Die juristische Presseschau vom 22. September 2020: Feh­marn­belt-Tunnel vor BVerwG / Kohl-Ghost­writer zieht vors BVerfG / DJT zu Pan­demie und Recht

22.09.2020

Die Verhandlung zum Streit um den Fehmarnbelt-Tunnel beginnt vor dem BVerwG. Kohl-Biograph Heribert Schwan plant eine Verfassungsbeschwerde. Der diesjährige DJT beschäftigte sich mit den Folgen der Corona-Pandemie auf das Recht.

Thema des Tages

BVerwG – Fehmarnbelt-Tunnel: Anlässlich des Beginns der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht an diesem Dienstag bringen nun auch SZ (Peter Burghardt) und spiegel.de (Alexander Preker) ausführliche Vorab-Berichte zu dem Rechtsstreit um den Bau des Fehmarnbelt-Tunnels. Gegen den Bau des Tunnels, der 18 Kilometer lang unter der Ostsee hindurch nach Dänemark führen soll, haben Umweltverbände sowie Fährunternehmen geklagt und dabei insbesondere auf die in dem Gebiet entdeckten Riffe hingewiesen, die die Bauträger übersehen hätten. Für das Verfahren, das eines der größten Umweltrechtsverfahren der deutschen Geschichte werden könnte, sind zehn Verhandlungstage angesetzt.

Christian Müßgens (FAZ) nimmt das aktuelle Verfahren zum Anlass, das deutsche Planungsrecht zu kritisieren. Dass Großprojekte nunmehr ohne Vorinstanzen direkt in Leipzig verhandelt werden können, sei zwar eine gute Entwicklung. Darüber hinaus seien jedoch auch Stichtagsregelungen für mehr Rechtssicherheit bei sich ändernder Rechtslage nötig. Auch müssten Großprojekte, so Müßgens, nicht per Verwaltungsakt, sondern per Parlamentsbeschluss abgesegnet werden, damit sie im Streit mit Kritikern nicht vor Gerichten zerrieben werden.

Rechtspolitik

Personenkennziffer: Der Entwurf des Innenministeriums für das Registermodernisierungsgesetz soll noch diese Woche vom Kabinett beschlossen werden. Die Bundesregierung plant darin unter anderem, die Steuer-ID als einheitliche Personenkennziffer zu nutzen. Wie netzpolitik.org (Markus Reuter) berichtet, hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestags Bedenken zum Ausdruck gebracht; das Vorhaben in der derzeitigen Form könne ein nicht gewolltes Tracing der Bürger ermöglichen.

Insolvenzrecht: Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) plant eine Reform des Sanierungs- und Insolvenzrechts. Das Hbl (Heike Anger) gibt einen Überblick über die wichtigsten Punkte des Referentenentwurfs. So soll insbesondere die Möglichkeit geschaffen werden, umfassende Restrukturierungs- und Sanierungsmaßnahmen außerhalb eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens durchzuführen. Neben der Unterstützung von durch die Corona-Pandemie geschwächten Unternehmen dient das Gesetzesvorhaben auch der Umsetzung einer EU-Richtlinie über "Präventive Restrukturierungsrahmen".

Justiz

BVerfG – Kohl-Tonbänder: Der Buchautor Heribert Schwan will einen Teil des Rechtsstreits mit der Witwe von Helmut Kohl vor das Bundesverfassungsgericht bringen, um sich gegen eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Anfang des Monats zu wehren, so FAZ (Reiner Burger) und LTO. Der BGH hatte Schwan verpflichtet, der Witwe Maike Kohl-Richter mitzuteilen, welche Tonbandkopien von Gesprächen mit Kohl noch in seinem Besitz seien. In der Verfassungsbeschwerde plant der Ghostwriter des verstorbenen Altkanzlers, vor allem das Grundrecht auf Pressefreiheit zu rügen.

