Die juristische Presseschau vom 10. September 2020: Kein Over­b­lo­cking durch NetzDG / "Adlon" ist keine Klo­schüssel / Keine Ent­gelt­fort­zah­lung ohne Arbeits­ver­trag

10.09.2020

Der Evaluierungsbericht zum NetzDG fällt durchaus positiv aus. Firma darf Sanitäreinrichtungsgegenstände nicht "Adlon" nennen und laut BAG besteht kein Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn nur eine Zwangsvollstreckung verhindert werden soll.

Thema des Tages

NetzDG: Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat am Mittwoch den Evaluierungsbericht zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz vorgestellt und kommt darin zu dem Ergebnis, dass die Ziele des NetzDG "in erheblichem Umfang erreicht wurden." Auch sei es nicht zu dem von Kritikern befürchteten übermäßigen Sperren von Inhalten gekommen, dem sogenannten "Overblocking". Die Gefahr des Overblockings werde laut Lambrecht aber weiter ernst genommen. Das 2017 beschlossene NetzDG verpflichtet Internet-Plattformen, eindeutig strafbare Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen. Allerdings hat der Bundestag bereits im Juni eine Verschärfung des Gesetzes beschlossen. Danach müssen Internet-Plattformen strafbare Postings demnächst dem Bundeskriminalamt anzeigen. Es berichten die FAZ (Corinna Budras)taz.de (Christian Rath) und LTO.

Netzpolitik.org (Tomas Rudl) erläutert zudem den Vorschlag zur Einrichtung von sogenannten "Cyber Courts". Dieser geht aus dem juristischen Gutachten von Martin Eifert hervor, das als Grundlage für den Evaluierungsbericht dient.

Rechtspolitik

Kükentöten: Ein von Landwirtschaftsministerin Klöckner (CDU) vorgestellter Gesetzentwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes sieht ab Januar 2022 ein Verbot der routinemäßigen Tötung männlicher Küken vor. Ferner soll ab 2024 auch das Töten von Hühner-Embryonen im Ei verboten sein, wie die SZ (Michael Bauchmüller), die FAZ (Jasper von Altenbockum)deutschlandfunk.de und die taz (Jost Maurin) ausführen. Das Bundesverwaltungsgericht hatte im vorigen Jahr entschieden, dass das Kükentöten nur noch so lange zulässig sei, bis technische Alternativen entwickelt sind.

Jost Maurin (taz) begrüßt den Gesetzentwurf zwar, kritisiert aber, dass "das grundsätzliche Problem der Hühnerhaltung in Deutschland damit nicht gelöst" sei.

GWB – Digitalkonzerne: Das Bundeskabinett hat am Mittwoch dem lang diskutierten Gesetzentwurf zur Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) zugestimmt. Dem Bundeskartellamt werden darin weitreichende Befugnisse bei der Wettbewerbskontrolle von Digitalmarktunternehmen wie Google, Facebook oder Amazon eingeräumt, wie die FAZ (Kerstin Schwenn) erläutert. Für ein Eingreifen ist im Vergleich zur bisherigen Regelung keine marktbeherrschende Stellung des Unternehmens mehr nötig, eine "überragende marktübergreifende Bedeutung" reicht bereits.

Der emeritierte Rechtsprofessor Christoph Degenhart kritisiert in der FAZ, dass eine solche Verschärfung der Missbrauchsaufsicht ein "Sonderkartellrecht" errichte, das nicht EU-rechtskonform sei. Einige zentrale Bestimmungen des Gesetzentwurfs seien zudem aufgrund ihrer Unbestimmheit verfassungswidrig.

Lieferketten und Menschenrechte: Nun wird auch in einem Beitrag in der SZ (Michael Bauchmüller u.a.) die Diskussion um das geplante Lieferkettengesetz aufgegriffen und die verschiedenen Positionen dargestellt. In dem Krisengespräch zwischen Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) und Arbeitsminister Heil (SPD) am heutigen Donnerstag soll es dann vor allem um die Haftungsfrage gehen sowie darum, ab welcher Unternehmensgröße welche Pflichten gelten sollen.

