Die juristische Presseschau vom 19. Mai 2020: BVerfG zu Impfpf­licht / BVerfG vor BND-Urteil / Ein­las­sung im Syrien-Folter-Pro­zess

19.05.2020

Das BVerfG hält die Masern-Impfpflicht vorerst aufrecht. Am heutigen Dienstag entscheidet das BVerfG zum BND-Gesetz und der syrische Angeklagte Anwar R. sagt erstmals vor dem OLG Koblenz zu den Foltervorwürfen aus.

Thema des Tages

BVerfG zu Masern-Impfpflicht: Das Bundesverfassungsgericht hat Eilanträge mehrerer Eltern gegen das Gesetz zur Masern-Impfpflicht für Kinder in Kitas und Schulen abgelehnt. Die Impfpflicht solle voerst weiterhin gelten, da es hierbei um den Grundrechtsschutz einer großen Zahl von Menschen gehe, argumentierte das Gericht im Rahmen der Folgenabwägung. Die Impfung diene dem besseren Schutz vor einer Maserninfektion. Es gehe auch darum, eine Weiterverbreitung in der Bevölkerung zu verhindern. Dies sei von besonders hohem Gewicht. Wann das BVerfG die endgültige Entscheidung in der Sache trifft, ist noch unklar. Es berichten u.a. FAZ (Marlene Grunert), SZ, tagesschau.de (Klaus Hempel) und lto.detaz.de (Christian Rath) hebt zudem die Parallelen zur Corona-Krise hervor: Insbesondere die Diskussion um einen Immunitätsnachweis, der einen indirekten Zwang zur Impfung zur Folge haben könnte, werfe ähnliche verfassungsrechtliche Fragen wie das Masernschutzgesetz auf.

Reinhard Müller (faz.net) begrüßt die Entscheidung und insbesondere die Betonung der Schutzpflicht des Staates gegenüber der Allgemeinheit. Der staatliche Druck, den Impfnachweis einzuführen, sei nur entstanden, weil es an einer ausreichenden Zahl freiwilliger Impfungen fehlte.

Corona und Recht

Corona – brandenburgische Justiz: Wie sehr die brandenburgischen Verwaltungsgerichte mit den Corona-Maßnahmen beschäftigt sind, zeigt eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur: Bis zum Mittwoch vergangener Woche seien allein am Potsdamer Verwaltungsgericht 35 Eilverfahren und zwei Klagen im Zusammenhang mit den Corona-Regelungen anhängig gewesen. lto.de berichtet.

Corona – Arbeitsschutz: Für lto.de hat Rechtsanwalt Michael Winkelmüller die derzeit in Deutschland geltenden Arbeitsschutzstandards zusammengefasst und deren Fortentwicklung angesichts der Corona-Pandemie aufgezeigt. In Anbetracht sich häufender Corona-Hotspots in der Agrar- und Fleischindustrie erwägt die Bundesregierung weitere Gesetzesänderungen zum Arbeitsschutz.
 
VG Wiesbaden zu Maskenpflicht: Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat den Eilantrag eines Schülers abgelehnt, mit dem dieser die Landeshauptstadt und das Schulamt dazu verpflichten wollte, in seiner Schule eine Maskenpflicht anzuordnen. Das Hygienekonzept für die erneute Beschulung sei ausreichend und das Tragen einer Maske zumindest ausdrücklich empfohlen worden. Im betroffenen Rheingau-Taunus-Kreis gäbe es derzeit auch keinen einzigen bekannten Corona-Infizierten, so lto.de.
 
Corona – Investitionsschutzklagen: Aus einer Studie der NGO Corporate Europe Observatory, die der SZ (Alexander Hagelüken) vorliegt, geht hervor, dass es weltweit tausende Investitionsschutzabkommen gibt, die Schadensersatzklagen gegen die Corona-Politik zahlreicher Staaten ermöglichen könnten. Rechtsprofessor und Rechtsanwalt Massimo Benedettelli hält es jedoch für unwahrscheinlich, dass Konzerne auf Entschädigung für Verluste durch Maßnahmen klagen, die ein Staat ergreife, um seine Bürger vor der Bedrohung durch das Virus zu schützen. Die Abkommen schützten "Investoren aber vor Fehlverhalten der Staaten, wenn die ihre Macht ausüben."

