Die juristische Presseschau vom 29. Oktober 2020: Ver­schärfte Corona-Maß­nahmen / EuGH zu LKW-Maut / Kritik an Giffey-Pla­giats­prü­fung

29.10.2020

Bund und Länder beschließen erneuten Lockdown zur Corona-Bekämpfung. Deutschland hat laut Europäischem Gerichtshof die LKW-Maut falsch berechnet. Ein Gutachten hält die Plagiatsprüfung von Bundesfamilienministerin Giffey für rechtswidrig.

Thema des Tages

Corona-Maßnahmen: Mit einem Herunterfahren von weiten Teilen des öffentlichen Lebens soll die starke Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland aufgehalten werden. Darauf haben sich die Ministerpräsidenten der Länder und Kanzlerin Angela Merkel geeinigt. Einen Überblick über die einzelnen Maßnahmen geben u.a. sueddeutsche.de, spiegel.de und zeit.de

Die Bedeutung des Lockdowns für die Justiz beleuchtet spiegel.de (Peter Maxwill/Wiebke Ramm). Die Gerichte seien zwar inzwischen mit Hygienevorkehrungen gewappnet, jedoch werde auch die zu erwartende Klagewelle gegen die Corona-Maßnahmen zu einer erhöhten Belastung führen. Bereits nach dem ersten Lockdown im Frühjahr hätten sich Verfahren angehäuft, man schiebe eine "Bugwelle" vor sich her. Die FAZ (Reiner Burger) berichtet über Forderungen von FDP, SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen, wonach der Landtag stärker bei den Corona-Beschlüssen beteiligt werden solle.

Christian Rath (taz) kommt in einem Debattenbeitrag zum Schluss: "Abgesehen von den schläfrigen Parlamenten, die viel jammern, aber ihre Chancen nicht nutzen, ist Deutschland institutionell für die zweite Coronawelle gut aufgestellt. Föderalismus und gerichtliche Kontrolle sichern mit ihren Checks and ­Balances die Freiheit, soweit möglich".

Rechtspolitik

Parteiengesetz: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hat sich nach einem Bericht des Hbl (Martin Greive) dafür ausgesprochen, durch eine Änderung des Parteiengesetzes digitale Parteitage zu ermöglichen, auf denen auch über Personal und Satzungen abgestimmt werden kann. Er habe dazu ein Gutachten bei den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestages in Auftrag gegeben, auf dessen Grundlage er Gespräche mit den Fraktionen führen wolle. Er werde sich "auch nicht von Verfassungsjuristen von einer Reform abbringen lassen", wird Schäuble zitiert.

Rechtsanwaltsvergütung: Die geplante Erhöhung der Anwaltsgebühren um zehn Prozent soll nach einem Bericht von LTO (Hasso Suliak) möglicherweise erst ab 2023 greifen, statt wie bisher geplant ab nächstem Jahr. Diese Änderung habe der federführende Rechts- und Finanzausschuss des Bundesrates vorgeschlagen. Grund sei, dass vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie eine weitere Belastung der Haushalte vermieden werden solle. Der Bundesrat tagt in der kommenden Woche.*

Baugebot: Im Interview mit der Welt (Michael Fabricius) begründet der Oberbürgermeister der Stadt Tübingen, Boris Palmer (Grüne), seine Forderung nach der Durchsetzung eines kommunalen Baugebots für Eigentümer brachliegender Grundstücke. Dies stehe im Einklang mit der grundgesetzlichen Maßgabe, wonach der Gebrauch von Eigentum dem Wohl der Allgemeinheit dienen solle. Wer ein Grundstück leer stehen lasse, während rundherum Wohnungsnot herrsche, schade der Allgemeinheit.

Ruhegeld: Der Bundestag wird am Freitag nach einem Bericht der SZ (Robert Roßmann) über einen Gesetzentwurf der FDP-Fraktion debattieren, der in bestimmten Fällen die Kürzung des Ruhegelds für Bundesminister vorsieht. Danach sollen Minister mit einer Amtszeit von mindestens zwei Jahren, die ihr Amt etwa wegen Ausscheiden des Kanzlers oder Auflösung des Bundestags beenden, künftig nur noch die Hälfte des Ruhegelds in Höhe von 4500 Euro monatlich erhalten, das Bundesminister ab einer Amtszeit von vier Jahren bekommen. 

