Die juristische Presseschau vom 17. bis 19. Oktober 2020: Inter­view mit Lam­brecht / Coro­na­schutz­maß­nahmen vor Gericht / Anklage gegen Sar­kozy

19.10.2020

Die Bundesjustizministerin hat der FAZ ein ausführliches Interview gegeben. Mehrere regionale Beherbergungsverbote und die Berliner Sperrstunde wurden von Gerichten gestoppt. Gegen Ex-Präsident Sarkozy wurde ein Strafverfahren eröffnet.

Thema des Tages

Justizministerin Lambrecht im Interview: Im Interview mit der Mo-FAZ (Corinna Budras) spricht Bundesjustizministerin Christine Lambrecht über den Föderalismus im Zusammenhang mit den Coronoschutzmaßnahmen, die Vorschläge ihres Hauses zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie und über den Gesetzentwurf für ein Verbandssanktionengesetz. Hinsichtlich der Legitimation der Coronaschutzmaßnahmen meint Lambrecht, dass jetzt sehr sorgfältig geprüft werden müsse, für welche Maßnahmen auf längere Sicht das Parlament genauere gesetzliche Vorgaben machen müsse. Zur Auseinandersetzung um das Verbandssanktionenrecht sagt die Ministerin, sie erwarte jetzt vom Koalitionspartner, dass er sich an den Koalitionsvertrag halte. Es gehe nicht darum, zusätzliche Belastungen für Unternehmen einzuführen, sondern darum, die Unternehmen zu einem Umdenken zu bewegen, damit Skandale gar nicht erst passierten.

Rechtspolitik

StPO: LTO stellt den Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums für ein Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vor. Mit dem Entwurf soll der Opferschutz gestärkt und das Strafverfahren digitaler werden. U.a. ist vorgesehen, neue Regelungen zum Schutz der Zeugenadressen in der StPO zu schaffen und eine Definition des Verletzten in die StPO aufzunehmen. Außerdem sollen künftig automatisierte Kennzeichenlesesysteme im öffentlichen Verkehrsraum zu Fahndungszwecken erlaubt werden und das Recht der Postbeschlagnahme geändert werden.

Jugendschutz: netzpolitik.org (Marie Bröckling) befasst sich mit den geplanten Neuregelungen zum Jugendschutz. Unter anderem sollen veraltete Vorgaben gestrichen und der Jugendschutz auf Streaming-Plattformen modernisiert werden. Außerdem soll die bisherige Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien zu einer Bundeszentrale ausgebaut werden und damit der Bund gegenüber den Ländern mehr Befugnisse beim Jugendmedienschutz als bisher bekommen.

BND-Gesetz: Auf netzpolitik.org befasst sich Kilian Vieth von der Stiftung Neue Verantwortung mit der Reform des BND-Gesetzes, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts notwendig wurde. Der kürzlich bekannt gewordene Referentenentwurf sei noch nicht der große Wurf, so der Autor. Er lasse zentrale und lang bekannte Kontrolldefizite ungelöst, beinhalte aber neue, sehr weitreichende Überwachungsbefugnisse.

TKÜ Verfassungsschutz: Laut Spiegel (Martin Knobbe/Wolf Wiedmann-Schmidt) will die SPD ihre Zustimmung zu einem Sicherheitsgesetz, das den Geheimdiensten des Bundes die sogenannte Quellen-TKÜ erlaubt, davon abhängig machen, dass die Union u.a. der Forderung nach einem Rassismusbeauftragten, einer Studie zu Rassismus in der Polizei und Grundrechten für Kinder nachgibt.

Abgeordnetenpflichten: Im Verfassungsblog beschreibt Rechtsprofessor Matthias Friehe die Änderungen im Abgeordnetengesetz, die der Bundestag in der letzten Woche beschlossen hat. Künftig müssen Abgeordnete mit einem Ordnungsgeld rechnen, wenn sie ihre vom Bundestag bezahlten Mitarbeiter unzulässig für nicht-mandatsbezogene Tätigkeiten einsetzen. Allerdings verlaufe dieser Versuch, den Einsatz von Abgeordnetenmitarbeitern im bzw. für den Wahlkampf zu unterbinden, weitgehend ins Leere, meint der Autor.