Die Rechtsprofessorin Eva-Maria Kieninger (FAZ) kritisiert die einzelnen Vorschläge der Unternehmensverbände und betont, dass der deutsche Gesetzgeber nun keinen "zahnlosen Papiertiger" entwickeln dürfe, sondern "präzise formulierte und rechtlich durchsetzbare Sorgfaltspflichten" statuieren sollte. Für ein wirksames Lieferkettengesetz plädiert auch Zacharias Zacharakis (zeit.de).

UrhDaG: In einem Interview mit der taz (Svenja Bergt) erörtert die ehemalige Europaabgeordnete Julia Reda (derzeit parteilos) die Pläne zur Umsetzung der EU-Urheberrechts-Richtlinie in Deutschland im Urheberrechts-Diensteanbietergesetz und äußert Bedenken zur Einführung von Uploadfiltern.

Justiz

EuG zur Marke "Adlon": Die Unionsmarke "Adlon Brand" aus dem Jahr 2005 darf nur vom Betreiber des Hotels Adlon benutzt werden. Dies entschied das Gericht der Europäischen Union und wies damit die Klage des Sanitärprodukteherstellers Kludis ab. Es folgte damit der Entscheidung des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO). Das EUIPO hatte 2012 den Antrag von Kludis auf Anmeldung der Marke "Adlon" für Badearmaturen und ähnliches zurückgewiesen, wie LTO und FAZ berichten.

BAG zu Entgeltfortzahlung: Wird eine gekündigte Person lediglich zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung weiter beschäftigt, so besteht kein wirksamer Arbeitsvertrag und somit auch kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen, wenn sich die Kündigung im Ergebnis als wirksam erweist. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht in einem jetzt veröffentlichten Urteil vom Mai diesen Jahres. Auf LTO erläutert Rechtsanwalt Radoslaw Kleczar den zugrunde liegenden Sachverhalt und begrüßt die Feststellung des Gerichts, dass es bei Fragen zur Entgeltfortzahlung nur auf den Arbeitnehmerbegriff aus § 611a Bürgerliches Gesetzbuch ankomme und nicht etwa auf den europäischen Begriff.

OLG Naumburg – Angriff auf Synagoge: Wie die SZ (Urlike Nimz), spiegel.de (Beate Lakotta) und die taz (Sarah Ulrich) berichten, ging es am elften Prozesstag im Verfahren gegen Stephan B. erstmals um das Geschehen am und im Imbiss "Kiez-Döner". Drei Zeugen, die dem Anschlag nur knapp entkommen sind, schildern, wie sie die Tat erlebten. B. ist aufgrund seines rechtsterroristischen Anschlags wegen zweifachen Mordes und versuchten Mordes in 68 Fällen angeklagt.

OLG Karlsruhe zu Influencerin und Werbung: Die Influencerin Pamela Reif muss ihre Beiträge auf Instagram als Werbung kennzeichnen, wie das Oberlandesgericht Karlsruhe nun entschied. Die Unternehmerin hatte auf ihren Instagram-Bildern einige Links zu auf dem Bild sichtbaren Produkten eingefügt, sogenannte "Tap Tags". Bei diesen Beiträgen handele es sich laut Gericht jedoch nicht um eine private Meinungsäußerung, sondern um einen Wettbewerbsverstoß. Das Gericht hat die Revision zugelassen. Es berichten die FAZ und LTO.   

LG München I zu FC Bayern-Urheberrechtsstreit: Das Landgericht München I hat entschieden, dass die Zeichnungen eines Grafikers in Kombination mit dem verwendeten Slogan "The Real Badman & Robben" ein schutzfähiges Gesamtwerk im Sinne des Urheberrechtsgesetzes sind und sprach dem klagenden Grafiker einen Schadensersatzanspruch gegen den unterlegenen FC Bayern zu. Der Fußballclub hatte Merchandise-Artikel mit Zeichnungen bedruckt, die denen des Grafikers stark ähneln. Wie LTO und die SZ (Andreas Salch) weiter berichten, kann der Grafiker Auskunft über den durch den Verkauf der Merchandise-Produkte erlangten Gewinn verlangen, sollte das Urteil rechtskräftig werden.

