Die juristische Presseschau vom 31. Oktober bis 2. November 2020: Legiti­ma­tion des November-Shut­downs / Klagen gegen Corona-Maß­nahmen / Prä­si­dent­schafts­wahlen in den USA

02.11.2020

Der Shutdown von Teilen des öffentlichen Lebens, der in dieser Woche beginnt, bleibt umstritten. Mehrere Anwälte wollen gegen den Shutdown klagen und in den USA bereiten sich auch die Juristen auf die Wahl vor.

Thema des Tages

Corona-Shutdown light: In der vergangenen Woche haben sich die Ministerpräsidenten der Länder gemeinsam mit der Bundeskanzlerin auf die einmonatige Schließung von Gastronomie, Kultur- und Wellness-Einrichtungen geeinigt. Christian Rickens (Hbl) kritisiert diese "Hinterzimmer-Beschlüsse": Die Zeit seit dem Frühjahr hätten Bundestag und Bundesregierung dazu nutzen müssen, um in Abstimmung mit den Ländern ein Corona-Schutzgesetz zu beraten und zu verabschieden, das dann auch klare Regeln hätte festlegen können, welche Kennzahlen überschritten sein müssen, damit bestimmte Freiheitsbeschränkungen gerechtfertigt sind – etwa anhand eines Ampelsystems. Rechtsprofessorin Anna Katharina Mangold und der wissenschaftliche Mitarbeiter Johannes Gallon erinnern im Verfassungsblog an das geltende Untermaßverbot. Ziel der staatlichen Maßnahmen in der Pandemiebekämpfung dürfe und müsse der Schutz der individuellen Gesundheit der Bürger sein, nicht nur der Schutz vor Überlastung des Gesundheitssystems, wenn auch beides miteinander zusammenhänge. In einem weiteren Beitrag im Verfassungsblog meint Privatdozent Roman Lehner, dass die bisherige Praxis der Abstimmung zwischen Bund und Ländern nicht zum Skandal tauge, eine Parlamentarisierung aber wünschenswert wäre. Jost Müller-Neuhof (Tsp) erläutert, warum er die Kritik, die vom Ausnahmezustand und fehlenden Rechtsgrundlagen, ja vom Versagen des Bundestags und einem Defizit an Demokratie spricht, für verfehlt hält. Das umsichtige Vorgehen in Bund und Ländern, das vorrangig mit drohender Überlastung der Krankenstationen kalkuliere, werde offenkundig von einer breiten Mehrheit getragen, einschließlich jener im Parlament, die bislang darauf verzichtet hätten, der Regierung in den Arm zu fallen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion Marco Buschmann appelliert im FAZ-Einspruch dagegen dringend an den Bundestag, die gesetzlichen Grundlagen für Corona-Bekämpfungsmaßnahmen zu konkretisieren und so für die Bürger eine höhere Erwartungssicherheit zu schaffen. Die Landesparlamente wiederum sollten von ihrem Recht nach Artikel 80 IV GG Gebrauch machen, um die landesrechtlichen Verordnungen, die auf pauschalen Verordnungsermächtigungen des bundesgesetzlichen Infektionsschutzgesetzes beruhen, durch landesrechtliche Parlamentsgesetze zu ersetzen.

Rechtspolitik

TKÜ Verfassungsschutz: Laut einem Interview im Spiegel (Marcel Rosenbach) und einem Artikel in netzpolitik.org (Andre Meister) hat der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber die Planungen, Geheimdiensten den Einsatz von Staatstrojanern zur Überwachung von Messengerdiensten zu erlauben, nachdrücklich kritisiert. "Die Nachrichtendienste sollten keine solchen zusätzlichen massiven Eingriffsmöglichkeiten in die Privatsphäre erhalten", sagt der Datenschutzbeauftragte im Spiegel. Polizei- und Strafverfolgungsbehörden könnten verschlüsselte Messenger-Kommunikation bereits mitschneiden. Das Ausmaß der staatlichen Überwachung übersteige mittlerweile das für eine Demokratie erträgliche Maß.

Kindesmissbrauch: Die Sa-SZ (Robert Roßmann) berichtet über die Erste Lesung zu dem vom Bundesjustizministerium erarbeiteten Gesetzentwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Diese müsse künftig "ohne Wenn und Aber" als Verbrechen eingestuft werden, forderte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Gleiches müsse "für die Verbreitung von abscheulichen Bildern und Videos gelten, mit denen diese Taten zu Geld gemacht werden".

