Die juristische Presseschau vom 16. Juni 2020: Vir­tu­eller DAT / Corona-App start­klar / Pro­zess­auf­takt zum Lübcke-Mord

16.06.2020

Unter dem Motto "Die Kanzlei als Unternehmen" findet der diesjährige Deutsche Anwaltstag ausschließlich digital statt. Die Corona-Warn-App soll ab heute verfügbar sein. Der Prozess gegen Stephan E. vor dem OLG Frankfurt/M. beginnt.

Thema des Tages

Virtueller DAT – Edith Kindermann: Seit Montag findet unter dem Motto "Die Kanzlei als Unternehmen" der 71. Deutsche Anwaltstag mit zahlreichen Webinaren, Videos und Livestreams statt. Zum Auftakt sprach die Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins, Edith Kindermann, mit der SZ (Wolfgang Janisch) über aktuelle rechtspolitische Themen. So weigere sich Kindermann, dem Reflex, Strafverschärfung in Fällen von Kindesmissbrauch zu verlangen, nachzugeben. Strafverschärfungen würden keine Kinder schützen, es brauche mehr Personal in Jugendämtern sowie einen besseren Austausch aller Beteiligten, um Knowhow besser vermitteln zu können.

Kindermann sprach auch mit lto.de (Hasso Suliak) und befürwortete unter anderem ein die Corona-App begleitendes Gesetz, um das Merkmal der "Freiwilligkeit" der Nutzung garantieren zu können. Außerdem ging es um die Reform der Rechtsanwaltsvergütung sowie die Digitalisierung der Justiz.

Virtueller DAT – Überblick: Ein Überblick über den ersten Tag des DAT erscheint auf beck.de (Joachim Jahn). In ihrer Begrüßungsrede machte Kindermann darauf aufmerksam, dass das Konzept "Kanzlei als Unternehmen" angesichts des Berufsethos für viele noch immer ein heikles Thema sei. Außerdem forderte Kindermann etwa ein Kanzleiregister, um mehr Transparenz für die Verbraucher zu schaffen, erneuerte aber auch ihre Forderung nach einer baldigen Reform der Rechtsanwaltsvergütung. Dies griff Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) in ihrem Grußwort auf. Sie habe ihr Haus angewiesen, einen Gesetzentwurf zur Anpassung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes zu erarbeiten.

Corona und Recht

Corona – App: Am heutigen Dienstag soll die Corona-App zur leichteren Nachverfolgung von Infektionsketten vorgestellt und zum Download zur Verfügung gestellt werden. Wie die FAZ (Helene Bubrowski) meldet, will die grüne Bundestagsfraktion am heutigen Dienstag einen Gesetzentwurf zur freiwilligen Nutzung der App beschließen. Eine positive Wirkung eines solchen Gesetzes auf die Legitimation der App sieht auch Peter Kenning, der als Vorsitzender des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen das Bundesjustizministerium berät. Dies teilte er dem Hbl (Dietmar Neuerer) mit. Eine eigene gesetzliche Grundlage ist hingegen aus Sicht der Bundesregierung nicht erforderlich.

OVG Sachsen-Anhalt zu Präsenzunterricht: Die neue Coronaverordnung Sachsen-Anhalts regelt unter anderem die schrittweise Öffnung allgemeinbildender Schulen. Dass dabei auch von der Einhaltung des allgemein geltenden Mindestabstands abgewichen werden darf, bestätigte laut lto.de nun das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalts. Ein Grundschullehrer hatte dagegen geklagt.

StA Potsdam – Tote im Klinikum: Nach dem schweren Corona-Ausbruch im Potsdamer Klinikum Ernst von Bergmann im März hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen drei leitende Ärzte und die damalige Geschäftsführung aufgenommen. Ermittelt werde gegen die insgesamt fünf Beschuldigten wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung. Den drei beschuldigten Ärzten wird vorgeworfen, Erkrankungen oder Verdachtsfälle nicht oder nur verspätet an das Potsdamer Gesundheitsamt gemeldet zu haben, wie faz.net (Kim Björn Becker) berichtet.

VGH Hessen – Sonntagsöffnungen: Weil die hessische Landesregierung wegen der Corona-Krise Sonntagsöffnungen für Verkaufsstellen nun bis Mitte August erleichtert, hat die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi Klage beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingereicht. In anderen Bundesländern, darunter Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz, gelten dagegen unter Verweis auf den verfassungsrechtlich gebotenen Sonntagsschutz wieder die ursprünglichen Ladenschlussregeln. faz.net (Falk Heunemann) berichtet.

