Die juristische Presseschau vom 6. November 2020: BVerwG zu Präim­plan­ta­ti­ons­diag­nostik / Teil-Shut­down hält vor Gericht / Trumps Klagen

06.11.2020

Das Bundesverwaltungsgericht konkretisiert Normen der Präimplantationsdiagnostik. Der Teil-Shutdown hält vor weiteren Oberverwaltungsgerichten stand und in den USA versucht Trump, unliebsame Wahl-Ergebnisse durch Klagen zu verhindern.

Thema des Tages

BVerwG zu Präimplantationsdiagnostik: Genetisch vorbelastete Eltern dürfen eine Eizelle nach der künstlichen Befruchtung auf Erbkrankheiten untersuchen lassen, wenn das hohe Risiko besteht, dass das Kind an der klassischen Form der Muskelerkrankung Myotonen Dystrophie Typ 1 erkranken könnte. Jeder Fall erfordert eine Einzelfallprüfung, entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) und stellte zugleich Kriterien für diese auf. Die vorsorgliche genetische Untersuchung von künstlich erzeugten Embryonen, Präimplantationsdiagnostik (PID), ist in Deutschland gemäß dem Embryonenschutzgesetz (ESchG) nur in streng geregelten Ausnahmefällen erlaubt. Das BVerwG lehnte zudem einen Beurteilungsspielraum der für die Prüfung zuständigen Ethikkommission ab und erklärte deren Entscheidungen für voll gerichtlich überprüfbar. Die SZ (Wolfgang Janisch/Kathrin Zinkant)LTO und beck-aktuell (Joachim Jahn) berichten über das Urteil und die ersten Reaktionen.  

Kathrin Zinkant (SZ) fordert in einem gesonderten Beitrag eine Reform des Rechts der Fortpflanzungsmedizin. So sei etwa die strafbewehrte Regelung des § 3 ESchG, die Gegenstand des BVerwG-Urteils war, viel zu vage formuliert.

Rechtspolitik

EU-Rechtsstaatlichkeit: Trotz Widerstand aus Polen und Ungarn einigten sich Vertreter anderer EU-Länder und des Europaparlaments laut SZ (Matthias Kolb), FAZ (Werner Mussler) und LTO auf ein Verfahren zur Kürzung von EU-Mitteln bei bestimmten Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit. Mittel sollen demnach gekürzt werden können, wenn eine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten dies unterstützt. Das macht die Zustimmung von mindestens 15 Ländern notwendig, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen.

Terrorismusbekämpfung: Die Geschäftsführerin der netzpolitischen Organisation "Digitale Gesellschaft" Elke Steven schreibt auf netzpolitik.org über die geplante dauerhafte Entfristung eines Gesetzespakets zur Terrorismusbekämpfung, dessen Geltung am 10. Januar 2021 enden würde. Es enthält Auskunftsbefugnisse für die Nachrichtendienste gegenüber Banken, Flug- und Telekommunikationsfirmen. Steven kritisiert es insbesondere im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BND-Gesetz vom Mai diesen Jahres sowie wegen der mangelhaften Evaluation. Wie auf spiegel.de zu lesen ist, beschloss der Bundestag noch am späten Donnerstagabend die Entfristung des Gesetzes.

Hartz-IV-Sanktionen: Der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Grünen und die FDP fordern laut LTO ein Gesetz, das die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz IV-Sanktionen umsetzt. Das Gericht hatte im November 2019 entschieden, dass monatelange Minderungen des Hartz-IV-Satzes um 60 Prozent oder mehr mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Die alte Sanktionspraxis wurde bislang aber lediglich partiell durch Weisungen des Arbeitsministeriums und der Bundesagentur entschärft.

Justiz

Teil-Shutdown: LTO berichtet, wie die obersten Verwaltungsgerichte in Bayern, Berlin und Brandenburg über die im November geltenden Regeln zum teilweisen Shutdown entschieden haben. So wurden Eilanträge abgelehnt und dabei insbesondere auf das übergeordnete Konzept der Maßnahmen sowie die Entschädigungszahlungen hingewiesen. Ähnlich argumentiert laut SZ (Wolfgang Janisch) der Verwaltungsgerichtshof Mannheim und wies ebenfalls einen Eilantrag ab. Das Gericht äußerte jedoch auch Zweifel an der gesetzlichen Grundlage für solche Maßnahmen.

