Die juristische Presseschau vom 9. Juli 2020: Oktober­fest­at­tentat war rechts­ex­tre­mis­tisch / BGH zu Schön­heits­re­pa­ra­turen / Ent­gelt­trans­pa­renz­ge­setz in Aktion

09.07.2020

BAW stuft Oktoberfestattentat als rechtsextremistischen Terror ein. BGH entscheidet zu Kostentragung bei Schönheitsreparaturen in unrenovierten Wohnungen. Überblick zum Entgelttransparenzgesetz und zum Recht auf Entgeltgleichheit.

Thema des Tages

Oktoberfestattentat: Die Bundesanwaltschaft bestätigt nun offiziell, dass es sich bei dem Oktoberfestattentat um einen rechtsextremistischen Terrorakt handelte. Bei dem Bomben-Attentat am 26. September 1980 wurden 13 Menschen getötet und über 211 Menschen verletzt. Schnell nahmen die Ermittler damals an, es handle sich bei dem selbst ums Leben gekommenen Rechtsextremisten Gundolf Köhler um einen Einzeltäter. Die Suche nach weiteren Mittätern wurde eingestellt. Wie die SZ (Annette Ramelsberger), die FAZ (Helene Bubrowski) und die taz (Konrad Litschko) weiter berichten, bestanden jedoch früh Zweifel an dieser Annahme. Wegen neuer Indizien nahm die Bundesanwaltschaft 2014 das Ermittlungsverfahren wieder auf. Diese umfangreichen Ermittlungen ergaben keine hinreichenden Anhaltspunkte auf die Beteiligung weiterer Personen an der Tat. Da Köhler diverse Kontakte in rechtsextremistische Kreise hatte, könne dies laut dem Generalbundesanwalt aber nicht ausgeschlossen werden. Zwar stellte die Karlsruher Behörde das Verfahren nun ein, die Einstufung als rechtsextremistischer Terror ermöglicht es den Opfern aber nun auch, Entschädigungen aus dem Fonds der Bundesregierung für Terror- und Extremismusopfer vom Bundesamt für Justiz zu erhalten.  

Reinhard Müller (FAZ) meint, die Ermittlungsbehörden hätten inzwischen die bestehende terroristische Bedrohung von rechts erkannt und das Ermittlungssystem funktioniere gut. Auch Annette Ramelsberger (SZ) begrüßt die "Ernsthaftigkeit", mit der die Ermittler seit 2014 vorgegangen seien und findet, damit zeige die Polizei, dass sie "nicht auf dem rechten Auge blind" sei. Denis Yücel (welt) hingegen kritisiert das Verhalten von Politikern und Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit rechtem Terror und merkt an, dass "Nazi-Terror […] nicht gerade die Paradedisziplin deutscher Ermittlungsbehörden" sei.

Rechtspolitik

Geschlechtergerechte Rechtssprache: Gesetze und Rechtsverordnungen im Freistaat Sachsen müssen nun geschlechtergerecht formuliert sein. Dies beschloss das Kabinett auf einen Vorstoß der schwarz-grün-roten Regierung am Dienstag. Diese setzt damit ein Anliegen aus dem Koalitionsvertrag um. Kritisiert wird der Vorstoß vom Verein Deutscher Sprache (VDS), wie lto.de weiter berichtet.

Bayerisches Sicherheitsüberprüfungsgesetz: Der Bayerische Landtag stimmte am Mittwoch für die Anpassung des Sicherheitsüberprüfungsgesetztes (BaySÜG) an die Bundesregelung. So sollen bei Überprüfungen von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst künftig auch deren Social Media Accounts und eigene Internetseiten überprüft und ausgewertet werden. Wie die SZ und lto.de ferner erläutern, dient dies der speziellen Zuverlässigkeitsüberprüfung von Mitarbeitern in sicherheitsrelevanten Bereichen.

Kindesmissbrauch: In einem Interview in der Zeit (Jochen Bittner/Charlotte Parnack) diskutieren die Rechtsprofessorin Elisa Hoven und der Anwalt Jan Bockemühl über den Strafrahmen von sexuellem Kindesmissbrauch und den von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) vorgestellten Entwurf zur Verschärfung des Sexualstrafrechts.

Justiz

EuGH – Gerichtliche Unabhängigkeit: Heute wird der Europäische Gerichtshof seine Entscheidung zur Unabhängigkeit deutscher Gerichte treffen. Ein Einzelrichter vom Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob es sich "bei dem vorlegenden Gericht um ein unabhängiges und unparteiisches Gericht" handle. Wie lto.de (Markus Sehl) ausführt, geht es dabei im Kern um die Selbstverwaltung der Justiz und die Angst vor politischer Einflussnahme auf diese.

