Die juristische Presseschau vom 1. Oktober 2020: EU legt Rechts­staats-TÜV vor / Buß­gelder für fal­sche Gast­haus-Daten / Abou-Chaker-Pro­zess wackelt

01.10.2020

Die EU-Kommission hat einen Bericht zur Rechtsstaatlichkeit der EU-Staaten veröffentlicht. Bund und Länder einigten sich auf Bußgelder für Falsch-Einträge in Gästelisten. Razzia bei Abou-Chaker gefährdet den Strafprozess gegen ihn.

Thema des Tages

EU-Rechtsstaatlichkeit - Bericht: Erstmals hat die EU-Kommission einen Bericht über die Lage der Rechtsstaatlichkeit in allen EU-Staaten vorgelegt. Dabei seien alle EU-Staaten "fair und transparent" nach der selben Methode untersucht worden. Überprüft wurden die Unabhängigkeit der Gerichte, Maßnahmen gegen Korruption, Vielfalt der Medien und die Gewaltenteilung. Dabei äußerte die Kommission "ernste Besorgnis" über die Lage in Ungarn und Polen, insbesondere wegen des politischen Drucks auf Justiz und Medien. Auch bezüglich Bulgarien, Rumänien, Kroatien und der Slowakei hat die EU-Kommission Sorgen um die Unabhängigkeit der Justiz. Der deutschen Justiz wird ein gutes Zeugnis ausgestellt, diskutabel sei nur das Weisungsrecht der Justizministerien gegenüber den Staatsanwaltschaften. Es berichten die SZ (Matthias Kolb), die FAZ (Thomas Gutschker) und LTO (Markus Sehl). Die SZ (Julia Bergmann) stellt die Passagen zur deutschen Justiz in einem separaten Artikel dar. spiegel.de (Markus Becker/Peter Müller) schildert internen Zwist in der EU-Kommission; die Kommissare aus Ungarn und Polen wollten den Bericht nicht mittragen. 

EU-Rechtsstaatlichkeit - Sanktionen: Die EU-Mitgliedstaaten beschlossen mit knapper Mehrheit ihre Verhandlungsposition zum geplanten Rechtsstaatsmechanismus, mit dem die Auszahlung von EU-Geldern blockiert werden kann, wenn rechtsstaatliche Probleme in einzelnen EU-Staaten die finanziellen Interessen der EU beeinträchtigen. Ungarn und Polen lehnten die geplante Einflussnahme der EU ab. Den Niederlanden, Belgien, Schweden, Dänemark und Finnland geht sie dagegen nicht weit genug. Die Bundesregierung, die aktuell die Ratspräsidentschaft innehat, hat nun ein Mandat für die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament. Es berichten die FAZ (Hendrik Kafsack) und LTO

Rechtspolitik

Corona und Gästeregistrierung: Wer in einem Restaurant falsche Kontaktdaten angibt, soll künftig mit einem Bußgeld von mindestens 50 Euro belangt werden. Das beschlossen Kanzlerin Angela Merkel und die Regierungs-Chefs der Bundesländer bei einer Video-Konferenz am Dienstag. Verbindlich ist letztlich aber nur, was die Länder in ihren Corona-Verordnungen umsetzen. Es berichten die FAZ (Stefan Tomik) und die taz (Christian Rath).

PKW-Maut: Vermutlich an diesem Donnerstag muss Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im Maut-Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagen. Aus diesem Anlass beschreibt spiegel.de (Sven Becker/Gerald Traufetter) detailliert, wie Scheuer nach dem EuGH-Urteil gegen die geplante deutsche PKW-Maut den voreilig geschlossenen Vertrag mit dem privaten Maut-Konsortium unter dem Vorwand der Schlechtleistung kündigte und dabei die Empfehlungen seiner Berater überging. 

BND: Nun berichtet auch die FAZ (Peter Carstens/Marlene Grunert) über den Gesetzentwurf des Kanzleramts zur Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils aus dem Mai, mit dem die Auslands-Auslands-Aufklärung des Bundesnachrichtendienstes beanstandet wurde. Ab 2022 soll diese anlasslose Auslandsüberwachung durch einen sechsköpfigen unabhängigen Kontrollrat überwacht werden. 

