Die juristische Presseschau vom 23. Juli 2020: AfD klagt gegen Merkel / Amthor nicht be­stech­lich / Bayern muss Ver­fas­sungs­schutz­be­richt schwärzen

23.07.2020


Die AfD hat beim BVerfG Organklagen gegen Merkel wegen Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot eingereicht. Generalstaatsanwaltschaft stellt Verfahren gegen Amthor ein und VG verpflichtet Bayern zur Korrektur des Verfassungsschutzberichts.

 

Thema des Tages

BVerfG – Neutralitätspflicht von Merkel: Im Februar wurde der FDP-Politiker Thomas Kemmerich unter anderem mit Stimmen der AfD zum neuen thüringischen Regierungschef gewählt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte dies "unverzeihlich". Darin sieht die AfD einen Verstoß Merkels gegen das Neutralitätsgebot und reichte deshalb nun zwei Organklagen beim Bundesverfassungsgericht ein. Weil die Äußerungen Merkels weiterhin im Internetangebot der Bundesregierung veröffentlich seien, wurden laut AfD zudem auch zwei Eilanträge auf Unterlassung der "fortdauernden Rechtverletzung" gestellt. Erst im Juni entschied das BVerfG in einem ähnlichen Fall, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) durch seine auf der Seite des Ministeriums veröffentlichte Bezeichnung der AfD als "staatszersetzend" das Gebot staatlicher Neutralität verletzte. Es berichten die FAZ (Alexander Haneke), zeit.de, die SZ und LTO.

Rechtspolitik

Wirecard-Skandal: Wie das Hbl (Thomas Sigmund) berichtet, wurde zur Sondersitzung des Finanzausschusses nicht die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) eingeladen. Dabei sei ihr Ministerium maßgeblich zuständig für die Regeln der Wirtschaftsprüfer und der Trennung von Prüfungs- und Beratungsleistungen.

Jan Willmroth (SZ) fordert strengere Regeln für Wirtschaftsprüfer. Im Fall Wirecard hätten die Bilanzfälschungen erkannt und gemeldet werden müssen. Es bedürfe deshalb unter anderem einer strikteren Trennung von Beratungs- und Prüfungsleistungen und einer strengeren staatlichen Aufsicht über die Prüfer.

EU-Datenschutz: In einem Beitrag in der FAZ diskutiert Constantin van Lijnden über das europäische Datenschutzrecht und warum er dieses für "nicht zeitgemäß" erachtet. Er schlägt vor, den Datenschutz so umzugestalten, dass grundsätzlich alles erlaubt sei und nur dort Verbote erlassen würden, wo etwas "wirklich störend und gefährlich ist".

Online-Zivilprozesse: Die aus zahlreichen Richtern verschiedener Oberlandesgerichtsbezirke bestehende Arbeitsgruppe "Modernisierung des Zivilprozesses" hat in einem Zwischenbericht nun ihre Vorschläge veröffentlicht. Danach soll ein Online-Gerichte-Portal, virtuelle Gerichtsverhandlungen und für Verbraucherverfahren ein sogenanntes beschleunigtes Online-Verfahren eingeführt werden. Und auch der Anwaltsprozess soll digitaler gestaltet werden und neben dem elektronischen Anwaltspostfach (beA) wird auch die Einrichtung eines Kanzleipostfachs vorgeschlagen. Wie LTO (Manuel Göken) und Beck aktuell (Tobias Freudenberg) weiter erörtern, sollen die Vorschläge nun von der Richterschaft, Wissenschaft und Anwaltschaft diskutiert und konkretisiert werden. Die Arbeitsgruppe erhielt ihren Auftrag von den Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs auf deren Jahrestagung im Mai 2019.

Justiz

BAG zu gekürzter Betriebsrente: Kürzt die Pensionskasse ihre Leistungen, so muss der Arbeitgeber den Fehlbetrag ausgleichen. Ist der Arbeitgeber aber insolvent, so muss die Pensionskasse nur dann für den Fehlbetrag aufkommen, wenn sich der Pensionsbetrag entweder um mehr als die Hälfte verkürzt oder die Armutsgrenze unterschreiten würde. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht am Dienstag und folgte damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (EuGH). Da sein Arbeitgeber insolvenzbedingt den Fehlbetrag nicht mehr aufbringen konnte, hatte ein Rentner gegen den Pensionssicherungsverein a.G. (PSV) auf Ausgleich des Fehlbetrags geklagt. Das Landesarbeitsgericht Köln hatte dem Rentner noch Recht gegeben, weil sich aus dem Betriebsrentengesetz (BetrAVG) eine Einstandspflicht des PSV ergebe. Dessen war sich das BAG nicht sicher und legte die Frage dem EuGH vor. Dieser hatte zu einer ähnlichen Frage schon einmal entschieden, woraufhin der Gesetzgeber aktiv geworden war und nun mit der Änderung des BetrAVG dem Urteil des BAG zuvorkam. Auf LTO erläutert Rechtsanwalt Tobias Neufeld die Urteilsbegründungen der verschiedenen Gerichte und die Details zur am 24. Juni in Kraft getretenen Gesetzesänderung.