Whistleblower: In seiner Kolumne meint Heribert Prantl (Sa-SZ)dass die Neuregelungen zum Whistleblowerschutz, die Deutschland auf Grund einer entsprechenden EU-Richtlinie einführen muss, für viele Fälle zu spät kämen. Würde es so ein Recht schon längst geben, dann wären wohl die Abgasmanipulationen der Autokonzerne und auch die Großbetrügereien bei Wirecard viel früher aufgeflogen.

Justiz

Corona-Beherbergungsverbote: Ende letzter Woche haben der Verwaltungsgerichtshof Mannheim und das Oberverwaltungsgericht Lüneburg im Rahmen von Normenkontrollen in Eilbeschlüssen die jeweiligen Beherbergungsverbote in Baden-Württemberg und Niedersachsen gekippt. Dagegen hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig das dortige Beherbergungsverbot vorläufig bestätigt. Sa-SZ (Wolfgang Janisch) und taz.de (Christian Rath) geben einen Überblick. LTO (Hasso Suliak) berichtet über eine später ergangene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, mit der das Beherberungsverbot in Brandenburg für unverhältnismäßig erklärt wurde. 

Hans Gasser (Sa-SZ) begrüßt die Entscheidungen zu den Beherbergungsverboten und fordert, dass nun auch die Reisewarnungen für Länder und Regionen im europäischen Ausland überprüft werden müssten. Denn in dem Moment, in dem die Zahlen überall ähnlich stiegen, ergäbe es keinen Sinn, vor Reisen nach Tirol oder auf die Balearen zu warnen.

VG Berlin zur Berliner Corona-Sperrstunde: Der vorläufigen Aufhebung der Sperrstunde für elf klagende Gastronomen durch das Verwaltungsgericht Berlin, widmen sich taz.de (Christian Rath) und LTO. Im Interview mit spiegel.de (Sebastian Spallek) erläutert Rechtsanwalt Niko Härting seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, den er für die elf Lokalbetreiber gestellt hatte.

Corona-Schutzmaßnahmen: Die Sa-FAZ (Alexander Haneke) stellt die Begründungen der Gerichte zu den Beherbergungsverboten und zur Berliner Sperrstunde ausführlich dar und berichtet auch über die Entscheidung des Hessischen VGH, der die dortige Sperrstundenregelung für nicht offensichtlich rechtswidrig einschätzt und daher zunächst in Kraft beließ. zeit.de (Lenz Jacobsen/Christian Vooren) analysiert die bisherigen gerichtlichen Entscheidungen, die zu Corona-Schutzmaßnahmen ergangen sind – vom Einreiseverbot für Touristen, über die Beschränkung von Ladenflächen bis hin zur jetzigen Sperrstunde – und stellt die derzeitige Diskussion um eine bessere parlamentarische Legitimation für künftige Maßnahmen dar. 

Für Torsten Krauel (Sa-Welt) zeigen die Gerichtsentscheidungen, dass die Gewaltenteilung in Deutschland funktioniere. Ob die Ergebnisse der Lage angemessen seien oder sie verschlimmerten – darüber sei allerdings das letzte Urteil noch nicht gesprochen. Auch Reinhard Müller (Sa-FAZ) meint, dass die Gerichte aufpassen müssten. Denn irgendwo kämen die zahlreichen neuen positiven Testergebnisse ja her und Herde und Hotspots erkennen und eindämmen – das gehe nicht ohne Grundrechtseingriffe.

EuGH zur GASP-Haftung: Rechtsprofessorin Christina Eckes analysiert im Verfassungsblog die Entscheidung des Europäischen Gerichthofes, in der es um eine Schadensersatzforderung aufgrund restriktiver Maßnahmen gegen den Iran ging. Das Gericht hat festgestellt, dass es für individuelle Klagen auf Ersatz von Schäden, die sich aus Maßnahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ergeben, zuständig ist.

