Die juristische Presseschau vom 17. September 2020: Rechts­ex­tre­me Chat­gruppen in der Polizei NRW / E-Pati­en­ten­akte nur mit Warn­hin­weis / Doping-Pro­zess gestartet

17.09.2020

Innerhalb der nordrhein-westfälischen Polizei wurden rechtsextreme Chatgruppen aufgedeckt. Der Bundesdatenschutzbeauftragte kündigt Warnhinweise für E-Patientenakte an und der bislang größte Doping-Prozess ist gestartet.

Thema des Tages

Rechtsextreme Chatgruppen in der Polizei NRW: Insgesamt 29 Polizisten in Nordrhein-Westfalen sollen an mehreren nun aufgedeckten rechtsextremen Chatgruppen beteiligt gewesen sein. Alle seien bereits suspendiert worden und gegen alle sei ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden, so der Landesinnenminister Herbert Reul (CDU). In elf Fällen laufen Strafverfahren wegen des Verbreitens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. In den Chatgruppen wurden unter anderem Bilder von Hakenkreuzen sowie fiktive Darstellungen eines Flüchtlings in einer Gaskammer geteilt. Reul bezeichnete die Vorgänge als Schande für die Polizei und gestand sich ein, dass er angesichts der jüngsten Vorfälle nicht mehr von Einzelfällen sprechen könne. Neben der disziplinarrechtlichen sowie der juristischen Aufarbeitung berief Reul als Konsequenz aus dem Vorfall unter anderem einen Sonderermittler, der rechtsextremistische Taten in der Polizei aufdecken soll. Es berichten FAZ (Reiner Burger), zeit.de (Christian Parth), taz (Konrad Litschko) und LTO.

Ronen Steinke (SZ) erinnert an den großen Vertrauensvorschuss, den Polizisten in Deutschland berechtigterweise genießen. Wird dieser jedoch durch die Zustimmung zu Bildern wie in den aufgedeckten Chatgruppen zerstört, müsse notfalls das Disziplinarrecht verschärft werden, um Entlassungen der Staatsbediensteten zu erleichtern. Für Steinke kann es dann "keine zweite Chance" geben.

Rechtspolitik

Elektronische Patientenakte: Beim Start der elektronischen Patientenakten im neuen Jahr drohen Warnungen vor unzureichendem Datenschutz an Millionen Versicherte. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber monierte unter anderem, dass in der derzeitigen Form etwa ein Zahnarzt auch die Befunde eines Psychiaters einsehen könne. Die Krankenkassen seien Kelber zufolge in dem Dilemma, ein Gesetz umsetzen zu müssen, dabei aber europäisches Recht zu verletzen. Er wünscht sich deshalb laut LTO, als Datenschutzbeauftragter dem Europäischen Gerichtshof nationale Normen vorlegen zu können. An diesem Freitag kommt das vom Bundestag beschlossene Datenschutzgesetz für die E-Akten abschließend in den Bundesrat.

Parität in Thüringen: Nachdem das Landesverfassungsgericht das thüringische Paritätsgesetz für verfassungswidrig erklärte, hat nun die CDU-Landtagsfraktion Änderungsvorschläge für die Landesverfassung vorgelegt, die die paritätische Besetzung von Wahllisten schon auf Ebene der Landesverfassung verbieten soll. LTO berichtet.

E-Evidence-Verordnung: Netzpolitik.org (Chloé Berthélémy) berichtet über die Pläne der EU-Kommission für eine Verordnung, die den behördlichen Zugriff auf persönliche Daten bei Internetunternehmen erleichtern soll. Denkbar wäre damit etwa, so die Befürchtung der Autorin, eine Identifizierung, Verfolgung und präventive Verhaftung von Koordinatoren von Protestkundgebungen auf Facebook.

Aufnahme von Flüchtlingen: Die Bundesratsinitiative der Länder Berlin und Thüringen, die eine vereinfachte Aufnahme von Flüchtlingen ermöglichen soll, unterstützt der Hamburger Senat laut taz Hamburg (Regina Seibel) nicht. Bei der Abstimmung des Gesetzentwurfs am kommenden Freitag im Bundesrat will sich Hamburg enthalten.

