Die juristische Presseschau vom 30. Juni 2020: Deut­sche EU-Rats­prä­si­dent­schaft / Ende im Streit um EZB-Urteil? / Fillon ver­ur­teilt

30.06.2020

Am morgigen Mittwoch beginnt die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Bundestag und Bundesregierung sehen Anforderungen aus EZB-Urteil als erfüllt an und ehemaliger französischer Premierminister François Fillon wurde zu Haftstrafe verurteilt.

Thema des Tages

Deutsche EU-Ratspräsidentschaft: Inmitten der Corona-Pandemie wird am morgigen Mittwoch die halbjährige EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands beginnen. Die SZ (Karolina Meta Beisel u.a.) beschreibt deshalb in ihrem Thema des Tages ausführlich die akuten Herausforderungen, insbesondere die Verhandlungen über den Corona-Hilfstopf und den künftigen Sieben-Jahres-Haushalt der EU. In einem separaten Beitrag der SZ (Karolina Meta Beisel) wird darauf hingewiesen, dass deutsche Alleingänge wegen der Rolle der Ratspräsidentschaft als "ehrlicher Makler" zwischen den Einzelinteressen der Mitgliedstaaten nicht zu erwarten seien. Der Ratspräsidentschaft sei im Verfassungsgefüge der Europäischen Union vor allem der Vorsitz aller in dem halben Jahr stattfindenden Tagungen, etwa der Justizminister, zugeschrieben. Der aktive Handlungsspielraum beschränke sich auf die Festlegung der Tagesordnung sowie die Verhandlungsführung. Vor Deutschland hatte Kroatien den Sitz inne, anschließend wird Portugal den Vorsitz übernehmen.

Die Ratspräsidentschaft soll zudem genutzt werden, das Europäische Asylrecht zu reformieren. In diesem Zusammenhang fordert die Vorsitzende des Sachverständigenrats Migration (SVR) Petra Bendel im Interview mit der taz (Christian Jakob) die Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) hin zu einem "europäischen 'Bundesamt für Migration und Flüchtlinge'". Sie greift dabei die Forderungen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf, Asylanträge künftig immer vorab in Lagern an den EU-Außengrenzen prüfen zu lassen.

Bendel sowie der Rechtsprofessor und stellvertretende Vorsitzende des SVR Daniel Thym (Hbl) schlagen zudem die Schaffung eines "Migrantenvisums gegen Kaution" vor. So sollen, angelehnt an das deutsche Fachkräfteeinwanderungsgesetz, Migranten etwa aus Afrika auch ohne formale Qualifikation die Möglichkeit bekommen, regulär einzureisen und zur Erwerbstätigkeit für eine begrenzte Zeit in Europa bleiben zu können. Eine Art Kaution in Verbindung mit funktionierenden Rücknahmeabkommen soll die temporäre Natur des Aufenthalts absichern.

Rechtspolitik

EZB-Anleihenprogramm: Der Bundestag sieht laut SZ (Cerstin Gammelin) die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts an das Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank für erfüllt an. Am Donnerstag soll nach einer Debatte über das Karlsruher Urteil vom Mai ein gemeinsamer Entschließungsantrag von Union, SPD, FDP und Grünen verabschiedet werden. Vergangene Woche wurde ein Bericht der EZB zugänglich gemacht, der die entsprechende Prüfung der Verhältnismäßigkeit enthalte. In einem Brief an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), der der SZ vorliegt, zeigt sich Finanzminister Olaf Scholz (SPD) ebenfalls optimistisch. Aus Sicht des Finanzministeriums habe die EZB ihre Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit der Anleihenkäufe "nachvollziehbar dargelegt". Die Bundesregierung teile somit die Ansicht der Mehrheit im Bundestag. Scholz wolle nun den Verfassungsrichtern die Dokumente der EZB übersenden und ihnen darlegen, weshalb die Anforderungen des Karlsruher Urteils erfüllt seien. Die FAZ (Manfred Schäfers/Christian Siedenbiedel) berichtet ebenfalls.