Lobbyregister: Auf spiegel.de (Sabrina Winter) diskutieren Roman Ebener (Abgeordnetenwatch) und Patrick Schnieder (CSU/CSU-Fraktion) über das geplante Lobbyregister. Ebener kritisiert, dass nicht alle Kontakte zwischen Lobbyisten und Abgeordneten transparent werden sollen, Schnieder befürchtet dagegen eine Ausforschung der Abgeordneten. 

Der Deutsche Anwaltsverein fordert laut LTO eine zusätzliche Ausnahme für die Eintragungspflicht im Lobbyregister für anwaltliche Tätigkeiten mit Verschwiegenheitspflichten.

Mietrecht: Innen- und Bauminister Horst Seehofer (CSU) schlägt nun doch keine Genehmigungspflicht für die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen vor. In der FAZ (Julia Löhr) wird dies dem Einfluss der CDU/CSU-Fraktion zugeschrieben, auf zeit.de wird die Änderung des Entwurfs dagegen auf Differenzen zwischen den Bundesländern zurückgeführt. 

Justiz

LG Berlin – Abou-Chaker/Bushido: Der Prozess gegen Arafat Abou-Chaker droht zu platzen, weil die Polizei vorige Woche bei einer Hausdurchsuchung in der Villa von Abou-Chaker Verteidigungsunterlagen fotografiert und mitgenommen hat. Die Verteidigung hat daher die Einstellung des Prozesses beantragt. Es berichten die FAZ (Julia Schaaf), spiegel.de (Wiebke Ramm) und focus.de (Ulf Lüdeke).

BAG - Urlaubsansprüche: Das Bundesarbeitsgericht hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die im Bürgerlichen Gesetzbuch vorgesehene Verjährung von drei Jahren für nicht genommenen Arbeitnehmer-Urlaub mit der EU-Arbeitszeit-Richtline vereinbar ist. Die Vorlage wird von der Anwältin  Audrey Bouffil auf LTO und von beck-community (Markus Stoffels) analysiert. 

LG Coburg zu Verkehrssicherungspflicht: Ein Supermarktbetreiber verletzt seine Verkehrssicherungspflicht, wenn er nach dem Einsatz einer Bodenreinigungsmaschine nicht davor warnt, dass der glatte Boden nun leicht feucht und daher rutschig ist. Das Landgericht Coburg sprach einer gestürzten Frau laut LTO daher Schadensersatz zu. 

LG München II - Ex-Audi-Chef Stadler: Vor dem Landgericht München II hat der Prozess gegen vier ehemalige Audi-Manager begonnen, unter ihnen der Ex-Chef Ruprecht Stadler. Die Staatsanwaltschaft begann mit der Verlesung des 91-seitigen Anklagesatzes. Die FAZ (Marcus Jung/Henning Peitsmeier) berichtet. spiegel.de (Martin Hesse) schildert dazu die Vorgeschichte des Verfahrens. Das Hbl (Volker Votsmeier u.a.) ordnet das Verfahren ein in andere Prozesse gegen Wirtschafts-Größen. 

LG München II - Doping-Arzt: Im Prozess gegen den Erfurter Mediziner Mark S. sagte als Kronzeuge der ehemalige österreichische Skilangläufer Johannes Dürr aus. Er sei einst zur Erkenntnis gekommen, dass er ohne Doping keine Chance habe gegen die anderen Athleten, die sich auch dopten. Es berichten die SZ (Claudio Catuogno) und spiegel.de (Matthias Fiedler).

StA Stuttgart - Porsche-Spritverbrauch: Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt laut FAZ (Susanne Preuß) gegen vier noch unbekannte Porsche-Verantwortliche wegen Täuschung über den tatsächlichen Spritverbrauch ihrer Sportwagen. Auch hierfür sei in Prüfsituationen manipuliert worden. 

BGH zu Befangenheit: Über die BGH-Entscheidung zur Befangenheit von Richtern berichtet nun auch die SZ (Wolfgang Janisch). Für die Annahme der Besorgnis der Befangenheit eines Richters genüge es, wenn dieser eigene Ansprüche gegen eine Prozesspartei ernsthaft in Erwägung zieht, zum Beispiel weil er einen Diesel-PKW fährt und sich vom ADAC über eine Klage gegen den Hersteller beraten ließ. 