Justiz

EuGH zu LKW-Maut: Deutschland hat nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes die Kosten für die LKW-Maut falsch berechnet, berichten FAZ (Corinna Budras), SZ, LTO und tagesschau.de (Philip Raillon). Dabei ging es um die Einbeziehung der Kosten für die Verkehrspolizei: Sie fielen in die Verantwortung des Staates, der dabei nicht als Betreiber der Straßeninfrastruktur handele. Daher könnten sie nicht als Kosten für den Betrieb im Sinne der Richtlinie über die Erhebung von Gebühren angesehen werden, befand der EuGH und gab damit einer polnischen Spedition Recht.

BVerfG zu Befangenheit: Das Bundesverfassungsgericht hat laut LTO einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die sich gegen die Ablehnung eines Befangenheitsantrages vor dem Landgericht Hamburg richtete. Dabei ging es um spöttische Äußerungen der Richter während einer Sitzungsunterbrechung über den Beruf eines Klägers, die von diesem gehört und aufgezeichnet worden waren. Das Landgericht hatte das Gespräch als Beratung nach § 193 Gerichtsverfassungsgesetz eingestuft und die Aufzeichnung als Verletzung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege betrachtet, weshalb sie nicht verwertbar sei. Zu Unrecht, befand das BVerfG. 

BVerfG – Mietendeckel: Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich laut Welt (Michael Fabricius) mit einem Eilantrag gegen einen Teil des Berliner Mietendeckels. Im Fokus steht die Preistabelle, welche Preisobergrenzen gestaffelt nach Baualtersklassen festlegt und Ende November in Kraft treten soll. Bei dem in Karlsruhe behandelten Eilantrag gehe es aber nicht um das Verbot der Mieterhöhung oder deren Absenkung, sondern um den Verwaltungsaufwand, der etwa mit aufwendigen Berechnungen und Informationsschreiben einhergehe.

BGH zu Abschiebehaft: Der Bundesgerichtshof hat eine genauere Altersprüfung angemahnt, bevor möglicherweise Minderjährige in Abschiebehaft genommen werden, berichtet LTO. Nur wenn die eigene Altersangabe offensichtlich zu niedrig sei, müssten keine weiteren Ermittlungen zum Alter angestellt werden, bei Zweifeln sei aber eine weitere Aufklärung erforderlich. Im konkreten Fall habe sich das Tatgericht nicht ausreichend mit der Alterseinschätzung des Jugendamtes auseinandergesetzt und sich überdies auf Datumsangaben in Schulzeugnissen der jungen Frau in Äthiopien gestützt, ohne zu beachten, dass der äthiopische Kalender dem unsrigen um mehr als sieben Jahre nachläuft.

OLG Koblenz – Folter in Syrien: Im Prozess gegen zwei mutmaßliche Folterknechte des Assad-Regimes vor dem Oberlandesgericht Koblenz sind erstmals Bilder aus den sogenannten Caesar-Dateien eingeführt worden. Wie taz (Sabine am Orde) schildert, handelt es sich hierbei um Fotos, die ein ehemaliger syrischer Militärfotograf mit dem Decknamen Caesar von getöteten Gefangenen machte und außer Landes schaffte. Da "Caesar" selbst versteckt in Nordeuropa lebt, lud das Gericht eine französische Journalistin, die mehrfach mit ihm gesprochen hatte.

BayObLG – Eizellenspenden: Vor dem Bayerischen Oberlandesgericht sind der Gründer des Vereins "Netzwerk Embryonenspende" und zwei Mediziner angeklagt, die ungewollt kinderlosen Paaren Eizellenspenden vermittelt hatten. Nach einem Bericht von LTO ging es dabei um Eizellen, die anderen Frauen im Rahmen von Kinderwunschbehandlungen entnommen wurden und dabei gewissermaßen übrig blieben. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten einen Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz vor.