OLG Naumburg – Angriff auf Synagoge: Während des zweiten Verhandlungstags im Prozess gegen den rechtsextremen Attentäter von Halle Stephan B. wurde das Tatvideo gezeigt, wie spiegel.de (Beate Lakotta) ausführt. Mit einer Handykamera hatte B. seine Taten gefilmt und live im Internet übertragen. Da die Tat nun größtenteils auf Video aufgezeichnet ist, sieht laut zeit.de B.s Verteidiger Hans-Dieter Weber seine Hauptaufgabe vor allem darin, für die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens zu sorgen. In der FAZ (Mona Jaeger), auf zeit.de und in der taz (Pia Stendera) wird ferner erörtert, dass beim zweiten Prozesstag zudem Hinweisen zu Mittätern nachgegangen und B.s Ideologie erfragt wurde.

Eine ausführliche Prozessreportage zur Tat, zum Prozess und zu den Gedanken und Interessen der Nebenkläger, bringt die SZ (Annette Ramelsberger).

In der taz wird diskutiert, ob die Namen rechtsextremistischer Täter in der Berichtserstattung überhaupt genannt werden sollten, da ihnen so auch eine Bekanntheit zuteilwerden würde, die sie genau beabsichtigt haben könnten.

LG Hamburg – KZ-Wachmann Stutthof: Heute wird das Hamburger Landgericht sein Urteil im Prozess gegen den Wachmann des Konzentrationslagers Stutthof Bruno D. fällen. Der ehemalige SS-Wachmann ist wegen der Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen angeklagt. Auf zeit.de (Brigitta Huhnke) sind einige Aussagen einer Überlebenden abgedruckt, die als eine der 43 Überlebenden im Gericht ausgesagt hat.

VG München zu Verfassungsschutzbericht: Der bayerische Verfassungsschutzbericht von 2019 darf in seiner bisherigen Form nicht mehr verbreitet werden. Dies entschied das Verwaltungsgericht München. Geklagt hatte der umstrittene Verein "Zeitgeschichtliche Forschungsstelle" aus Ingolstadt, der im Bericht als rechtsextremistische Organisation aufgeführt wurde. Laut dem Gericht gebe es allerdings keine "tatsächlichen Anhaltspunkte für vom Kläger ausgehende verfassungsfeindliche Bestrebungen". Dies sah der bayerische Verfassungsschutz anders, da, wie LTO, die taz (Andreas Speit) und die FAZ (Timo Frasch) zudem berichten, der Verein bei Vorträgen immer wieder Zweifel am Holocaust äußert und Geschichtsrevisionismus betreibe.

Jagdgenossenschaft: In der Zeit erzählt Richter Thomas Melzer die Geschichte hinter einer seiner Gerichtsentscheidungen. Bei dem Fall ging es um den Vorsitzenden einer Jagdgenossenschaft in Brandenburg, der sich selbst immer wieder Wildschadensausgleich auszahlte.

GenStA Berlin – Philipp Amthor: Die Generalstaatanwaltschaft Berlin hat das Verfahren gegen den CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor eingestellt. Es gäbe keinen Anfangsverdacht, dass es sich bei Amthors Einsatz für das New-Yorker Start-Up Augustus Intelligence um strafbares Verhalten handle. Berichten von LTO, FAZ (Marlene Grunert) und deutschlandfunk.de zufolge prüfte die GenStA wegen einer Strafanzeige, ob aufgrund des politischen Engagements für das Start-up ein Anfangsverdacht für eine Bestechlichkeit oder Bestechung vorliege. Allerdings lägen keine Anhaltspunkte vor, dass Amthor einen ungerechtfertigten Vorteil erlangt habe. Ausgelöst durch die Vorwürfe gegen Amthor und die damit verbundene Debatte, kündigte die Regierungskoalition an, ein Lobbyregister einzuführen, wie zeit.de berichtet.