Constantin van Lijnden (FAZ-Einspruch) lässt kaum ein gutes Haar an dem Gesetzentwurf. "Sinn- und maßlos" sei die Reform. Die Probleme würden schon beim Namen beginnen, mit dem ausweislich der Entwurfsbegründung einer "Bagatellisierung entgegenwirkt" und "das Unrecht dieser Taten klarer umschrieben werden" soll. Dass der neu eingeführte Begriff "Gewalt" tatsächlich zur Klarheit beitrage, dürfe man allerdings bezweifeln: "Es bleibt dabei, dass es für die Tatbestandsverwirklichung nicht auf die Anwendung von Gewalt oder auf Drohung mit Gewalt ankommt." Der Autor befürchtet auch, dass durch die vorgesehene Anhebung der Mindeststrafe zwangsläufig auch solche Angeklagten unter die Räder kommen, die bislang zurecht und mit guten Gründen von der richterlichen Milde profitiert hätten.

Homeoffice/Arbeitsschutz in der Fleischindustrie: Die FAS (Frank Pergande) beleuchtet zwei aktuelle Gesetzesprojekte aus dem Hause des Bundesarbeitsministers. Während allerdings das Gesetz zur Verbesserung des Arbeitsschutzes in der Fleischindustrie demnächst vom Bundestag verabschiedet werden soll, ist der Gesetzentwurf für einen Rechtsanspruch auf Homeoffice vom Kanzleramt gestoppt und zurück ins Ministerium geschickt worden. Das Thema bleibt aber auf der Agenda, die anderen Parteien haben bereits ihre Vorstellungen dazu geäußert. Die Union schlägt als eine mögliche Alternative vor, Homeoffice steuerlich zu fördern.

Medienstaatsvertrag: netzpolitik.org (Daniel Laufer) stellt die Änderungen im neuen Medienstaatsvertrag vor, auf den sich die Länder geeinigt haben und der jetzt durch alle Landesparlamente ratifiziert wurde. Die Landesmedienanstalten sollen jetzt auch Internetmedien regulieren und sicherstellen, dass diese Sorgfaltspflichten beachten. Dies gelte auch für rechte Blogs und Telegram-Kanäle.

Justiz

Corona-Maßnahmen: In der Montags-FAZ (Corinna Budras) kommen mehrere Rechtsanwälte zu Wort, die gegen die in der vergangenen Woche beschlossenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie gerichtlich vorgehen wollen. Der Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Verhältnismäßigkeitsprinzip stehe der Verordnung geradezu "auf der Stirn geschrieben", meint zum Beispiel der Berliner Rechtsanwalt Nico Härting zur dortigen Regelung.

Christian Rath (Mo-taz) erläutert, warum seiner Ansicht nach Klagen gegen die neuen Einschränkungen weniger Aussicht auf Erfolg haben als beispielsweise die Klagen gegen die Beherbergungsverbote und Sperrstunden für die Gastronomie: weil die Infektionszahlen so sehr steigen, weil es ein Gesamtkonzept gebe, weil das RKI seine Informationspolitik geändert habe und weil weitreichende Entschädigungen versprochen wurden. Probleme mit der Gleichbehandlung könne es allenfalls in Detailfragen geben, wenn sich Kosmetik-Dienstleister beispielsweise darüber beschweren, dass sie schließen müssen, Friseure dagegen nicht.

BFH zu Verwarnungsgeld bei Paketboten: Der Bundesfinanzhof musste sich mit der Frage befassen, ob Verwarnungsgelder, die ein Paketlieferunternehmen zahlt, weil ein Paketzusteller auf seiner Tour im Halteverbot halten musste, als Arbeitslohn gelten. Der BFH meint laut LTO, dass es sich zwar nicht direkt um Arbeitslohn handelt, das Finanzgericht aber prüfen müsse, ob den ordnungswidrig parkenden Fahrern nicht ein geldwerter Vorteil zugeflossen wäre.

OLG Karlsruhe zum Schadensersatz nach Abgasskandal: Wie LTO meldet, hat das Oberlandesgericht Karlsruhe entschieden, dass ein Schadensersatz im Zusammenhang mit den Abgasmanipulationen ausgeschlossen ist, wenn das entsprechende Fahrzeug mit einem vom Kraftfahrbundesamt freigegebenen Software-Update versehen und erst nach Bekanntwerden des Abgasskandals erworben wurde.

