Die juristische Presseschau vom 5. Mai 2020: Love­pa­rade-Pro­zess ein­ge­s­tellt / Rich­ter­wahlen für BVerfG /BVerfG vor Urteil zur EZB

05.05.2020

Das LG Duisburg stellt den Loveparade-Prozess nun endgültig ein. Bald sollen zwei neue Bundesverfassungsrichter gewählt werden. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet jetzt über den Anleihenkauf der EZB.

Thema des Tages

LG Duisburg zur Loveparade: Das Landgericht Duisburg hat den Prozess um das Unglück bei der Loveparade 2010 mit 21 Toten eingestellt. Bei den drei zuletzt verbliebenen Angeklagten hatte das Gericht zuvor nur eine geringe Schuld vermutet. Nach knapp zweieinhalb Jahren und 184 Sitzungstagen endete das Verfahren anstatt mit einem Urteil mit einem unanfechtbaren Einstellungsbeschluss. Zur Einführung des Sachverständigengutachtens, in dem der Verkehrsexperte Jürgen Gerlach feststellt, dass das Unglück schon in der Planungsphase hätte verhindert werden können, kommt es nun nicht mehr. Anwälte von Nebenklägern kritisierten dies und bezeichneten das vorzeitige Ende als "unwürdig". Darüber schreiben u.a. Benedikt Müller (SZ)faz.net (Reiner Burger), spiegel.de, lto.de und der Tsp.

Für Jost Müller-Neuhoff (Tsp) hat der Prozess vor allem insofern ein gerechtes Ende gefunden, als er umfassende Aufklärung über die Geschehnisse gebracht und Verantwortliche benannt habe. Reinhard Müller (FAZ) betont, dass die Justiz keineswegs alle Erwartungen erfüllen könne und es gerade bei schlimmen Unglücksfällen nicht immer einen Schuldigen gebe. Dennoch wirft er der Justiz vor, nicht genügend Ressourcen investiert zu haben, das Verfahren in überschaubarer Zeit zu einem überzeugenden Abschluss zu bringen. Wolfgang Janisch (SZ) lobt hingegen die "beispiellose Anstrengung" des Gerichts, das Geschehen strafrechtlich aufzuarbeiten, zieht jedoch den Schluss, dass Strafverfahren ein "oft untaugliches Instrument [seien], um Katastrophen aufzuarbeiten". 

Corona und Recht

Corona – Immunitätspass: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat angekündigt, dass bei dem geplanten zweiten Corona-Schnellgesetz zunächst auf die umstrittene Einführung einer "Immunitätsdokumentation" verzichtet wird. Stattdessen hat Spahn den Deutschen Ethikrat um eine Stellungnahme hierzu gebeten, berichtet heise.de (Florian Rötzer).

Auf verfassungsblog.de untersucht die Rechtsprofessorin Anika Klafki die ursprünglich geplante Immunitätsdokumentation und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen. Sie weist dabei darauf hin, dass die Anreizwirkung, sich gezielt anzustecken, dem Ziel, die Krankheitsverbreitung zu vermeiden, diametral entgegenstehe. Letztlich plädiert sie dafür, dass dieser und andere Fallstricke Gegenstand einer lebendigen Debatte im Bundestag sein sollten, um so ein vorschnelles "aus der Hüfte schießen" im Gesetzgebungsprozess zu verhindern.

Corona – Klagen und Urteile: Nachdem Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) am Wochenende die Aufhebung einzelner Maßnahmen durch Gerichte als "Herausforderung" beschrieb, reagierte der Deutsche Richterbund (DRB) laut FAZ (Helene Bubrowski/Eckart Lohse) und lto.de noch am Wochenende. So erklärten die DRB-Vorsitzenden Barbara Stockinger und Joachim Lüblinghoff, dass sich die Justiz in der Coronakrise als "wirksames Korrektiv" für die Exekutive bewähre und die wachsende Zahl der Klagen das "Vertrauen der Menschen in die Gerichte" bestätige. Der Tsp (Albert Funk/Jost Müller-Neuhof) erklärt im Frage-und-Antwort-Format ebenfalls die unterschiedlichen Regelungen sowie die Rolle der Gerichte dabei.

spiegel.de verschafft einen Überblick über die Rechtslage in verschiedenen Bundesländern in Bezug auf die zwischen Bund und Ländern getroffene Regelung, Geschäfte mit einer Verkaufsfläche über 800 qm vorerst nicht zu öffnen. faz.net meldet ergänzend einen Fall vor dem Verwaltungsgericht Gießen.

