Die juristische Presseschau vom 4. Juni 2020: Scha­dens­er­satz von Assad? / BVerfG zu Pro­zess­kos­ten­hilfe / Anklage nach Floyds Ermor­dung

04.06.2020

Die Opferanwälte im Syrien-Folter-Prozess wollen Assad zu Schadensersatz verpflichten. Ungeklärte Rechtsfragen dürfen nicht ins Prozesskostenverfahren vorgelagert werden und im Fall George Floyd wird wegen "Second Degree Murder" angeklagt.

Thema des Tages

OLG Koblenz – Folter in Syrien: Im Interview mit focus.de (Axel Spilcker) sprechen die beiden Opferanwälte Ali Mohammed und Andreas Schulz über den Prozess gegen die mutmaßlichen Folterer des syrischen Regimes und den Plan der Anwälte, den Diktator Bashar al-Assad zu Schadensersatz zu verpflichten. So sprechen sie von dem Ziel einer sogenannten Ex-Gratia-Zahlung, die wiederum die Lockerung von Handels-Sanktionen zur Folge haben könnte. Als Präzedenzfall nennt Schulz die Aufhebung weltweiter Sanktionen, nachdem der lybische Staat unter Muammar al-Gaddafi drei Millarden US-Dollar für die Opfer von Anschlägen zahlte. Staatliche und nicht-staatliche Akteure müssten auf beiden Seiten eine gemeinsame Interessenlage an den Tag legen, um eine Entschädigung für Terroropfer herbeizuführen. Ein eigentlich wünschenswertes internationales Kriegsverbrechertribunal, um die Verbrechen im syrischen Bürgerkrieg aufzuklären und verfolgen zu können, sei bisher unter anderem am Veto Russlands im UN-Sicherheitsrat gescheitert, dem Hauptverbündeten des syrischen Assad-Regimes.

Über die Aussagen des ersten Folteropfers am Prozesstag am Mittwoch berichtet taz.de (Sabine am Orde).

Corona und Recht

Corona – Tracing-App: Während die vier Justizminister und -senatoren der Grünen in den Bundesländern in einem Positionspapier auf die Regelung der geplanten Corona-Tracing-App per Gesetz bestanden, sieht die Bundesregierung laut lto.de derzeit keine Notwendigkeit für ein solches Gesetz. Der FAZ (Helene Bubrowski/Constantin van Lijnden) gegenüber erklärte der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber, dass auch ohne Gesetz allen Betroffenen uneingeschränkt die Rechte nach der Datenschutzgrundverordnung zustünden. Der Datenschutzbeauftragte Hamburgs, Johannes Caspar, warnt vor einem (indirekten) Zwang zur Nutzung der App und spricht sich gemeinsam mit dem Datenschutzbeauftragten Baden-Württembergs, Stefan Brink, für ein entsprechendes Begleitgesetz aus.

Corona – Grundgesetz: Im Staat und Recht-Teil der FAZ schreibt der emeritierte Rechtsprofessor Josef Isensee darüber, wie "elastisch" das Grundgesetz auf die Pandemie reagierte, ohne dass sich das Corona-Geschehen in die Notstands-Tatbestände des Grundgesetzes eingefügt hätte. Die Corona-Pandemie sei letztlich ein Test der Verfasungsnormen auf ihre Resilienz.

Corona – Veranstaltungsrecht: Für lto.de beleuchten die Rechtsanwälte Sven Goltz und Magali Kolleck-Feser die Mitte Mai verabschiedete Gutscheinregelung für Eintritts- und Dauerkarten von Musik-, Kultur-, Sport- und Freizeitveranstaltungen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass sie – ähnlich der gescheiterten Gutscheinregelung in der Reisebranche – gegen Europarecht verstoße. Wegen der im Einzelfall geringen Streitwerte sei jedoch die Hürde, die Regelung gerichtlich überprüfen zu lassen, sehr hoch.

**Corona – Arbeitszwang in Niedersachsen: Wie taz-nord (Nathalie Haut) berichtet, haben in Niedersachsen CDU und SPD einen Gesetzentwurf vorgelegt, wonach medizinisches Personal zur Pandemie-Bekämpfung verpflichtet werden kann. Die Opposition äußert verfassungsr*echtliche Bedenken. Auch sei die Bereitschaft von pensionierten Ärzten und Studenten groß, freiwillig einzuspringen und ein Arbeitszwang somit überflüssig.

