Die juristische Presseschau vom 24. Juli 2020: KZ-Wach­mann ver­ur­teilt / Quadrat darf Marke bleiben / Strafen wegen Grup­pen­ver­ge­wal­ti­gung

24.07.2020

Das LG Hamburg hat einen Ex-Wachmann aus dem KZ Stutthof verurteilt. Der BGH billigte die quadratische Marke der Ritter Sport-Schokolade. Das Landgericht Freiburg verurteilte mehrere junge Männer wegen der Vergewaltigung einer 18-Jährigen. 

Thema des Tages

LG Hamburg zu KZ-Wachmann Stutthof: Das Landgericht Hamburg hat den ehemaligen SS-Mann Bruno D. wegen Beihilfe zum Mord in 5232 Fällen zu einer zweijährigen Jugendstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. D. hatte als Wachmann im KZ Stutthof Dienst geleistet. Das Jugendstrafrecht kam zur Anwendung, weil der heute 93-jährige zur Tatzeit erst 17 Jahre alt war. Es berichten SZ (Peter Burghardt), FAZ (Matthias Wyssuwa), taz (Andreas Speit), Welt (Per Hinrichs), spiegel.de (Julia Jüttner) und LTO.

"Es geht nicht um die Strafe, es geht um ein Urteil", kommentiert Alexander Haneke (FAZ), "nun hat ein deutsches Gericht festgestellt, dass der Wachmann trotz aller Zwänge, die in dieser düsteren Zeit galten, in Stutthof nicht hätte mitmachen dürfen". Peter Burghardt (SZ) lobt das "kluge Urteil". Die Richterin habe "scharf und zugleich sanft geurteilt". Klaus Hillenbrand (taz) weist darauf hin, dass erstmals ein Wachmann aus einem KZ, das kein Vernichtungslager war, wegen allgemeiner Beihilfe zum Massenmord verurteilt wurde. Die lebensfeindlichen Zustände hatten auch den tausendfachen Tod von Häftlingen zur Folge. Frank Bräutigam (tagesschau.de) begrüßt das Urteil und fordert: "Ein Bild von Fritz Bauer gehört in jedes deutsche Gericht. 'Nie wieder', würde er auf diesem Wege Justiz und Gesellschaft mahnend zurufen."

Rechtspolitik

EU-Rechtsstaatlichkeit: Die SZ (Matthias Kolb) beschreibt die "Konditionalitätsregelung zum Schutz des EU-Haushalts", die beim jüngsten EU-Gipfel beschlossen wurde. Danach kann die EU-Kommission die Auszahlung von Geldern verweigern, wenn ein Staat rechtsstaatliche Standards nicht einhält. Der Rat muss dies mit qualifizierter Mehrheit bestätigen. Ein einstimmiger Beschluss des Europäischen Rates sei nicht erforderlich. 

Whistleblower: Christian Thönnes, Mitarbeiter der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) fordert auf LTO ein "bereichsübergreifendes, einheitliches und umfassendes Whistleblower-Schutzgesetz". Der Bundestag dürfe sich bei der Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie nicht auf eine 1-zu-1-Lösung beschränken. Wegen des engen Anwendungsbereichs der Richtlinie blieben sonst Hinweisgeber, die Verletzungen der Corona-Verordnungen aufdecken, ohne ausdrücklichen Schutz. 

Lieferketten und Menschenrechte: Die Anwältin Birgit Spießhofer warnt im FAZ-Einspruch vor den Folgen des geplanten Lieferkettengesetzes auf Unternehmen in der Lieferkette. Diese müssten künftig hohe Kosten aufwenden, um schlecht passende Fragebögen von Zertifizierungsunternehmen ausfüllen zu dürfen. Unterschiedliche Vorgaben aus unterschiedlichen Staaten erschwerten die Compliance, weshalb Vorgaben wenigstens EU-einheitlich sein sollten. 

Corona und Grundrechte: Fast drei Viertel der Bundesbürger akzeptieren im Kampf gegen die Corona-Pandemie zeitlich begrenzte Einschränkungen der Grundrechte. Das ergab eine Umfrage von Forschern der Universität Heidelberg, deren Ergebnisse die SZ vermeldet.

Justiz

BGH zu Ritter-Sport-Marke: Der Bundesgerichtshof bestätigte einen Beschluss des Bundespatentgerichts, das die quadratische Form-Marke für Ritter-Sport-Schokolade bestätigte. Ihr stehe kein markenrechtlicher Ausschlussgrund entgegen. Zuletzt ging es noch um die Frage, ob gerade die Form der Ware einen wesentlichen Wert verleiht. Der BGH verneinte dies, Verbraucher kauften die Schokolade nicht vor allem wegen ihrer quadratischen Form. Es berichten SZ (Stefan Mayr), FAZ (Marcus Jung), taz (Christian Rath), LTO, tagesschau.de (Klaus Hempel) sowie die Anwältin Heike Freund im FAZ-Einspruch

Jürgen Kaube (FAZ) schildert im Feuilleton das Markenrecht als "Mischung aus Assoziationspsychologie, Linguistik samt Wortgeschichte und vergleichender Ästhetik". tagesschau.de (Michael Nordhardt) gab vorab eine Übersicht über "Süßigkeiten vor Gericht", wobei es ebenfalls um markenrechtliche Fragen ging. 

BFH zu Ausbildungskosten und Steuerminderung: Die Kosten einer Erstausbildung können nicht bei der Einkommenssteuer geltend gemacht werden. Das entschied jetzt laut LTO der Bundesfinanzhof, nachdem das Bundesverfassungsgericht Ende 2019 die entsprechende gesetzliche Ausschlussklausel für verfassungskonform erklärt hatte. 

