Die juristische Presseschau vom 7. August 2020: Staats­an­wälte unter Befan­gen­heits­ver­dacht / BVerfG zu Streik­bre­chern / "Dead­na­ming" nicht strafbar

07.08.2020

Zwei Staatsanwälte werden in Berlin wegen Befangenheitsverdacht von Ermittlungen abgezogen. Das Verbot, Leiharbeiter im Streik einzusetzen, ist laut BVerfG rechtmäßig. StA Tübingen hält "Deadnaming" von Transpersonen nicht für strafbar.

Thema des Tages

GenStA Berlin – Rechtsextreme Anschlagsserie in Berlin-Neukölln: Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat die Ermittlungen zu einer rechtsextremen Anschlagsserie in Berlin-Neukölln an sich gezogen. Dies erklärte die Leiterin der GenStA Margarete Koppers am Mittwoch. Zudem sind zwei Staatsanwälte wegen des Verdachts der Befangenheit von den Ermittlungen abgezogen und in andere Abteilungen versetzt worden. Eine Opferanwältin fand zuvor in einer Ermittlungsakte den Auswertungsbericht eines abgefangenen Chatverlaufs zwischen dem Hauptverdächtigen der Anschlagserie, dem ehemaligen AfD-Bezirksvorstand Thilo P., und dessen Bekannten. Dieses deutet daraufhin, dass der Leiter der Staatsschutzabteilung der Berliner Staatsanwaltschaft dem Verdächtigen sehr nahe steht und diesem gesagt haben soll, er brauche nichts zu befürchten. Ein weiterer Staatsanwalt soll davon gewusst haben. Da der Anwältin die Einsicht in die Originalprotokolle verweigert wurde, legte sie Fachaufsichtsbeschwerde bei der GenStA ein, welche nun am Mittwoch entsprechend handelte. Es berichten nun auch ausführlich die SZ (Florian Flade/Ronen Steinke), die FAZ, der Tsp (Alexander Fröhlich/Katja Füchsel) und die taz (Gareth Joswig). Wie LTO (Markus Sehl) darüber hinaus weiß, werden nun zwei Staatsanwälte der Abteilung für Terrorismusverfahren der GenStA für die Ermittlungen zugeordnet. Zudem fordern einige lokale Politiker die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. 

Reinhard Müller (FAZ) meint, sollte sich der Verdacht gegen die Staatsanwälte erhärten, wäre der Staat "hier wirklich auf dem rechten Auge blind". Gerade in Zusammenhang mit anderen Fällen institutionellen Rassismus fordert Gareth Joswig (taz) die Schaffung "unabhängiger Ermittlungsinstanzen, die Rassismus innerhalb staatlicher Strukturen unabhängig untersuchen können".

Rechtspolitik

Lobbyismus Amthor: Der Bundestag stellt das Prüfverfahren gegen den CDU-Abgeordneten Philip Amthor ein. Laut der Bundestagsverwaltung habe Amthors Nebentätigkeit und Lobbyarbeit für das US-amerikanische IT-Unternehmen Augustus Intelligence nicht gegen die Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete verstoßen. Auch die Staatanwaltschaft Berlin sah bereits vor einigen Wochen keinen Anfangsverdacht einer Bestechlichkeit oder Bestechung, wie die SZ (Robert Roßmann) und LTO ferner berichten.

Justiz

BVerfG zu Streikbrechern: § 11 Absatz 5 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ist mit den sich aus der Koalitionsfreiheit des Grundgesetzes ergebenden Anforderungen vereinbar. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht und lehnte damit die Verfassungsbeschwerde des Cinestar-Kinobetreibers ab. Dieser sah durch das 2017 im AÜG eingeführte Verbot, Leiharbeitnehmer einzusetzen, um die Arbeit von Streikenden zu übernehmen, sein Grundrecht auf Koalitionsfreiheit verletzt. Ein solcher Eingriff ist laut dem BVerfG jedoch verhältnismäßig, da er dazu diene, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern. Es berichten die taz (Christian Rath), die SZ (Wolfgang Janisch) und LTO.