Rechtspolitik

EU-Mindestlohn: EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit teilte u.a. der SZ (Björn Finke) mit, dass die EU-Kommission in den kommenden Monaten einen Vorschlag präsentieren wird, wie Mitgliedstaaten ihre Mindestlöhne festsetzen sollen. In Frage komme entweder eine rechtlich unverbindliche Empfehlung oder eine rechtlich verbindliche Richtlinie. Zur Diskussion steht ein Modell, nach dem der Mindestlohn bei 60 Prozent des Median-Einkommens, also des mittleren Einkommens des Landes, liegen soll.

Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin: taz-berlin (Gareth Joswig) stellt den Gesetzentwurf der rot-rot-grünen Koalition Berlins für ein neues Versammlungsgesetz vor, welches fortan den Titel Versammlungsfreiheitsgesetz tragen soll. So soll zum Beispiel das Vermummungsverbot erst durchgesetzt und sanktioniert werden, wenn es im Vorfeld oder während einer Demonstration auch eine polizeiliche Anordnung zum Unterlassen von Vermummungen gegeben habe.

Soldatengesetz: Das Bundeskabinett hat laut faz.net eine Änderung des Soldatengesetzes beschlossen, die es ermöglichen soll, Extremisten und Straftäter aus der Bundeswehr künftig schneller entlassen zu können. Auch nach dem vierten Dienstjahr sollen Zeitsoldaten nun bei besonders schweren Verfehlungen fristlos entlassen werden können. Vorgelegt hatte den Gesetzentwurf Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU).

Ausweisrecht: Wenn ein neuer Pass oder Personalausweis beantragt wird, muss künftig ein Foto digital vorgelegt werden, um Fälschungen von Ausweisen zu erschweren. Das sieht laut zeit.de ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, den das Kabinett beschlossen hat. Menschen, die im Personenstandsregister nicht als weiblich oder männlich geführt werden, können laut Entwurf im Reisepass entweder ein X im Feld "Geschlecht" eintragen, oder sich aber entscheiden, etwa aus Angst vor Diskriminierung, im Reisepass weiter "männlich" oder "weiblich" genannt zu werden, auch wenn im Personenstandsregister etwas anderes steht.

Vizepräsidentin am BVerfG: Die Verfassungsrichterin Doris König soll nach Informationen von faz.net (Reinhard Müller) Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzende des Zweiten Senats werden. Sie muss nun noch vom Bundestag mit einer Zweidrittelmehrheit gewählt werden, um dem scheidenden Gerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle als Senatsvorsitzende folgen zu können. Das Vorschlagsrecht hat die SPD. König habe sich vor allem im Seerecht einen Namen gemacht, bevor sie ans Bundesverfassungsgericht kam.

Nachfolge Masing am BVerfG: Nach wie vor ist offen, ob am kommenden Freitag im Bundesrat ein Nachfolger für Verfassungsrichter Johannes Masing gewählt werden kann. Das Vorschlagsrecht hat die SPD, die sich aber bisher noch nicht auf einen Kandidaten einigen konnte. Es sind weiter die drei Kandidaten Martin Eifert, Jes Möller und Lars Brocker im Rennen. Die SZ (Wolfgang Janisch) gibt einen überblick zum Stand der Debatte. *

Justiz

BVerfG zu Prozesskostenhilfe: Ob Haftbedingungen menschenunwürdig sind oder nicht, über diese Frage soll laut Bundesverfassungsgericht im Hauptsacheverfahren entschieden werden. Die damit verbundenen ungeklärten Rechtsfragen sollen nicht einfach in das Prozesskostenverfahren vorgelagert werden. Wie lto.de berichtet, verstoße eine solche Vorverlagerung in unzulässigerweise gegen die Pflicht zur Wahrung der Rechtsschutzgleichheit im Prozesskostenhilfeverfahren. Hintergrund der nun veröffentlichten Beschlüsse vom Februar diesen Jahres waren zwei Amtshaftungsklagen gegen den Freistaat Bayern wegen menschenunwürdiger Unterbringung in Untersuchungshaft.