OLG Frankfurt/M. zu Zwangsgeld trotz Corona: Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. bestätigte laut LTO das Zwangsgeld gegen eine 77-jährige Schuldnerin, die einen Notartermin zur Erstellung eines Nachlassverzeichnisses unter Verweis auf die coronabedingte "stark erhöhte Gefährdungslage" verstreichen ließ. Ihre Begründung sei zu pauschal, außerdem hätte der Termin auch online abgewickelt werden können.

LG Freiburg zu Gruppenvergewaltigung: Das Landgericht Freiburg verurteilte sieben junge Männer wegen Vergewaltigung einer 18-jährigen Frau, die nach der Einnahme von Drogen wehrlos im Gebüsch vor einer Diskothek lag. Zwei weitere Angeklagte wurden wegen unterlassener Hilfeleistung und einer wegen eines sexuellen Übergriffs verurteilt. Der syrische Haupttäter erhielt eine Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren. Es berichten SZ (Claudia Henzler), FAZ (Rüdiger Soldt), spiegel.de (Wiebke Ramm), tagesschau.de (Christoph Kehlbach/Kolja Schwartz) und LTO.

AG Berlin-Tiergarten zu Drogenverkauf und Verwertungsverbot: In einer Gerichtsreportage schildert focus.de (Ralph Große-Bley) den Freispruch für einen mutmaßlichen Drogenhändler. Er hatte der Polizei schon vor der Durchsuchung seines Spätkauf-Ladens eine Tüte mit Cannabis-Portionen übergeben. Dies konnte aber nicht verwertet werden, weil ein Polizist den Durchsuchungsbeschluss durch falsche Angaben gegenüber der Staatsanwaltschaft erwirkt hatte. 

VG Berlin zu erotischen Dienstleistungen und Corona: Das Verwaltungsgericht Berlin erlaubt einem BDSM-Studio und einem Anbieter von erotischen Massagen, wieder zu öffnen. Die Gleichbehandlung mit Bordellen, die wegen der Corona-Übertragrungsgefahr weiter geschlossen bleiben, sei nicht gerechtfertigt, u.a. weil hier das Tragen von Masken besser möglich sei, meldet beck-aktuell.

EuGH zum Privacy Shield: beck-community (Katrin Blasek) fasst das vorige Woche ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Datentransfer in die USA ausführlich zusammen. 

Die SZ (Jannis Brühl/Mirjam Hauck) schildert die durch das Urteil ausgelöste Verunsicherung in der europäischen Wirtschaft. Auch die Nutzung von Standardvertragsklauseln stehe nun in Frage. 

BVerfG zum EZB-Anleiheankauf: Der ehemalige Finanzminister Hans Eichel kritisiert in einem SZ-Gastbeitrag das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Mai. Das Gericht gehe zu Unrecht von souveränen Nationalstaaten aus, obwohl das Grundgesetz das Ziel eines vereinten Europas vorgebe. 

Der emeritierte Rechtsprofessor Heinrich Honsell kritisiert das Urteil in einem weiteren SZ-Gastbeitrag von der anderen Seite. Das Gericht hätte eine Umgehung des Verbots der Staatsfinanzierung duch die EZB-Programme feststellen müssen, statt nur Nachweise der Verhältnismäßigkeit zu fordern. 

BVerfG – Triage: Mit einer Verfassungsbeschwerde haben neun Personen mit Behinderungen die Triage-Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) thematisiert. Konkret greifen sie laut beck-community die Untätigkeit des Gesetzgebers an, der derart grundlegende Entscheidungen selbst treffen müsse.

VG Stuttgart zu Luftreinhaltung Stuttgart: Der Stuttgarter Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) fordert Verkehrsminister Winfried Herrmann (Grüne) dazu auf, weitere Eilanträge gegen Fahrverbote zur Luftreinhaltung zu stellen, bis das Verwaltungsgericht Stuttgart über die Vollstreckungsgegenklage des Landes entschieden hat, berichtet LTO

StA München – Wirecard: Die FAZ (Marcus Jung) portraitiert Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl, die die Wirecard-Untersuchungen leitet. Sie habe schon erfolgreich gegen Siemens ermittelt. 

StA Frankfurt/M. ­– rechtsextremistische Drohmails: Die SZ (Florian Flade/Georg Mascolo/Ronen Steinke) schildert den Stand der Ermittlungen zu den Urhebern der Drohmails, die im Namen eines NSU.2.0 verschickt werden. Der oder die Täter nutzten einen TOR-Browser, weshalb die Polizei auf Fehler hoffen muss. 

Notare und Geldwäsche: In Berlin wurden 25 Notare von der "Task Force gegen Geldwäsche" überprüft, woraus sich elf Verdachsfälle ergaben, meldet LTO.

Recht in der Welt

Polen – EGMR zu Grenzregime: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte Polen zu Entschädigungszahlungen, weil Polen Asylsuchende an der weißrussisch-polnischen Grenze zurückgewiesen hatte, wie zeit.de meldet. 

Juristische Ausbildung

Vielfalt in der Ausbildung: Rechtsprofessor Emanuel V. Towfigh thematisiert im Verfassungsblog die Anforderungen an die juristische Lehre in einer vielfältig gewordenen Gesellschaft. Immer mehr müsse die Perspektive von Menschen mit Minderheitserfahrungen berücksichtigt werden. Auch ehemalige Mehrheitspositionen seien heute oft nur noch Minderheitspositionen. 

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/chr

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 24. Juli 2020: KZ-Wachmann verurteilt / Quadrat darf Marke bleiben / Strafen wegen Gruppenvergewaltigung . In: Legal Tribune Online, 24.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42296/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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