VerfGH Thüringen zu Paritätsgesetz: Die ehemalige Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff zeigt sich im Hbl beunruhigt angesichts der vielen Kritik vor allem jüngerer Rechtswissenschaftler an dem Urteil des thüringischen Verfassungsgerichtshof, in dem das dortige Paritätsgesetz für verfassungswidrig erklärt wurde. Paritätsgesetzen dieser Art liege "eine rückwärtsgewandte Vorstellung von politischer Repräsentation zugrunde". Damit kritisiert Lübbe-Wolff vor allem die Idee, "dass man nur von seinesgleichen vertreten werden kann".

OLG Frankfurt zur Herkunftsangabe von Schaumwein: Schaumwein darf auch dann als "Italian Rosé" beworben werden, wenn die letzte Verarbeitungsstufe in Spanien stattgefunden hat. Entscheidend sei, so das Oberlandesgericht Frankfurt, dass die Trauben in Italien geerntet und dort zu Wein verarbeitet wurden. LTO stellt den Rechtsstreit zweier Weinhersteller dar.

OLG Düsseldorf – IS-Terrorzelle/Ravsan B.: Am Staatsschutzsenat des  Oberlandesgericht Düsseldorf beginnt am heutigen Dienstag ein Prozess gegen den tadschikischen Staatsangehörigen Ravsan B., dem vorgeworfen wird, eine IS-Terrorzelle in Deutschland gegründet zu haben, indem er und sechs weitere Beschuldigte den IS finanziell unterstützt und Anschläge in Deutschland geplant haben. Die Welt (Ibrahim Naber) berichtet über die Hintergründe des Verfahrens.

LSG Niedersachsen-Bremen zu alternativen Behandlungsmethoden: Die gesetzlichen Krankenkassen müssen eine Behandlung durch Heilpraktiker, Nahrungsergänzungsmittel und eine Feldenkrais-Therapie nicht bezahlen, so das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen. LTO berichtet über den Hintergrund der drei Urteile: Ein Mann wollte die diversen Behandlungen seiner chronischen Erschöpfung von der gesetzlich Krankenkasse ersetzt bekommen.

GenStA Celle – KZ-Wachmann Neuengamme: Die Generalstaatsanwaltschaft in Celle wurde vom Niedersächsischen Justizministerium mit den Ermittlungen gegen den 94-jährigen Karl Friedrich B. beauftragt. Er soll als Wachposten im Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme, das sich in Meppen-Dalum befand, Beihilfe zum Mord an Gefangenen geleistet haben. B. lebt derzeit noch in den USA, soll dort aber laut taz-Nord (André Zuschlag) abgeschoben werden.

VG Berlin zu verkaufsoffenen Sonntagen: Die in Berlin geplanten verkaufsoffenen Sonntage am 4. Oktober und 8. November wurden vom Verwaltungsgericht Berlin untersagt, berichtet LTO. Veranstaltungen, die überwiegend digital stattfinden, können nicht Anlass für die Sonntagsöffnung von Läden sein. 

LG München II – Mord an Ehemann: Nachdem sie im Verlauf der Ehe das gesamte Vermögen ihres Mannes samt der gemeinsamen Wohnung auf sich übertrug, habe die Ehefrau ihren Mann mit Schlafmittel, Insulin und Morphium getötet. Vor dem Landgericht München II begann am Montag deshalb der Prozess gegen die Krankenschwester unter anderem wegen Habgier- und Heimtücke-Mordes. Darüber hinaus habe sie die Grabplatte auf dem Friedhof aufgebohrt und die Asche ihres verstorbenen Mannes danach teilweise in einem Glas und teilweise in einem Kissenbezug aufbewahrt. Dies führte laut spiegel.de wiederum zum Vorwurf einer Störung der Totenruhe.

Recht in der Welt

USA – Nachfolge Bader Ginsburg: Nur wenige Tage nach dem Tod der Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg ist ihre Nachfolge bereits beherrschendes Thema in den USA. spiegel.de (Alexander Sarovic) stellt die drei derzeit aussichtsreichen Kandidatinnen Amy Coney Barrett, Barbara Lagoa und Joan Larsen vor. Alle drei sind Bundesrichterinnen. LTO (Maximilian Amos) befasst sich nun auch mit dem Werdegang des derzeitigen Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, dessen fester Wille und Mission es zu sein scheine, die Mehrheitsverhältnisse am Supreme Court dauerhaft zugunsten seiner Republikanischen Partei zu kippen. Die SZ (Alan Cassidy) berichtet von Drohungen der Demokraten, die Zahl der Richter am Supreme Court von neun auf elf oder dreizehn zu erhöhen, wenn sie die Mehrheit im Senat errungen haben. Diese Posten könnten sie dann mit neuen Richtern besetzen, die den Demokraten nahestehen. Die Zahl der Richter am Supreme Court ist in der Verfassung nicht vorgeschrieben.