BVerfG zu Pressefreiheit: Die Redaktion, welche ein Foto verwendet, muss über dessen Verpixelung entscheiden, nicht bereits der Fotograf oder Journalist, welcher die Aufnahme anfertigte. Verantwortlich für den Schutz der Persönlichkeitsrechte des Abgebildeten ist das veröffentlichende Medium. Dies geht aus einem jetzt veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hervor. Wie die FAZ meldet, gaben die Richter damit der Verfassungsbeschwerde eines Fotojournalisten statt. Dieser war zuvor vom Landgericht Aachen zu einer Geldstrafe verurteilt worden, da er 2014 im Uniklinikum Aachen einen vermeintlichen Ebola-Patienten gegen dessen Willen fotografierte und das unverpixelte Bild an die Bild-Zeitung weitergab. Die bloße Weitergabe sei kein Verstoß gegen das Kunsturhebergesetz seitens des Fotojournalisten, aber die unverpixelte Veröffentlichung eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch das Medium. Es berichten dazu ausführlich die SZ (Wolfgang Janisch), taz (Christian Rath) und lto.de.

BGH zu Schönheitsreparaturen: Langjährige Mieter einer zu Beginn des Mietsverhältnisses unrenovierten Wohnung können ihre Vermieter zur Vornahme von Schönheitsreparaturen verpflichten. Hat sich der Zustand der Wohnung über die Zeit wesentlich verschlechtert, muss der Mieter die Hälfte der anfallenden Kosten übernehmen. Dies entschied der Bundesgerichtshof in zwei Fällen aus Berlin. Dabei ging es um zwei unrenovierte Wohnungen, die seit der Vermietung stark abgenutzt worden waren, weshalb die Mieter die Herstellung des "vertragsgemäßen Zustands" vom Vermieter forderten. Wie unter anderem die SZ (Wolfgang Janisch), tagesschau.de (Gigi Deppe), die FR (Ursula Knapp), die FAZ und lto.de erörtern, begründete das Gericht seine Kompromisslösung damit, dass der Mieter durch die Renovierung nicht bessergestellt werden solle als zum Einzug. Nun müssen die Fälle am Landgericht Berlin neu verhandelt werden. Der Deutsche Mieterschutzbund sieht das Urteil kritisch.

LG Berlin zu Mord an Fritz von Weizsäcker: Wegen des Mordes an Fritz von Weizsäcker in Tateinheit mit versuchtem Mord und gefährlicher Körperverletzung an dem Polizisten Ferrid Brahmi verurteilte das Landgericht Berlin Georg S. am Mittwoch zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe und ordnete die Unterbringung in einer forensischen Psychiatrie an. Der 57-jährige Angeklagte hatte Weizsäcker im November 2019 nach einem Vortrag getötet. Als Motiv gab er selbst an, seit Jahrzehnten Hass auf die Familie von Weizsäcker, insbesondere auf den ehemaligen Bundespräsidenten, zu haben. Da der Angeklagte unter psychischen Störungen leidet, hat das Gericht auch seine verminderte Schuldfähigkeit im Urteil berücksichtigt. Unter anderem berichten die FAZ (Markus Wehner), die SZ (Thorsten Schmitz), spiegel.de, die taz und der Tsp (Katja Füchsel).

LG Regensburg – Mord an Maria Baumer: In dem Prozess um den Mord an Maria Baumer vor dem Landgericht Regensburg erklärte am Mittwoch ein Toxikologe die Wirkweise der tödlichen Kombination von Medikamenten. Demnach soll der angeklagte Christian F. seiner Verlobten heimlich über einen längeren Zeitraum eine Kombination aus Lorazepam und Tramadol verabreicht haben. Wie spiegel.de (Wiebke Ramm) weiter erläutert, sei diese Kombination selbst für Baumers behandelnden Arzt in ihrem Blutbild nicht sichtbar gewesen.

ArbG Osnabrück zu Corona-Selfie: Macht sich ein Arbeitnehmer privat über die Corona-Maßnahmen lustig, so kann sich dies auch auf das Betriebsverhältnis auswirken. Dies entschied das Arbeitsgericht Osnabrück und wies damit die Klage eines gekündigten Technikers ab. Dieser verschickte ein Selfie über WhatsApp, um sich über das geltende Kontaktverbot lustig zu machen, woraufhin ihm der Arbeitgeber fristlos kündigte. In dem Fall hatte sich das Gericht mit der Frage zu befassen, wann außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers auf das Arbeitsverhältnis Auswirkungen haben kann. Näheres dazu auf lto.de.