VG Koblenz zu Handy in der Prüfung: Ein Handy, das in den Prüfungssaal mitgebracht wird, stellt dann keinen Täuschungsversuch dar, wenn es in der 40 Meter vom Klausurarbeitsplatz entfernten Tasche verbleibt. Dies hat das Verwaltungsgericht Koblenz laut LTO entschieden. Im konkreten Fall sei eine schlechte Bewertung des Studenten, dessen Handywecker trotz Flugmodus läutete, auch nicht wegen einer Störung des Prüfungsablaufs geboten gewesen. Auf die Störung hätte vielmehr mit einer kurzen Schreibverlängerung für die Prüflinge reagiert werden können.

LG Frankenthal zu Facebook: Facebook darf Accounts auch schon wegen des Verdachts auf Hate Speech sperren, hat das Landgericht Frankenthal nach Bericht von LTO entschieden. Eine schnelle Reaktion der Plattformbetreiber habe bei verdächtigen Beiträgen Vorrang vor den Nutzerinteressen. Auch das im konkreten Fall begehrte Schmerzensgeld wurde abgelehnt: Bei Privatpersonen komme der Nutzung von sozialen Netzwerken ohnehin kein Vermögenswert zu, so die Richter. 

AG Frankfurt/M. zu Verzug: Auch während der Corona-Pandemie tritt ein Veranstalter nach 14 Tagen in Verzug, wenn er bis dahin den Preis für eine stornierte Reise nicht erstattet hat. Liquiditäts- und Organisationsschwierigkeiten änderten hieran nichts, entschied das Amtsgericht Frankfurt/M. laut LTO. Es gelte der Grundsatz "Geld hat man zu haben".

LG Bonn – Hanno Berger/Wolfgang Kubicki: Der bisherige Verteidiger von Hanno Berger im Strafprozess wegen der Cum-Ex-Geschäfte, Wolfgang Kubicki, hat sein Mandat laut einem Bericht des Hbl (René Bender/Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) nach sieben Jahren niedergelegt. Der Bundestagsvizepräsident und FDP-Politiker habe keinen Grund für den Schritt angegeben. Kubicki hatte die Cum-Ex-Geschäfte noch 2013 als Steuerhinterziehung bezeichnet, seine Einschätzung aber später revidiert.

Clankriminalität: Im Interview mit der Welt (Lennart Pfahler) spricht Rechtsanwalt Stefan Conen über die gerichtliche Ahndung sogenannter Clankriminalität. Bereits der Begriff sei abzulehnen, da er einen Fall von Sippenhaft darstelle. Nicht nur könne er nicht eindeutig definiert werden, überdies mache er Familienmitglieder kollektiv verantwortlich und beurteile damit Personen nach ihrer Herkunft statt nach ihrem eigenen Handeln. 

Suizidhilfe: Die Wissenschaftliche Mitarbeiterin Alexandra Windsberger erläutert auf LTO das Dilemma, das die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Suizidhilfe für Sterbegleiter bedeute. Sie dürften zwar einen todbringenden Cocktail reichen als strafbloße Beihilfe zum Suizid, müssten danach aber schnell den Raum verlassen, bevor der Suizident sein Bewusstsein verliere – andernfalls drohe die Strafbarkeit wegen Tötung (auf Verlangen) durch Unterlassen. Im Ergebnis bedeute dies: "Suizid ja, aber bitte alleine und einsam".

Recht in der Welt

Polen – Abtreibung: FAZ (Gerhard Gnauck), SZ (Florian Hassel), Welt (Philipp Fritz) und Zeit (Olivia Kortas) berichten über die Proteste Zehntausender in Polen gegen eine Entscheidung des Verfassungsgerichts, welche ein faktisches Verbot der Abtreibung im Land darstellt. Das Gericht hatte eine Ausnahme als verfassungswidrig gekippt, nach der der Schwangerschaftsabbruch bei schweren Missbildungen des Fötus rechtmäßig war. Wegen der Nähe mancher Verfassungsrichter zur Regierungspartei PiS wird ihre Unabhängigkeit in Frage gestellt.

