Die juristische Presseschau vom 2. September 2020: Charlie Hebdo-Pro­zess beginnt / EU-Ver­bands­klage kommt / BayVGH kippt Münchner Alko­hol­verbot

02.09.2020

In Frankreich beginnt der Prozess gegen die Unterstützer der Anschlagsserie in Paris. Per Richtlinie soll noch im Herbst die Grundlage für eine EU-Verbandsklage geschaffen werden und in München darf nachts wieder Alkohol getrunken werden.

Thema des Tages

Frankreich – Charlie Hebdo: Mehr als fünf Jahre nach der Anschlagsserie, die sich unter anderem gegen die französische Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" richtete, beginnt am heutigen Mittwoch in Paris der Strafprozess gegen die mutmaßlichen Unterstützer. Die Attentäter selbst starben bei Schusswechseln mit der Polizei. Die FAZ (Michaela Wiegel), taz (Rudolf Balmer), focus.de (Andreas Noll) und die Welt (Martina Meister) bringen ausführliche Vorberichte.

Anlässlich des Prozesses hat die Satirezeitschrift laut faz.net abermals Mohammed-Karikaturen mit dem Titel "Tout ça pour ça" (Viel Lärm um Nichts) veröffentlicht. Die taz (Barbara Oertel) spricht mit Romy Straßenburg, ehemalige Chefredakteurin der deutschen Ausgabe von Charlie Hebdo, über Veränderungen in der Debatte um den Laizismus und die Pressefreiheit in Frankreich.

Rechtspolitik

EU-Verbandsklage: Noch in diesem Herbst will die EU eine Richtlinie zur Schaffung einer EU-Verbandsklage beschließen. Mit dieser sollen qualifizierte Einrichtungen im Interesse der Betroffenen klagen dürfen. Der Anwendungsbereich der Verbandsklage soll Verstöße gegen bestimmte Vorschriften des Unionsrechts sowie deren Umsetzung in nationales Recht umfassen. Anders als die 2018 eingeführte Musterfeststellungsklage soll für den Anspruch auf Schadensersatz keine gesonderte Klage erhoben werden müssen. Rechtsanwalt Matthias M. Schweiger beschreibt für den FAZ-Einspruch den Gesetzgebungsprozess sowie die nationalen Spielräume bei der Umsetzung.

Reisebeschränkungen in der EU: Die EU-Kommission plant, in den nächsten Tagen einen konkreten Vorschlag für eine bessere Koordinierung der in die nationale Zuständigkeit fallenden Maßnahmen zu präsentieren. Ein Teil der Abstimmung könnte sein, für die Beurteilung der Corona-Risikolage gemeinsame Kriterien zu entwickeln. Auch Deutschland setzt sich im Rahmen seiner derzeitigen EU-Ratspräsidentschaft intensiv für eine bessere Koordinierung ein, so FAZ (Thomas Gutschker), SZ (Björn Finke) und LTO.

Lieferketten und Menschenrechte: Caspar Dohmen (SZ) appelliert in seinem Kommentar zur Kritik am geplanten Lieferkettengesetz an die deutschen Unternehmen, den Trend zu ökologisch und sozial einwandfrei hergestellten Produkten als "gute Aussichten auf Pioniergewinne" zu begreifen.

Digitale Wertpapiere: Rechtsanwalt Tobias Riethmüller stellt in der FAZ die wesentlichen Punkte des Referentenentwurfs von Bundesjustizministerium und Bundesfinanzministerium zur Einführung rein digitaler Wertpapiere vor. Der Entwurf enthält den Vorschlag eines "Gesetzes über elektronische Wertpapiere", der unter anderem das Erfordernis physischer Urkunden über Wertpapiere aufgibt und gleichzeitig Schutzmechanismen für die Anleger vorsieht.

Maskenpflicht bei Demos: Wie die SZ meldet, gilt in Berlin künftig bei Demonstrationen mit mehr als 100 Personen die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung. Damit hat das Land Berlin auf die Demonstrationen gegen die Corona-Politik vom Wochenende reagiert.

Wiedereinreise abgeschobener Ausländer: Ausländer, die trotz einer Einreisesperre wieder nach Deutschland zurückkehren, sollen zur Vorbereitung einer Abschiebungsandrohung inhaftiert werden können. Ein Gesetzentwurf zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes soll laut Welt (Marcel Leubecher) am heutigen Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen werden.

Justiz

BayVGH zu Alkoholverbot: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat das nächtliche Alkoholkonsumverbot der Stadt München für den öffentlichen Raum für unverhältnismäßig erklärt. Anders als noch das Verwaltungsgericht Düsseldorf im Mai, befand der BayVGH ein Alkoholverbot für geeignet, dem Infektionsschutz zu dienen. Das Verbot auf das gesamte Stadtgebiet zu erstrecken und nicht auf einzelne, stark frequentierte Plätze zu beschränken, war laut BayVGH jedoch nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig. SZ (Julian Hans/Andreas Salch) und LTO berichten.

BayVGH zu Dienstvergehen: Ein Polizeibeamter hatte unter anderem in 31 Fällen sein privates Auto mit einer dienstlichen Tankkarte betankt und damit laut bayerischem Verwaltungsgerichtshof Dienstvergehen im Sinne des Beamtenstatusgesetzes begangen. Der BayVGH beendete damit einen jahrelangen Rechtsstreit mit der nun rechtskräftigen Aberkennung des Ruhegehalts, so SZ und LTO.  

