Die juristische Presseschau vom 5. Juni 2020: BVerwG bil­ligt Elb­ver­tie­fung / Razzia wegen Hass­kom­men­taren / Ber­liner Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­ge­setz

05.06.2020

Das Bundesverwaltungsgericht beendet den jahrelangen Rechtsstreit um die Elbvertiefung. Bundesweit gab es Hausdurchsuchungen wegen Online-Hasskommentaren. Berlin verabschiedet umstrittenes Antidiskriminierungsgesetz.  

Thema des Tages

BVerwG zu Elbvertiefung: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Klage von Umweltschützern gegen die geplante Elbvertiefung abgewiesen. Nach den Planungen sollen künftig Container-Schiffe mit einem Tiefgang bis zu 13,50 Meter unabhängig von der Flut und bis zu 14,50 Meter auf der Flutwelle den Hamburger Hafen erreichen können, überdies sollen die Schiffe einander beim Ein- und Auslaufen besser passieren können. In der Entscheidung fiel besonders ins Gewicht, dass die Stadt inzwischen wirksame Ausweichflächen für den geschützten Schierlings-Wasserfenchel geschaffen habe, welcher nur in der Elbe vorkommt. Es berichten FAZ (Christian Müßgens), taz (Gernot Knödler) und lto.de.

Christian Müßgens (FAZ) verweist darauf, dass es 18 Jahre gedauert habe, bis die Planungsbehörden mit diesem endgültigen Urteil Rechtssicherheit für das Bauprojekt haben. Es müsse dem deutschen Planungsrecht gelingen, Planungsprozesse schneller abzuschließen, damit Deutschland seine wirtschaftliche Stärke behalten könne.  

Rechtspolitik

Ostdeutsche Verfassungsrichter: Vor dem Hintergrund der Diskussionen um die mögliche Wahl von Jes Möller als erstem ostdeutschen Verfassungsrichter erklärt lto.de (Christian Rath), warum es bisher keinen solchen gab. DDR-Juristen hätten als zu systemnah gegolten, Oppositionelle seien eher Pfarrer gewesen und wer erst nach der Wende mit dem Studium begann, habe erst seinen Weg machen müssen, um für Karlsruhe präsentabel zu sein. Heute sei DDR-Erfahrung für die Arbeit am BVerfG nicht mehr relevant.

Upskirting: Im FAZ-Einspruch begrüßen die Rechtsprofessoren Elisa Hoven und Jörg Eisele die geplante Kriminalisierung von "Upskirting" und "Downblousing", also des Anfertigens von Bildaufnahmen unterhalb der Kleidung oder in den Ausschnitt. Der Gesetzentwurf gehe indes nicht weit genug und sollte vielmehr jegliche unbefugte Aufnahme unbekleideter, sexuell konnotierter Körperteile kriminalisieren. So sei das heimliche Filmen in öffentlichen Duschen oder Saunen nach geltendem Recht straflos, tatsächlich aber in gleichem Maße strafwürdig wie die nun kriminalisierten Handlungen.

Berliner Antidiskriminierungsgesetz: Als erstes Bundesland hat Berlin ein eigenes Antidiskriminierungsgesetz beschlossen, welches einen Schadensersatzanspruch bei Diskriminierungen durch Behörden statuiert. Umstritten war dabei vor allem eine Vermutungsregel, nach der ein Betroffener nicht vollständig beweisen muss, dass er diskriminiert wurde, erklären SZ (Jan Heidtmann), lto.de (Annelie Kaufmann) und zeit.de. Er müsse lediglich Tatsachen glaubhaft machen, die eine Diskriminierung überwiegend wahrscheinlich machten, welche dann von der öffentlichen Stelle widerlegt werden müssen. Überdies ermöglicht das Gesetz eine Verbandsklage, weshalb Kritiker vor einer Klagewelle warnen.

Jan Heidtmann (SZ) kritisiert das Gesetz. Es sei derart vage formuliert, dass es wie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Berliner Gerichte wirke.