Absprachen im Strafprozess: LTO (Peggy Fiebig) und taz.de (Christian Rath) schreiben nun auch ausführlich über die Erkenntnisse der Studie zu informellen Absprachen im Strafprozess. Diese finden nach wie vor häufig statt, so ein zentraler Befund. Als Grund nennen viele der Befragten eine fehlende Praxistauglichkeit der Regelung in § 257c Strafprozessordnung, sodass es häufig zu Verstößen gegen Transparenzpflichten oder zur verbotenen Festlegung einer konkreten Strafhöhe käme. Der Studienmitautor und Rechtsprofessor Matthias Jahn kritisiert zudem die mangelhafte Kooperation der Gerichte bei der Studie. Bundesjustizministerin Lambrecht (SPD), Auftraggeberin der Studie, prüfe nun, "ob weitere gesetzliche Regelungen erforderlich sind".

BGH zu Auto-Leasing: Wird ein geleastes Auto gestohlen, steht die Neupreis-Entschädigung aus einer Vollkaskoversicherung dem Kunden und nicht der Leasingfirma zu. Das entschied der Bundesgerichtshof laut LTO.

BFH zu Zivilprozesskosten bei Kindesentführung: Zivilprozesskosten sind auch dann vom steuerrechtlichen Abzug als außergewöhnliche Belastung ausgeschlossen, wenn sie bei einem Rechtsstreit um die Rückführung eines ins Ausland entführten Kindes nach Deutschland entstanden sind. Dies hat der Bundesfinanzhof in einem nun veröffentlichten Urteil entschieden. LTO berichtet.

OLG Frankfurt zum Umgangsrecht: Im Streit um ein Umgangsrecht hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschieden, dass ein Vater sein noch nicht zwei Jahre altes Kind in Gegenwart eines oder mehrerer seiner insgesamt sieben Hunde nicht unbeaufsichtigt lassen darf. Die Hunde, darunter mehrere Huskys und ein Labrador, seien jedoch als menschenfreundlich und sanftmütig bekannt, so dass ein permanentes Wegsperren aller Tiere bei Besuchen nicht erforderlich sei, entschied das OLG laut LTO.

LG HH zu geplantem Brandanschlag: Vor dem Landgericht Hamburg wurden zwei Männer und eine Frau wegen Verabredung zu einer Brandstiftung zu Gefängnisstrafen von einem Jahr und sieben Monaten bis zu einem Jahr und zehn Monaten ohne Bewährung verurteilt. Sie sollen im Juli 2019 geplant haben, zum zweiten Jahrestag des G20-Gipfels an vier Orten der Hansestadt Brandanschläge zu begehen. Die SZ (Peter Burghardt) und die taz-Nord (Katharina Schipkowski) schreiben über das Urteil. 

LG Wiesbaden – Cum-Ex/Hanno Berger: Im Strafprozess gegen den Rechtsanwalt Hanno Berger wegen der Cum-Ex-Geschäfte wurde gegen diesen laut FAZ (Marcus Jung) nun vom Landgericht Wiesbaden ein Haftbefehl erlassen.

LG Braunschweig – Ex-VW-Vorstände: Wegen der steigenden Corona-Infektionszahlen hat das Landgericht Braunschweig alle Termine im Untreue-Prozess gegen zwei ehemalige Vorstände und zwei ehemalige Personalmanager von Volkswagen aufgehoben. Ein Ersatztermin ist noch nicht bestimmt worden, so die FAZ (Marcus Jung).

AG Berlin-Tiergarten – Abdulkadir O.: In einem Vorbericht erläutert spiegel.de (Wiebke Ramm), was die Staatsanwaltschaft dem Rammo-Clan-Mitglied Abdulkadir O. vorwirft. Dieser habe seine Nachbarn regelrecht terrorisiert: Es wird von zerstochenen Autoreifen berichtet, von Hörschäden durch aggressives Anschreien sowie Eier, die teilweise mehrmals täglich auf Balkone und gegen Küchenfenster geworfen worden seien. Ab dem heutigen Freitag wird das Amtsgericht Berlin-Tiergarten den Tatvorwürfen der Sachbeschädigung und Körperverletzung sowie zudem der Nachstellung und Nötigung nachgehen.