Unternehmenssanktionen: Auf verfassungsblog.de kritisiert der wissenschaftliche Mitarbeiter Max Kolter den Referentenentwurf des Verbandssanktionengesetzes als "Papierkätzchen" ohne verhaltenssteuernde Wirkung. Mangels Einführung genuin strafrechtlicher Sonderdelikte für Unternehmen mit Täterschafts- und Schuldkonzept handele es sich lediglich um neue Zurechnungsnormen. Die in den Sozialwissenschaften als Expressivismus bezeichnete mögliche verhaltenssteuernde Wirkung des Gesetzes bleibe deshalb aus.

Auch Rechtsprofessor Klaus J. Hopt (Hbl) kritisiert den Referentenentwurf scharf und befindet unter anderem die Sanktionsandrohungen bis zu zehn Millionen Euro und bei Großunternehmen bis zu 10 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes als "maßlos" und die Beschlagnahme von Untersuchungsergebnissen als "rechtsstaatlich problematisch und kontraproduktiv".

"Rasse" und Grundgesetz: Die SZ (Matthias Drobinski) greift die Debatte um die Streichung des Wortes "Rasse" aus Grundgesetz sowie Landesverfassungen auf und stellt Vorstöße einzelner Bundesländer dar. Giorgina Kazungu-Haß (SPD) fordert die Streichung aus der rheinland-pfälzischen Verfassung, Bernhard Henter (CDU) weist hingegen darauf hin, dass sich Rassismus schwer verfolgen und bestrafen ließe, ohne dass der Begriff der "Rasse" als juristisches Konstrukt vorkomme. In der Landesverfassung Thüringens wurde der Begriff bereits durch "ethnische Zugehörigkeit" ersetzt und in Sachsen sowie Hessen gibt es entsprechende Initiativen.

Suizidhilfe: Trotz Untätigkeit des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU) nach dem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar gibt es eine Debatte um die Schaffung eines Gesetzes, das die Suizidhilfe in Deutschland regeln soll, wie die Welt (Matthias Kamann) berichtet. Katrin Helling-Pahr (FDP) etwa erklärt gegenüber der Zeitung, bereits Eckpunkte formuliert zu haben, nach denen vor einer Suizidassistenz immer erst ein Arzt konsultiert wird, der prüfen soll, ob der Sterbewunsch ernsthaft, dauerhaft und frei verantwortlich sei. Sodann soll eine unabhängige Beratungsstelle den Fall abermals prüfen und die Person auf Alternativen wie die Palliativmedizin hinweisen.

Internetversorgung: Nach Informationen der SZ (Markus Balser) wollen die Grünen in den nächsten Tagen einen Antrag in den Bundestag einbringen, schnelles Internet "unverzüglich" zum Grundrecht der Deutschen zu machen. Darin soll etwa die Festlegung einer Mindestbandbreite von zehn Megabit pro Sekunde sowie Sanktionsmöglichkeiten der Bundesnetzagentur bei unzureichender Zurverfügungstellung durch die Anbieter festgelegt werden. Beides sei nicht vorgesehen im Referentenentwurf der Bundesregierung für die Neufassung des Telekommunikationsgesetzes.

Lobbyregister Berlin: In Berlin fordert der Linken-Abgeordnete Michael Efler die baldige Schaffung eines Lobbyregisters für den Stadtstaat. Dies sei im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag von Ende 2016 vorgesehen und die Linksfraktion habe vor über einem Jahr bereits einen Gesetzentwurf verfasst. Die Schwierigkeit, trennscharf zu definieren, wann die Einflussnahme auf die Politik, also sogenanntes Lobbying, beginnt, beschreibt die taz-berlin (Bert Schulz).

Justiz

BVerwG zu beihilfefähigen Medikamenten: Auch ärztlich verordnete empfängnisverhütende Mittel können beihilfefähig sein, wenn sie der Behandlung einer Krankheit dienen. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht laut lto.de in einem aktuellen Urteil. Die Beihilfefähigkeit sei nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Pille Teil der "allgemeinen Lebenshaltung" sei, vielmehr sei sie dann beihilfefähig, wenn sie vom behandelnden Arzt aus Anlass einer Krankheit verordnet würde.

OVG NRW zu Lockdown: Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen bestätigt den Lockdown im Kreis Gütersloh in einem Eilverfahren, nachdem dieser wegen eines Corona-Ausbruchs im Schlachtbetrieb Tönnies mit über 1.500 Infizierten ausgerufen wurde. lto.de und spiegel.de berichten.

OVG NDS zu Wolfsabschuss: lto.de berichtet über einen Beschluss des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts über die vom Landkreis Uelzen erteilte Genehmigung zum Abschuss von Wölfen. Einzelne Wölfe hatten eine Methode entwickelt, auch zu gut gesicherten Schafherden vorzudringen, sodass die Gefahr bestünde, dass sie diese Technik an andere Wölfe weitergeben könnten. Zumutbare Alternativen zur Tötung gäbe es somit nicht.

OLG Frankfurt zu Rückkaufsrecht: Das Unternehmen "Pfando's Cash and Drive GmbH" biete einen in Deutschland verbotenen gewerblichen Kauf mit einer Rückkauf-Option an. Deswegen erklärte das Oberlandesgericht Frankfurt/M. entsprechende Verträge nun für unwirksam. wdr.de berichtet.

LG Ellwangen – Sechsfachmörder aus Rot am See: Die FAZ (Rüdiger Soldt) und spiegel.de (Julia Jüttner) berichten über den Prozessauftakt gegen den Sechsfachmörder aus Rot am See vor dem Landgericht Ellwangen. Der Angeklagte, der mutmaßlich sechs Familienmitglieder, darunter Vater und Mutter, erschoss, gestand die Taten umfassend. In den sieben für den Prozess angesetzten Verhandlungstagen soll es auch darum gehen, ob der Angeklagte überhaupt schuldfähig war oder ob er unter einer paranoiden Schizophrenie leidet.

LG München I – Ticketfälscher: Vor dem Landgericht München I hat am Montag der Prozess gegen Aslan C. begonnen, dem unter anderem banden- und gewerbsmäßige Urkundenfälschung sowie schwerer Bandendiebstahl vorgeworfen wird. Über das Verfahren und darüber, wie C. als Kopf zweier Banden in großem Stil Monatsfahrkarten des Münchner Verkehrs- und Tarifbunds sowie der Deutschen Bahn AG gefälscht haben soll, schreiben SZ (Andreas Salch) und focus.de (Göran Schattauer).

StA Köln – Taskforce Kindesmissbrauch: Der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach (CDU) verkündete laut FAZ (Reiner Burger), dass sich ab dem morgigen Mittwoch sechs Staatsanwälte in der neu geschaffenen "Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen" (ZAC) ausschließlich mit der Strafverfolgung des sogenannten netzkonnexen Kindesmissbrauchs befassen werden. Die ZAC wird bei der Staatsanwaltschaft Köln angesiedelt sein. Allein in der Causa Bergisch Gladbach werde gegen rund 30.000 derzeit noch unbekannte Tatverdächtige im Zusammenhang mit einem Pädokriminellen-Netzwerk ermittelt. zeit.de (Christian Vooren) berichtet ausführlich über die Causa Bergisch Gladbach.

Angesichts einer Dunkelziffer, die sich als noch "monströser" herausstellen könnte, sieht Daniel Deckers (FAZ) die Zeit gekommen für mehr Mittel für die Ermittlungsbehörden. Auch eine gesetzliche Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung hält er für denkbar.

