Die juristische Presseschau vom 18. August 2020: Pro­zess­auf­takt im Miss­brauchs­fall Ber­gisch Glad­bach / Pläne für "Quellen-TKÜ plus" / Abou-Chaker vor Gericht

18.08.2020

Vor dem LG Köln hat der Prozess gegen Jörg L. begonnen. Justiz- und Innenministerium planen rückwirkende Telekommunikationsüberwachung für Verfassungsschutz. Gegen Clanchef Abou-Chaker wird vor dem LG Berlin verhandelt.

Thema des Tages

LG Köln – Kindesmissbrauch Bergisch Gladbach: Im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach hat vor dem Landgericht Köln der Prozess gegen Jörg L. begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 43-Jährigen unter anderem vor, immer wieder seine 2017 geborene Tochter sexuell missbraucht zu haben. Nachdem L. im Ermittlungsverfahren zunächst zu den Vorwürfen gegen ihn schwieg, kündigte er am Montag an, sich ausführlich einlassen zu wollen. Seine Aussage findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Für den Prozess, der am morgigen Mittwoch fortgesetzt wird, wurden zunächst elf Prozesstage angesetzt und ein Urteil wird im November erwartet. Die SZ (Jana Stegemann) und zeit.de (Christian Parth) berichten. Die FAZ (Reiner Burger) beschreibt darüber hinaus noch die Rolle von Internetforen und Chat-Gruppen, in denen sich Pädokriminelle wie L. austauschen. Dieses von Kriminalisten eher als "Schwarm" denn als "Netzwerk" bezeichnete Phänomen habe einen der bisher größten Missbrauchskomplexe in Deutschland hervorgebracht.

Rechtspolitik

TKÜ Verfassungsschutz: Das Bundesjustiz- sowie das Bundesinnenministerium haben sich laut SZ (Ronen Steinke) auf eine Ausweitung der Befugnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz weitgehend geeinigt. Nach der Polizei soll es nun auch dem Verfassungsschutz ermöglicht werden, die Telekommunikation an der Quelle ("Quellen-TKÜ") zu überwachen, also mittels eines Trojaners laufende Kommunikation etwa am Smartphone vor der Verschlüsselung abzufangen. Zudem soll eine "Quellen-TKÜ plus" auch rückwirkend von dem Moment der Bewilligung der Maßnahme an die Ausforschung gespeicherter Kommunikation ermöglichen. Anders als die Polizei sieht sich der Verfassungsschutz keinem Richtervorbehalt ausgesetzt, eine Kontrolle soll durch die G-10-Kommission ausgeübt werden.

Digitale Buchhaltung: In einer Stellungnahme, die der FAZ (Corinna Budras) vorliegt, kritisieren acht große Wirtschaftsverbände die Pläne des Bundesfinanzministeriums, die digitale Buchhaltung zu vereinheitlichen. Die geplante Änderung von § 147b der Abgabenordnung soll die Finanzämter entlasten. Neben befürchteten Umstellungskosten in Milliardenhöhe kritisieren die Verbände vor allem die unklare Ausgestaltung der Pläne.

UrhDaG: deutschlandfunk.de (Peggy Fiebig) berichtet über den Ende Juni vorgestellten Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie (Urheberrechts-Diensteanbietergesetz). Der Gesetzgeber werde um die Uploadfilter, die bei der Verabschiedung der Richtlinie im Zentrum der Kritik standen, letztlich nicht herumkommen. Der vom Ministerium nun vorgeschlagene Mechanismus findet jedoch auch bei Kritikern Zuspruch. Bis zum 7. Juni 2021 muss die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt sein.

Aufsichtsrat im Aktienrecht: In der FAZ stellen die Wirtschaftsprofessoren Uwe Fülbier, Bernhard Pellens und André Schmidt einen Sechs-Punkte-Plan zur Stärkung des Aufsichtsrats im Aktienrecht vor. Ein eigenes Budget des Aufsichtsrats und einen Mitarbeiterstab sowie eine bessere Zusammenarbeit mit dem Abschlussprüfer etwa könnten einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung von Bilanzbetrug liefern. Gerade im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal stellt sich die Frage, wie dieser am effektivsten hätte verhindert werden können.