Kastenstand: Am Freitag soll der Bundesrat über die neue Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung entscheiden, welche die Verlängerung des sogenannten "Kastenstandes" in der Schweinezucht vorsieht. Bei diesem werden Sauen für die Dauer der Besamung und der Geburt mit Eisenstangen fixiert. Der zwischen Grünen und CDU beschlossene Kompromissvorschlag sehe eine Verlängerung für weitere acht und in Härtefällen bis zehn Jahre vor, innerhalb derer die Landwirte ihre Ställe umrüsten können. Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt hatte bereits 2015 entschieden, dass die Sauen im Kastenstand die Möglichkeit haben müssten, sich so auszustrecken, dass ihre Gliedmaßen nicht an Hindernisse stießen. Es berichten FAZ (Helene Bubrowski) und taz (Hanna Gersmann).

Verfassungsschutzgesetz: netzpolitik.org (Andre Meister) berichtet über eine Einigung zwischen Justiz- und Innenministerium bezüglich eines neuen Gesetzes für das Bundesamt für Verfassungsschutz. Danach solle der Inlandsgeheimdienst in bestimmten Fällen die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung einsetzen dürfen. Problematisch sei jedoch, dass der Staat hierfür Sicherheitslücken ausnutze, anstatt sie zu schließen. Über die Online-Durchsuchung stritten die Ministerien noch.

Bayern – Cyber-Angriffe: Der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) fordert, Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen härter zu bestrafen. Das Ausspähen von Daten, die etwa für Krankenhäuser, Strom- oder Wasserversorgung relevant seien, sei von einer anderen Qualität als das Ausspähen der Daten von Privatpersonen. In besonders schwerwiegenden Fällen müssten zudem die Ermittlungsbefugnisse ausgeweitet und Telekommunikationsüberwachung, Online-Durchsuchung und Verkehrsdatenüberwachung punktuell möglich sein. Es berichtet die FAZ (Helene Bubrowski).  

Justiz

GenStA Frankfurt – Hasskommentare: In einer bundesweiten Razzia haben die Strafverfolgungsbehörden Wohnungen von 40 Personen durchsucht, die nach der Tötung von Walter Lübcke Hasskommentare im Internetz verbreitet haben sollen. Koordiniert wurde die Aktion von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt, wie FAZ (Katharina Iskandar/Marlene Grunert/Reiner Burger), taz (Konrad Litschko) und lto.de berichten. Die Kommentare sollen etwa die Straftatbestände der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten, des Billigens von Straftaten und des Verunglimpfens des Andenkens Verstorbener erfüllt haben.

Marlene Grunert (FAZ) begrüßt die Aktion ebenso wie die geplante Verpflichtung Facebooks und Twitters, strafrechtlich relevante Beiträge an die Strafverfolgungsbehörden zu melden. Zwar werde dieser Weg schwer angesichts der ohnehin bestehenden Überlastung der Justiz, es sei aber dennoch richtig, dem rechtsfreien Charakter der Netzwerke ein Ende zu machen.

BGH – Helmut Kohl: Im Verfahren um nicht autorisierte Interviews des Journalisten Heribert Schwan mit dem verstorbenen Altkanzler Helmut Kohl hat der Bundesgerichtshof Termin zur mündlichen Verhandlung am 20. August anberaumt. Beim jetzigen Verfahren geht es um die Frage, ob Schwan gegenüber Kohls Witwe Maike Kohl-Richter eine Auskunftspflicht hat hinsichtlich des Verbleibs weiterer Dokumente wie Kopien und Abschriften der Gespräche. Es berichtet der Tsp (Jost Müller-Neuhof).

EuGH zu Widerruf von Kreditverträgen: Wer einen im Internet geschlossenen Darlehensvertrag widerruft, hat keinen Anspruch auf Nutzungsersatz. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden und damit einer deutschen Regelung widersprochen. Es berichten lto.de und FAZ (Marcus Jung).

LG Bonn – Cum-Ex: Die Staatsanwaltschaft Köln hat eine rund 280-seitige Anklageschrift zum Landgericht Bonn eingereicht, in welcher drei Banker der M.M.-Warburg-Gruppe sowie ein früherer Mitarbeiter der Tochtergesellschaft Warburg Invest im Zusammenhang mit sogenannten Cum-Ex-Geschäften angeklagt werden. Es geht um besonders schwere Steuerhinterziehung in 13 Fällen, der Schaden wird in der Anklageschrift auf 326 Millionen Euro beziffert. Es berichten SZ (Klaus Ott/Jörg Schmitt/Jan Willmroth/Nils Wischmeyer), FAZ (Marcus Jung) und Hbl (Volker Votsmeier).

LAG RP zu abgelehnter Bewerbung: Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat einer Muslima, die wegen eines Kopftuchs auf dem Bewerbungsfoto nicht eingestellt wurde, einen Schadensersatz von 1.500 Euro zugesprochen, meldet lto.de. Der Geschäftsführer der Steuerberatungsfirma, welche den Ausbildungsplatz als Kauffrau für Büromanagement ausgeschrieben hatte, riet der Frau im Ablehnungsschreiben, bei künftigen Bewerbungen auf den "Kopfschmuck" zu verzichten. Hierin sah das LAG auch in zweiter Instanz eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung aufgrund der Religion.

Antisemitische Straftaten: Im Interview mit der SZ (Ronen Steinke) spricht Oberstaatsanwalt Andreas Franck über die Strafverfolgung antisemitischer Taten. Die Justiz müsse vermitteln, auf der Seite der Betroffenen zu stehen; antisemitische Straftaten dürften keinesfalls aus Opportunitätsgründen eingestellt werden. Wer eine Anzeige wegen eines Hassverbrechens erstatte, könne überdies bei Sicherheitsbedenken die eigene Adresse geheim halten. 

BVerfG – EZB-Anleihenkauf: In einem Gastbeitrag für die FAZ kritisiert Gesine Schwan das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank. Es habe keinen Anlass gegeben, die beanstandete Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, der das Handeln der EZB gerechtfertigt hatte, als "schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar" und "willkürlich" zu bezeichnen. Das Gericht hätte dem EuGH im konkreten Fall keine Ultra-Vires-Entscheidung vorwerfen können, vielmehr habe sich die Einschätzung, der EuGH neige zu einer Überschreitung seiner Kompetenzen, beim BVerfG schon lange zuvor aufgebaut. Auf verfassungsblog.de fordert Rechtsprofessor Armin Hatje die Gründung eines Gemeinsamen Rates der obersten Gerichtshöfe der Europäischen Union, welcher rechtliche Auseinandersetzungen zwischen Höchstgerichten moderieren und schlichten könnte. 

BVerfG – BND-Gesetz: Auf verfassungsblog.de analysiert Rechtsanwalt David Krebs das BND-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in welchem dieses die extraterritoriale Anwendung der Grundrechte bejaht hatte. Zwar beziehe sich die Entscheidung nur auf die Abwehrdimension von Grundrechten, sie ließe sich aber auf die Begründung von extraterritorialen Schutzpflichten übertragen. Dies habe etwa Relevanz für Menschen in transnationalen Wertschöpfungsketten deutscher Unternehmen, welche aufgrund einer solchen extraterritorialen Schutzpflicht durch ein sogenanntes "Lieferkettengesetz" geschützt werden könnten.

VGH Bayern zu Airbnb: Die Wohnungsvermittlungsplattform Airbnb muss keine personenbezogenen Daten wegen illegal genutzter Ferienwohnungen herausgeben. Wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschied, enthält das Telemediengesetz keine Grundlage für eine generelle und flächendeckende Datenerhebung auf Vorrat. Daher scheiterte die Stadt München mit ihrem Auskunftsersuchen, meldet die FAZ (Marcus Jung).

EuGH zu Menthol-Zigaretten: Anlässlich des Ende Mai in Kraft getretenen EU-weiten Verkaufsverbotes für Menthol-Zigaretten blickt Rechtsanwalt Fiete Kalscheuer auf community.beck.de zurück auf die vergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes, in welchen dieser das Verbot billigte. Er habe hierbei eine mangelhafte Abwägung vorgenommen und insbesondere das "Recht auf Unvernunft" nicht berücksichtigt, welches das Bundesverfassungsgericht stets betone. 

LG Berlin – Mord an Fritz Weizsäcker: Im Prozess um den mutmaßlichen Mord an Fritz Weizsäcker vor dem Landgericht Berlin hat ein Polizist als Zeuge ausgesagt, der sich dem Angriff in den Weg gestellt hatte und dabei selbst schwere Stichverletzungen davontrug. Es berichtet die Welt (Lennart Pfahler).  

Recht in der Welt

Hongkong – Chinesische Nationalhymne: Das Parlament von Hongkong hat die Missachtung der chinesischen Nationalhymne unter Strafe gestellt. Die Hymne ist in der Bevölkerung unbeliebt und führt etwa bei Fußballspielen zu Buhrufen. Die pekingtreue Mehrheit im Parlament möchte auf diese Weise Respekt für chinesische Nationalsymbole erzwingen, die prodemokratische Minderheit sieht in dem Gesetz eine Verletzung der Meinungsfreiheit und blieb der Abstimmung aus Protest fern. Es berichtet die SZ.

USA – Unkrautvernichter Dicamba: Ein amerikanisches Gericht hat Bayer und BASF vorerst untersagt, den Unkrautvernichter Dicamba weiter zu vertreiben. Die amerikanische Gesundheitsbehörde EPA habe bei der Zulassung 2018 die gesundheitlichen Risiken wesentlich untertrieben. Anders als beim ebenfalls heftig umstrittenen Glyphosat gehe es hier jedoch nur um Ernteausfälle, nicht um tödliche Krankheiten, erklärt die FAZ (Jonas Jansen/Marcus Jung). 

Sonstiges

Home Office: Tipps zum produktiven und angenehmen Arbeiten im Home Office gibt Carmen Schön im Interview mit lto.de (Anja Hall). Ein möglichst professionell ausgestatteter Arbeitsbereich in der Wohnung, wenig Zeit am Handy, regelmäßige Pausen und die offene Kommunikation im Team seien wichtige Faktoren. Kanzleien würden zunehmend offener für das Home Office und es stehe zu erwarten, dass viele es ihren Mitarbeitern auch nach der Corona-Pandemie gestatten würden, ein oder zwei Tage die Woche von daheim zu arbeiten. 

Corona-Podcast: Die Frage der rechtlichen Zulässigkeit des Corona-Podcasts der Bundesregierung behandelt der Wissenschaftliche Mitarbeiter Nicolas Harding auf juwiss.de. Zwar erfülle der Podcast die Voraussetzungen des verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriffs, es gehe von ihm aber keine den Grundsatz der Staatsfreiheit aktivierende Gefahr für die Institution des unabhängigen Rundfunks aus. Der Podcast habe  einen unmittelbaren Bezug zur derzeitigen Ausnahmesituation, er sei auf zehn Episoden limitiert, nicht bei den herkömmlichen Podcast-Anbietern erhältlich und gefährde die Pluralität des Podcast-Marktes nicht.

Das Letzte zum Schluss

Schneewehen: 37 zerkratzte Autos und ein Sachschaden von 30.000 Euro – eine stolze Bilanz für die Siebenjährige in Hohenstein-Ernstthal in Sachsen, welche von der Polizei als Täterin ermittelt wurde. Das Motiv war dabei rein künstlerischer Natur: Das Mädchen hatte die Autos mit Schneeflocken verzieren wollen und ihre Abbildung kurzerhand in den Lack gekratzt. Dass die Autos dabei Schaden nehmen konnten, sei ihr nicht bewusst gewesen, sagte sie der Polizei. lawblog.de (Udo Vetter) gibt zwar mangels Strafmündigkeit Entwarnung nach dem Strafgesetz, verweist aber auf zivilrechtliche Ansprüche: Gut möglich, dass die Erziehungsberechtigten für den Schaden aufkommen müssten.


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lto/mps

(Hinweis für Journalisten)   

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 5. Juni 2020: BVerwG billigt Elbvertiefung / Razzia wegen Hasskommentaren / Berliner Antidiskriminierungsgesetz . In: Legal Tribune Online, 05.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41812/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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