Die juristische Presseschau vom 3. November 2020: Klagen gegen Corona-Maß­nahmen / Urteil zum Feh­marn­belt­tunnel erwartet / Nie­der­lage für Johnny Depp

03.11.2020

Die ersten Klagen gegen die Corona-Maßnahmen beschäftigen die Verwaltungsgerichte. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wird das Urteil zum Fehmarnbelttunnel erwartet. Johnny Depp verliert im Rechtsstreit gegen die Berichterstattung der "Sun".

Thema des Tages

Corona-Maßnahmen vor Gericht: Vor den Verwaltungsgerichten sind die ersten Eilanträge gegen die verschärften Corona-Maßnahmen eingegangen, von denen LTO und focus.de einige im Überblick darstellen. 

Eingehend analysiert LTO (Hasso Suliak) die Begründung eines Antrags Berliner Gastronomen vor dem Verwaltungsgericht Berlin. Der Antrag argumentiert unter anderem, dass es gegen den Gleichheitssatz verstoße, Gastronomiebetriebe zu schließen, nicht aber Friseursalons. Auch sei die Schließung unverhältnismäßig, da als milderes Mittel verschärfte Hygienebedingungen in Frage kämen. 

Rechtspolitik

Infektionsschutzgesetz: Gegenüber der FAZ (Alexander Haneke) haben sich die CDU-Politiker Heribert Hirte und Erwin Rüddel dafür ausgesprochen, Ermächtigungsgrundlagen im Infektionsschutzgesetz zu präzisieren. Der stellvertretende Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestags und der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses gaben an, die diesbezüglich geäußerte Kritik im Ergebnis nicht zu teilen, plädierten aber gleichwohl dafür, diese ernst zu nehmen und "vorsorglich die rechtlichen Grundlagen nachzuschärfen".

Digitale Wahlparteitage: Elektronische Wahlen von Parteivorsitzenden und -vorständen begegnen keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, bedürfen aber aus Gründen der Rechtssicherheit einer gesetzlichen Regelung. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, das von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) in Auftrag gegeben wurde. LTO berichtet.

Gotteslästerung: In einem Kommentar plädiert Ronen Steinke (SZ) für die Abschaffung des mittlerweile "Beschimpfung von Bekenntnissen" betitelten § 166 Strafgesetzbuch, der früheren Gotteslästerung. In seiner aktuellen Fassung sei Religionskritik erst dann strafbewehrt, wenn sie bestimmte Reaktionen erwarten lasse. Strafverfolgung sei somit davon abhängig, ob Forderungen von Fundamentalisten "besonders laut und bedrohlich" daherkämen.

BMJV-Bilanz: Nach einer dem Hbl (Heike Anger/Dietmar Neuerer) vorliegenden Aufstellung des Bundesjustizministeriums wurden in der laufenden Legislaturperiode unter der Amtsführung Katarina Barleys (SPD) 27 nationale Vorhaben abgeschlossen. Seit dem 27. Juni 2019 – der Amtseinführung Christine Lambrechts (SPD) – wurden hingegen 51 Gesetze und Verordnungen abgeschlossen, womit die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt gemeint sei. Die amtierende Ministerin machte gegenüber der Zeitung auf weiterhin anstehende Vorhaben wie das "Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität" aufmerksam. Die angedachte Begrenzung etwa von Handy-Verträgen auf ein Jahr Laufzeit durch ein "Gesetz für faire Verbraucherverträge" scheine dagegen nicht mehr zustande zu kommen.

Umsetzung EU-Urheberrechtsreform: Auf dem Verfassungsblog lobt Rechtsprofessor Ralf Müller-Terpitz den deutschen Umsetzungsentwurf der im letzten Jahr novellierten EU-Urheberrechtsrichtlinie als vertretbaren Ausgleich zwischen den verschiedenen Grundrechtsinteressen. Er begegne der Gefahr des Overblockings durch die Möglichkeit des "Pre-Flaggings", bei dem die Nutzer einen Inhalt trotz des Sperrverlangens eines Rechteinhabers als – etwa im Rahmen einer Parodie bzw. eines Zitats – vertraglich oder gesetzlich erlaubt kennzeichnen können. Dieser Inhalt sei vom Hosting Provider zunächst öffentlich wiederzugeben, es sei denn, das Pre-Flagging erweise sich als offensichtlich unzulässig.

EU – Asylrecht: Die Vorschläge der EU-Kommission zu einer Asylrechtsreform erläutert Rechtsprofessor Daniel Thym auf dem Verfassungsblog hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Sekundärmigration (Weiterwanderung) von Flüchtlingen. Die Kommission versuche, positive Anreize und negative Sanktionen zu kombinieren. So wolle sie bei dem künftigen Verteilungsmechanismus einerseits die Präferenzen von Asylantragstellenden berücksichtigen, andererseits drohten als Sanktion Sozialleistungskürzungen bei jeder illegalen Sekundärmigration.

