Die juristische Presseschau vom 7. Mai 2020: Rei­se­be­schrän­kungen rechts­widrig? / Dis­kus­sion um PSPP-Urteil / Ber­liner Mie­ten­de­ckel zum BVerfG

07.05.2020

Die Corona-Reisebeschränkungen sind möglicherweise rechtswidrig. Der Karlsruher Paukenschlag zum PSPP-Programm der EZB wird kontrovers diskutiert. Der Berliner Mietendeckel landet vor dem BVerfG. 

Thema des Tages  Corona und Recht 

Corona – Reisebeschränkungen I: Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags zweifeln laut lto.de an der Rechtmäßigkeit der verhängten Reisebeschränkungen. Die Begründung des Bundesinnenministeriums, das auf den Pandemieschutz verwiesen hatte, sei zu pauschal. Von der Ausreise aus dem Bundesgebiet gehe unmittelbar gar keine Gefahr für das deutsche Gesundheitssystem aus. Auch stelle nicht jeder Wieder-Einreisende automatisch eine Gefahr dar. 

Klaus Hillenbrand (taz) meint, die weiterhin bestehenden Reisebeschränkungen trotz ähnlich niedriger Infektionszahlen in anderen EU-Ländern seien falsch. In der Logik "ausschließlich nationaler Katastrophenpläne" mutiere "der Nachbar zum gefährlichen Infektionsherd, den es abzuwehren gilt". Je länger dies aufrechterhalten werde, desto mehr Schaden nehme die europäische Idee. 

Corona – Reisebeschränkungen II: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Julia Weitensteiner schreibt auf verfassungsblog.de über die coronabedingten Einreisebeschränkungen für nichtdeutsche Lebenspartner. Die Verhältnismäßigkeit dieser generellen Einschränkung sei zweifelhaft. So sei etwa die Möglichkeit der Einreise mit einem aktuellen Gesundheitszeugnis ein denkbares milderes Mittel. Zudem sei die Anknüpfung an die Staatsbürgerschaft des Lebenspartners nicht als geeignetes Merkmal für den Schutz der öffentlichen Gesundheit anzusehen. 

Corona – Grundrechte: Die Zeit bringt einen Briefwechsel zwischen dem Philosophen Jürgen Habermas und dem Rechtsprofessor Klaus Günther. Sie befassen sich mit der Frage, wie sich das Verhältnis von unantastbarer Menschenwürde und dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit in der Coronakrise bestimmen lässt. 

Corona – Lockerungen: Bund und Länder haben sich auf weitgehende Lockerungen der Corona-Maßnahmen verständigt. Zugleich wurde ein Notfallmechanismus für den Fall vereinbart, dass die Infektionszahlen in manchen Regionen Deutschlands wieder ansteigen. Dann soll die Bewegungsfreiheit regional wieder zügig eingeschränkt werden. Überblicksbeiträge zu den Beschlüssen finden sich in SZ (Constanze von Bullion u.a.) und taz (Pascal Beucker) sowie auf zeit.de (Zacharias Zacharakis/Jurik Caspar Iser).  

Corona – Wahlrecht: Die Große Koalition plant, das Wahlrecht um die Option einer reinen Briefwahl zu erweitern, um die Durchführung der Bundestagswahl 2021 trotz möglicher neuer Corona-Ausbreitungswellen sicherzustellen. Dies berichten FAZ (Helene Bubrowski) und spiegel.de

Corona – Exekutive Befugnisse: lto.de (Hasso Suliak) schreibt über massive Kritik der Opposition an den dem Gesundheitsminister eingeräumten Kompetenzen zum Erlass von Rechtsverordnungen. So kritisieren die Grünen, der Bundestag habe dem Gesundheitsminister Blanko-Ermächtigungen erteilt, die dem Grundgesetz nicht genügten und im Kern das Demokratieprinzip gefährdeten. Das Infektionsschutzgesetz sollte derart geändert werden, dass Verordnungen auf Verlangen des Bundestages oder des Bundesrates aufgehoben werden können. Über die Herausforderungen parlamentarischer Arbeit in Zeiten von Corona und die Gefahr einer Selbstentmachtung des Bundestags schreibt auch deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) ausführlich. 