BVerfG zum EZB-Anleihenkauf: Im Staat und Recht-Teil der FAZ beziehen 13 Rechtsprofessoren Stellung für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum EZB-Anleihenkauf. Dem Europäischen Gerichtshof sei die Gefolgschaft zu verweigern, wenn unter mehreren vertretbaren Auslegungen des Rechts keine mehr im Regelungsrahmen des Gesetzes liege, mit dem Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen wurden. Das Kooperationsverhältnis der Gerichte sei dadurch nicht beendet, sondern würde entfaltet, indem unterschiedliche Rechtsauffassungen nicht verschwiegen, sondern ausgedrückt würden.

OLG Düsseldorf zu IS-Rückkehrer Mohammed Y.: Erstmals verurteilt ein deutsches Gericht einen Iraker als Mitglied des "Islamischen Staates" und erlegt dem nun verurteilten IS-Rückkehrer Mohammed Y. eine Haftstrafe von vier Jahren und drei Monaten auf. Als Beitrag zur Bekämpfung internationalen Terrors sehe das Strafrecht auch die Verfolgung im Inland ansässiger Täter wegen Terrorverbrechen im Ausland vor. Die SZ (Christian Wernicke) beschreibt das Verfahren ausführlich und geht dabei auch auf die Kritik der Verteidiger ein, die dem Gericht einen Mangel an Verständnis für die irakische Wirklichkeit vorwerfen.

LG Berlin zu Ratingagentur: Das Landgericht Berlin verurteilte eine Ratingagentur laut Hbl (Frank M. Drost) zu Schadensersatz wegen der fehlerhaften Bewertung einer Unternehmensanleihe. Die Agentur habe durch die "unvertretbare" Bewertung eine Unbedenklichkeit bescheinigt, die trügerisch gewesen sei und damit die Gefahr der Anleger erhöht. Eine Privatanlegerin hatte im Vertrauen auf das A-Rating der Agentur Anteile der mittlerweile insolventen MS "Deutschland"-Beteiligungsgesellschaft mbH gezeichnet und jetzt einen Schadensersatz in Höhe von 6.000 Euro zugesprochen bekommen.

In einem separaten Kommentar begrüßt Frank M. Drost (Hbl) das Urteil als Klarstellung, "dass Bonitätswächter für schlampige Arbeit haften müssen". Nichtsdestotrotz solle man Ratingurteilen auch nicht blind vertrauen.

LG Berlin zu besetztem Haus: Die Bewohnerinnen der Liebigstraße 34 in Berlin-Friedrichshain sollen nach einem Urteil des Landgerichts Berlin das umstrittene Haus verlassen. Nach monatelangem Rechtsstreit wurde der Räumungsklage des Hauseigentümers in einem Versäumnisurteil stattgegeben. Der Bewohnerinnen-Verein, der sich als "anarcha-queer-feministisches Hausprojekt Liebig 34" bezeichnet, wurde zudem verurteilt, knapp 20.000 Euro an den Eigentümer zu zahlen, da nach der Kündigung des Mietvertrages 2018 Nutzungsgebühren nicht regelmäßig gezahlt worden seien. Über den Prozess und die sie begleitenden Demonstrationen berichten lto.de und taz-berlin (Erik Peter/Manuela Heim).

LG Hanau zu Bordellring: Im Prozess gegen fünf Mitglieder eines bundesweit agierenden Bordellrings hat das Landgericht Hanau die Urteile gegen die fünf Angeklagten gesprochen. Gegen die Hauptangeklagte, eine 61 Jahre alte Frau aus Thailand, wurden acht Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe verhängt. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt warf den Angeklagten vor, über Jahre vor allem Transsexuelle aus Thailand mit erschlichenen Touristenvisa nach Deutschland eingeschleust und sie letztlich als Prostituierte ausgebeutet zu haben. spiegel.de und faz.net berichten.

AfD und die Justiz: Wie die AfD die Justiz benutze, um das politische System vorzuführen, darüber schreibt die Zeit (Paul Middelhoff/Markus Sehl). Neben Verfahren wie dem gegen die unterlassene Grenzschließung im Herbst 2015 sei die Partei darauf bedacht, rechtliche Grauzonen im Demokratiebetrieb, die über die Jahre zu stillschweigenden Konventionen geworden seien, gerichtlich anzuklagen. So hat etwa das Bundesverfassungsgericht nach der Ablehnung des Eilantrages nun zu klären, ob die Abwahl Stephan Brandners (AfD) als Vorsitzender des Bundestags-Rechtsausschuss rechtlich zulässig war.

DFB-Kontrollausschuss zu Anti-Rassismus: Wie u.a. lto.de berichtet, bleiben die öffentlichkeitswirksamen Solidaritätsaktionen der Bundesliga-Fußballprofis Weston McKennie, Jadon Sancho, Achraf Hakimi und Marcus Thuram sportrechtlich ohne Folgen. Das Sportgericht werde also nicht mit den Fällen befasst und auch künftig werde der DFB anti-rassistische Aktionen von Fußballprofis nicht ahnden. Die Profis hatten am vergangenen Spieltag mit einer Armbinde, einem Kniefall sowie einem Shirt mit der Aufschrift "Justice for George Floyd" Aufmerksamkeit erregt.

Recht in der Welt

USA – Mord an George Floyd: Wie zeit.de und focus.de (Ulf Lüdeke) berichten, hat der Generalstaatsanwalt von Minnesota die Anklage gegen den hauptverdächtigen Polizisten im Fall George Floyd Medienberichten zufolge nun höher eingestuft als bislang. Die Anklage sei von "Mord dritten Grades" auf die zweithöchste Stufe "Mord zweiten Grades" ("Second Degree Murder") hochgestuft worden, sodass die maximale Freiheitsstrafe nicht bei 25, sondern bei 40 Jahren liegt. Floyd war gestorben, nachdem der Polizist Derek C. bei einem Polizeieinsatz fast neun Minuten auf seinem Nacken gekniet war. Festgenommen wurde Floyd, weil er verdächtigt worden war, mit einem gefälschten 20-Dollar-Schein bezahlt zu haben.

USA – Sammelklage gegen Google: Der Internetgigant Google muss sich in den USA wegen Missachtung von Privatsphäre-Einstellungen auf eine mögliche Sammelklage im Volumen von mindestens fünf Milliarden Dollar einstellen. Laut der Beschwerde, die am Dienstag beim Bundesgericht in San Jose (Kalifornien) eingereicht wurde, soll das Unternehmen Daten von Internet-Nutzern sammeln, obwohl diese die Einstellungen auf "privat" gesetzt haben. Mindestens 5000 Dollar Schadenersatz fordert jeder Nutzer für Verstöße gegen Abhörschutzgesetze des Bundes und die kalifornischen Datenschutzgesetze. netzpolitik.org (Anna Biselli) berichtet.

USA – Twitter-Streit: Gegen die Verfügung des US-Präsidenten Donald Trumps, mittels einer Änderung der als "Section 230" bekannten Klausel die Rechte von Online-Diensten einzuschränken, hat nun eine Non-Profit-Organisation Klage eingereicht. Twitter hatte einige Tweets Trumps einem Faktencheck unterzogen. faz.net und lto.de berichten.

Sonstiges

Investitionsschutzabkommen: Nachdem die Mitgliedstaaten der EU auf Druck der Kommission zahlreiche bilaterale innereuropäische Investitionsschutzabkommen kündigten, hätten viele europäische Investoren Zugang zu effektivem Rechtsschutz verloren. Zu diesem Ergebnis kommt Rechtsanwalt Moritz Keller in seinem Beitrag auf lto.de.

Das Letzte zum Schluss

Tiger-König ohne Reich: Der aus der True-Crime-Serie "Tiger King" bekannte US-Amerikaner Joe Exotic (bürgerlich Joseph Allen Maldonado-Passage) hat seinen ehemaligen Privatzoo an seine Erzfeindin verloren: Ein Gericht in Oklahoma City sprach die Anlage der selbsternannten Tierrechtsaktivistin Carole Baskin zu. Laut spiegel.de seien die darin lebenden Tiere jedoch vom Urteil nicht erfasst. Der jetzige Betreiber des Zoos, Exotics früherer Geschäftspartner Jeff Lowe, muss das Gelände demnach innerhalb von 120 Tagen räumen.
 

* Anm. d. Red.: nachgetragen am Erscheinungstag, 11.36 h.

** Anm. d. Red.: Kompletter Eintrag entfernt am Erscheinungstag, 15:20 Uhr; der Original-Artikel war versehentlich veröffentlicht worden und wurde zwischenzeitlich entfernt.


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lto/jpw

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. Juni 2020: Schadensersatz von Assad? / BVerfG zu Prozesskostenhilfe / Anklage nach Floyds Ermordung . In: Legal Tribune Online, 04.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41802/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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