Italien – Verantwortung für Corona-Tote: Die FAZ (Matthias Rüb) schreibt über das Verfahren der Staatsanwaltschaft Bergamo, die derzeit ermittelt, ob es Schuldige für die vielen Corona-Toten in der Region gibt. Zuletzt wurden Ministerpräsident Giuseppe Conte, die Innenministerin und der Gesundheitsminister befragt. Die zuständige Staatsanwältin Maria Cristina Rota will bald entscheiden, ob Anklage wegen fahrlässiger Unterlassung einer Amtshandlung oder gar wegen fahrlässiger Tötung erhoben werden kann.

Rechtspolitik

Berliner Antidiskriminierungsgesetz: Als Reaktion auf das neu eingeführte Berliner Antidiskriminierungsgesetz, das am Donnerstag in Kraft tritt, kündigten sowohl Bayern als auch Baden-Württemberg laut lto.de nun an, möglicherweise keine Landespolizisten mehr zur Unterstützung nach Berlin zu schicken. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat dabei vor allem ein befürchtetes Haftungsrisiko im Blick. Darauf reagierte der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) mit einem Hinweis, sich den Gesetzestext doch einmal genau anzuschauen. Dieser regele ausdrücklich, dass sich Ansprüche nach dem Gesetz immer nur gegen das Land Berlin richten.

Berliner Polizeigesetz: Über die Neufassung des Berliner Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes berichten taz-berlin (Plutonia Plarre) und lto.de. Unter anderem sollen Bodycams die Einsätze von Polizei, Feuerwehr und Sanitätern dokumentieren. So sollen Verstöße gegen, aber auch durch die Einsatzkräfte nachvollzogen werden können. Das Gesetz soll noch in diesem Jahr vom Abgeordnetenhaus beschlossen werden und am 1. Januar 2021 in Kraft treten.

Hasskriminalität: Über das "Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität" aus dem Bundesjustizministerium berichtet focus.de (Göran Schattauer). Kernstück des Gesetzes sei die Regelung, mit der Anbieter sozialer Netzwerke zur Auskunftserteilung gegenüber Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden verpflichtet werden können. Gegenüber focus.de sagte der für das Gesetz zuständige Bundestagsabgeordnete Florian Post (SPD), er rechne mit erheblichem Widerstand seitens der betroffenen Unternehmen, forderte aber auch auf, nicht vor Leuten wie Mark Zuckerberg einzuknicken.

"Rasse" und Grundgesetz: Zu der aktuellen Diskussion, ob der Begriff "Rasse" aus dem Grundgesetz zu streichen ist, befindet Rechtsanwältin Barbara Schmitz (community.beck.de), dass es sich lediglich um eine notwendig gewordene Berichtigung des Grundgesetzes handele. Der Begriff entbehre jeder wissenschaftlicher Grundlage, die Unterschiede zwischen Menschen begründen könnten und sei in der derzeitigen Form eine offenbare Unrichtigkeit im Grundgesetz. Diese müsse folgerichtig korrigiert werden.

Lieferketten und Menschenrechte: Rechtsanwalt Andreas Rühmkorf erläutert auf verfassungsblog.de, warum er ein nationales Lieferkettengesetz in Deutschland für notwendig erachtet. Deutschland könne so als Exportnation Verantwortung für globale Lieferketten zeigen und eine Führungsrolle in der Diskussion einnehmen. Außerdem stellt er entsprechende Regelungen in Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden vor.  

Justiz

OLG Frankfurt/M. – Mord an Walter Lübcke: Am heutigen Dienstag beginnt vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/M. der Prozess gegen Stephan E., dem mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Die FAZ (Marlene Grunert) beschreibt die Entwicklungen rund um den Mord als "gesellschaftliche Zäsur" im Umgang mit Rechtsextremismus. Focus.de (Göran Schattauer) gibt einen Überblick über den vermeintlichen Tathergang und den Prozess im Frage-und-Antwort-Format.

OLG Köln zu Volksverhetzung und Frauen: Auch eine pauschale Verunglimpfung von Frauen kann angesichts der historischen Entwicklung des Straftatbestandes eine Volksverhetzung darstellen. Das entschied das Oberlandesgericht Köln laut lto.de und lawblog.de (Udo Vetter) kürzlich und hob damit einen Freispruch durch das Landgericht Bonn auf. Die Entwicklung hin zu einem allgemeinen "Anti-Diskriminierungstatbestand" habe es erlaubt, die zahllosen Bezeichnungen von Frauen auf der Internetseite des Angeklagten etwa als "Menschen zweiter Klasse" oder "den Tieren näherstehend" als Volksverhetzung einzustufen. Das OLG verwies zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Bonn.

OLG Naumburg – Angriff auf Synagoge Halle: Die FAZ (Reinhard Bingener) meldet, dass das Oberlandesgericht Naumburg die Anklage gegen den Attentäter von Halle, Stephan B., zugelassen und das Hauptverfahren gegen ihn eröffnet hat. Das Verfahren soll am 21. Juli beginnen. Im Zusammenhang mit dem Versuch B.s, in einer Synagoge in Halle ein Massaker anzurichten, wird ihm nun Mord in zwei Fällen, versuchter Mord in 68 Fällen und Volksverhetzung vorgeworfen.

VG Bremen zu AStA-Plakat: Hochschulen haben hinsichtlich ihrer Gebäude das Hausrecht und können daher für an diesen Gebäuden aufgehängte Transparente Genehmigungen verlangen. Das entschied das Verwaltungsgericht Bremen in einem kürzlich ergangenen Urteil, über das lto.de berichtet. Die Studenten wollten mit dem Plakat gegen die Kooperation ihrer Hochschule mit der Bundeswehr protestieren.

VG Trier zu schwerem Dienstvergehen: Wer als Polizeibeamter maßgebliche Vorschriften zu Nebentätigkeiten missachtet, macht sich eines schweren Dienstvergehens schuldig und ist aus dem Dienst zu entfernen. Das entschied das Verwaltungsgericht Trier (VG) in einem kürzlich veröffentlichten Urteil. lto.de berichtet.

Recht in der Welt

Philippinen – Maria Ressa: Die Chefredakteurin des regierungskritischen Nachrichtenportals "Rappler", Maria Ressa, und ein weiterer Redakteur der populären philippinischen Nachrichtenplattform Rappler.com wurden zu Haftstrafen bis zu sechs Jahren verurteilt. Die Richter befanden beide der Verleumdung für schuldig, nachdem sich ein Unternehmer in seinem Ruf geschädigt sah und deshalb klagte. Das Urteil gilt als Schlag gegen die Pressefreiheit unter dem derzeitigen Präsident Rodrigo Duterte. Maria Ressa bezeichnete das Vorgehen am Montag als "Tod durch tausend Schnitte". U.a. die SZ (Arne Perras) berichtet.

Russland – Ex-US-Soldat: Ein russisches Gericht hat den seit fast anderthalb Jahren inhaftierten US-Bürger Paul Whelan wegen Spionage zu 16 Jahren Strafkolonie verurteilt. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB stellt den Fall so dar, er habe Whelan als Spion auf frischer Tat ertappt. Er soll geheime Daten auf einem USB-Stick erhalten haben. faz.net (Friedrich Schmidt) berichtet. Der US-Außenminister Mike Pompeo forderte laut spiegel.de Whelans sofortige Freilassung.

USA – Supreme Court zu LGBT: Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten, der Supreme Court, hat ein historisches Bürgerrechtsgesetz auf Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender ausgeweitet. Eine wichtige Klausel des Civil Rights Act von 1964 schütze nun auch vor Vorurteilen gegenüber lesbischen, schwulen, bisexuellen und transsexuellen Angestellten. faz.net berichtet.

USA – Supreme Court zu Abschiebungen: Außerdem ist Donald Trump vor dem Supreme Court mit dem Versuch gescheitert, gegen den Widerstand Kaliforniens Einwanderer schneller und einfacher abschieben zu können. Der Supreme Court lehnte es am Montag ab, Trumps Einspruch gegen die sogenannten Zufluchtsgesetze des Bundesstaats zuzulassen. Diese Gesetze untersagen es lokalen Strafverfolgungsbehörden und privaten Arbeitgebern, an die Bundeseinwanderungsbehörde bestimmte Informationen über Immigranten weiterzugeben, die potentiell für eine Abschiebung in Betracht kämen. Darüber schreibt faz.net ebenfalls.

Sonstiges

Frauen in Führungspositionen: Anlässlich des fünfjährigen Bestehens des Führungspositionengesetzes (FüPoG), das Unternehmen dazu bringen soll, mehr Frauen in Führungspositionen zu befördern, wurde eine Studie zu dessen Umsetzung veröffentlicht. lto.de (Anja Hall) stellt diese vor: Fortschritte seien zwar sichtbar, allerdings sei die Mehrzahl der Unternehmen noch meilenweit davon entfernt, einen Frauenanteil in den Führungsgremien zu erreichen, den sich der Gesetzgeber vorgestellt hat.

Briefporto: Nach Informationen der FAZ (Helmut Bünder) hält die Bundesnetzagentur auch die Anhebung des Briefportos auf aktuell 80 Cent für rechtswidrig. Erst Ende Mai hatte das Bundesverwaltungsgericht die Portoerhöhung von 62 auf 70 Cent im Zeitraum 2016 bis 2018 für rechtswidrig erklärt. spiegel.de berichtet.


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lto/jpw

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. Juni 2020: Virtueller DAT / Corona-App startklar / Prozessauftakt zum Lübcke-Mord . In: Legal Tribune Online, 16.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41905/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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