OLG München zur Teilnahme von Türkgücü München am DFB-Pokal: Kurz nach dem Sport-Schiedsgericht hat nun auch das Oberlandesgericht München gegen den Fußball-Drittligisten Türkgücü München im Streit um die Teilnahme am DFB-Pokal entschieden. Das meldet LTO. Das Gericht bestätigte, das Schalkes Gegner am Dienstag der 1. FC Schweinfurt sein wird und nicht Türkgücü München. Damit wurde ein Urteil des Landgerichts München I, nach dem Türkgücü noch Chancen auf eine Nominierung zum Pokal hatte, revidiert.

LG Frankfurt/M. zu Foto von Mission-Lifeline-Schiff: Die deutsche Seenotrettungsorganisation Mission Lifeline hat sich erfolgreich gegen die Verwendung eines Fotos eines Schiffes der Organisation, das auch ein Besatzungsmitglied zeigt, gewehrt. Der italienische Lega-Nord-Politiker und frühere Innenminister Matteo Salvini hatte sich im Sommer 2019 in einem Tweet, in dem auch das Foto enthalten war, über die Aktivisten lustig gemacht und das Mission-Lifeline-Schiff als "Piratenschiff" bezeichnet. Das Landgericht Frankfurt/M. hat laut einer Meldung des Spiegel (Jonas Schaible) den Seenotrettern jetzt recht gegeben.

LG Trier – Cyberbunker: Die WamS (Hannelory Crolly) fasst die Hintergründe des vor dem Landgericht Trier laufenden Verfahrens gegen die Betreiber des sogenannten Cyberbunkers zusammen. Vier Niederländer, drei Deutsche und ein Bulgare müssen sich für Beihilfe an insgesamt 250.000 von ihren Nutzern im Darknet begangenen Straftaten verantworten. Der Prozess ist bis Ende 2021 terminiert.

Wirecard: Der Spiegel (Tim Bartz/Martin Hesse) berichtet, dass es in Sachen Wirecard-Pleite bereits Klagen gegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und den Bund selbst gibt. Anleger-Rechtsanwalt Andreas Tilp wirft der BaFin vor, sie habe ihre Pflicht zur Aufklärung, Verhinderung und Anzeige von Marktmanipulation verletzt. Außerdem gehen die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger und Londoner Hedgefonds mit Staatshaftungsklagen direkt gegen den Bund vor, weil der Staat dafür geradestehen müsse, dass die Aufsichtsbehörden nicht durchgegriffen haben, um den Schaden zu begrenzen.

GBA Peter Frank im Interview: Im Gespräch mit der WamS (Thorsten Jungholt/Jacques Schuster) berichtet Generalbundesanwalt Peter Frank über die weiterhin große Gefahr, die durch den islamistischen Terror droht, aber auch über die wachsende Zahl von Ermittlungsverfahren aus dem Phänomenbereich des Rechtsterrorismus sowie einem Erstarken der linksextremistischen Szene. Mit dem seiner Behörde zur Verfügung stehendem materiell-rechtlichen Rahmen ist Frank zufrieden, bei den Ermittlungsinstrumenten falle es aber immer schwerer, mit den technischen Entwicklungen in der Telekommunikation Schritt zu halten, zum Beispiel bei bestimmten Verschlüsselungstechniken, dem Darknet, bei der Kommunikation über Spielekonsolen oder dem Mobilfunkstandard 5G.

Recht in der Welt

USA – Präsidentschaftswahl: Der Wahl-Dienstag nähert sich und mit ihm die Überlegungen, wie wohl Gerichte mit den zu erwartenden rechtlichen Auseinandersetzungen umgehen. Rechtsprofessor Jud Mathews widmet sich im Verfassungsblog (in englischer Sprache) der Frage und schaut dabei auch auf die Entscheidung Bush v. Gore von 2000. Das macht auch die Mo-FAZ (Justus Bender), die weitere Hintergründe zu potentiellen Rechtsstreit-Schauplätzen liefert. LTO (Annelie Kaufmann) hat sich mit Rechtsprofessor Niels Petersen unterhalten, der u.a. meint, dass neben der extremen Polarisierung durch Donald Trump auch das amerikanische The-winner-takes-it all-Prinzip Ursache dafür ist, dass viele Detailfragen vor Gericht geklärt werden.