Geldwäsche: Das Hbl (Heike Anger) stellt nun auch einen Referentenentwurf aus Bundesjustiz- und Bundesfinanzministerium vor, nach dem fortan jede Straftat mögliche Vortat der Geldwäsche sein kann. Damit sollen Wirtschaftsstraftaten besser bekämpft werden können.

Heike Anger (Hbl) weist darauf hin, dass bereits jetzt ein ganz erheblicher Teil der klassischen Wirtschaftsstraftaten als mögliche Vortat umfasst sei und mit dem Gesetzesvorhaben nun vor allem eine große Mehrbelastung der Justiz zu erwarten sei.

Justiz

LG Berlin – Arafat Abou-Chaker: Am Landgericht Berlin hat der Prozess gegen den Clanchef Arafat Abou-Chaker und drei seiner Brüder begonnen. Ihnen wird laut FAZ (Sebastian Eder), spiegel.de (Wiebke Ramm) und LTO vorgeworfen, den Rapper Bushido nach einem Streit bedroht und angegriffen zu haben. Zu dem Streit soll es gekommen sein, nachdem Bushido 2017 seine Geschäftsbeziehungen mit Abou-Chaker auflöste. Die beiden waren laut Gericht einst Partner im Musikgeschäft. Bushido selbst ist laut einer Gerichtssprecherin für den zweiten Prozesstag am morgigen Mittwoch als Zeuge geladen. Bis Ende November sind mehr als 20 Prozesstage geplant.

BVerG zur Corona-Triage: Nun schreiben auch der Habilitant Alexander Brade und Maxi Müller im JuWissBlog über den vom Bundesverfassungsgericht abgelehnten Eilantrag zur Einsetzung eines Gremiums zur verbindlichen Regelung der Behandlungsentscheidung im Rahmen der Covid-19-Pandemie auf Grundlage der Triage. Die Autoren hoffen nun, dass sich das Bundesverfassungsgericht spätestens in der ausstehenden Hauptsacheentscheidung der existenziellen Fragen annehmen wird. Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber sei dazu aufgerufen, Rechtssicherheit für Patienten, Angehörige und nicht zuletzt für Ärzte zu schaffen.

LAG Berlin-Brandenburg zu 24-h-Pflege: Für die umfassende häusliche Betreuung sind täglich 21 Stunden mit Mindestlohn zu vergüten. Das entschied das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg laut LTO und SZ (Jan Heidtmann) in einem Fall, in dem eine bulgarische Pflegekraft eine hilfsbedürftige 96-Jährige betreut und auch bei ihr gewohnt hatte. In ihrem Arbeitsvertrag war dafür ein Entgelt für lediglich 30 Wochenstunden vereinbart.

LSG Hessen zu Arbeitsunfall im Ausland: Das deutsche Sozialversicherungsrecht greift auch bei in Deutschland Beschäftigten, die ins Ausland entsandt werden. Das entschied das Hessische Landessozialgericht laut LTO. Die Unfallkasse eines am Zoo Leipzig beschäftigten Tierpflegers hatte sich geweigert, für eine Teilamputation aufzukommen, die nach einem Unfall während einer Exkursion in Vietnam notwendig geworden war.

AG Frankfurt/M. zu Urlaubsstorno in der Coronakrise: Bei einer vom Kunden wegen der Corona-Gefahr stornierten Reise muss der Veranstalter unter Umständen auch ohne vorliegende Reisewarnung den Preis voll erstatten. Das entschied das Amtsgericht Frankfurt/M. in einem nun veröffentlichten Urteil. LTO und zeit.de (Tina Groll) berichten.