BVerfG zu Tabakverkauf: Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot aromatisierten Tabaks bestätigt. Die Regelungen im Tabakerzeugnisgesetz gingen auf zwingendes Unionsrecht zurück, weswegen eine Überprüfung am Maßstab der deutschen Grundrechte nicht in Betracht komme, so das BVerfG. Laut LTO wurde mit derselben Verfassungsbeschwerde erfolglos auch die Verpflichtung, auf Zigarettenschachteln Schockbilder zu drucken, angegriffen.

BVerfG – Bundestag und CETA: Die wissenschaftliche Hilfskraft Robert Pracht berichtet im JuWissBlog von der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht zum kanadisch-europäischen Handelsabkommen CETA. Es ging konkret um die Frage, ob der Deutsche Bundestag durch seine Stellungnahme vom 22.09.2016 bezüglich der vorläufigen Anwendung des in die Unionszuständigkeit fallenden Teils von CETA seiner Integrationsverantwortung gerecht wurde.

VGH Mannheim zur Einbürgerung: Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof hat in einer Entscheidung vom August festgestellt, dass einem Mann, der Frauen aus religiösen Gründen nicht die Hand geben will, die Einbürgerung verwehrt werden kann. Es ging um einen knapp 40jährigen Libanesen, der 2002 für ein Medizinstudium nach Deutschland kam und sich seitdem ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Laut LTO entschied das Gericht, die innere Einstellung des Mannes gewährleiste es nicht, dass er sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordne.

LG Trier – "Cyberbunker": Die Mo-SZ (Max Muth) berichtet über das vor dem Landgericht Trier laufende Verfahren gegen die Betreiber eines Rechenzentrums in einer Bunkeranlage, über das mindestens 249.000 Straftaten begangen worden sein sollen. Diskutiert wird in der Verhandlung vor allem die Reichweite des sogenannten Providerprivilegs, nach dem der Betreiber einer Infrastruktur nicht prüfen muss, was dort passiert. Die Entscheidung könnte für deutsche Gerichte zur Blaupause für künftige Prozesse zum Providerprivileg werden.

StA München – Wirecard-Bank: Der Spiegel (Martin Hesse) berichtet, dass die Staatsanwaltschaft München nun wieder verstärkt dem Verdacht nachgehe, dass über die Banktochter des Wirecard-Konzerns Geld gewaschen wurde. So soll die Bank virtuelle IBANs für die Verschleierung krimineller Geldflüsse zur Verfügung gestellt haben.

StA Trier – Prozessbetrug von Diess/Winterkorn: Das Hbl (Jan Keuchel/Volker Votsmeier) berichtet über die Strafanzeige von Verbraucheranwälten gegen den VW-Vorstandschef Herbert Diess, die Rechtsvorständin Hiltrud Werner und Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn wegen Prozessbetruges. Sie haben nach Ansicht der Anzeigensteller den Bundesgerichtshof getäuscht, weil sie es unterlassen hätten, eine wichtige Ad-hoc-Mitteilung des Unternehmens an die Deutsche Börse zu korrigieren. Die Staatsanwaltschaft Trier prüft jetzt, ob sich aus der Strafanzeige tatsächliche Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten ergeben.

Corona und Betriebsschließungs-Versicherungen: Um die jetzt auch gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Versicherungswirtschaft und Gaststättenbetreiber geht es in einem Beitrag des Hbl (Christian Schnell). Nachdem das Landgericht München I dem Pächter des Augustiner-Kellers eine Entschädigung in Milionenhöhe zugesprochen hatte, die die bayerische Versicherungskammer zuvor nicht zahlen wollte, klagen nun eine Vielzahl von Gastwirten gegen Assekuranzen, bei denen sie sich gegen Betriebsschließungen versichert hatten. Ein Ende der Klagewelle sei nicht in Sicht.

Recht in der Welt

USA – Wahlgesetze: Warum viele Wahlgesetze in den USA zu ungenau sind und deshalb eine Flut von Prozessen provozieren könnten, erläutert die Sa-SZ (Stefan Kornelius). Einen Präzedenzfall habe es bereits gegeben, 1876 hatte die Wahl in vier Bundesstaaten kein eindeutiges Ergebnis erbracht, die Parteien reklamierten den Sieg für sich und nominierten ihre eigenen Leute für das Wahlmännergremium. Und für die anstehende Wahl laufen bereits entsprechende Vorbereitungen: Anfechtungsklagen werden vorbereitet, Anwälte in den wichtigsten Bundesstaaten in Stellung gebracht, Verfahrenswege ausgekundschaftet und lokale Wahlbestimmungen gewälzt.