Russland – Anschlag auf Nawalny: Könnte in Deutschland ein Strafverfahren zur Aufklärung des Attentats auf Alexei Nawalny erfolgen? Darüber schreiben die SZ (Georg Mascolo/Ronen Steinke) und tagesschau.de (Florian Flade/Georg Mascolo). Zumindest bei einem Tod oder einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustands Nawalnys könne nach § 9 des Strafgesetzbuches (StGB) ein Verfahren in Deutschland stattfinden, sind sich die Behörden einig. Rechtsanwalt Nikolaos Gazeas hingegen sieht § 9 StGB bereits dadurch einschlägig, dass das Gift seine Wirkung in Deutschland entfaltete. Zuständig für die Ermittlungen wäre dann die Staatsanwaltschaft Berlin.

Sonstiges

DJT-Forum Pandemie und Recht: Anstelle des Deutschen Juristentags fand am vergangenen Freitag pandemiebedingt eine Ersatzveranstaltung mit einer Podiumsdiskussion vor rund 200 Zuschauern im Saal sowie rund 12.000 Zuschauern im Netz statt. Anstatt – wie geplant – über Themen wie etwa die Unmittelbarkeit im Strafverfahren oder die stärkere Regulierung von Online-Plattformen zu sprechen, ging es beim diesjährigen DJT um die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Recht. Insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dessen Anwendung durch die Gerichte während der Pandemie wurden laut LTO (Hasso Suliak) kritisch beleuchtet. Der Unternehmeranwalt Christian Winterhoff bemängelte zudem, dass die gerichtliche Kontrolle während der Coronakrise immer wieder an wissenschaftliche Grenzen gestoßen sei und viele Corona-Maßnahmen von den Gerichten "durchgewunken" worden seien. 

Rechtswidrige Polizeieinsätze: Auf dem Verfassungsblog kritisiert Rechtsanwalt David Werdermann die gerichtliche Aufarbeitung rechtswidriger Polizeieinsätze als strukturell defizitär. Das beispielhaft angeführte Urteil eines Kölner Landgerichts zu Amtshaftungsansprüchen verkenne die betroffenen Grundrechte und die Präventivfunktion des Staatshaftungsrechts. Die Gewährung von Amtshaftungsansprüchen, so die These des Rechtsanwalts, sei nicht nur rechtlich geboten, sondern würde darüber hinaus auch die Rechtsbindung von Polizeibeamten stärken.

Europäische Staatsanwaltschaft: Ende dieses Jahres soll eigentlich die neue EU-Staatsanwaltschaft ihre Arbeit in Luxemburg aufnehmen. LTO zufolge liegt jedoch ein dafür notwendiger Beschluss der EU-Kommission noch nicht vor. Zukünftige Aufgabe der Behörde ist die Verfolgung von Straftaten, die gegen die finanziellen Interessen der EU gerichtet sind.

Das Letzte zum Schluss

Keine "Lizenz zum Töten": Im März wurden mehrere Waffen aus "James Bond"-Filmen aus einem Haus in London gestohlen. Anders als der Leinwand-Agent hat der Dieb jedoch keine "Lizenz zum Töten", weswegen die Polizei in London nun laut spiegel.de Überwachungsbilder veröffentlicht und einen Zeugenaufruf gestartet hat, um den Diebstahl der wertvollen Filmwaffen aufzuklären.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/jpw

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 22. September 2020: Fehmarnbelt-Tunnel vor BVerwG / Kohl-Ghostwriter zieht vors BVerfG / DJT zu Pandemie und Recht . In: Legal Tribune Online, 22.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42861/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen