Die juristische Presseschau vom 28. Mai 2020: BVerfG hält Staa­ten­im­munität hoch / Inter­view mit Bar­bara Bor­chardt / OLG Karls­ruhe urteilt zu Fak­ten­checks

28.05.2020

Laut BVerfG verbietet die Immunität die Bewertung griechischer Hoheitsakte durch deutsche Gerichte. Barbara Borchardt äußert sich zu ihrem Grundrechtsverständnis und zur DDR. Das OLG Karlsruhe befasste sich mit Faktenchecks auf Facebook.

Thema des Tages 

BVerfG zu griechischen Staatsanleihen: Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerden mehrerer deutscher Käufer griechischer Staatsanleihen nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwerdeführer hatten den griechischen Staat vor deutschen Gerichten auf Rückzahlung und hilfsweise Schadensersatz verklagt, nachdem ihre Anleihen vom überschuldeten griechischen Staat per Gesetz auf rund die Hälfte ihres bisherigen Werts abgewertet wurden. Der Bundesgerichtshof hatte die Revision der Beschwerdeführer mit Verweis auf die Staatenimmunität Griechenlands als unzulässig verworfen. Hiergegen wehrten sich die Beschwerdeführer vor dem BVerfG. Der Bundesgerichtshof (BGH) sei verpflichtet gewesen, das BVerfG anzurufen, um zu klären, ob die Staatenimmunität als Regel des Völkerrechts Rechte und Pflichten für Einzelne erzeuge und habe sie durch dieses Versäumnis in ihrem Recht auf einen gesetzlichen Richter verletzt. Das überzeugte das Bundesverfassungsgericht nicht. Die Staatenimmunität sei ein allgemeines Prinzip, das der BGH ohne Konsultation des BVerfG zur Awendung habe bringen dürfen. Darüber hinaus zeigten sich die Bundesverfassungsgerichtsrichter auch mit der Anwendung des Prinzips durch den BGH im konkreten Fall einverstanden. lto.de und FAZ-Einspruch berichten. 

Corona und Recht

Corona – abgesagte Reisen: Wie spiegel.de meldet, sollen Kunden coronabedingt abgesagter Pauschalreisen künftig wählen dürfen, ob sie statt einer Erstattung der Reisekosten einen staatlich abgesichterten Gutschein erhalten wollen. Einen dahingehenden Gesetzentwurf legte die Bundesregierung nun vor, nachdem die ursprünglich geplante Gutscheinpflicht von der EU-Kommission als europarechtswidrig kritisiert worden war. 

OVG M-V zu Hotelbelegungen: Laut lto.de hat das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern mehrere Eilanträge abgelehnt, mit denen Hotelbetreiber unter anderem die bis zum 10. Juni 2020 vorgeschriebene Belegungsobergrenze von 60 Prozent der Betten in Hotels außer Kraft setzen wollten. Die Entscheidung erfolgte nach einer summarischen Prüfung. 

Corona – Investitionsschutzabkommen: lto.de (Annelie Kaufmann) interviewt den Rechtsprofessor Markus Krajewski über mögliche Schadensersatzklagen von privaten ausländischen Investoren gegen Staaten auf Basis von bilateralen Investitionsschutzabkommen. Diese enthielten häufig allgemein gefasste Schutzstandards für Investoren, worin diesen eine "billige und gerechte" Behandlung durch die Kapital importierenden Staaten zugesichert würde. Grundlage solcher Klagen, für die in der Regeln die Schiedsgerichte zuständig sind, könnten aktuell die zahlreichen Covid-19-Beschränkungen sein. 