Recht in der Welt

USA – Wahlen: LTO (Markus Sehl) hat nun auch die vom amtierenden US-Präsidenten Donald Trump initiierten juristischen Schritte aufgearbeitet. Dabei wird insbesondere auf den zu beachtenden Instanzenzug hingewiesen sowie auf den Umfang einer gerichtlichen Überprüfung, der sich im Wesentlichen auf die Rechtmäßigkeit von Fristen, Auszählungsregeln sowie die Gültigkeit von Ergebnissen beschränke. Die FAZ (Corinna Budras) gibt einen Überblick über die verschiedenen Klagestrategien in den jeweiligen Bundesstaaten. Abgesehen von der Frage nach der Zuständigkeit für die kurzfristige Wahlrechtsänderung in Pennsylvania  nach der am Wahltag zur Post gebrachte Wahlzettel noch berücksichtigt werden sei die Beweisbarkeit der Vorwürfe Trumps derzeit äußerst fraglich.

Kosovo  Hashim Thaçi: Der Präsident Kosovos, Hashim Thaçi, tritt zurück, weil er von nun an wegen mutmaßlich begangener Kriegsverbrechen auf der Anklagebank des Kosovo-Sondertribunals in Den Haag sitzen muss. Er wird bezichtigt, für mehr als 100 Morde während des Krieges gegen das serbische Regime verantwortlich zu sein. Die SZ (Enver Robelli) und die FAZ (Michael Martens) befassen sich mit der Anklage sowie mit Thaçi selbst, der 2008 die Unabhängigkeit des Kosovo ausrief und vom damaligen US-Vizepräsident Joe Biden bei einem Empfang im Weißen Haus als der "George Washington Kosovos" bezeichnet wurde.

Sonstiges

Managerhaftung in der Insolvenz: Für LTO hat der Rechtsanwalt Wolfram Desch dargelegt, welchen Haftungsrisiken sich Manager im Falle einer Insolvenz bzw. deren Verschleppung aussetzen. Der Autor nimmt dabei insbesondere die geplante Einführung außerinsolvenzlicher Sanierungen sowie die coronabedingten Ausnahmeregelungen in den Blick.

Giffey – Plagiatsvorwürfe: In der Diskussion um die Dissertation der Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) liegt nun ein Gutachten des emeritierten Rechtsprofessors Ullrich Battis vor, indem dieser zu dem Ergebnis kam, dass die von der Freien Universität Berlin erteilte Rüge durchaus auf das Berliner Hochschulgesetz gestützt werden könne. Ausdrücklich geregelt ist darin eigentlich nur ein Freispruch oder die Aberkennung des Titels. Der SZ (Paul Munzinger) gegenüber erklärte Battis, dass es sich bei der Rüge um eine "klassische Minusmaßnahme" handele, wie sie auch das Versammlungsrecht kenne.

Verfassungsschutz und AfD: Wie nun bekannt wurde, gab es im Rahmen einer juristischen Vorabprüfung einen internen Vermerk beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der "rechtliche Bedenken" an der Einstufung der AfD als "Prüffall" enthielt, so der Tsp (Jost Müller-Neuhoff). Demnach hätte die Öffentlichkeit über verfassungswidrige Bestrebungen von Parteien nur informiert werden dürfen, wenn "gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte" vorliegen. Dies war zum damaligen Zeitpunkt nicht der Fall gewesen.

Das Letzte zum Schluss

Einfahrt Freihalten: Diesen simplen Hinweis auf der Einfahrt eines Euskircheners ignorierte der kommunale Verkehrsträger und begann den Bau einer Bushaltestelle inklusive erhöhtem Bordstein just vor der Einfahrt, um deren Freihalten gebeten wurde. Der Vermieter hat nun laut Express einen Anwalt eingeschaltet, der dafür kämpfen wird, dass sich auch die Behörden daran halten, die Einfahrt freizuhalten.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/jpw

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 6. November 2020: BVerwG zu Präimplantationsdiagnostik / Teil-Shutdown hält vor Gericht / Trumps Klagen . In: Legal Tribune Online, 06.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43339/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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