OLG Frankfurt/M. – Mord an Walter Lübcke: Im Prozess gegen Stephan E. im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Lübcke wurde nun ohne größere Erkenntnisgewinne die Ehefrau des Angeklagten zur Rolle des Mitangeklagten Markus H. sowie den Vorwürfen gegen den ersten Anwalt E.s befragt. Außerdem äußerte sich ein Kollege des Angeklagten, Habil A., zu seinem freundschaftlichen Verhältnis zu E. Die FAZ (Timo Steppat) und spiegel.de (Julia Jüttner) berichten.

OLG Naumburg – Angriff auf Synagoge: spiegel.de (Beate Lakotta) schildert den achten Tag im Prozess um das Attentat auf die Synagoge von Halle, an dem zum ersten Mal einige der in der Synagoge Betenden zu Wort kamen, die das Ziel des Terroranschlags waren.

LAG Köln zu Telefonsex: Obwohl sie als Freiberuflerinnen geführt wurden, bejahte das Landesarbeitsgericht Köln in zwei Verfahren die Arbeitnehmerinneneigenschaft zweier Telefonsexdienstleisterinnen. Die permanente Video- und Audioüberwachung sowie die enge Einbindung in die Arbeitsorganisation des Unternehmens verhinderte eine eigenständige Marktpräsenz der Telefonistinnen, so das LAG. LTO berichtet.

VG Berlin zu Schaukästen: Schaukästen politischer Parteien auf öffentlichen Straßen stellen eine straßenrechtliche Sondernutzung dar und sind deshalb gebührenpflichtig. Das entschied laut LTO das Verwaltungsgericht Berlin in einem nun veröffentlichten Urteil. Nach dem Berliner Straßengesetz seien Werbeanlagen auf der Straße nur in unmittelbarem Zusammenhang mit Wahlen gebührenfrei, Schaukästen fielen nicht darunter und seien nicht mit mobilen Informationsständen vergleichbar.

Überlange Strafverfahren: In den vergangenen Jahren mussten viele Tatverdächtige wegen überlanger Verfahren aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Laut Deutschem Richterbund könne der Personalmangel in der Justiz ein Grund dafür sein. Diese Überlastung der Gerichte kann jedoch keine Haftfortdauer rechtfertigen, so LTO und spiegel.de.

Recht in der Welt

Südkorea – Lee Jae-yong: Die Staatsanwaltschaft in Seoul hat den Vizevorsitzenden von Samsung Electronics, Lee Jae-yong wegen Finanzvergehen und Marktmanipulationen angeklagt. Wie in der FAZ (Patrick Welter) zu lesen ist, geht es dabei um die umstrittene Fusion zweier Unternehmen der Samsung-Gruppe im Jahr 2015.

Australien – Mediengesetz: Internet-Größen wie Facebook und Google sollen laut taz (Daniél Kretschmar) in Australien künftig für Nachrichten zahlen, die sie von traditionellen Medien übernehmen. Der Gesetzentwurf sieht einen Mechanismus vor, der Teile der durch Werbung generierten Umsätze Googles und Facebooks an Verlage weitergibt. Als Reaktion auf das Gesetzesvorhaben, das bis zum Ende des Jahres verabschiedet werden soll, hat Facebook gedroht, Nutzern einfach generell zu untersagen, Medieninhalte zu teilen.

Juristische Ausbildung

Fremdsprachenausbildung: LTO (Sabine Olschner) gibt einen Überblick über die Fachspezifische Fremdsprachenausbildung (FFA) im Rahmen des Jurastudiums. Diese gibt Einblicke in ausländische Rechtssysteme und zudem die Möglichkeit, den Freiversuch des Ersten Staatsexamens um ein Semester nach hinten zu verschieben.

Sonstiges

Querdenker und Versammlungsfreiheit: Reinhard Müller (FAZ) erinnert daran, dass die Versammlungsfreiheit auch und gerade ermöglicht, genau dort zu protestieren, "wo es denjenigen weh tut, gegen die sich der Protest richtet". Die Ausübung von Gewalt sei jedoch in keinem Fall vom Schutz des Grundgesetzes umfasst, "weder vor dem Reichstag noch sonst wo".

Kartellbeschwerde gegen Google: Gegen Google wurde Mitte August erneut eine Kartellbeschwerde bei der EU-Kommission eingelegt. Die Rechtsanwälte Jens Steger und Sven Klüppel beschreiben auf LTO die Hintergründe und geben einen Überblick über vergangene Kartellbeschwerden gegen Google. Aktuell geht es um den Vorwurf marktmissbräuchlichen Verhaltens von Google im Reisevermittlungssektor.

Nach dem Neoliberalismus: Im Rahmen des Online-Symposiums "What Comes After Neoliberalism?" im Verfassungsblog befasst sich Rechtsprofessor Martijn Hesselink (in englischer Sprache) mit dem Begriff des Neoliberalismus und dessen Implikationen. Wie gesellschaftlicher Fortschritt durch Anpassungen in der Theorie des Rechts gelingen kann, erklärt Rechtsprofessor Simon Deakin (in englischer Sprache) in einem weiteren Beitrag.

Das Letzte zum Schluss

Moderne Cowboys: Die Polizei hat ein verloren gegangenes Kalb mit einem Gürtel auf der Autobahn wieder eingefangen. Um es festzubinden, nutzten die Polizisten laut SZ den Gürtel eines Beamten als Halsband und ein Abschleppseil. Das Tier ist wohlauf.

 

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lto/jpw

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 2. September 2020: Charlie Hebdo-Prozess beginnt / EU-Verbandsklage kommt / BayVGH kippt Münchner Alkoholverbot . In: Legal Tribune Online, 02.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42668/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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