LG Braunschweig – Winterkorn: Das Landgericht Braunschweig hat mitgeteilt, dass es nach "umfangreicher Prüfung" die Klage gegen den früheren Volkswagen-Chef Martin Winterkorn und vier weitere Mitarbeiter von VW überwiegend zugelassen habe. Es bestehe ein hinreichender Tatverdacht des "gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs" durch Winterkorn. Dieser war im April 2019 wegen seiner Rolle im VW-Dieselskandal von der Staatsanwaltschaft angeklagt worden. Den Vorwurf der Untreue ließ das Gericht nun nicht zu. Die SZ (Thomas Fromm), die FAZ (Carsten Germis/Marcus Jung), das Hbl (Jan Keuchel/Volker Votsmeier) und LTO berichten.

Carsten Germis (FAZ) bringt die Anklage auch in Zusammenhang mit dem Betrug bei Wirecard und resümiert, dass in Deutschland wohl "Korruption, Gier, Skrupellosigkeit und Arroganz" weit verbreitet zu sein scheinen. Der Fokus der Anklage auf damalige Topmanager sei eine Mahnung für alle heutigen gut bezahlten "Entscheider", meint zudem Max Hägler (SZ).

Verschiedene Wahrheiten: Richter Thomas Melzer schildert in der ZEIT die Geschichte hinter einer Gerichtsentscheidung zu einem langjährigen Streit um einen Reiterhof in Brandenburg und zeigt auf, wie viele individuelle Wahrheiten es manchmal geben kann.  
 

Recht in der Welt

Italien – Verfassungsreferendum: Die Italiener stimmen in zehn Tagen in einem Referendum über eine Verfassungsreform ab. Diese sieht die Verkleinerung der Parlamentskammern vor, im Senat von 315 auf 200 Mitglieder und im Parlament von 630 auf 400 Abgeordnete. Damit sollen die Kosten des italienischen Parlamentsbetriebs gesenkt werden. Italien hätte innerhalb der Europäischen Union dann das kleinste Parlament, mit nur 0,7 Parlamentariern pro 100.000 Einwohnern, so die SZ (Oliver Meiler).

Auf dem Verfassungsblog beschreibt der Dozent Marco Goldoni (in englischer Sprache) die Gründe für die Verfassungsänderung und erörtert das Desinteresse der italienischen Bevölkerung an dem Referendum.

Schweiz – Caster Semenya: Das Schweizer Bundesgericht in Lausanne hat die Beschwerde der 800-Meter-Olympiasiegerin Caster Semenya gegen ein Urteil des Internationalen Sportgerichtshofs Cas abgewiesen. Semenya kämpft für die Abschaffung einer Regel, die "biologisch männlichen Athleten mit weiblichen Geschlechtsidentitäten" vorschreibt, ihren Testosteron-Wert durch Medikamente zu senken. Sie könnte nun noch eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einlegen, berichtet SZ.de weiter.

Diese Regel mag Semenya benachteiligen, allerdings diene sie dem Schutz Tausender Frauen im Sport, die sonst benachteiligt würden, meint Joachim Mölter (SZ).

Sonstiges

Gedenken an Corona-Tote: Der bisherige Verlauf der Corona-Pandemie in Deutschland sei kein Anlass für Staatstrauer, meint Reinhard Müller (FAZ).

Cum-Ex: Die FAZ (Marcus Jung) zieht Bilanz im Cum-Ex Steuerskandal. So hat der Staat bisher nur einen Bruchteil des Schadens zurückgefordert. Die Ermittlungen dauern zudem noch an und zu den bisherigen zwei Verurteilungen liegen Revisionen beim Bundesgerichtshof vor.

 

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lto/ali

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 10. September 2020: Kein Overblocking durch NetzDG / "Adlon" ist keine Kloschüssel / Keine Entgeltfortzahlung ohne Arbeitsvertrag . In: Legal Tribune Online, 10.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42756/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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