EU/Ungarn – Asylrecht: Die EU-Kommission hat laut LTO wegen der Einschränkungen des ungarischen Asylrechts ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Konkret gehe es darum, dass Schutzsuchende seit einigen Monaten nicht mehr auf ungarischem Boden einen Asylantrag stellen können, sondern sie in den ungarischen Botschaften in Belgrad oder Kiew vorstellig werden müssen und dort eine Absichtserklärung auf Stellung eines Asylantrags einreichen können. Die neuen ungarischen Regeln seien rechtswidrige Einschränkungen des Zugangs zum Asylverfahren und stünden im Gegensatz zur Asylverfahrensrichtlinie der EU, so die Kommission.

EU/Polen – Justizreformen: Im Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission um die umstrittenen Justizreformen in Polen will die Kommission den nächsten Schritt einleiten, heißt es bei LTO. Wegen des jüngsten Gesetzes zur Disziplinierung von Richtern hatte die EU-Kommission Ende April das Verfahren gegen Polen eingeleitet. Man werde nun eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die polnische Regierung senden, so ein Kommissionssprecher. Falls die Bedenken innerhalb der kommenden zwei Monate nicht ausgeräumt würden, könne die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof klagen.

Ukraine – Verfassungsgericht: Auch in der Ukraine versucht der dortige Präsident nun die Amtszeit der Verfasssungsrichter zu begrenzen. Nachdem das Gericht am Mittwoch Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung als verfassungswidrig eingestuft hatte, brachte Selenskjy am Freitag im Parlament einen entsprechenden Gesetzentwurf ein, schreibt die Sa-FAZ (Gerhard Gnauck). Gerichtspräsident Olexander Tupizkyj erwiderte am Freitag, das Vorgehen des Präsidenten "trage die Anzeichen eines Verfassungsstreichs".

USA – Klagen gegen Porsche: Der Sportwagenhersteller Porsche ist in den USA mit einer neuen Welle von Schadensersatzforderungen konfrontiert. Das meldet der Spiegel (Simon Hage u.a.). Vor wenigen Tagen habe die Kanzlei Lieff Cabraser Heimann & Bernstein im Namen von Porsche-Fahrern Klage eingereicht, in der dem Konzern vorgeworfen wird, zwischen 2007 und 2017 die Abgasreinigung bei bestimmten Motoren manipuliert zu haben. Auch durch andere Kanzleien seien bereits Klagen erhoben worden.

Sonstiges

Corona und Arbeitsrecht: Im Interview mit LTO (Tanja Podolski) erläutert Rechtsanwalt Hans-Hermann Aldenhoff, welche Auswirkungen die neu beschlossenen Maßnahmen auf das Arbeitsrecht haben. Er erläutert, wie weit hier das Weisungsrecht des Arbeitgebers reicht, ob beispielsweise eine Tätigkeit im Homeoffice angeordnet oder der Aufenthalt in einem Hochrisikogebiet verboten werden kann.

Juve-Awards: In der vergangenen Woche wurden die diesjährigen Juve-Awards verliehen, coronabedingt rein digital. LTO (Anja Hall) berichtet von der Preisverleihung.

Missbrauch in der Kirche: Die Studie der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl zu den Missbrauchsfällen innerhalb der katholischen Kirche soll nach einer Entscheidung des Bistums Köln nicht veröffentlicht werden. Das melden LTO (Pia Lorenz), Sa-SZ (Matthias Drobinski/Annette Zoch) und Sa-FAZ. Das Erzbistum bemängelte, dass es der Kanzlei nicht gelungen sei, ein "rechtssicheres und belastbares Gutachten" und einen zur Veröffentlichung geeigneten Bericht zu erstellen, heißt es in einer Mitteilung vom Freitag. Ein neues Gutachten soll jetzt von der Kanzlei Gercke Wollenschläger erarbeitet werden.

Von Kipp-Loren und kippendem Recht: Über kippende Schienen- und Straßenfahrzeuge, aber auch über Gesetze und Gerichtsurteile, die gekippt wurden, schreibt Martin Rath auf LTO.

 

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lto/pf

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 31. Oktober bis 2. November 2020: Legitimation des November-Shutdowns / Klagen gegen Corona-Maßnahmen / Präsidentschaftswahlen in den USA . In: Legal Tribune Online, 02.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43278/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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