BayVGH zu Ausgangsbeschränkungen: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschied, dass die Regelung über die Ausgangsbeschränkung in der bayerischen Corona-Verordnung sowohl verfassungsgemäß als auch verhältnismäßig sei. Die Regelung erlaubt das Verlassen der Wohnung nur bei Vorliegen "triftiger Gründe", welche sich in verfassungsgemäßer Auslegung mittlerweile aus jedem Konsuminteresse herleiten kann, das sich auf die wieder geöffneten Läden bezieht, so lto.de und focus.de. Der wissenschaftlicher Mitarbeiter Martin Heuser analysiert das Urteil auf verfassungsblog.de und kommt zu dem Schluss, man könne "auch trotz der Notstandsrhetorik meinen, der Freistaat sei längst wieder zu alter Ordnung zurückgekehrt".

LG Heilbronn zu coronabedingtem Verdienstausfall: In der vermutlich ersten Entscheidung in dieser Frage entschied das Landgericht Heilbronn, dass kein Anspruch auf Entschädigung wegen einer durch die Corona-Maßnahmen angeordneten Betriebsschließung besteht. Das Gericht schloss sich somit laut lto.de einer Vielzahl von Stimmen aus der Literatur an, die Entschädigungsansprüche ebenfalls ablehnen. Im Eilverfahren hatte die Betreiberin eines Friseursalons einen Entschädigungsvorschuss erklagen wollen, der ihr aber unter anderem unter Verweis auf die zur Verfügung gestellte Soforthilfe verwehrt wurde.
 
Corona – Arbeitsschutz: Auf lto.de widmet sich Rechtsanwalt Martin Lützeler dem vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales Mitte April veröffentlichten sogenannten "SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard" und stellt dessen Inhalt vor. Angesichts dynamischer Entwicklungen während der Pandemie solle er jedoch von Arbeitgebern keineswegs als Allheilmittel verstanden werden, wenn sie zum Beispiel die Wiedereröffnung ihres Betriebes angehen. Die FAZ (Dietrich Creutzburg u.a.) erklärt die neuen Maßnahmen ebenso und berichtet zudem von den Arbeitsschutzstandards aus Frankreich und Italien.

Corona und Recht – international: Auf verfassungsblog.de beleuchten verschiedene (englischsprachige) Beiträge die verfassungsrechtlichen und -politischen Seiten der Coronakrise in Dänemark und auf Malta.

Rechtspolitik

Wahl von BVerfG-Richtern: In der nächsten Bundesrats-Sitzung am 15. Mai sollen zwei neue Richter für das Bundesverfassungsgericht gewählt werden. lto.de (Christian Rath) beschreibt den Findungsprozess und stellt die potentiellen Nachfolger vor: Die Grünen nominieren die Rechtsprofessorin Astrid Wallrabenstein für den Zweiten Senat und die SPD muss sich noch auf einen Kandidaten für den Ersten Senat einigen. Genannt und vorgestellt werden Rechtsprofessor Martin Eifert sowie die Richter Jes Möller und Lars Brocker. Am Ersten Senat gehe es um das Dezernat für Meinungsfreiheit und Datenschutz, auf dem bisher stets herausragende Rechtsprofessoren wirkten.

Voßkuhle im Portrait: Die SZ (Wolfgang Janisch) bringt ein Portrait des scheidenden Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle auf ihrer Seite Drei. Voßkuhle wird beschrieben als Stratege, Kommunikator und harter Arbeiter. Das EZB-Verfahren, das an diesem Dienstag entschieden wird, zeige wie weit sich das BVerfG "nach zwölf Jahren Voßkuhle vom vertrauten Areal des Grundgesetzes ins unbekannte Land der Makroökonomie herausgewagt" habe.

Harbarth im Interview: Im Interview mit der Stuttgarter Zeitung (Christian Gottschalk) äußert sich Voßkuhles designierter Nachfolger, Bundesverfassungsrichter Stephan Harbarth, zu Entscheidungen über Corona-Fragen, Äußerungen von Ex-Verfassungsrichtern, die Vertrauenskrise von Politik und Gerichten, populistische Angriffe, den europäischen Gerichtsverbund und soziale Netzwerke.