EuGH – Europäischer Haftbefehl: Das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom Dezember 2019, wonach der 43-jährige Christian B. wegen der Vergewaltigung einer US-Amerikanerin in Portugal zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, ist rechtmäßig. Zu diesem Ergebnis kam der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs Michael Bobek in seinen Schlussanträgen. Wie LTO, FAZ und SZ berichten, kann nach europäischem Recht ein Angeklagter, der zuvor in den Anklagestaat ausgeliefert wurde, nur wegen den Taten verurteilt werden, derentwegen die Auslieferung erfolgt ist. B. forderte die Aufhebung des Urteils, da er ursprünglich auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls für eine andere Straftat an Deutschland ausgeliefert worden sei. Nach Auffassung Bobeks ist dies jedoch nicht der Fall. Das Urteil ist auch relevant für das Verfahren im Zusammenhang mit dem 2007 verschwundenen Mädchen "Maddie" McCann, da B. inzwischen verdächtigt wird, diese entführt und umgebracht zu haben.

BAW – Anschlag auf Asylunterkunft: Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen im 29 Jahre zurückliegenden Fall eines Brandanschlags auf eine Asylbewerberunterkunft in Saarlouis übernommen. Vieles deute wohl auf einen rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Hintergrund der Tat hin. Wie die SZ meldet, habe damals kein Täter ermittelt werden können, weshalb die Ermittlungen bei der Landesjustiz eingestellt worden waren.

OLG Köln zu Spielertransfer: Der 1.FC Köln muss keine Provision an die Schweizer Beraterfirma Petralito Sport Service GmbH für den Transfer des Stürmers Anthony Modeste bezahlen. Dies entschied das Oberlandesgericht Köln und gab damit dem Fußballclub Recht. Die Vermittlungsleistung hätte wesentlich zu dem erfolgreichen Transfer beitragen müssen, um einen Provisionsanspruch zu begründen. Es berichtet LTO.

OLG Hamm zu Corona-Betriebsschließungen: Auf beck-aktuell erläutert und diskutiert Rechtsanwalt Dirk-Carsten Günther die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm von Mitte Juli. Laut Gericht besteht kein Anspruch gegen eine Betriebsschließungsversicherung auf Deckung des durch Covid-19 bedingten Schließungen entstandenen Schadens, da dieser Virus in den Versicherungsbedingungen nicht genannt wurde.

StA Frankfurt – Bestechlicher Staatsanwalt: Der Oberstaatsanwalt und Sprecher der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft Alexander B. sitzt wegen des Vorwurfs der gewerbsmäßigen Bestechlichkeit weiter in Untersuchungshaft. Zudem wird laut Staatsanwaltschaft gegen weitere vier Beschuldigte ermittelt. B. soll jahrelang Unternehmen zu Gutachtenaufträgen verholfen und dafür über die Jahre mehr als 240.000 Euro erhalten haben. Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) kündigte nun weitreichende Konsequenzen an. Wie LTO, SZ, taz und FAZ berichten, muss beispielsweise das Vier-Augen-Prinzip bei der Vergabe von Gutachteraufträgen nun auch in der Staatsanwaltschaft angewendet werden.  

Es falle schwer, hier von einem Einzelfall zu sprechen, meint Reinhard Müller (FAZ) zu dem Vorfall.

LG Trier – "Cyberbunker": Der Prozess gegen acht Beschuldigte wegen des Betreibens eines Darknet-Rechenzentrums in einem Bunker kann ab Oktober vor dem Landgericht Trier beginnen. Das Gericht ließ die Anklage der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz nun zu und eröffnete das Hauptverfahren. Über die auf den Servern gehosteten Websites sollen illegale Geschäfte in Millionenhöhe in der ganzen Welt abgewickelt worden sein, wie LTO meldet.