AG Krefeld – Affenhaus-Brand: Am Amtsgericht Krefeld wird es zu einem Gerichtsprozess im Zusammenhang mit dem Affenhaus-Brand in der Neujahrsnacht kommen. Wie die SZ berichtet, haben die drei beschuldigten Frauen Einspruch gegen Strafbefehle wegen fahrlässiger Brandstiftung eingelegt. Den Frauen wird vorgeworfen, in der Neujahrsnacht sogenannte Himmelslaternen steigen gelassen zu haben, die den Brand im Affenhaus des Krefelder Zoos ausgelöst haben sollen. Bei dem Feuer starben rund 50 Tiere, darunter acht Menschenaffen.

BVerfG-Pressearbeit: Der Deutsche Presserat hat sich laut Tsp (Jost Müller-Neuhoff) in einem Brief an den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth gewandt und verlangt, dass das Gericht künftig allen Journalisten den gleichen Zugang zu gerichtlichen Informationen gewährt. Bislang profitieren nur die Journalisten der Justizpressekonferenz von den Vorab-Informationen des Gerichts.

Recht in der Welt

Singapur – Wirecard: In Singapur muss sich ein Treuhänder des Wirecard-Konzerns vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Chef des Treuhänders vor, Unterlagen manipuliert und so den Eindruck erweckt zu haben, als verwalte die Firma treuhänderisch mehrere Hundert Millionen Euro. Das Geld habe jedoch nie existiert. Die SZ (Christoph Giesen u.a.) berichtet darüber und erklärt, wie das Geschäft mit den Bilanzfälschungen in Asien abgelaufen sein soll.

USA – Edward Snowden: Über die Pläne US-Präsident Trumps, eine Begnadigung des Whistleblowers Edward Snowden prüfen zu wollen, schreibt nun auch LTO und erinnert daran, dass Trumps Vorgänger Obama am Ende seiner Amtszeit die Whistleblowerin Chelsea Manning begnadigt hat.

Sonstiges

Corona und Reiserückkehr: Für LTO haben die Rechtsanwälte Michaela Felisiak und Dominik Sorber einen Überblick erarbeitet, welche rechtlichen Folgen eine Rückkehr aus dem Urlaub oder der Dienstreise im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie haben können.

Anwälte im Assessment-Center: Über den aktuellen Trend, auch für die Bewerberauswahl in Kanzleien auf Assessment-Center zu setzen, hat LTO (Anja Hall) mit der Juristin und Karriereberaterin Charlotte von der Planitz gesprochen.

KI und Meinungsfreiheit: Die SZ (Adrian Lobe) diskutiert im Feuilleton die Frage, inwiefern von künstlicher Intelligenz produzierte Äußerungen vom Umfang der Meinungsfreiheit umfasst sein können. Insbesondere in den USA werde hierüber bereits seit Jahren debattiert.  

Bonn-Berlin-Gesetz: Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hält laut LTO weitere Debatten über das Bonn-Berlin-Gesetz sowie über einen kompletten Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin wegen der Fortschritte in der Digitalisierung für überflüssig. Auch mehr als 20 Jahre nach dem Umzug nach Berlin haben die Ministerien jeweils einen Sitz in Bonn und Berlin.

Das Letzte zum Schluss

Satiriker-Headhunting: Ein 18-jähriger Abiturient wurde von seinem Rektor wegen übler Nachrede angezeigt, nachdem er eine Abschlussrede hielt, in der er diverse Missstände an seiner Schule satirisch aufs Korn nahm und dabei auch vor Kritik am Rektor nicht zurückschreckte. Das machte medial die Runde und schien ganz nach dem Geschmack des Berufssatirikers Jan Böhmermann gewesen zu sein: Dieser bot dem Abiturienten direkt einen Praktikumsplatz für sein neues TV-Format an. Wie die SZ (Christoph Koopmann/Magdalena Pulz) berichtet, nahm der Abiturient das Angebot an.

 

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lto/jpw

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 18. August 2020: Prozessauftakt im Missbrauchsfall Bergisch Gladbach / Pläne für "Quellen-TKÜ plus" / Abou-Chaker vor Gericht . In: Legal Tribune Online, 18.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42516/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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