Corona – Homeschooling vor Gericht: Seit April häufen sich die Klagen der Schulschließungs- sowie Schulöffnungs-Gegner vor den Verwaltungs- und Verfassungsgerichten. Die Zeit (Astrid Herbold) beleuchtet die rechtlichen Argumente beider Seiten und erläutert einige Gerichtsentscheidungen.

Recht in der Welt

Türkei – Alternative Anwaltskammern: Jede türkische Provinz hat ihre eigene Anwaltskammer. Aus diesen insgesamt 80 Kammern wird die Dachorganisation gewählt und zusammengesetzt. Nun will die türkische Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan alternative Anwaltskammern zulassen. Damit würden sich die Kammern in viele teils politische Kammern aufsplittern, wodurch sich der Präsident eine bessere Einflussnahme auf die Machtverhältnisse innerhalb des Dachverbands erhofft. Die Anwälte gelten als letzte staatsunabhängige Juristen in der Türkei. Es berichtet die SZ (Tomas Avenarius).

Frankreich – Ökozid: In Frankreich wird diskutiert, Verbrechen gegen die Natur, sogenannte "Ökozide", unter Strafe zu stellen. Der Vorstoß einer regierungsberatenden Bürgerversammlung wird sowohl vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron, als auch von Umweltschutzorganisationen wie ClientEarth begrüßt. In einem Beitrag in der Zeit (Petra Pinzler) wird diese umweltrechtliche Konstellation diskutiert.

USA – Supreme Court zu Verhütungsmitteln: Die Regelung der Regierung von US-Präsident Donald Trump, wonach Arbeitgeber die Bezahlung von Verhütungsmitteln bei den Krankenversicherungen ihrer Angestellten aus religiösen Gründen verweigern können, hat Bestand. Dies entschied der Oberste Gerichtshof der USA und ebnete damit den Weg für die Rückgängigmachung der vom vorigen US-Präsidenten Barack Obama eingeführten großzügigen Regel, so zeit.de.

Kroatien – Corona und Wahlen: Auf verfassungsblog.de erläutert Rechtsdozent Marin Keršić (in englischer Sprache) den verfassungsrechtlichen Spagat zwischen dem Wahlrecht und dem Gesundheitsschutz bei der Durchführung der Parlamentswahlen am letzten Wochenende.

Sonstiges

Entgelttransparenzgesetz: Auf lto.de erklärt Professorin Nora Markard, wie Frauen mittels des Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) ihr Recht auf Entgeltgleichheit durchsetzen können und klärt über mögliche Problematiken auf. Das Bundesarbeitsgericht* hatte erst vor zwei Wochen entschieden, dass das EntgTranspG auch für arbeitnehmerähnliche freie Beschäftigte gilt. 

Racial Profiling: Worum es sich bei Racial Profiling handelt und wie sich dies begrifflich und rechtlich vom zulässigen Criminal Profiling unterscheidet, wird auf spiegel.de (Dietmar Hipp) erläutert. Zudem geht es um die von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) abgesagte Studie zum Racial Profiling innerhalb der Polizei, welche vom Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kirminalbeamter, Sebastian Fiedler, sehr begrüßt worden wäre.

In einem Interview mit der taz (Konrad Litschko) spricht Maria Marouda, Rechtsprofessorin in Griechenland und Vorsitzende der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) über die Entscheidung Seehofers, die Auswirkungen von Racial Profiling auf Betroffene und konkrete Schritte, die das ECRI auf europäischer Ebene zur Ermittlung und Bekämpfung von Racial Profiling unternimmt. 

Fokus Grundrechte: In ihrer Rede zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vor dem europäischen Parlament, setzt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen Schwerpunkt auf die Grundrechte, so die SZ (Karoline Meta Beisel/Matthias Kolb).

Corona – Grundrechtemonitor: In einer vom Institut IDEA veröffentlichten interaktiven Karte können weltweit die Auswirkungen der jeweiligen Corona-Maßnahmen auf die länderspezifischen demokratischen Prozesse oder Menschenrerechte nachvollzogen werden, wie netzpolitik.org (Markus Reuter) meldet.

Politische Inszenierung: Dass sich die Befreiung von Andreas Baader nun jährt, nimmt die Zeit (Matthias Jahn/Sascha Ziemann) zum Anlass zu untersuchen, wie die Prozesse gegen die Rote-Armee-Fraktion (RAF), vor allem der Frankfurter Kaufhausbrandstifter-Prozess 1968, die deutsche Justiz verändert haben.

* geändert um 7.45 h am Tag des Erscheinens


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lto/ali

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 9. Juli 2020: Oktoberfestattentat war rechtsextremistisch / BGH zu Schönheitsreparaturen / Entgelttransparenzgesetz in Aktion . In: Legal Tribune Online, 09.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42144/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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