Corona – Haftung Chinas: Senior Researcher Henning Lahmann untersucht auf FAZ-Einspruch eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit Chinas für die durch den Ausbruch von Covid-19 international entstandenen Schäden. Als Anknüpfungspunkte für eine Pflichtverletzung kämen zunächst das völkerrechtliche Schädigungsverbot in Betracht, ferner die von der WHO statuierte Pflicht, neue infektiöse Krankheiten unverzüglich zu melden und zuletzt eventuell auch die Pflicht, für die Sicherheit der Forschungstätigkeit Sorge zu tragen. Problematisch sei allerdings der Beweis der Kausalität für die Schäden – auch angesichts verzögerter Reaktionen anderer Staaten. 


Rechtspolitik

Konsequenzen des EZB-Urteils: Die SZ (Cerstin Gammelin) stellt ein ihr vorliegendes Gutachten der Rechtsexperten des Bundestags zum Umgang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum PSPP-Programm der Europäischen Zentralbank vor. Dieses enthalte den Vorschlag an die EZB, die beiden Programme zum Ankauf von Anleihen (PSPP und PEPP) zusammenzulegen. Das strittige PSPP existiere dann nicht länger, und das PEPP könne anhand der Vorgaben des BVerfG rechtssicher gestaltet werden. In einem weiteren Kommentar bezeichnet Cerstin Gammelin (SZ) den Vorschlag als klugen Weg zu mehr Rechtssicherheit. 

lto.de (Markus Sehl) spricht mit dem Rechtsprofessor Franz C. Mayer über den Vorschlag Manfred Webers, einen europäischen Kompetenzgerichtshof als Schiedsrichter zwischen nationalen Verfassungsgerichten und dem Europäischen Gerichtshof zu installieren. Mayer kritisiert daran, dass auch die Kompetenz des Kompetenzwächters in Frage gestellt werden könnte. Stattdessen müsse man die Schwebelage, die im Völkerrecht und im Europäischen Verfassungsrecht herrsche, aushalten und durch Verfahren und Diskurs gestalten. 

Strafvollzug: spiegel.de (Beate Lakotta) interviewt ausführlich den ehemaligen JVA-Leiter und Rechtsanwalt Thomas Galli über seine Zweifel am Gefängnissystem und Vorschläge für eine Reform. 

Berliner Antidiskriminierungsgesetz: Der Bundesinnenminister Horst Seehofer hat gegenüber tagesspiegel.de (Alexander Fröhlich/Frank Jansen) den Berliner Entwurf für ein Antidiskriminiersungsgesetz scharf kritisiert. Dieser sieht eine Beweislastumkehr für Landesbedienstete vor, die nach einer Glaubhaftmachung durch den Bürger nachweisen müssen, dass sie diesen nicht diskriminiert haben. Das BMI warnte, dass das Gesetz erhebliche Auswirkungen auf die Zusammenarbeit der Berliner Polizei mit der Bundespolizei haben könnte. 

Justiz

Barbara Borchardt im Interview: Die SZ (Peter Burghardt) spricht mit der neuen Richterin am Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Barbara Borchardt, über ihr Grundrechtsverständnis, ihre umstrittene Mitgliedschaft in der antikapitalistischen Linken und die DDR. 

BVerfG zu EZB-Anleihenkauf: Auf verfassungsblog.de äußert sich in englischer Sprache der Rechtsprofessor und ehemalige griechische Finanzminister Evangelos Venizelos zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum PSPP-Programm der Europäischen Zentralbank. Er kritisiert, dass das Urteil des BVerfG die EU zu Passivität im Angesicht großer wirtschaftlicher Gefälle innerhalb der Europäischen Union verdamme. 

In der Welt (Philipp Fritz) erscheint ein Interview mit dem ehemaligen BVerfG-Richter Dieter Grimm. Bei den Auseinandersetzungen um das Urteil ginge es in Wirklichkeit um die Frage, was für ein Gebilde die EU sei, meint er. 

Als Beschränkung geldpolitischer Willkür begrüßt eine Gruppe von ehemaligen Europäischen Parlamentsabgeordneten demgegenüber das Urteil des BVerfG in einem Brief an die Herausgeber auf faz.net.

