Die juristische Presseschau vom 29. Juli 2020: Unzu­­­rei­chende Rich­­ter­be­­sol­­dung / OLG zu Tür­ki­­scher Kom­­mu­­nis­­ti­­scher Partei / Betrieb­s­­rats­ver­­­gü­­tung bei VW

29.07.2020

Laut BVerfG wurden Berliner Richter und Staatsanwälte zu schlecht bezahlt. OLG München fällt Urteil zu Mitgliedern von türkischer terroristischer Vereinigung und Verdacht auf gemeinschaftliche Untreue bei Vergütung von VW-Betriebsräten.

Thema des Tages

BVerfG zu Berliner Richterbesoldung: Die Bezahlung von Richtern und Staatsanwälten des Landes Berlin ist von 2009 bis 2015 zu niedrig gewesen und war damit verfassungswidrig. Dies geht aus einem nun veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hervor. Gegen die Höhe der Besoldung klagten ein Richter der Besoldungsgruppe R1 und einer der Besoldungsgruppe R 2 für die Jahre 2009 bis 2015, sowie die Witwe eines Richters der Besoldungsgruppe R3 für das Jahr 2015. Die Frage, ob die Höhe der Besoldungen mit dem Alimentationsprinzip aus Artikel 33 Absatz 5 Grundgesetz (GG) vereinbar sei, hatte das Bundesverwaltungsgericht dem BVerfG 2017 vorgelegt. Dieses hielt die Besoldungshöhe für "evident unzureichend". Die Besoldungsordnung teilt deutschlandweit die Richterbesoldung in zehn Stufen, die Höhe der Besoldung bestimmen jedoch die Bundesländer. Bis Juli 2021 muss der Berliner Gesetzgeber nun verfassungskonforme Regelungen erlassen. Eine Nachzahlung erhalten nur diejenigen Richter und Staatsanwälte, die rechtzeitig Rechtsbehelfe eingelegt hatten. Es berichten LTO (Markus Sehl) und beck-aktuell.

Rechtspolitik

Lieferketten und Menschenrechte: In der FAZ setzt sich die Rechtsanwältin Anahita Thoms mit dem derzeit geplanten Lieferkettengesetz auseinander. Besonders hebt sie hervor, dass eine gesetzliche Regulierung nur effektiv sein könne, wenn diese auf europäischer Ebene beschlossen werde.

Arbeitsschutz: Heute will das Bundeskabinett den Entwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zum sogenannten "Arbeitsschutzkontrollgesetz" beschließen. Laut FAZ (Dietrich Creutzburg) soll das Gesetz zunächst nur für die Fleischwirtschaft gelten und sieht dort vor allem das Verbot des Einsatzes von Fremdpersonal im Rahmen von Zeitarbeit und Werkverträgen vor.

Justiz

BGH – VW-Dieselskandal: Am gestrigen Dienstag hat der Bundesgerichtshof zwei weitere Klagen im Zusammenhang mit den Abgasmanipulationen von Volkswagen verhandelt. In beiden Fällen hatten die Kläger ihre VW-Autos erst gekauft, nachdem VW im Herbst 2015 die Manipulationen öffentlich gemacht hatte. Die Richter nehmen deshalb an, dass die Kläger beim Kauf davon gewusst haben müssen, weshalb ein Schadensersatz von VW wohl schwierig zu erlangen sein wird. Auch zu den eingeklagten Deliktszinsen äußerte sich das Gericht bisher skeptisch, wie LTO berichtet.

BGH zu Ritter-Sport-Marke: Letzte Woche bestätigte der Bundesgerichtshof den Beschluss des Bundespatentgerichts, wonach die quadratische Form von Ritter-Sport-Schokolade zurecht als Marke eingetragen wurde. Nun wird in der FAZ (Stefan Krüger) die Bedeutung des Urteils in Bezug auf Formmarken erläutert und diskutiert, wann die Eintragung einer solchen Formmarke sinnvoll sein kann.

VerfGH Rheinland-Pfalz zu "Freier Alternativer Gruppe": Der Zusammenschluss zweier fraktionsloser ehemaliger AfD-Abgeordneter zur "Freien Alternative Gruppe im Landtag" (FALG) im rheinland-pfälzischen Landtag ist keine parlamentarische Gruppe. Dies entschied der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Rheinland-Pfalz am Montag und wies damit die Organklage der fraktionslosen Landtagsabgeordneten Gabriele Bubkies-Leifert zurück. Zuvor hatte der Landtag die Gruppe nicht anerkannt und deshalb bestimmte parlamentarische Rechte und finanzielle Leistungen verweigert. Wie LTO meldet, sei der Antrag laut Gericht insgesamt widersprüchlich und unklar gewesen und deshalb als unzulässig abgelehnt worden.