Corona – International: Auf verfassungsblog.de beleuchten verschiedene (englischsprachige) Beiträge die verfassungsrechtlichen und -politischen Seiten der Coronakrise in Serbien, Nigeria und Äthiopien.

Rechtspolitik

Personengesellschaftsrecht: Rechtsanwalt Tobias Hueck analysiert im Handelsblatt-Rechtsboard den Gesetzentwurf zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts. Hervorzuheben seien insbesondere die Einführung eines öffentlichen Registers für Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR) sowie die Öffnung der GmbH & Co. KG für Freiberufler, also zum Beispiel Anwälte, Architekten oder Zahnärzte. Problematisch ist aus seiner Sicht, dass trotz der "gut gemeinten Freiwilligkeit der Eintragung der GbR" in bestimmten Fällen faktisch ein Eintragungszwang bestehe. Die Reform soll noch in der laufenden Legislaturperiode umgesetzt werden.

Neue Verfassungsrichterin in Mecklenburg-Vorpommern: Im zweiten Durchgang wurde Barbara Borchardt (Die Linke) vom Landtag in Schwerin zum neuen Mitglied des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Ein Grund dafür, dass sie die Zwei-Drittel-Mehrheit im ersten Wahlgang verfehlte, war wohl die Diskussion um ihre Rolle in der vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppierung der Antikapitalistischen Linken. Gegenüber der Welt (Marcel Leubecher) erklärt Borchardt, dass die Gruppierung sich nicht gegen das Grundgesetz und die repräsentative Demokratie richte, sondern vor allem die Einflussnahme durch Lobbyismus und Parteispenden ablehne. Einen Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsstrukturen lehne sie grundsätzlich nicht ab, zentrale Bereiche der Daseinsvorsorge gehörten ihr zufolge jedoch in die öffentliche Hand.

Justiz

BVerfG – BND-Gesetz: Am heutigen Dienstag wird ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zur strategischen Überwachung der Telekommunikation von Ausländern im Ausland durch den Bundesnachrichtendienst erwartet. Geklagt haben in Karlsruhe ausländische Journalisten und Menschenrechtler, die in Mexiko, Guatemala oder Slowenien zu Themen von organisierter Kriminalität über Korruption bis hin zu Terrorismus arbeiten und damit potenziell auch in den Blick des BND geraten könnten. lto.de (Markus Sehl) beschreibt den bisherigen Prozessverlauf und erinnert daran, dass das BVerfG im Laufe der beiden Prozesstage im Januar bereits deutlich gemacht habe, dass man Artikel 1 Abs. 3 Grundgesetz als eine Grundrechtsbindung über die deutschen Staatsgrenzen hinaus verstehen kann.

spiegel.de (Max Hoppenstedt) und die taz (Christian Rath) sprechen jeweils mit Christian Mihr, der als Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen einer der Initiatoren der Klage war. Ein Ziel der Klage sei es gewesen, die parlamentarische Kontrolle des BND deutlich zu stärken. Wenn die Klage Erfolg hätte, wäre dies ein Signal für ähnliche Klagen in anderen Staaten, weil auch andere Geheimdienste strategische Überwachung betreiben.

OLG Koblenz – Folter in Syrien: Im weltweit ersten Prozess gegen mutmaßliche Folterer des syrischen Assad-Regimes lässt der Hauptangeklagte eine 40-seitige Erklärung verlesen – und widerspricht der Anklage vehement. Das berichten die taz (Sabine am Orde) und spiegel.de (Christoph Reuter) vom fünften Verhandlungstag. Anwar R. räumt ein, die Unterabteilung Ermittlungen im Allgemeinen Syrischen Geheimdienst geleitet zu haben, alle anderen Vorwürfe streitet er ab. Insbesondere für die Folter, die es durchaus gegeben habe, seien andere Abteilungen verantwortlich gewesen. Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der mit einem Kollegen sieben Nebenkläger vertritt, hält R.s Aussage für "absolut unglaubwürdig". Anwar R. steht seit Mitte April in Koblenz wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen 58-fachen Mordes und Folter in mindestens 4.000 Fällen, wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung vor Gericht. Bislang hat er geschwiegen.