EU – Mindestlohn: Die EU hat einen Richtlinienvorschlag für die Kriterien vorgelegt, die bei der Festlegung von Mindestlöhnen zu beachten sind. Danach sollen die Verfahren transparent sein und Ausnahmen gut begründet und begrenzt sein. beck-community (Markus Stoffels) hält den Vorschlag aber für moderat: Weder solle die Einführung von Mindestlöhnen erzwungen werden noch sehe der Vorschlag eine feste Koppelung an das mittlere Einkommen vor.

Medienstaatsvertrag: In Mecklenburg-Vorpommern hat das letzte Landesparlament den neuen Medienstaatsvertrag ratifiziert, dessen Grundsätze der wissenschaftliche Mitarbeiter Lennart Laude auf JuWissBlog in zwei Teilen erläutert. Er gebe die Fokussierung auf den Rundfunk auf und richte sich verstärkt auf sogenannte Gatekeeper, die Medieninhalte vermitteln bzw. deren Weiterverbreitung dienen.

Justiz

BVerwG – Fehmarnbelttunnel: Am heutigen Dienstag urteilt das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Verfahren zum geplanten Fehmarnbelttunnel zwischen Dänemark und Deutschland. Die taz (Kare Holm Thomsen) gibt die Erwartung des klagenden Naturschutzbunds Deutschland wieder, der meint, das Projekt nicht vollständig kippen zu können. Dänische Umweltschützer unterstützten das Projekt dagegen wegen der zu erwartenden Kompensationsmaßnahmen mehrheitlich.

BVerfG zum EZB-Anleihenkauf: Die anhaltenden Auswirkungen des PSPP-Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Mai haben namhafte Juristen auf Einladung des Deutschen Anwaltvereins in einem virtuellen Podium diskutiert, das LTO (Christian Rath) und anwaltsblatt.de (Katja Gelinsky) zusammenfassen. Mehrere Diskutanten, darunter Angelika Nußberger, Ex-Präsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, kritisierten die Ultra-Vires-Entscheidung in handwerklicher Hinsicht sowie mit Blick auf ihre politischen Auswirkungen. Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz kritisierte auch den EuGH, der zu exekutivfreundlich sei. Kontrovers diskutiert wurde über die Schaffung eines EU-Kompetenzgerichts und ein mögliches Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland, das die Teilnehmer aber mehrheitlich ablehnten.

BAG zu Überstunden: Eine Duldung von Überstunden durch einen Arbeitgeber, welche das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzen würde, lässt sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls feststellen. Einzelne Überschreitungen der betriebsüblichen Arbeitszeit sprächen für sich gesehen noch nicht dafür, dass der Arbeitgeber diese hinnehme, vielmehr müssten hinreichende Anhaltspunkte für das Fehlen gebotener Gegenmaßnahmen hinzutreten. Einen entsprechenden Beschluss des Bundesarbeitsgerichts aus dem Juli 2020 stellt beck-aktuell (Frank Merten) vor. 

CAS – Russland: Vor dem Internationalen Sportgerichtshof hat am Montag die Berufungsverhandlung zum vierjährigen Olympia-Ausschuss Russlands durch die Welt-Anti-Doping Agentur begonnen. Wie LTO berichtet, erwarten Sportrechtler ebenso wie Politiker, dass die Sperre aufrechterhalten wird, um ein klares Zeichen gegen das von Russland betriebene Staatsdoping zu setzen.

LSG Niedersachsen/Bremen zu Tablet: Jobcenter müssen Schülerinnen und Schülern kein iPad bezahlen, selbst wenn ihre Schulklasse den Unterricht auf diese Tablets umstellt. Die Ausstattung mit Lehrmitteln obliege dem Schulträger und könne nicht einfach auf die Jobcenter abgewälzt werden, entschied das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen nach einem Bericht von LTO.  

StA München I – Wirecard: Nach Bericht der SZ (Klaus Ott/Niels Wischmeyer) hat die Staatsanwaltschaft München I beim zuständigen Amtsgericht beantragt, den Haftbefehl gegen Burkhard Ley, früherer Finanzvorstand des Wirecard-Konzerns, "gegen engmaschige Auflagen" außer Vollzug zu setzen. Wesentliche Straftaten im Zusammenhang der Wirecard-Insolvenz seien erst nach Leys Ausscheiden aus dem Vorstand begangen worden.