Für Ann-Kathrin Eckardt (SZ) steht Polen damit in einer Reihe mit einer Vielzahl von Staaten, in denen Abtreibungsgesetze verschärft würden, was die Gesundheit der betroffenen Frauen bedrohe: Alle sieben Minuten sterbe auf der Welt eine Frau an den Folgen eines illegal und medizinisch nicht korrekt durchgeführten Schwangerschaftsabbruchs. Reinhard Veser (FAZ) verurteilt insbesondere die spalterische Rhetorik des Vorsitzenden der Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, welcher in den Protesten einen Angriff sehe, den es "um jeden Preis" abzuwehren gelte.  

USA – Abtreibung: Die Geschichte des Rechts der Abtreibung in den USA seit der Grundsatzentscheidung "Roe v. Wade" von 1973 zeichnet die taz (Dorothea Hahn) nach. Das Gericht habe die Verfassungsmäßigkeit der Abtreibung damals mit der Privatsphäre und der Rechtssicherheit begründet. Heute aber sei das Urteil vor dem Hintergrund der Ernennung der konservativen Amy Coney Barrett zum Supreme Court zerbrechlich geworden. 

USA – Staatsanwalt Jones: Die Zeit (Klaus Brinkbäumer) porträtiert den ehemaligen US-amerikanischen Staatsanwalt Doug Jones, der 2001 und 2002 zwei Männer vor Gericht brachte, die schließlich wegen eines rassistischen Mordes an vier Mädchen in Birmingham, Alabama im Jahr 1963 verurteilt wurden. Heute ist Jones Senator für die Demokraten im tiefkonservativen Staat Alabama und kämpft um seine Wiederwahl.

Chile – Neue Verfassung: Die Bevölkerung Chiles hat in einem Referendum entschieden, dass eine neue Verfassung ausgearbeitet werden soll. Wie die Doktorandin Svenja Bonnecke im Verfassungsblog erläutert, entschied sich die Mehrzahl der Wähler für die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung mit ausschließlich frei gewählten Mitgliedern. Das Referendum, bei dem viele junge Menschen teilgenommen hätten, sowie das begleitende Verfahren hätten gezeigt, dass die politischen und sozialen Proteste im Land auf demokratische Weise kanalisiert und Lösungen gefunden werden könnten.

Sonstiges

Giffey – Plagiatsvorwürfe: Ein im Auftrag der Berliner CDU erstelltes Gutachten des Rechtsprofessors Klaus Ferdinand Gärditz zur Überprüfung der Plagiatsvorwürfe gegen Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat mehrere Rechtsverstöße in der universitären Plagiatsprüfung festgestellt. So heißt es, das betreffende Gremium der Freien Universität Berlin sei bereits unzuständig gewesen, berichtet die FAZ (Heike Schmoll). Überdies habe es die Rechtsprechung zu Plagiaten missachtet, indem es die kontaminierten Teile der Doktorarbeit gegenüber den nicht beanstandeten abgewägt und eine bloße Rüge ausgesprochen habe, für die es keine Rechtsgrundlage gegeben habe.

Unternehmen Pfando: tagesschau.de (Philip Raillon) berichtet über Kritik an dem Unternehmen Pfando, welches Kunden Geld für ihr Auto zahlt, ihnen aber die Möglichkeit belässt, es weiter zu fahren. Eine Vielzahl von Verbrauchern klage nun gegen das Unternehmen, da es einen verbotenen Rückkaufhandel betreibe.

Das Letzte zum Schluss

Schnapszahl: Stolze 5.5 Promille hatte der Autofahrer mindestens im Blut, der bei Woldegk in Mecklenburg-Vorpommern einen Strommast gestreift hatte und dann davon getorkelt war. Laut spiegel.de war das polizeiliche Gerät für einen solchen Fall nicht ausgerüstet: Das Display blieb trotz mehrmaligen Tests bei "größer als 5.5. Promille" stehen, der genaue Wert bleibt unbekannt. 

*Absatz präzisiert am Tag der Veröffentlichung, 8:49 Uhr (pl)

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mps

(Hinweis für Journalisten)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 29. Oktober 2020: Verschärfte Corona-Maßnahmen / EuGH zu LKW-Maut / Kritik an Giffey-Plagiatsprüfung . In: Legal Tribune Online, 29.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43250/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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