BVerfG zu EZB-Anleihekauf In einem ausführlichen Interview mit dem Hbl (Thomas Hanke u.a.) nimmt die Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde Stellung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die EZB habe es zur Kenntnis genommen, beunruhigt sei Lagarde deswegen aber nicht. Europa sei "eine Architektur des Rechts" und die Unabhängigkeit der EZB ein Grundpfeiler der deutschen geldpolitischen Theorie. Die EZB unterliege europäischem Recht und der Europäische Gerichtshof habe 2018 zweifelsfrei die Rechtmäßigkeit des PSPP-Programms festgestellt.

Im FAZ-Einspruch kommt Rechtsprofessor Christian Hillgruber vor allem auf die Kompetenzübertragung im Europarecht zu sprechen und meint, dass das Grundgesetz "keine der verfassungsrechtlichen Begrenzung und Kontrolle vollständig entzogene Unterwerfung unter die europäische Hoheitsgewalt" erlaube. Deutschland müsste die Europäische Union anderenfalls verlassen.

VerfGH Baden-Württemberg zu Volksbegehren gegen Kita-Gebühren: Die SPD ist mit ihrem geplanten Volksbegehren für gebührenfreie Kitas in Baden-Württemberg gescheitert, nachdem der Verfassungsgerichtshof des Landes das geplante Begehren für unzulässig erklärt hat. Der zugrundeliegende Gesetzentwurf verstoße unter anderem gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, da das Volk angesichts des unklaren und teilweise widersprüchlichen Gesetzentwurfs nicht in der Lage sei, zu erkennen, worüber genau es abstimme. Über das Verfahren und deren Hintergründe schreiben faz.net (Rüdiger Soldt), lto.de und spiegel.de.

OLG Dresden zu Verurteilung im Referendariat: Das Oberlandesgericht Dresden entschied laut Informationen von lto.de, dass der Rechtsreferendar Brian E. trotz der nun rechtskräftigen Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und vier Monaten wegen Landfriedensbruchs nicht aus dem Referendardienst in Sachsen entlassen wird. Begründet wurde die Entscheidung mit dem eigenen Monopol bei der Juristenausbildung, das keine alternative Ausbildung zum Volljuristen erlaube. Die Berufswahlfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz falle deshalb besonders ins Gewicht. Die nun rechtskräftige Verurteilung E.s erfolgte aufgrund seiner Teilnahme an Neonazikrawallen in Leipzig-Connewitz im Januar 2016.

LG Kassel – falsche Ärztin: Nach mehreren Todesfällen in einem nordhessischen Krankenhaus ist gegen eine mutmaßlich falsche Ärztin Anklage beim Landgericht Kassel erhoben worden. Sie soll sich mittels gefälschter Unterlagen eine Anstellung als Assistenzärztin in der Anästhesie erschlichen und laut Anklage eigenverantwortlich Betäubungen durchgeführt haben, obwohl sie nicht über die erforderliche Ausbildung verfügte. Wie faz.net und spiegel.de berichten, wird ihr neben Urkundenfälschung, Betrug und Titelmissbrauch auch Mord in fünf und gefährliche Körperverletzung in elf Fällen vorgeworfen.

VG Karlsruhe – Honorarprofessur Harbarth: Vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe ist eine Klage anhängig, die dem Hbl (Jan Keuchel) vorliegt und mit der der Kölner Rechtsanwalt Claus Schmitz herauszufinden versucht, wie der gerade ins Amt des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gewählte Stephan Harbarth zu seiner Honorarprofessur in Heidelberg kam. Belege für die von Schmitz vermutete Kungelei, mit der er Harbarth als für das Verfassungsgericht ungeeignet überführen möchte, hat er jedoch nicht. Die Universität Heidelberg weigerte sich, die Gutachten preiszugeben und berief sich auf den "Kernbereich von Forschung und Lehre".

Recht in der Welt

Österreich – Korruptionsgesetze: In Österreich sollen ein Jahr nach Veröffentlichung der Ibiza-Videos die Korruptionsgesetze verschärft werden, wie die SZ (Peter Münch) schreibt. Eine Art Lex Strache soll künftig Korruption auch schon dann strafbar machen, wenn ein Politiker entsprechende Zusagen macht, obwohl er die Funktion für deren Umsetzung noch gar nicht innehat.

Ungarn – DSGVO: netzpolitik.org (Alexander Fanta) berichtet, dass die ungarische Regierung angekündigt hat, in der Pandemie Teile der Datenschutzgrundverordnung auszusetzen. Die Vorsitzende des Datenschutzausschusses der Europäischen Union, Andrea Jelinek, ist "persönlich sehr besorgt" wegen des Schrittes der ungarischen Regierung und betonte, dass ihr Gremium die Entwicklungen verfolge und sich von Ungarn weitere Antworten erhoffe.

Hongkong – Nationalhymnen-Gesetz: Bei einer Diskussion um das umstrittene Nationalhymnen-Gesetz in Hongkongs Parlament kam es zu einem Tumult und Handgreiflichkeiten zwischen den Abgeordneten, die durch Sicherheitsleute beendet werden mussten. Die FAZ (Friederike Böge) beschreibt den Gesetzgebungsprozess im Parlament und die Bedeutung für die Protestbewegung, die ihren Unmut gegenüber der Zentralregierung in Peking immer wieder durch Missachtung der Nationalhymne bekundete. Die Protestbewegung sei während der Corona-Krise nicht abgeflaut und bereite sich für große Protestaktionen gegen das als weitere Einschränkung der Meinungsfreiheit empfundene Gesetzesvorhaben vor.

Sonstiges

AfD-Ausschluss Kalbitz: Der Jurist Florian Zumkeller-Quast beschäftigt sich auf lto.de mit dem Beschluss des AfD-Bundesvorstands, die Mitgliedschaft des Brandenburger Landes- und Fraktionsvorsitzenden Andreas Kalbitz für nichtig zu erklären. Er geht dabei insbesondere auf die Frage ein, ob neben dem eigentlich für den Parteienausschluss nach § 10 Abs. 4, 5 Parteiengesetz zuständigen Schiedsgericht auch ein Ausschluss über die Regeln der Anfechtung einer Willenserklärung möglich ist. Hintergrund für den Beschluss waren frühere Kontakte Kalbitz' im rechtsextremen Milieu, die er in seinem AfD-Aufnahmeantrag nicht angegeben haben soll.

NATO-Einsätze: In seiner Dissertationsarbeit zu NATO-Einsätzen außerhalb des Bündnisgebiets kommt Lennart Taschenbrecker zu dem Ergebnis, dass etwa die Einsätze im Kosovo-Krieg, der "Kampf gegen den Terror" in Afghanistan und die Intervention in Libyen gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot verstoßen. In seiner Rezension beschreibt Claus Kreß (FAZ) die Dissertation als "vernichtendes völkerrechtliches Gesamturteil" über die jüngere Praxis der NATO. Ansonsten sei die "Richtigkeit" Taschenbreckers Argumentation oft mehr behauptet als diskursiv erläutert und er rät dem mit dem Werk Promovierten, über den rechten Umgang mit Ambiguität nachzudenken.

Das Letzte zum Schluss

Also lautet ein Beschluss: Dass der Mensch was lernen muss. Unbekannte waren laut spiegel.de zwischen Donnerstag und Sonntag in ein Bamberger Gymnasium eingebrochen und hatten aus einem Tresor Prüfungsaufgaben für das Deutsch-Abitur gestohlen. Das Pauken aber blieb ihnen dadurch nicht erspart und so lautete der Beschluss des bayerischen Kultusministers: Am Mittwoch werden nun alle Schüler in Bayern für das Deutsch-Abitur Ersatzaufgaben bekommen.


Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/jpw

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 19. Mai 2020: BVerfG zu Impfpflicht / BVerfG vor BND-Urteil / Einlassung im Syrien-Folter-Prozess . In: Legal Tribune Online, 19.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41657/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen