen scheitern . In: Legal Tribune Online, 10.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43367/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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