Die juristische Presseschau vom 2. Oktober 2020: EU-Kom­mis­sion gegen GB-Bin­nen­markt­ge­setz / Ange­klagter im Lübcke-Pro­zess kommt frei / Ver­si­che­rung muss für Corona-Aus­fälle auf­kommen

02.10.2020

Die EU-Kommission wirft Großbritannien Vertragsverletzung vor. Markus H. ist nicht mehr dringend verdächtig, am Lübcke-Mord beteiligt gewesen zu sein. Wirte können mit Versicherungsleistungen wegen Corona-bedingtem Betriebsstopp rechnen.

Thema des Tages

Großbritannien – Binnenmarktgesetz: Die EU-Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren im Rahmen des Austrittsabkommens mit Großbritannien eingeleitet. Das am Dienstag vom britischen Unterhaus gebilligte Binnenmarktgesetz umgehe eine Regelung im Austrittsabkommen, die dafür Sorge trage, dass weiterhin EU-Zollregeln im britischen Nordirland herrschten. Die Präsidentin der Kommission Ursula von der Leyen gab der britischen Regierung nun einen Monat Zeit für eine Reaktion. Sind die Bedenken bis dahin nicht ausgeräumt, kann die Kommission Klage beim Europäischen Gerichtshof erheben. Es berichten SZ (Matthias Kolb/Alexander Mühlauer), FAZ (Thomas Gutschker), Hbl (Hans-Peter Siebenhaar/Carsten Volkery) und LTO.

Laut Klaus-Dieter Frankenberger (FAZ) lässt das Vorgehen der Kommission “den Optimismus nicht gerade sprudeln“, beide Seiten könnten aber noch Flexibilität zeigen. Carsten Volkery (Hbl) ist der Meinung, dass eine echte Eskalation nicht im Interesse der EU sei, da diese ein Freihandelsabkommen auf keinen Fall gefährden wolle. 

Rechtspolitik

EU-Rechtsstaatlichkeit - Bericht: Wolfgang Janisch (SZ) kommentiert den Bericht über die Lage der Rechtsstaatlichkeit in den EU-Staaten mit Blick auf Deutschland. Die größte Gefahr für den Rechtsstaat in Deutschland sieht er im zunehmenden Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Justiz. In einer Studie gaben Befragte an, dass Verfahren zu lange dauerten, die Gerichte überlastet seien und die Urteile zu milde ausfielen.

Mietrecht: Die SPD besteht auf der beim Mietengipfel 2018 beschlossenen Erschwernis, Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln. "Ohne ein Umwandlungsverbot wird es mit der SPD-Fraktion im Bundestag keine Novelle des Baugesetzbuches geben", sagte der stellvertretende SPD-Fraktionschef Sören Bartol laut LTO. Bauminister Horst Seehofer (CSU) hatte den entsprechenden Passus aus seinem jüngsten Gesetzentwurf gestrichen.

Justiz

OLG Frankfurt/M. - Mord an Walter Lübcke: Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. hat den Haftbefehl gegen den zweiten Angeklagten Markus H. im Mordfall Walter Lübcke aufgehoben. Es liege kein dringender Tatverdacht der Beihilfe mehr vor. Die ungereimten Aussagen von zwei Belastungszeugen haben dazu geführt, dass H. nun insgesamt auf einen Freispruch hoffen kann. Der Haupttäter Steffan E. hatte H. in seinen drei voneinander abweichenden Geständnissen unterschiedlich stark belastet. Eine Beteiligung H.s konnte jedoch bislang nicht bewiesen werden. Die Familie von Lübcke ließ mitteilen, dass für sie die Entscheidung der Freilassung “kaum zu ertragen“ sei. Es berichten SZ (Matthias Drobinski), FAZ (Marlene Grunert), taz (Konrad Litschko), spiegel.de (Julia Jüttner) und LTO.

Annette Ramelsberger (SZ) merkt an, dass demokratiefeindliche Gesinnung allein nicht strafbar sei. Einmal mehr gerate allein der rechtsradikale Einzeltäter in den Fokus des Strafrechts. Die hinter E. stehenden rechten Netzwerke und die Verbindungen zum rechtsradikalen NSU blieben außen vor. Daher sei es nun wichtig, diese Verflechtungen im Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtages aufzuarbeiten.

EuGH zu Online-Apotheke: Laut LTO hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Online-Apotheken im Internet Werbung für rezeptfreie Medikamente machen dürfen, die sich gezielt an Kunden in anderen Staaten der EU richtet. Eine Regelung, die dies verbiete, stelle eine unverhältnismäßige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.