StA Berlin - Volksverhetzung: Der SPD-Politiker Danial Ilkhanipour hat gegen den inzwischen entlassenen AfD-Sprecher Christian Lüth Strafanzeige wegen Volksverhetzung gestellt, berichtet die FAZ (Thomas Herrig). Lüth hatte in einem privaten Gespräch erklärt, die Zuwanderung von Migranten wäre zunächst gut für die AfD-Wahlaussichten, man könne die Migranten später immer noch erschießen oder vergasen. Juristisch stehe die Frage im Raum, ob der öffentliche Friede auch dadurch gestört werden kann, dass ein Fernsehsender über eine private Unterhaltung berichte. 

Recht in der Welt

Russland - Urteil gegen Historiker: Der Oberste Gerichtshof Kareliens hat den kritischen Historiker Jurij Dmitrijew zu 13 Jahren Strafkolonie wegen Kindesmissbrauchs an seiner Adoptivtochter verurteilt. Es berichten die FAZ (Friedrich Schmidt) und die taz (Inna Hartwich). Es bestehe der Verdacht, dass die Vorwürfe nur vorgeschoben sind, um Dmitrijew auszuschalten.

Frankreich/Ruanda - Auslieferung wegen Völkermord: Der Pariser Kassationsgerichtshof hat der Auslieferung von Félicien Kabuga zugestimmt, der als Financier des ruandischen Völkermords gilt. Kabuga soll an den Residualmechanismus für die Internationalen ad hoc-Strafgerichtshöfe überstellt werden, der u.a. den Internationalen ad hoc-Strafgerichtshof in Arusha abwickelt. Es berichten FAZ (Michaela Wiegel) und spiegel.de

Indien - Moschee-Zerstörung: Ein indisches Sondergericht hat 32 Hindu-Nationalisten freigesprochen, die als mutmaßliche Drahtzieher des 1992 erfolgten Angriffs auf die historische Moschee in Ayodhya angeklagt waren. Es lasse sich nicht beweisen, dass der Angriff geplant war, so das Gericht laut SZ (Arne Perras)

China/Hongkong – Aktivist Wong: Der Strafprozess gegen den bekannten Hongkonger Aktivisten Joshua Wong wegen Teilnahme an einer nicht genehmigten Versammlung wurde laut spiegel.de auf den 18. Dezember vertagt. 

EGMR - Bergkarabach: Der Europäische Gerichshof für Menschenrechte hat am Dienstag auf Antrag Armeniens beide Seiten im Konflikt um die in Aserbeidschan liegende armenische Enklave Bergkarabach aufgefordert, jede Militäraktion zu vermeiden, die Zivilisten gefährden könnte. Laut LTO gingen die Kämpfe jedoch unvermindert weiter.

EuGH - EU-Türkei-Deal über Flüchtlinge: Die in Den Haag forschende türkische Rechtswissenschaftlerin Narin Idriz beschreibt auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) die Schwierigkeit für individuelle Betroffene, die informelle Absprache zwischen der EU und der Türkei über die Behandlung von Flüchtlingen, die auf den griechischen Inseln ankommen, beim EuGH überprüfen zu lassen. 

Juristische Ausbildung

Uni-Rep Mannheim: Im Gespräch mit LTO (Marcel Schneider) schildert Rechtsprofessor Friedemann Kainer das neue lerngruppen-orientierte Uni-Repetitorium "Rep2plus" der Uni Mannheim, das allein im Zivilrecht 1566 examensrelevante Problemfelder behandelt. 

Sonstiges

Online-Prüfungen: Der Anwalt Klaus Herrmann beschreibt in der FAZ die rechtlichen Probleme, die Universitäten derzeit haben, wenn sie coronabedingt Online-Prüfungen durchführen wollen. Er plädiert für Vorgaben durch die Landesgesetzgeber. 

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/chr

(Hinweis für Journalisten)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. Oktober 2020: EU legt Rechtsstaats-TÜV vor / Bußgelder für falsche Gasthaus-Daten / Abou-Chaker-Prozess wackelt . In: Legal Tribune Online, 01.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42969/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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