VGH Hessen zur Maskenpflicht: Der Verwaltungsgerichtshof Hessen hat einen gegen die in Hessen geltende Maskenpflicht gerichteten Eilantrag abgewiesen. Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sei auch ohne gesicherte wissenschaftliche Belege als Baustein zur Bekämpfung der Corona-Pandemie anzusehen. Es berichten faz.net (Helmut Schwan) und lto.de

LSG NRW zur Finanzierung von Gesichtsmasken: Einer Entscheidung des nordrhein-westfälischen Landessozialgerichts zufolge sind Mund-Nase-Masken Bestandteil der Bekleidung. Arbeitslosengeld-II-Bezieher müssten sie daher aus dem Regelbedarf finanzieren und könnten für ihre Anschaffung keinen Mehrbedarf geltend machen, so das Gericht. Es berichten spiegel.de, lto.de und lawblog.de (Udo Vetter).

VG Frankfurt/M. zu Präsenzunterricht: Das Frankfurter Verwaltungsgericht hat das Eilrechtsschutzbegehren einer verbeamteten Grundschullehrerin abgelehnt, die verhindern wollte, dass sie zum Präsenzunterricht herangezogen wird. Die Antragstellerin könne nicht erwarten, "mit einem bis ins letzte ausgefeilten Hygieneplan eine Nullrisiko-Situation in der Schule anzutreffen". Als verbeamtete Lehrerin müsse sie auch die staatliche Verantwortung gegenüber Schülern und Familien mittragen. Es berichten lawblog.de (Udo Vetter), faz.net und lto.de.

Corona – Kontrolle durch Gerichte: Im Gespräch mit der Welt (Thorsten Jungholt) äußert sich der Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter, Robert Seegmüller, zu den weitreichenden Corona-Maßnahmen und deren rechtlicher Beurteilung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es sei zweifelhaft, ob alle Eingriffe in Grundrechte gerechtfertigt waren. Der Staat müsse jederzeit darlegen, warum Maßnahmen weiterhin gerechtfertigt sind.

Reinhard Müller (FAZ) meint, Gerichte dürften nicht die eigene Auffassung von Epidemiebekämpfung an die Stelle der Einschätzung von Exekutive und Gesetzgebung setzen. Schon seit Anfang der Coronakrise komme die Justiz jedoch ihrem Kontrollauftrag gut nach. Es habe weder Schließungs- noch Öffnungsorgien gegeben. 

Corona – neue Normalität: Rechtsprofessor Alexander Somek schreibt auf verfassungsblog.de über Abwägung in Zeiten von Corona. Leben und Gesundheit seien zu dominierenden Zwecken des politischen Handelns geworden, wodurch sich auch unser Blick auf die soziale Welt verändert habe. Freiheitsverluste ließen sich kaum in Gesundheitszuwächsen ausdrücken, um Vergleiche anstellen zu können. Abwägung sei erst dann möglich, wenn Vorstellungen entwickelt werden, wie wir in der neuen Normalität leben wollen. Auf dem Prüfstand stünden nun einstmals mächtige Pfeiler wie die Arbeitswelt und die EU. 

Corona – Ausnahmeverfassungsrecht: Die SZ (Andreas Zielcke) bespricht die Habilitationsschrift der Rechtsprofessorin Anna-Bettina Kaiser zu "Ausnahmeverfassungsrecht". Seit der französischen Revolution bestehe das Dilemma, dass eine freiheitsgarantierende Verfassung in der Not mit der Abschaffung der Garantien konfrontiert wird. Kaiser zufolge habe sich das Grundgesetz von dem illiberalen Prinzip, in der Not Freiheit und Demokratie zu suspendieren, verabschiedet. Zumindest die Menschenwürde und die freiheitliche Demokratie seien notstandsfest.

Rechtspolitik

Hasskriminalität im Internet: Am gestrigen Mittwoch hat im Bundestag eine Expertenanhörung zur geplanten Verschärfung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) stattgefunden. Durch die Änderung sollen soziale Netzwerke verpflichtet werden, strafbare Hasspostings stets dem BKA zu melden. Die Vertreter der Staatsanwaltschaften rechnen mit etwa 250.000 zusätzlichen Ermittlungsverfahren pro Jahr.  Doch auch mit der Einführung einer Meldepflicht bestehe die Gefahr, dass aus einer "Flut an Anzeigen" nur ein "Rinnsal an Verurteilungen" folge, wenn die Polizei nicht genügend Personal erhalte. Diskutiert wurde auch, wie verhindert wird, dass das BKA zu viele Informationen über Personen erhalten, die sich legal äußerten. Es berichtet die taz (Christian Rath).

Die FAZ (Timo Steppat) beschreibt ausführlich, wie sich die Sicherheitsbehörden jetzt schon verstärkt um Hassreden im Internet kümmern. 

Frauenquote: Einem Bericht der FAZ (Dietrich Creutzburg) zufolge blockiert das CDU-geführte Bundeswirtschaftsministerium den von Frauenministerin Franziska Giffey (SPD) vorgelegten Gesetzentwurf zu einer Erhöhung der gesetzlichen Frauenquote für Unternehmen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) droht in der Ressortabstimmung mit einem Einspruch zum geplanten Kabinettsbeschluss. 

Digital Services Act: Das Hbl (Till Hoppe) berichtet über Pläne der EU-Kommission für den Entwurf eines "Digital Services Act", der die bisherige E-Commerce-Richtline aus dem Jahr 2000 ersetzen soll. Die Plattformen sollen dadurch einheitliche Regeln für das Löschen illegaler Inhalte in der EU bekommen, zu mehr Transparenz in ihrem Umgang damit verpflichtet und strenger kontrolliert werden. Dafür könnte auch eine neue Aufsichtsbehörde eingerichtet werden. Der Entwurf soll bis Anfang nächsten Jahres vorliegen. 

Justiz

BVerfG zu EZB-Anleihenkauf: Zu dem am Dienstag ergangenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum sog. PSPP-Programm der Europäischen Zentralbank finden sich auf verfassungsblog.de ausführliche Analysen von Rechtsprofessor Miguel Maduro (in englischer Sprache) und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Andrej Lang. Wohlwollend analysieren das Urteil der emeritierte Rechtsprofessor Reiner Schmidt in der FAZ und Ministerialrat Armin Steinbach auf verfassungsblog.de. Nach der Bedeutung für das Kooperationsverhältnis von BVerfG und Europäischem Gerichtshof fragt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Ruth Weber auf juwiss.de

Während Rechtsprofessor Claus Pegatzky im FAZ-Einspruch, Marc Beise (SZ) sowie auf verfassungsblog.de die Rechtsanwälte Matthias Kottmann und Roya Sangi und Rechtsprofessor Matej Avbelj (in englischer Sprache) das Urteil kritisieren, wird es von Martin Grelve (Hbl) begrüßt. Die Konsequenzen für die Differenzen mit Polen und Ungarn heben Heinrich Wefing (Zeit) und Stefan Kornelius (SZ) hervor. Einen differenzierten Blick auf das Urteil möchte Juniorprofessor Matthias Goldmann auf lto.de werfen. 

Zahlreiche Beiträge fassen Reaktionen auf das Urteil zusammen. Über die Reaktion der EZB schreiben u.a. FAZ (Christian Siedenbiedel/Christian Schubert), SZ (Wolfgang Janisch u.a.) und Hbl (Martin Grelve u.a.). Die taz (Ingo Arzt) beschreibt die Reaktionen in Italien, während spiegel.de (Jan Puhl) sich mit denen in Polen und Ungarn befasst. 

BVerfG – Berliner Mietendeckel: Bundestagsabgeordnete von Union und FDP haben beim Bundesverfassungsgericht einen Normenkontrollantrag gegen den Berliner Mietendeckel gestellt. Das Land Berlin habe seine Befugnisse überschritten, weil das Mietrecht Sache des Bundesgesetzgebers sei. Zudem habe Berlin gegen den Grundsatz "Bundesrecht bricht Landesrecht" (Art. 31 Grundgesetz) verstoßen. Es berichten SZ (Robert Roßmann), Hbl (Heike Anger/Silke Kersting) und lto.de (Annelie Kaufmann).

BVerwG zu Sonntagsarbeit: Einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zufolge muss die evangelische Kirche in Sachsen bei der Genehmigung von Sonntagsarbeit in Callcentern einbezogen werden. Dies folge aus der Religionsfreiheit und dem sie bezüglich der Sonn- und Feiertagsruhe konkretisierenden Art. 139 der Weimarer Reichsverfassung, so das Gericht laut lto.de

BGH zu Frauke Petry: Ex-AfD-Chefin Frauke Petry ist vom Bundesgerichtshof vom Vorwurf des fahrlässigen Falscheides freigesprochen worden. Die eidliche Vernehmung Petrys in einer Sitzung des sächsischen Landtags-Wahlprüfungsausschusses sei unzulässig gewesen, so dass sie auch keinen Falscheid habe leisten können, so der BGH. Es berichten zeit.de und lto.de

OLG Frankfurt/M. zu Gerichtsstandswahl: zpoblog.de (Benedikt Windau) stellt ein Urteil des Frankfurter Oberlandesgerichts von Januar 2020 vor, wonach die Bindungswirkung eines zivilgerichtlichen Verweisungsbeschlusses entfällt, wenn ein örtlich zuständiges Gericht sich darüber hinwegsetzt, dass die Verweisung des Rechtsstreits (§ 281 Abs. 1 Zivilprozessordnung) die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt und eine nach § 35 Zivilprozessordnung bindende Gerichtsstandswahl des Klägers nicht berücksichtigt hat. Das Gericht handele dann willkürlich. 

StA Köln – Veröffentlichung von Zwischenentscheidungen: FAZ-Einspruch (Jochen Zenthöfer) stellt eine Auseinandersetzung vor dem Amtsgericht Köln vor, die die Veröffentlichung einer Zwischenentscheidung des Amtsgerichts auf einem Blog betrifft. Dabei handele es sich um die Praxis auch etwa des Bundesgerichtshofs, der regelmäßig Entscheidungen in Haftsachen veröffentlicht. Der Präsident des Amtsgerichts Köln erstattete gleichwohl Strafanzeige wegen eines Verstoßes gegen § 353d Nr. 3 Strafgesetzbuch, der vor Abschluss eines Verfahrens die öffentliche Mitteilung amtlicher Dokumente aus einem Strafverfahren im Wortlaut verbietet. 

Recht in der Welt

Israel – Netanjahu-Anklage: Das Oberste Gericht Israels hat laut zeit.de entschieden, dass Benjamin Netanjahu trotz einer Anklage wegen Korruption Ministerpräsident sein darf. 

Juristische Ausbildung

Berufsbild Jurist: In einem Beitrag für die Zeit hebt Rechtsprofessor Christoph Möllers den Zweifel als Kernkompetenz des Juristen hervor. Gleichzeitig bestehe im Rechtsstudium stets die Gefahr, "aus Studierenden Apparatschiks zu machen". Um den demokratischen Rechtsstaat zu verteidigen, könne es helfen, mehr über das Verhältnis von Politik und Recht zu wissen, als die deutsche Juristenausbildung anbietet. 

Das Letzte zum Schluss

Intergalactic: Nach der Ankündigung von Tom Cruise, seinen nächsten Blockbuster auch auf der Internationalen Raumstation (ISS) drehen zu wollen, gibt Rechtsprofessor Stephan Hobe auf spiegel.de (Christoph Seidler) Verhaltenstipps und empfiehlt in weiser Voraussicht eine gute Haftpflicht.

 

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lto/jng

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 7. Mai 2020: Reisebeschränkungen rechtswidrig? / Diskussion um PSPP-Urteil / Berliner Mietendeckel zum BVerfG . In: Legal Tribune Online, 07.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41537/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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