StA München I – Wirecard: Der kürzlich gekündigte Wirecard-Vorstand Jan Marsalek befinde sich höchstwahrscheinlich im Ausland auf der Flucht und ist laut Informationen u.a. der SZ (Christoph Giesen u.a.) nicht bereit, sich der Staatsanwaltschaft München I zu stellen. Einiges deutet indes darauf hin, dass Wirecard schon früher riesige Umsätze und Guthaben erfunden hat.

StA Berlin – Untreue in Millionenhöhe: Ein ehemaliger Mandant der Kanzlei "Buse Heberer Fromm", der Kunstsammler Erich Marx, hat dessen Namenspartner Hartmut Fromm, einen weiteren Partner der Sozietät sowie seine Ex-Geliebte angezeigt. Die Beschuldigten hätten als Mitgeschäftsführer von Marx' Vermögensgesellschaften Anteile einer Tochtergesellschaft an die ehemalige Lebensgefährtin von Marx entgegen dessen Willen übertragen. lto.de (Anja Hall) berichtet über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Berlin.

Recht in der Welt

Frankreich – Haftstrafe für Fillon: Frankreichs früherer Premierminister François Fillon und seine Frau Penelope wurden von einem Pariser Gericht zu Haftstrafen verurteilt. Der konservative Ex-Regierungschef muss, wie die SZ und die FAZ (Michaela Wiegel) berichten, wegen "Veruntreuung öffentlicher Gelder" für zwei Jahre ins Gefängnis, drei weitere Jahre Haft werden zur Bewährung ausgesetzt. Seine Gattin erhielt wegen "Beihilfe" eine Bewährungsstrafe von drei Jahren. Der Fall ging um die Scheinbeschäftigung Penelope Fillons als Parlamentsassistentin ihres Ehemanns.

Hongkong – Sicherheitsgesetz: faz.net schreibt über die scharfe Kritik an dem geplanten Hongkonger Sicherheitsgesetz, das vermutlich am morgigen Mittwoch, dem 23. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an China, in Kraft treten wird.  

Sonstiges

Anspruchsbündelung durch Inkassodienstleister: Auf lto.de befasst sich Rechtsanwalt Philipp Plog mit aktuellen Entwicklungen rund um verschiedene Prozessvehikel, bei denen Schadensersatzansprüche in großer Zahl an eine Gesellschaft, etwa sogenannte Inkassodienstleister, abgetreten werden. Diese kann die Ansprüche dann gebündelt geltend machen, um Anwalts- und Prozesskosten zu sparen.

Corona – Tracing-App: Welchen Sinn und Zweck eine sogenannte Datenschutzfolgenabschätzung (DSFA) im Zusammenhang mit der Corona-Warn-App hat, wird auf netzpolitik.org (Kirsten Bock u.a.) erklärt. Die Notwendigkeit einer solchen DSFA ergibt sich aus Artikel 35 der Datenschutzgrundverordnung.

Corona – Urlaub: Im Interview mit beck.de (Monika Spiekermann) erläutert der Professor der Polizeihochschule Brandenburg Guido Fickenscher einige aktuelle Auflagen für Erholungssuchende in Urlaubsorten an Nord- und Ostsee.

Das Letzte zum Schluss

Illegaler Käse für Pink: Der derzeitige Lieblingskäse der US-Sängerin Pink, Mimolette, ist orangefarbenen, stammt aus Frankreich und die Einfuhr in die USA ist seit 2013 verboten. Das hat die Sängerin offenbar nicht davon abgehalten, ihre Liebe für den illegalen Käse auf dem Kurznachrichtendienst Twitter kundzutun. Dies meldet die SZ.

 

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lto/jpw

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 30. Juni 2020: Deutsche EU-Ratspräsidentschaft / Ende im Streit um EZB-Urteil? / Fillon verurteilt . In: Legal Tribune Online, 30.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42039/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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