ArbG Bonn – Vorstrafen: Ein Arbeitgeber darf im Bewerbungsverfahren nur solche Vorstrafen abfragen, die für den zu besetzenden Arbeitsplatz relevant sein könnten. Unspezifische Fragen nach "gerichtlichen Verurteilungen/schwebenden Verfahren" sind demgegenüber wegen eines Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht unzulässig. Das entschied das Arbeitsgericht Bonn und gab der Klage eines Auszubildenden statt. lto.de berichtet. 

LG Augsburg – Steuersparmodell "Goldfinger": Vor dem Landgericht Ausgburg müssen sich derzeit ein Rechtsanwalt und ein Steuerberater wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung verantworten. Ihnen wird zur Last gelegt, durch Handel mit Gold und anderen hochwertigen Gegenständen über ausländische Gesellschaften steuerliche Verluste erzeugt und hierdurch ihre Steuerlast in strafrechtlich relevanter Weise gesenkt zu haben. Wie die FAZ (Marcus Jung) berichtet, hat das Augsburger Landgericht aber nun eine Einstellung gegen Auflagen angeregt, weil eine weitere Verhandlung "Ressourcenverschwendung" sei. 

OLG Karlsruhe zu Faktencheck: Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in einem Eilverfahren dem Magazin Tichy’s Einblick Recht gegeben, das sich gegen einen "teilweise falsch"-Hinweis an einem Facebook-Post gewendet hatte. Den Hinweis hatte das Medienunternehmen Correctiv im Auftrag von Facebook erteilt. Laut OLG sei missverständlich gewesen, ob der Bericht falsch war oder der Inhalt eines offenen Briefs, über den das Magazin schrieb. Es berichten swr.de (Claudia Kornmeier) und die Welt (Christina Brause).

LG Wiesbaden zu versuchtem Giftmord: Das Landgericht Wiesbaden hat FAZ-Einspruch zufolge einen Mann zu lebenslanger Haft verurteilt, nachdem das Gericht zu der Überzeugung gelangt war, dass dieser versucht hatte, ein Ehepaar mit Pflanzengift in der Nudelsuppe zu vergiften. Der Verurteilte bestritt die Tat. Er war schon einmal 2001 wegen versuchten Mordes verurteilt worden. Damals lautete der Vorwurf, er habe die Eltern einer Freundin mit Arsen vergiften wollen.  

StA Köln u.a. – Cum-Ex-Affäre: Nun berichtet auch das Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) über die  verzögerte juristische Aufarbeitung der Cum-Ex-Affäre. Kritik wird dabei insbesondere an der mangelnden Personalausstattung der nordrhein-westfälischen Staatsanwaltschaft laut, bei der viele Verfahren eröffnet wurden. Würden die Dinge nicht beschleunigt, drohe in einigen Fällen die absolute Verjährung, so der Bonner Gerichtspräsident Stefan Weismann. 

BAW – Mord an Walter Lübcke: Die Zeit (Martin Steinhagen) setzt sich ausführlich mit der Version der Tatnacht auseinander, die die Bundesanwaltschaft ihrer Anklage gegen Stephan E. zugrunde legt. Diese stütze sich wesentlich auf die Aussagen des Beschuldigten im Rahmen einer Vernehmung einige Tage nach der Festnahme. Dieser habe sein Geständnis aber seitdem zurückgezogen. Das OLG Frankfurt am Main muss nun die Eröffnung des Strafverfahrens beschließen. 

AfD-Bundesschiedsgericht – Kalbitz: Das ehemalige AfD-Mitglied Andreas Kalbitz hat zeit.de (Tilmann Steffen) zufolge gegen die Annulierung seiner Mitgliedschaft in der Partei einen Antrag auf Aufhebung des Annulierungsbeschlusses des Bundesvorstands beim Bundesschiedsgericht der Partei gestellt, das für parteiinterne Rechtsstreite wegen Entscheidungen des Bundesvorstands zuständig ist. Kalbitz erwäge auch die Einreichung einer Zivilklage, durch die die Rechtsprechung des Parteigerichts auf Verfahrensfehler hin überprüft werden kann. 