LG Aachen – Anwalt Ralph W.: Heute beginnt vor dem Landgericht Aachen der Prozess gegen den Anwalt Ralph W. aus Eschweiler bei Aachen. Dieser wird verdächtigt, sich im NSU-Prozess als Anwalt einer nichtexistierenden Geschädigten ausgegeben und so 200.000 Euro vom Staat erhalten zu haben, wie LTO (Pia Lorenz) ausführlich berichtet. Die Staatsanwaltschaft legt ihm deshalb Betrug und Urkundenfälschung zur Last. W. weist die Vorwürfe zurück und bestreitet, von der Nichtexistenz der Mandantin gewusst zu haben. Zudem soll W. auch im Loveparade-Prozess Dokumente gefälscht und Schädigungen erfunden haben.

AG Hannover zu Frank Hanebuth: Wegen Beihilfe zur Nötigung und zur Körperverletzung sowie wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz wurde der frühere Chef der hannoverschen Hells Angels-Rockergruppe Frank Hanebuth zu einer Geldstrafe in Höhe von 4000 Euro vom Amtsgericht Hannover verurteilt. Einen weiteren Angeklagten verurteilte das Gericht zur Zahlung von 5400 Euro und drei weitere Angeklagte zu Geldstrafen von jeweils 1500 Euro. Eine Schutzgelderpressung und eine gemeinschaftliche Körperverletzung konnten den Männern jedoch nicht nachgewiesen werden, melden die SZ, die FAZ und spiegel.de. Im April 2018 sollen die fünf Männer den Betreiber einer Autowerkstatt mehrfach ins Gesicht geschlagen haben. Gegen Hanebuth ist zudem in Spanien ein Verfahren wegen Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung anhängig.

StA Tübingen – Deadnaming: In einer Facebook-Debatte nannte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) seine Parteikollegin Maike Pfuderer, eine Person mit Transgeschichte, bei ihrem alten Namen. Diese fühlte sich durch das sogenannte Deadnaming beleidigt und erstattete Strafanzeige gegen Palmer. Die Staatsanwaltschaft sah jedoch die Grenze einer strafbaren Handlung nicht erreicht. Die taz (Mitsuo Iwamoto) berichtet und erörtert die strafrechtliche Verortung des Deadnamings.

StA Cottbus – Attila Hildmann: In der SZ (Ronen Steinke) werden drei Äußerungen des veganen Kochs und Verschwörungstheoretikers Attila Hildmann in Bezug auf den Straftatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Absatz 4 Strafgesetzbuch juristisch erörtert. Seit Mai ermittelt die Staatsanwaltschaft für Internetkriminalität in Cottbus wegen Volksverhetzung gegen Hildmann, allerdings bisher ohne eine Entscheidung zur Sache.

Recht in der Welt

USA – Klage gegen Waffenlobby: Die Generalstaatsanwältin des US-Bundestaats New York Letitia James hat nach eineinhalbjährigen Ermittlungen Anklage gegen die Waffenlobbygruppe NRA (National Rifle Association) erhoben und deren Auflösung beantragt. Führungsvertreter der NRA hätten im großen Stil Gelder der Organisation veruntreut. Die NRA hat den Status einer gemeinnützigen Organisation, weshalb besondere Auflagen für Spenden und Wohltätigkeit für sie gelten. Es berichten deutschlandfunk.de, welt.de und SZ (Thorsten Denkler).

Sonstiges

Hausrecht der Bahn: In der SZ (Wolfgang Janisch) wird dargelegt, dass die Deutsche Bahn AG als Eigentümerin der Züge die Mitfahrbedingungen (mit Maske/ohne Maske) selbst aufstellen und selbst durchsetzen kann. Zuvor hat der Bahn-Gewerkschafter Claus Weselsky das "Hausrecht" der Bahn zur Durchsetzung von Corona-Maßnahmen ins Feld geführt.

Antisemitismus und Justiz: In einem Interview auf beck-aktuell (Tobias Freudenberg) erörtert der Journalist und Jurist Ronen Steinke, wie sich Gerichte in Deutschland häufig nur zurückhaltend oder zweitranging mit antisemitischen Tatmotiven auseinandersetzen und wie sich das Strafrecht ändern müsste, um solcher gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit besser entgenzuwirken.


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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ali

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 7. August 2020: Staatsanwälte unter Befangenheitsverdacht / BVerfG zu Streikbrechern / "Deadnaming" nicht strafbar . In: Legal Tribune Online, 07.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42432/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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