OLG Hamburg zu IS-Rückkehrerin: Wie die taz (André Zuschlag) berichtet, soll an diesem Freitag vor dem Oberlandesgericht Hamburg das Urteil gegen eine Frau fallen, die sich freiwillig dem “Islamischen Staat“ anschloss. Dies nimmt die taz (Andrea Maestro) zum Anlass, über ähnlich gelagerte, bereits abgeschlossene Fälle zu berichten und anzumerken, dass wohl noch viele ähnliche Rückkehrerinnen im Verborgen in Deutschland lebten. 

Außerdem hat die taz (Katharina Schipkowski) den Hamburger Anwalt Mahmut Erdem interviewt, der dafür plädiert, ehemalige Anhänger des IS aus den Lagern in Syrien der deutschen Justiz zu überstellen. Sie hätten ein Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren, selbst vertreten möchte er sie jedoch nicht.

LG München I zu Versicherungsschutz für Corona-Betriebsschließungen: Das Landgericht München I hat den Versicherer des Wirts des Augustiner-Kellers in München zur Leistung von über einer Millionen Euro im Rahmen einer Betriebsschließungsversicherung verurteilt. Die Gaststätte hatte im März und April wegen des Corona-Lockdowns den Betrieb schließen müssen. Die meisten Versicherungen hatten die Leistung in solchen Fällen grundsätzlich verweigert, da die Schließungen auf Grund von Corona nicht von den Versicherungsbedingungen erfasst gewesen seien. Das LG hielt die entsprechende Klausel im vorliegenden Fall jedoch für intransparent. Es berichten SZ (Stephan Handel), FAZ (Corinna Budras/Philipp Krohn/Tillmann Neuscheler), Hbl (Christian Schnell) und LTO (Hasso Suliak).

LG München II - Doping-Arzt: Claudio Catuogno (SZ) kommentiert den Prozess vor dem Landgericht München II gegen den Sportarzt Mark S., der bereits gestanden hat, unzählige Sportler mit Eigenblut gedopt zu haben. Wichtiger als ein Urteil gegen S. sei, dass “die Kultur des Duldens und Wegschauens in den Verbänden“ unterbunden werde. 

StA Köln – Kinderpornografie: Wie SZ und spiegel.de schreiben, hat die Staatsanwaltschaft Köln mitgeteilt, dass Wohnungen und Häuser von 80 Beschuldigten wegen des Verdachts auf Kinderpornografie durchsucht wurden. Es wurden viele Datenträger sichergestellt.  

AsylbLG-Mustervorlage: Nun berichtet auch LTO über die von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) erstellte Mustervorlage, mit deren Hilfe Sozialgerichte die Leistungssätze für Flüchtlinge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegen können.

70 Jahre BGH: LTO (Markus Sehl) nimmt den 70. Jahrestag der Errichtung des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe zum Anlass, die Geschichte des Gerichts Revue passieren zu lassen. Insbesondere die Anfangszeit des BGH gelte als schwer belastet, da Kontinuitäten aus dem Nationalsozialismus in der Institution zunächst aufrechterhalten wurden. Mittlerweile bewerte eine große Mehrheit der Bevölkerung die Justiz und den BGH als unabhängig. 

Recht in der Welt

Spanien – Katalanischer Regierungschef: Die SZ (Karin Janker) berichtet erneut über die Amtsenthebung des katalanischen Regierungschefs Quim Torra durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofs in Spanien von diesem Montag. Torras Verteidiger hat bereits einen Eilantrag gegen das Urteil gestellt, wobei ihm der Rechtsstaatlichkeitsbericht der Europäischen Kommission zupass kommen könnte, der Spanien eine zu enge Verknüpfung von Judikative und Exekutive attestiert.

Türkei – Freilassung Kölner Sängerin: Die Sängerin Hozan Cane wurde in der Türkei vorzeitig aus der Haft entlassen, wie in der taz (Jürgen Gottschlich) und auf spiegel.de zu lesen ist. Sie war wegen der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation im November 2018 zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Das höchste türkische Berufungsgericht hat jedoch festgestellt, dass die unterstellte Mitgliedschaft in der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nicht bewiesen werden konnte. 