Suizidhilfe: Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der FDP-Fraktion, die dem Tagesspiegel (Jost Müller-Neuhoff) vorliegt, geht hervor, dass sich allein seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ende Februar mehr als 50 Sterbewillige beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn um Zugang zu einem todbringenden Medikament bemüht haben. Auf Weisung Jens Spahns (CDU) wurden die Anträge abgelehnt. Im Juni haben erstmals zwei Antragsteller ein gerichtliches Eilverfahren gegen die Ablehnung angestrengt. Im Bundestag werden unterdessen erneut Stimmen laut, die eine gesetzliche Regelung für einen Zugang zu dem Medikament fordern.

Regelbuch für Sexdienstleistungen: LTO stellt einige Punkte des vom Land Nordrhein-Westfalen erlassenen Regelbuchs für Sexdienstleistungen vor, die nach einem Urteil zur Zulässigkeit von Sexdienstleistungen auch in der Corona-Zeit herausgegeben wurden. Im Vordergrund stehen dabei allseits bekannte Regeln wie das häufige Händewaschen, Desinfizieren von benutzten Gegenständen sowie das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Kundenkontakt. Sie finden sich in der überarbeiteten Anlage zur Coronaschutzverordnung des Landes.

Die SZ (Peter Burghardt) beschreibt die in Hamburg geltenden Regelungen, die beim Erbringen von Sexdienstleistungen etwa in der Herbertstraße auf der Reeperbahn fortan zu beachten sind.

Medienstaatsvertrag: Im FAZ-Einspruch kritisiert Rechtsprofessor Rolf Schwartmann den neuen Medienstaatsvertrag, der kurz vor seinem Inkrafttreten steht und in Bezug auf soziale Netzwerke aus der Sicht Schwartmanns zu sehr auf bloße Transparenz und Diskriminierungsverbote ohne regulatorisches Korrektiv setzt. Um aktiv ein Umfeld für die Meinungsvielfalt bieten zu können, müsste es sozialen Netzwerken etwa gesetzlich verboten sein, Wahlwerbung zu schalten.

Lieferketten und Menschenrechte: Die taz (Hannes Koch) hat mit dem Wirtschaftsweisen Achim Truger über das geplante Lieferkettengesetz gesprochen. Truger erinnert daran, dass die befürchteten finanziellen Mehrbelastungen bei den Unternehmen ohnehin anfielen, würden sie ihre bereits geltenden Selbstverpflichtungen einhalten. Eine Überforderung der deutschen Wirtschaft sei nicht zu erwarten.

Justiz

LG München II – Doping-Arzt: Weit mehr als hundertmal sollen der Sportarzt Mark S. sowie seine Helfer Sportlern Blut entnommen und wieder zurückgeführt haben, um sie im Wettkampf schneller und ausdauernder zu machen. Dem Hauptangeklagten S. werden deshalb gewerbsmäßige und teilweise bandenmäßige Anwendung verbotener Dopingmethoden sowie gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Am ersten Verhandlungstag gab es neben der Anklageverlesung vor allem zahlreiche Vorwürfe der Verteidigung gegenüber der Staatsanwaltschaft, über die faz.net (Christoph Beck), spiegel.de (Matthias Fiedler) und focus.de (Göran Schattauer) berichten. Für den bislang größten Doping-Prozess Deutschlands hat das Landgericht München II 26 Verhandlungstage bis Weihnachten veranschlagt.

OLG Frankfurt/M. – Mord an Walter Lübcke: Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. sieht davon ab, einen Ortstermin am Haus des ermordeten Walter Lübckes anzuberaumen, um die Markus H. belastenden Aussagen besser nachvollziehen zu können. Zu einem solchen Termin dürften nicht nur die Prozessvertreter und Richter, sondern auch Öffentlichkeit und Medienvertreter erscheinen. Laut LTO (Felix W. Zimmermann) scheuen viele Richter diesen Aufwand jedoch.

OLG Celle – Abu Walaa/V-Mann: Wie die FAZ (Alexander Haneke) meldet, ist der ehemalige polizeiliche V-Mann "Murat" im Prozess gegen den angeblichen Statthalter des IS in Deutschland, Abu Walaa, nicht am Oberlandesgericht Celle zu seiner Vernehmung erschienen.

OLG München zu ausländischer terroristischer Vereinigung: Der Recht und Unrecht-Teil der Zeit (Laura Meschede) befasst sich mit dem Fall Erhan Aktürks, der wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung vom Oberlandesgericht München zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteil wurde. Für die in Deutschland nicht verbotene Kommunistische Partei der Türkei TKP/ML habe er Spenden gesammelt und Veranstaltungen organisiert.

LG Frankfurt/M. zu geplantem Islamisten-Attentat: Ein Islamist, der sich vor einer Frankfurter Bar in die Luft sprengen wollte, ist nun vom Landgericht Frankfurt/M. unter anderem wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu fünf Jahren und acht Monaten Haft verurteilt worden. Wie die FAZ (anob) berichtet, habe sich der Verurteilte in einer früheren Haftstrafe dem Islam zugewandt. Laut psychiatrischem Gutachten sei die religiöse Radikalisierung eine Ersatzhandlung zu einer früheren Drogenabhängigkeit gewesen.

VG Berlin – Pop-up-Radwege: Die Berliner Senatsverwaltung für Verkehr und Umwelt hat wie angekündigt Beschwerde gegen den Eilbeschluss des Berliner Verwaltungsgerichts zu den sogenannten Pop-up-Radwegen eingelegt. Mit einem gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung soll der vorzeitige Rückbau der Radfahrstreifen verhindert werden, meldet die taz.

AG Reutlingen zu Maskenpflicht vor Gericht: Weil der Einspruchsführer sich weigerte, vor Gericht eine Maske zu tragen, wurde ihm der Zutritt zu den Räumlichkeiten verwehrt und das Amtsgericht Reutlingen behandelte ihn als unentschuldigt ferngeblieben. Das führte laut LTO dazu, dass das Gericht den Einspruch verwarf, den der Mann gegen ein ihm auferlegtes Bußgeld erhoben hatte, weil er seinen Hund unerlaubterweise ohne Leine bei sich führte.

StA Kiel – Aldi-Erben-Streit: Nicolay Albrecht, Erbe von Aldi Nord, soll nach Informationen der SZ (Michael Klaesgen) persönlich Strafanzeige gegen seine Mutter, seine vier Schwestern sowie deren Anwalt gestellt haben. Dabei geht es um Ausschüttungen in Millionenhöhe einer schleswig-holsteinischen Stiftung der Aldi-Inhaberfamilie Albrecht, bei der Nicolay leer ausging. Einen Anfangsverdacht wegen Untreue gäbe es laut Staatsanwaltschaft Kiel noch nicht, die Vorwürfe würden jedoch geprüft.

Dieselskandal vor Gericht: LTO blickt zurück auf die Entwicklungen des Dieselskandals seit Bekanntwerden der Abgasmanipulationen vor fünf Jahren und gibt einen Überblick über die in dem Zusammenhang noch laufenden Gerichtsverfahren u.a. gegen den ehemaligen VW-Chef Martin Winterkorn.

Recht in der Welt

Großbritannien – Brexit: Der Rechtsprofessor Ciarán Burke und die Doktorandin Polina Kulish erläutern auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) das Verhältnis britischen Rechts zum Völkerrecht und befassen sich mit der letzte Woche eingebrachten* Gesetzentwurf für eine "Internal Market Bill", den sie für völkerrechtswidrig halten.

Spanien – Franco-Symbole: In Spanien billigte das Kabinett nun den Entwurf für ein "Gesetz der demokratischen Erinnerung", das den Gebrauch von Symbolen der Franco-Diktatur verbieten soll. Mit der endgültigen Verabschiedung des Gesetzes wird laut FAZ (Hans-Christian Rößler) Anfang nächsten Jahres gerechnet.

Das Letzte zum Schluss

Foto-Safari mit Diebesgut: Ein Affe in Malaysia stahl einem Studenten das Handy und floh damit zunächst in den Dschungel. Dort machte er laut spiegel.de Aufnahmen von der Fauna, seinen Zähnen und mehrere Selfies. Weitere Verwendung schien er für das Handy nicht gehabt zu haben und hinterließ es dem Studenten anschließend hinter dessen Haus.
 

*geändert am 18. 9. um 0.55 Uhr

 
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/jpw

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 17. September 2020: Rechtsextreme Chatgruppen in der Polizei NRW / E-Patientenakte nur mit Warnhinweis / Doping-Prozess gestartet . In: Legal Tribune Online, 17.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42817/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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