Recht in der Welt

Frankreich – Charlie Hebdo: In einer Seite-Drei-Reportage schildert die SZ (Nadia Pantel) den Anfang September begonnenen und nun vor dem Abschluss stehenden Strafprozess gegen mutmaßliche Unterstützer des Anschlags gegen die Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Vor dem aktuellen Hintergrund weiterer islamistischer Anschläge spüre man, "welche neuen Schichten aus Trauer und Unversöhnlichkeit sich über das Land legen." Nachdem ursprünglich am 13. November ein Urteil ergehen sollte, ist der Prozess nun wegen einer Corona-Infektion des Hauptangeklagten auf unbestimmte Zeit verschoben.

Großbritannien – Johnny Depp: "Unerwartet schroff" hat der High Court in London eine vom Schauspieler Johnny Depp erhobene Verleumdungsklage gegen den Verlag des Boulevardblatts "Sun" abgewiesen, schreibt die FAZ (Christiane Heil). Depp hatte sich gegen seine Darstellung als "Ehefrauenschläger" gewandt. Das Gericht habe nun festgestellt, dass diese Bezeichnung nicht nur zutreffe, darüber hinaus hätten die von Depp ausgehenden Misshandlungen auch der Karriere seiner früheren Ehefrau Amber Heard geschadet. Auch LTO und focus.de berichten.

USA – Uber: Die FAZ (Roland Lindner) berichtet über einen Bürgerentscheid in Kalifornien, bei dem die Wähler parallel zur Präsidentenwahl darüber abstimmen, ob Mitarbeiter der sogenannten "Gig Economy" als Festangestellte mit entsprechenden Sozialleistungen behandelt werden müssen. Unternehmen wie Uber hätten mit einer beispiellosen Marketingkampagne dafür geworben, ein in Kalifornien seit Beginn des Jahres geltendes Gesetz zurückzunehmen.  

Sonstiges

Neuverschuldung: Der Bundesrechnungshof hat die für 2021 geplante Neuverschuldung von rund 96 Milliarden Euro in einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestags als nicht angemessen kritisiert, berichtet LTO. Insbesondere die Tatsache, dass Bundesfinanzminister Scholz (SPD) die angesparte Rücklage von 48,2 Milliarden Euro trotz der prekären Lage 2021 nicht antasten wolle, begegne verfassungsrechtlichen Bedenken. Im Interview mit der Welt (Karsten Seibel) bekräftigt der Präsident des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller, die Kritik und führt an, er sehe kein Bemühen, die Neuverschuldung auf die Notlage zu begrenzen.

Rechtsstaat: Im Leitartikel bezeichnet Reinhard Müller (FAZ) das Coronavirus und die gegen seine Ausbreitung ergriffenen Maßnahmen als Herausforderung für den Rechtsstaat. Dieser benötige "tragfähige Gründe, um vor sich selbst und damit vor den Bürgern zu bestehen". Vergleichbares gelte bei anderen vom Autor aufgezählten Bedrohungen wie Rechts- und Linksextremismus sowie dem militanten Islamismus.

ADG Berlin: Die Berliner Justizverwaltung hat mitgeteilt, dass seit dem Inkrafttreten des Antidiskriminierungsgesetzes in der Hauptstadt vor vier Monaten bei der zuständigen Ombudsstelle 104 Beschwerden eingegangen seien. Die behaupteten Ungleichbehandlungen verteilten sich auf "alle Bereiche staatlichen Handelns", schreibt die taz-Berlin (Susanne Memarnia). Spitzenreiter sei die Berliner Polizei mit 17 Beschwerden. Die vor Verabschiedung des Gesetzes befürchtete Klagewelle sei jedenfalls ausgeblieben.

Lastenausgleichsgesetz: Die FAZ (Peter Hoeres) bespricht das Buch "Stiefkinder des Wirtschaftswunders? Die deutschen Ostvertriebenen und die Politik des Lastenausgleichs (1952 bis 1975)" von Manfred Kittel. Der Historiker liefere eine "allzu kritische Analyse" des 1952 verabschiedeten Lastenausgleichsgesetzes, da er in seiner überaus sorgfältig gearbeiteten Studie den bestenfalls unzureichenden Ausgleich für erlittene materielle Verluste in den Mittelpunkt stelle. Dagegen spreche das Gefühl tiefer Dankbarkeit, das viele Vertriebene für die ausgesprochene Anerkennung ihres Leids erfahren hätten.

Missbrauch in der Kirche: Auch die SZ (Matthias Drobinski) berichtet nun über den Gutachter-Wechsel des Erzbistums Köln. Missbrauchsfälle und Fehler im Umgang mit Fällen sexueller Gewalt sollten nunmehr in einem bis zum 18. März erstellten "gerichtsfesten Gutachten" dargelegt werden, wird der Kölner Rechtsanwalt Björn Gercke zitiert.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi/mps

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 3. November 2020: Klagen gegen Corona-Maßnahmen / Urteil zum Fehmarnbelttunnel erwartet / Niederlage für Johnny Depp . In: Legal Tribune Online, 03.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43293/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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