VGH Bayern zu Beherbergungsverbot: Die bayerische Regelung, dass pauschal 50 neue Corona-Infektionen pro 100.000 Einwohnern in einem Landkreis zu einem Beherbergungsverbot führen, ist vorläufig außer Vollzug gesetzt. Der Bayrische Verwaltungsgerichtshof erkläte, ein solches Verbot sei weder verhältnismäßig noch sei für die betroffenen Wirte erkennbar, wo die aktuellen Zahlen zu finden sind. Laut SZ und zeit.de hatte ein Hotelier aus der Oberpfalz geklagt.

OLG München zu TKP/ML: Zehn Mitglieder der Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) sind wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung vom Oberlandesgericht München zu Haftstrafen zwischen drei und sechseinhalb Jahren verurteilt worden. So sollen die neun angeklagten Männer und eine Frau unter anderem finanzielle Unterstützung für den bewaffneten Zweig der Gruppierung organisiert haben. Der Prozess war umstritten, da die TKP/ML zwar in der Türkei, nicht aber in Deutschland verboten ist. Aufgrund des umfangreichen Ermittlungsmaterials und der vielen Übersetzungen dauerte der Prozess vier Jahre und kostete mehrere Millionen Euro. Alle Anwälte kündigten bereits Rechtsmittel an, so SZ (Paul Munzinger), taz (Dominik Baur), FAZ und LTO.  

OLG Koblenz zu Kontaktverbot wegen Kinderpornographie: Besitzen Eltern kinderpornographische Videos, kann gegen diese ein Kontaktverbot zu den eigenen Kindern ausgesprochen werden. So lautet der nun veröffentlichte Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz, welches damit die Beschwerde eines Vaters gegen die Entscheidung des Amtsgerichts zurückwies. Da gegen den Vater zweier Kleinkinder ein Ermittlungsverfahren wegen des Besitzes kinderpornografischen Materials geführt wurde, hatte das Jugendamt beim Amtsgericht eine einstweilige Anordnung erwirkt, wonach der Vater die Wohnung verlassen musste und sich den Kindern nicht mehr nähern durfte. Laut spiegel.de und LTO hielt der Vater diese Maßnahmen für unverhältnismäßig.

OLG Frankfurt/M. – Mord an Walter Lübcke: Das Oberlandesgericht Frankfurt hat einen der bisherigen Anwälte des Hauptangeklagten Stephan Ernst im Prozess zum Mord an Walter Lübcke entpflichtet. Nachdem der Anwalt Frank Hannig in der Verhandlung am Montag nicht abgesprochene Beweisanträge stellte, beantrage der zweite Anwalt Mustafa Kaplan die Entpflichtung Hannigs. Dem Antrag stimmte das OLG nun zu. Wie faz.net (Marlene Grunert), spiegel.de und LTO erläutern, werde Hannig nun durch einen neuen Pflichtverteidiger ersetzt.

Am gestrigen Verhandlungstag wurde zudem einer der Söhne Lübckes, Jan-Hendrick Lübcke, als Zeuge vernommen. Dieser hatte seinen Vater nach dessen Ermordung gefunden. Es berichten SZ.de (Annette Ramelsberger) und die FAZ (Marlene Grunert).

LG Braunschweig – Betriebsratsvergütung bei VW: Wegen des Vorwurfs der gemeinschaftlichen Untreue bzw. Untreue im besonders schweren Fall hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig drei ehemalige und einen aktuellen Manager des VW-Konzerns vor dem Landgericht Braunschweig angeklagt. Dabei geht es um 29 mutmaßliche Untreuestraftaten im Zusammenhang mit Bonuszahlungen an Betriebsratsmitglieder sowie der Festlegung von Gehältern zu Lasten des VW-Konzerns in Höhe von über fünf Millionen Euro. Nach Berichten von SZ, taz, Hbl (Bender/Menzel) und FAZ (Carsten Germis) wurde laut der Staatsanwaltschaft gegen das Betriebsverfassungsgesetz verstoßen. LTO weist zudem darauf hin, dass die niedersächsische Justiz schon seit 2016 mit der Gehälteraffäre beschäftigt ist, Volkswagen aber hoffte, diese durch ein Schiedsverfahren zu regeln.

AG Bielefeld zu vergifteten Arbeitskollegen: Weil ein Kollege jahrelang Arbeitskollegen Blei und Quecksilber auf Brote und in Getränke beifügte, verstarb ein 26-jähriger Kollege an den Folgen, ein weiterer verlor eine Niere. Das Arbeitsgericht sprach nun den Angehörigen des Verstorbenen über eine halbe Million und dem anderen Kollegen einen ähnlichen Betrag an Schmerzensgeld zu. Es folgte damit maßgeblich der Urteilsbegründung des Landgerichts vom März 2019. Es berichten unter anderem spiegel.de und SZ.

GStA – Illegaler Waffenbesitz: Bei einer Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit Ermittlungen im Komplex "NSU 2.0" wurden bei dem pensionierten Polizisten in Landshut drei Waffen gefunden. Wie die Generalstaatsanwaltschaft München mitteilte, werde deshalb in einem eigenständigen Verfahren gegen Hermann S. wegen des Besitzes illegaler Schusswaffen ermittelt. Wie die FAZ (Karin Truscheit) und spiegel.de zudem berichten, führt die Staatsanwaltschaft Frankfurt ein Ermittlungsverfahren gegen S. und seine Frau wegen des Verdachts volksverhetzende und drohende E-Mails versendet zu haben. 

Recht in der Welt

Malaysia – Ex-Premierminister verurteilt: Wegen Korruption ist der ehemalige Premier- und Finanzminister Malaysias Najib Razak von einem Gericht in Kuala Lumpur zu zwölf Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von umgerechnet 42 Millionen Euro verurteilt worden. Najib habe sich laut SZ im Zusammenhang mit dem Finanzskandal um den Staatsfonds 1MDB des massiven Machtmissbrauchs schuldig gemacht. Gegen ihn sind weitere Verfahren anhängig. Die taz (Micheal Lenz) berichtet ausführlich zu dem Finanzskandal sowie zu den politischen Verhältnissen in Malaysia.

EuG – Facebook gegen EU-Kommission: Weil die EU-Kommission in ihrem Ermittlungsverfahren gegen Facebook auf zu viele Daten Zugriff haben wolle, strebt der Konzern gegen die Kommissionsanfrage eine einstweilige Verfügung vor dem Gericht der Europäischen Union an. Die Kommission ermittelt gegen Facebook wegen des Verdachts auf Wettbewerbsverzerrung bei Online-Kleinanzeigen. In diesem Zusammenhang, so die FAZ und netzpolitik.org (Charlotte Pekel), hatte die Wettbewerbsaufsicht von Facebook große Menge interner Daten angefordert. Facebook allerdings verweigert die Herausgabe teilweise, da diese "irrelevant" oder zu sensibel seien.

Türkei – Kontrolle Sozialer Medien: Wie die SZ (Tomas Avenarius) und tsp.de (Susanne Güsten) berichten, soll in dieser Woche im türkischen Parlament das sogenannte Social-Media-Gesetz zur Kontrolle der Nutzung von Internetportalen wie Twitter verabschiedet werden. Laut dem Gesetzesentwurf müssen sich Portale mit über einer Million Nutzer mit einer Niederlassung in der Türkei registrieren und die Identitäten ihrer Nutzer speichern. Zuvor waren die Tochter und der Schwiegersohn des Staatschefs Recep Tayyib Erdogan in sozialen Medien beleidigt worden. Kritiker sehen in dem Gesetz eine weitere starke Einschränkung der Meinungsfreiheit.

Sonstiges

Biometrie: Eine in Polen entwickelte Software scannt anhand biometrischer Daten im Internet nach weiteren Bildern und Daten zu der abgebildeten Person. Die Juristin Lea Beckmann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte hält die "Pim Eyes"-Software deshalb für rechtswidrig. Im Gespräch mit deutschlandfunk.de (Michael Borgers) erklärt sie weshalb und befürchtet, dass durch die Software die Anonymität aufgehoben werde.
 

 

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lto/ali

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 29. Juli 2020: Unzu­rei­chende Rich­ter­be­sol­dung / OLG zu Tür­ki­scher Kom­mu­nis­ti­scher Partei / Betriebs­rats­ver­gü­tung bei VW . In: Legal Tribune Online, 29.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42336/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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