Frankreich – Prozess gegen Sarkozy: Wie die Sa-FAZ (Michaela Wiegel) meldet, ist gegen den früheren französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy am Freitag ein Strafverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung eröffnet worden. Sarkozy stehe im Verdacht, für seinen Präsidentenwahlkampf im Jahr 2007 illegale Geldzahlungen des libyschen Diktators Muammar al Gaddafi angenommen zu haben.

Ruanda/Frankreich – Félicien Kabuga: Vor wenigen Tagen hat ein französischen Gericht entschieden, dass Félicien Kabuga an den sogenannten Internationale Residualmechanismus für die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe, den Nachfolger des Internationalen Strafgerichtshofes für Ruanda, ausgeliefert werden soll. Kabuga war mutmaßlich am Völkermord in Ruanda beteiligt und wurde jahrelang mit mehreren internationalen Haftbefehlen gesucht. Im Frühjahr wurde er in Frankreich verhaftet. In einem Seite-3-Beitrag erzählt die Mo-SZ (Nadja Pantel/Ronen Steinke u.a.), wie es Kabuga gelingen konnte, sich so lange zu verstecken.

Polen – Anwalt Giertych: In Polen wurde der bekannteste Anwalt Roman Giertych, der der Opposition nahesteht, verhaftet – kurz bevor er in einem Prozess, wie angekündigt, spektakuläre Inhalte enthüllen konnte. Ihm wird das illegale Verschieben von Geld ins Ausland vorgeworfen. Er spricht von einem politischen Prozess. Die Mo-SZ (Florian Hassel) berichtet. 

Sonstiges

Corona und Föderalismus: Dass der Föderalismus auch bei der Einigung über die notwendigen Maßnahmen zur Coronabekämpfung handlungsfähig ist, sagt die Politologin Nathalie Behnke im Interview mit dem Spiegel (Matthias Bartsch). Der entscheidende Vorteil des föderalen Systems sei die ständige Kommunikation und das Ringen unter 17 Entscheidern um die besten Lösungen. Und auch die Gesundheitsminister und die Fachleute in den Ministerien hätten permanent ihre Einschätzungen und die Sichtweisen ihrer Experten miteinander abgeglichen und auf Augenhöhe miteinander diskutiert. In einer so komplexen Situation wie dieser Pandemie sei es besser, kleine Schritte zu gehen und dezentral organisiert zu sein, um auch auf lokale Besonderheiten reagieren zu können.

Rechtsgeschichte – Punks, Popper und Polizei: Martin Rath schaut auf LTO zurück auf eine Auseinandersetzung im Berlin der achtziger Jahre zwischen verschiedenen Jugendgruppen und der Polizei, die u.a. zu einem Schaden an einem Mercedes geführt hatten, die dessen Halter gerichtlich geltend machen wollte und sich dabei – letztendlich allerdings vergeblich – auf das Tumultschadensgesetz von 1920 berief.

Anspruch auf den "Goldenen Aluhut": Der akademische Mitarbeiter Simon Gauseweg beschreibt auf LTO den Versuch der "Querdenker 711"-Bewegung, für den "Goldenen Aluhut", mit dem außergewöhnlich abstruse Falschmeldungen und Verschwörungstheorien ausgezeichnet werden, nominiert zu werden. Die ursprüngliche Nominierung der Bewegung wurde von der Gründerin und Geschäftsführerin der "Goldene Aluhut gUG" Giulia Silberberger zurückgenommen, weil sie Hassmails und Todeswünsche erhalten habe. Die Anwälte der Bewegung drohen nun mit einer Klage gegen die Disqualifikation.

 

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lto/pf

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 17. bis 19. Oktober 2020: Interview mit Lambrecht / Coronaschutzmaßnahmen vor Gericht / Anklage gegen Sarkozy . In: Legal Tribune Online, 19.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43136/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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