Juristische Ausbildung

Dr. iur.: lto.de (Sabine Olschner) stellt verschiedene Gesichtspunkte für die Wahl eines geeigneten Zeitpunkts für eine Promotion in den Rechtswissenschaften vor.  

Sonstiges

Polizeiliche Kriminalstatistik: Das Bundesinnenministerium hat die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) sowie die Zahlen zur politischen Kriminalität (PMK) im Jahr 2019 in Deutschland präsentiert. Während, so FAZ-Einspruch (Helene Bubrowski), die Kriminalität hiernach auf dem niedrigsten Wert seit 2005 liegt, verzeichnet die Erhebung einen Anstieg politisch motivierter Straftaten von 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch lto.de berichtet ausführlich. 

Reinhard Müller (FAZ) weist darauf hin, dass durch die Corona-Pandemie das politische Klima weiter aufgeheizt werde. Man solle sich allerdings davor hüten, in den Extremisten die Mehrheit der Bevölkerung zu sehen. Der Richterbund begrüßt laut faz.netdass der Gesetzgeber die Strafverfolgung bei Hass und Hetze im Netz und bei antisemitischen Straftaten verbessern wolle.

Masern-Impfpflicht: Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, und die Vorsitzende der Initiative freie Impfentscheidung diskutieren angesichts der Eilentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Masernschutzgesetz mit der Zeit (Charlotte Parnack/Marc Widmann) über das Für und Wider des im März in Kraft getretenen Gesetzes.

Elternunterhalt: Die SZ (Berrit Gräber) widmet sich ausführlich der Frage, wann Kinder für die Betreuung und die Heimunterkunft ihrer pflegebedürftigen Eltern aufkommen müssen. Seit Januar gelte, dass nur Personen mit einem Jahresgehalt von mehr als 100.000 Euro unterhaltspflichtig seien, so die Autorin, woraus sich unter Umständen Rückerstattungsansprüche ergeben könnten. Mit den Möglichkeiten der Rückforderung von Schenkungen wegen Verarmung des Schenkers nach § 528 Bürgerliches Gesetzbuch setzt sich die SZ (Helena Ott) auseinander. 

Energiedeal: Mehrere regionale Stromversorger aus Deutschland erwägen, eine Nichtigkeitsklage beim Gericht der Europäischen Union gegen die Freigabe eines Deals zwischen Eon und RWE einzureichen, mit dem diese ihre Geschäftsfelder untereinander neu aufgeteilt hatten. lto.de berichtet.

Gefährliche Orte in NRW: Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen ist der vom Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen auferlegten Pflicht nachgekommen und hat über zahlreiche Plätze im Landesgebiet informiert, die "gefährlich und verrufen" im Sinne des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes sind. Der VerfGH hatte mit seinem Urteil dem Antrag von AfD-Abgeordneten, gestützt auf einen Informationsanspruch aus § 30 Abs. 2 und 3 der Landesverfassung, stattgegeben. lto.de berichtet. 

Das Letzte 

Fettes Brot: Wer dabei an die Hamburger Hip-Hop-Band denkt, der hat den Kern des Rechtsstreits erfasst, den das Landgericht Hamburg jüngst zu entscheiden hatte. Wie spiegel.de meldet, gab das Gericht dem Antrag der Hamburger Band auf Erlass einer einstweiligen Verfügung statt, mit dem sich diese dagegen wehrte, dass ein Hamburger Croque-Imbiss, ein Imbiss für französische Sandwiches, ebenfalls unter dem Namen "Fettes Brot" firmierte.

 

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lto/jb

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. Mai 2020: BVerfG hält Staatenimmunität hoch / Interview mit Barbara Borchardt / OLG Karlsruhe urteilt zu Faktenchecks . In: Legal Tribune Online, 28.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41745/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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