StA München I – Wirecard: Die Staatsanwaltschaft München I hat im Betrugsskandal um Wirecard drei weitere Verdächtige festgenommen. Laut LTO (Anja Hall), der SZ (Nicolas Richter/Jörg Schmitt), der taz und der FAZ sind am Mittwoch der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Zahlungsdiensteabwicklers Markus Braun, sowie der ehemalige Finanzvorstand Burkhard Ley und der Manager Stephan von Erffa in Untersuchungshaft genommen worden. Zudem haben die Strafverfolger ihren Vorwurf von zunächst Betrug, Marktmanipulation, Bilanzfälschung und Untreue inzwischen auf gewerbsmäßigen Bandenbetrug ausgeweitet.

Recht in der Welt

Österreich – Corona-Gesetze: Wie die FAZ (Andreas Mihm) und die SZ melden, hat der Verfassungsgerichtshof Österreichs zwei Corona-Gesetze für rechtswidrig erklärt. So fehlte bei dem von Bundeskanzler Sebastian Kurz verordneten allgemeinen Betretungsverbot für öffentliche Orte die gesetzliche Grundlage. Für die Ungleichbehandlung von Geschäften nach ihrer Verkaufsfläche fehlte zudem eine sachliche Rechtfertigung.

Österreich – "Operation Aderlass": Der ehemalige Radprofi Georg Peidler wurde wegen schweren gewerbsmäßigen Sportbetrugs zu zwölf Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe vom Landgericht Innsbruck verurteilt. Dieser hatte durch die Anwendung von Blutdoping und Wachstumshormonen zwischen 2017 und 2019 Konkurrenten, Sportveranstalter und Unterstützer getäuscht. Laut SZ, FAZ und zeit.de war dies im Zusammenhang mit der "Operation Aderlass" aufgedeckt worden. Dabei handelt es sich um eine weltweite Blutdoping-Affäre um den Erfurter Arzt Mark Schmidt. Gegen diesen beginnt im September der Prozess vor dem Landgericht München II.

USA – MeToo/Fox News: Am Montag haben zwei Frauen beim Bundesgericht in Manhattan Klage gegen hochrangige Mitarbeiter des US-Kabelsenders Fox News eingereicht. Sie beschuldigen die Männer der Vergewaltigung und Nötigung, so SZ und taz. Es sind nicht die ersten Vorwürfe gegen Mitarbeiter bei Fox News. Bereits 2016 und 2017 waren Fälle sexueller Nötigung bekannt geworden.

Russland – Menschenrechtler verurteilt: Wegen angeblichen Kindesmissbrauchs wurde der russische Historiker und Menschenrechtsaktivist Jurij Dmitrijew von einem russischen Gericht zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Zwei Jahre zuvor war er von einem anderen Gericht freigesprochen worden. Nach Berichten der taz (Klaus-Helge Donath), der FAZ (Friedrich Schmidt), zeit.de und bild.de forscht Dmitrijew zu den Verbrechen unter Diktator Josef Stalin und machte diese immer wieder öffentlich. Das Urteil gilt als politisch motiviert.

Juristische Ausbildung

VG Köln zu Maskenpflicht bei Prüfungen: Prüflinge müssen auch bei mehrstündigen Klausuren einen Mund-Nase-Schutz tragen. Dies entschied das Verwaltungsgericht Köln in einer nun veröffentlichten Entscheidung und wies damit den Eilantrag eines Jurastudenten der Uni Köln ab. Dieser hatte die Maskenpflicht beanstandet und argumentiert, dass Plexiglasscheiben im Prüfungsraum aufgebaut werden sollten, so LTO und SZ. Dies verneinte das Gericht und begründete, dass der Schutz des Lebens und der Gesundheit der anderen Prüflinge Vorrang vor dem grundrechtlich geschützten prüfungsrechtlichen Interessen des Jurastudenten habe.

Sonstiges

ADG Berlin: Das neue Berliner Antidiskriminierungsgesetz führt, anders als befürchtet, nicht zu einer Flut von Bürgerbeschwerden, so die taz. Das Gesetz trat Ende Juni in Kraft und soll Menschen vor Diskriminierungen durch Behörden schützen.

Sexueller Kindesmissbrauch: In einer ausführlichen Reportage werden in der Zeit (Kai Biermann/Astrid Geisler/Daniel Müller/Christian Parth/Karsten Polke-Majewski) die größten Ermittlungen wegen sexueller Gewalt an Kindern in der Bundesrepublik, dem sogenannten Komplex Bergisch Gladbach beschrieben.

 

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lto/ali

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 23. Juli 2020: AfD klagt gegen Merkel / Amthor nicht bestechlich / Bayern muss Verfassungsschutzbericht schwärzen . In: Legal Tribune Online, 23.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42284/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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