Slowakei – Freispruch Kočner: Wenige Wochen nachdem der Unternehmer Marián Kočner von dem Vorwurf freigesprochen wurde, den Mord an einem Investigativjournalisten in Auftrag gegeben zu haben, hat der österreichische Journalist Christoph Lehermayr bereits ein E-Book zu dem Prozess veröffentlicht, worüber nun die FAZ (Niklas Zimmermann) berichtet. Lehermayr hat Verständnis für die slowakischen Journalisten, für die früh feststand: Kočner ist schuldig, denn sie seien zum Teil selbst von dem Unternehmer überwacht worden. Lehermayr hält es zwar für „durchaus plausibel“, dass Kočner den Mord beauftragte. Doch die slowakischen Medien hätten andere Szenarien nicht einmal in Betracht gezogen.

China – Zivilgesetzbuch: Auf FAZ-Einspruch stellt der Rechtsanwalt und Sinologe Harro von Senger das im Juni 2020 verabschiedete erste chinesische Zivilgesetzbuch vor. Er nimmt dies zum Anlass, die historische Entwicklung des Zivilrechts in China unter die Lupe zu nehmen und einzuordnen. 

Sonstiges

Rassismus in Polizei und Verfassungsschutz: Beim Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen und bei der Berliner Polizei sind weitere Chatgruppen mit rechtsextremen Inhalten bekanntgeworden, wie die FAZ (Reiner Burger u.a.) schreibt.

Ronen Steinke (SZ) ist beruhigt, dass sowohl beim Landesverfassungsschutz in Düsseldorf als auch in der Berliner Polizei jeweils Kollegen dafür verantwortlich waren, dass rechte Umtriebe gemeldet wurden. Es sei ein weiteres Zeichen dafür, dass die sogenannte Mauer des Schweigens Risse bekomme. Er merkt außerdem an, dass zaghafte Versuche zwar zu erkennen seien, die Polizei aber noch nicht offen sei für einen scharfen Blick von außen. Reinhard Müller (FAZ) stellt fest, dass wer “Menschen wegen ihrer Herkunft oder Hautfarbe als minderwertig oder verbrecherisch einstuft“, ein Rassist sei und somit untauglich für jedwedes öffentliche Amt. 

H&M-Mitarbeiter-Überwachung: Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz hat gegen den Modekonzern H&M ein Bußgeld in Höhe von 35 Millionen Euro verhängt, wie SZ (Michael Kläsgen), FAZ (Klaus Max Smolka), Hbl (Dietmar Neuerer/Florian Kolf) und LTO berichten. Die schwedische Modekette hatte Hunderte Mitarbeiter überwacht und dadurch gegen die Datenschutzgrundverordnung verstoßen. 

Alternativer Nobelpreis: Laut taz (Bernhard Clasen) haben Verteidiger von Menschenrechten aus Iran, USA, Nicaragua und Belarus den alternativen Nobelpreis erhalten. SZ (Paul-Anton Krüger) und Spiegel.de (Christiane Hoffmann) stellen die Iranische Anwältin Nasrin Sotoudeh genauer vor und erklären ihre schwierige Stellung im Iran. 

Harbarth zur Wiedervereinigung: Wie in der FAZ (Reinhard Müller) zu lesen ist, hat Stephan Harbarth, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, die “Vollendung der inneren Einheit“ als eine “bleibende Aufgabe“ bezeichnet. Es freue ihn sehr, dass das Verfassungsgericht mit Ines Härtel nun eine Verfassungsrichterin aus dem Osten habe, die das Gericht mit ihrem juristischen Sachverstand, "aber eben auch mit ihrer besonderen Lebenserfahrung bereichern" werde.

Klagen gegen Klimakrise: In der taz (Susanne Schwarz) wird die international tätige Organisation Client Earth vorgestellt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, juristisch gegen Regierungen und Unternehmen vorzugehen, die zur Klimakrise beitragen. 

Wege zum Gericht: Dass der ehemalige Audi-Chef Rupert Stadler zum Prozessbeginn vor dem Landgericht München II mit einem Mercedes vorfuhr, nahm die SZ (Stephan Radomsky)zum Anlass für eine Darstellung ähnlicher "Signale" auf dem Weg zum und vom Gericht. Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhoff sprang einst wie eine Katze aus einem Gerichtsfenster und die Familie Schlecker ließ sich mit dem Taxi zum Ort fahren, wo der Porsche geparkt war. 

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ls

(Hinweis für Journalisten)  

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 2. Oktober 2020: EU-Kommission gegen GB-Binnenmarktgesetz / Angeklagter im Lübcke-Prozess kommt frei / Versicherung muss für Corona-Ausfälle aufkommen . In: Legal Tribune Online, 02.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42990/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen