Die juristische Presseschau vom 16. September 2020: Bun­des­rats-Ini­tia­tive für Flücht­lings-Auf­nahme / EuGH zu Netz­neu­tra­lität / Iri­scher High Court hilft Face­book

16.09.2020

Berlin und Thüringen wollen Flüchtlinge ohne Einvernehmen mit Innenminister Seehofer aufnehmen können. Der EuGH sichert die Gleichbehandlung von Apps bei Mobilfunk-Datentarifen. Der High Court stoppt die irische Datenschutzbehörde. 

Thema des Tages

Aufnahme von Flüchtlingen: Die Länder Berlin und Thüringen bringen ihren Antrag auf Änderung von § 23 Aufenthaltsgesetz nach dem Brand von Moria erneut in den Bundesrat ein. Bei der humanitären Aufnahme von Flüchtlingen durch Bundesländer soll künftig kein Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium mehr erforderlich sein. CDU/CSU und SPD im Bundestag lehnen den Vorschlag ab. Die Bundeseinheitlichkeit sei erforderlich, weil Flüchtlinge mit Aufenthaltstitel sich im Bundesgebiet frei bewegen können. Außerdem würde eine humanitäre Aufnahme dazu führen, dass – anders als bei anderen Flüchtlingen – keine Prüfung der Asylberechtigung stattfinde. LTO (Tanja Podolski/Hasso Suliak) stellt die Diskussion ausführlich dar.

Rechtspolitik

Befristete Arbeitsverträge: Die Bundesregierung hat die geplante Reduzierung befristeter Arbeitsverträge noch nicht in Angriff genommen, obwohl die Wahlperiode bald endet. Das berichtet die SZ (Henrike Roßbach). Im Koalitionsvertrag war vereinbart worden, dass in Unternehmen mit mehr als 75 Beschäftigten künftig höchstens 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristet angestellt sein dürfen.

Urheberrecht und Journalismus: Rechtsprofessor Jan Oster fordert im FAZ-Einspruch, dass im EU-Urheberrecht ein "Journalismusprivileg" verankert werden soll. Es soll verhindern, dass Journalisten unter Verweis auf das Urheberrecht an der Veröffentlichung fremder Dokumente von öffentlichem Interesse gehindert werden können. Das Zitatrecht und die tagesaktuelle Berichterstattung seien als Schranken zu eng. Oster bezieht sich auf die jüngst vom BGH entschiedenen Fälle "Afghanistan Papers" und "Volker Beck". 

Geldwäsche: Die Rechtswissenschaftler Benjamin Vogel und Clara Rigoni fordern in der FAZ eine Verschärfung der deutschen Geldwäsche-Regelungen. Der organisierten Kriminalität müsse der Zugang zu legalen Unternehmen erschwert werden. Besonders gravierende Verletzungen der durch das Geldwäschegesetz geschaffenen Transparenzpflichten sollten auch dann strafbar sein, wenn eine kriminelle Herkunft von Vermögen nicht nachweisbar ist. Anders als in anderen Staaten spiele die Geldwäsche bei der OK-Bekämpfung in Deutschland bisher keine zentrale Rolle. 

Justiz

EuGH zu Netzneutralität: Der Europäische Gerichtshof sieht laut LTO die EU-Verordnung über den Zugang zum offenen Internet verletzt, wenn bei Handytarifen bestimmte Dienste – etwa für Musik-Streaming – nicht auf das begrenzte Datenvolumen des Kunden angerechnet werden. Zulässig sei dies nur, wenn alle App-Anbieter gleich behandelt werden – wie dies wohl bisher in Deutschland üblich ist. 

BayVerfGH zu Maskenpflicht im Landtag: Der Bayerische Verfassungsgerichthshof hat laut LTO einen Eilantrag der AfD-Fraktion gegen die Pflicht, im bayerischen Landtag Masken zu tragen, abgelehnt. Die Parlamentsarbeit sei nicht unzumutbar erschwert, da es Ausnahmen von der Maskenpflicht gebe, etwa in Sitzungssälen, Besprechungsräumen am Platz und bei Presseinterviews, wenn der Mindestabstand eingehalten werde.

VG Lüneburg zu Schulpflicht und Corona: Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat laut LTO einen Eilantrag von zwei Schülern abgelehnt, die nicht mehr in die Schule gehen wollten, weil ihre Mutter an Asthma Bronchiale leidet und daher zur Corona-Risikogruppe gehört. Ein Anspruch auf Homeschooling bestehe nur, wenn die Schüler selbst erkrankt wären. Die Vorgaben des Landes, wonach eine Befreiung vom Präsenzunterricht zum Schutz von Angehörigen nur gewährt wird, wenn an der Schule Corona-Fälle nachgewiesen sind, seien nicht zu beanstanden. 

EuGH zu Nachfolge Generalanwältin Sharpston: beck-aktuell fasst die Gerichtsverfahren um die Bestimmung eines Nachfolgers für die EuGH-Generalanwältin Eleonor Sharpston zusammen. Der wissenschaftliche Angestellte Tobias Crone kommt auf dem Verfassungsblog zur Einschätzung, dass die materiellen Rechtsfragen schwierig zu beantworten sind. Entweder habe Sharpston durch den Brexit vorzeitig ihr Amt verloren oder sie sei noch im Amt. Crone wift dem EuGH vor, er habe zu Unrecht Eindeutigkeit angenommen, als er einen Eilantrag Sharpstons gegen ihre Entlassung ablehnte. 

OVG Münster/VG Düsseldorf – Christoph Metzelder: Die Anwälte des Ex-Profifußballers Christoph Metzelder wollen weiter erreichen, dass eine Pressemitteilung des Amtsgerichts Düsseldorf von dessen Homepage gelöscht wird. Dort wird die Anklage gegen Metzelder wegen Besitz von Kinderpornographie mitgeteilt. Nachdem das Verwaltungsgericht Düsseldorf einen Eilantrag Metzelders abgelehnt hat, haben seine Anwälte laut rnd.de Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Münster eingereicht. Der Anwalt Martin Huff stellt in der FAZ Einzelheiten aus dem Beschluss des VG Düsseldorf dar. 

OLG Naumburg – Angriff auf Synagoge: Im Prozess gegen den Attentäter von Halle, Stephan B., sagte als Nebenkläger der Vater von Kevin S. aus, der von B. in einem Döner-Imbiss erschossen worden war. spiegel.de (Beate Lakotta) und die taz (Konrad Litschko) berichten. 

OLG Celle – Abu Walaa/V-Mann: Im Prozess gegen Abu Walaa, der Statthalter des IS in Deutschland gewesen sein soll, ist für den heutigen Mittwoch der ehemalige polizeiliche V-Mann "Murat" geladen, der einst auf Abu Walaa angesetzt war und diesen belastete. Ein Verteidiger hatte den Klarnamen des V-Mannes herausgefunden, so dass die Aussagesperre des NRW-Innenministeriums umgangen werden konnte. Ob der V-Mann, der inzwischen mit Hilfe von Spiegel-Journalisten ein Buch veröffentlicht hat, tatsächlich kommt, ist noch offen. Die FAZ (Alexander Haneke) berichtet. 

VG Potsdam – Hohenzollern: Im Prozess um die Frage, ob Entschädigungsansprüche der Hohenzollern ausgeschlossen sind, weil sie dem Nationalsozialismus Vorschub leisteten, hat das Verwaltungsgericht ein Jahr Fristaufschub gewährt, um Vergleichsverhandlungen zu ermöglichen, berichtet die FAZ (Reinhard Müller). Es werden außerdem Konflikte unter Historikern darüber dargestellt, ob die Forschungslage eindeutig gegen die Hohenzollern spricht oder ob die Fachwelt hierüber gespalten ist.

Recht in der Welt

Irland – Facebook/Datenübertragung: Der irische High Court hat in einem Eilbeschluss Facebook erlaubt, weiterhin Daten von EU-Bürgern in die USA zu übertragen. Die irische Datenschutzbehörde hatte dies zuvor unter Verweis auf das EuGH-Urteil zum Privacy Shield untersagt. Der High Court argumentierte mit der hohen Bedeutung, die die Datenübertragung für die gesamte Gesellschaft habe, so die FAZ (Corinna Budras)

USA – Daimler-Dieselskandal: Daimler hat in den USA zwei Vergleiche abgeschlossen, die zu Kosten in Höhe von 2,2 Mrd. Dollar bzw. 1,9 Mrd. Euro führen, aber noch gerichtlich genehmigt werden müssen. Es geht um Bußgelder, Nachrüstkosten und Kompensationen. Ob Daimler eine unzulässige Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung nutzte, bleibt offen. Es berichten die FAZ (Martin Gropp/Marcus Jung) und LTO.

Italien – Meinungsfreiheit und Südtiroler Obst: Am Landesgericht Bozen hat der Strafprozess gegen einen deutschen Öko-Forscher und einen Autor begonnen. Diese hätten mit Berichten über Pestizidmissbrauch in Südtiroler Apfelplantagen und Weinbergen die Landwirtschaft verleumdet, so der Vorwurf. Entgegen einer Ankündigung des Südtiroler Landesrats für Landwirtschaft hat dieser seine Strafanzeige nicht zurückgenommen, berichtet die taz (Michael Braun). Wegen zahlreicher anderer Anzeigeerstatter hätte der Prozess ohnehin stattgefunden. 

Spanien – Franco-Symbole: In Spanien soll der Gebrauch von Symbolen der Franco-Diktatur verboten werden, es drohen Bußgelder bis zu 250 000 Euro. Das von der Regierung geplante "Gesetz der demokratischen Erinnerung" soll auch franquistische Organisationen verbieten und die Exhumierung der Franco-Opfer finanzieren, berichtet die taz (Reiner Wandler).

Türkei – Deniz Yücel: Die Welt (Daniel-Dylan Böhmer) fasst die jetzt vorgelegte Urteilsbegründung der 32. Istanbuler Strafkammer im Fall Deniz Yücel zusammen. Yücel war im Juli wegen Propaganda für die PKK in Abwesenheit verurteilt worden. Ihm wird u.a. vorgeworfen, dass er durch ein Interview mit einem PKK-Kommandeur den Eindruck erweckt habe, es handele sich bei der PKK um eine legitime Organisation. Die Welt weist darauf hin, dass das türkische Verfassungsgericht zuvor festgestellt hatte, dass "keinerlei Anhaltspunkte" für eine Strafbarkeit Yücels vorliegen. 

Großbritannien – Brexit: Rechtsprofessor Stefan Talmon erläutert auf dem Völkerrechtsblog mit Blick auf das vorgeschlagene britische Binnenmarktgesetz, dass ein nationales Gesetz, das gegen Völkerrecht verstößt, auf nationaler Ebene durchaus legal sein kann. Er beruft sich auf die dualistische Lehre und das Bundesverfassungsgericht. 

WTO – US-Strafzölle gegen China: Das WTO-Streitschlichtungsgremium stufte US-Strafzölle gegen China als Verstoß gegen das GATT-Abkommen ein. Die USA habe nicht nachweisen können, dass Chinas Exportgüter von staatlicher Förderung und Diebstahl von Know-How profitieren, so spiegel.deRechtsmittel zur WTO-Berufungsinstanz werden möglich, diese ist wegen eines US-Boykotts bei der Richterwahl aber nicht mehr arbeitsfähig. 

Sonstiges

Corona-Spreaderin: Die Frau, die in Garmisch-Partenkirchen ihre Corona-Quarantäne verließ und Bars besuchte, ist gegenüber den dabei angesteckten Personen gem. § 823 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) schadensersatzatzpflichtig, analysiert Rechtsprofessor Stefan Lorenz auf LTO. Auch die Gaststäten, die jetzt früher schließen müssen, könnten gem § 826 BGB Schadensersatz verlangen.

Datenübertragung in USA: Der Anwalt Tim Wybitul fordert in einem FAZ-Gastbeitrag europäische Unternehmen zu einer Risikoprüfung auf, bevor sie Daten in die USA übertragen. Maßstab sei das Privacy-Shield-Urteil des EuGH. 

Mietrecht: LTO (Hasso Suliak) sprach mit Rechtsprofessor Markus Artz, dem Vorsitzenden des Deutschen Mietgerichtstags, über den Online-Mietgerichtstag 2020, Gewerbemietrecht, die mangelnde Vergütung für Anwälte im Wohnraummietrecht, den Berliner Mietendeckel und die Finanzierung von Schönheitsreparaturen.

 

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lto/chr

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. September 2020: Bundesrats-Initiative für Flüchtlings-Aufnahme / EuGH zu Netzneutralität / Irischer High Court hilft Facebook . In: Legal Tribune Online, 16.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42807/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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