Personengesellschaftsrecht: Das Handelsblatt-Rechtsboard (Ulrich Noack) meldet, dass die offizielle Expertenkommission nach einer abschließenden Tagung nun einen Gesetzentwurf zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts vorgelegt hat und stellt einzelne Änderungsvorhaben dar. Das Gesetzgebungsverfahren könnte noch in dieser Wahlperiode eingeleitet werden.

Transfusionsgesetz: Die Bundesregierung plant, das Transfusionsgesetz zu novellieren, ohne jedoch etwas an der Behandlung schwuler und bisexueller Männer beim Blutspenden zu verändern. Männer, die Sex mit Männern haben, sind derzeit von der Blutspende für zwölf Monate "zurückzustellen", egal ob es sich um Sex mit häufig wechselnden Partnern oder dem Ehemann handelt und somit häufig faktisch von der Blutspende ausgeschlossen. In einer Stellungnahme der Grünen, die spiegel.de (Valerie Höhne) vorliegt, wird dies kritisiert.

KI-Haftung: Über den Vorstoß des Europaabgeordneten Axel Voss (CDU), europarechtlich Grundlagen für die Haftung von Schäden, die durch künstliche Intelligenz entstehen, zu schaffen, schreibt die SZ (Karoline Meta Beisel). Praktisch entspräche das vorgestellte System der Gefährdungshaftung, wie es etwa für Tier- oder Fahrzeughalter gelte. Die Haftung solle insbesondere für sogenannte "Hoch-Risiko-Anwendungen" gelten, welche die EU-Kommission per Liste festlegen und mithilfe von Experten regelmäßig aktualisieren soll.

Justiz

BVerfG – Anleihenkauf der EZB: Am heutigen Dienstag wird ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des Anleihen-Programms "Public Sector Purchase Programme" (PSPP) der Europäischen Zentralbank erwartet. Das Urteil wird laut SZ (Cerstin Gammelin) vor allem deswegen mit Spannung erwartet, weil der EZB in der aktuellen Krise eine enorm wichtige Rolle zur Stabilisierung der Finanzmärkte zugeschrieben wird. Juristisch ist es dem deutschen Bundesverfassungsgericht zwar nicht möglich, die EZB in ihrer Handlungsfähigkeit einzuschränken, es könnte jedoch die deutsche Beteiligung an dem Programm begrenzen. Die FAZ (Reinhard Müller) und die Welt (Holger Zschäpitz) schreiben ebenfalls über das Verfahren und erläutern dessen Hintergrund.

BGH – VW-Abgasskandal: Über das Verfahren um die Rückabwicklung eines vom Dieselskandal betroffenen VW Sharan vor dem Bundesgerichtshof am heutigen Dienstag bringt nun auch lto.de (Pia Lorenz) einen Vorabbericht, in dem noch einmal auf die beiden zentralen rechtlichen Fragen hingewiesen wird: Handelt es sich um vorsätzlich sittenwidrige Täuschung und falls ja, muss sich der Kunde anrechnen lassen, dass er das Fahrzeug weiter gefahren hat? Auch die Frage, ob sich Kläger neben VW-Vertragshändlern auch gegenüber freien Händlern auf eine Täuschung berufen könnten, beeinflusse und begrenze die Präzedenzwirkung eines Urteils. Ebenfalls vorab berichten die taz (Christian Rath) sowie die Welt (Olaf Preuss und Daniel Zwick).

Am Vorabend des Urteils gehen die Anwälte des Klägers, Claus Goldenstein und Alexander Voigt, im Interview mit faz.net (Marcus Jung) davon aus, dass der BGH ein wegweisendes Grundsatzurteil aussprechen wird.

OLG Hamburg – IS-Heimkehrerin Omaima A.: Vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht hat ein Staatsschutzverfahren gegen Omaima A. begonnen, der unter anderem die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird. Sie steht im Verdacht, sich dem sogenannten Islamischen Staat angeschlossen, für dessen Ideologie geworben sowie ein 13 Jahre altes, jesidisches Mädchen als Sklavin gehalten zu haben. spiegel.de (Julia Jüttner), zeit.de (Elke Spanner) und bild.de (Anja Wieberneit) berichten über den Prozessauftakt.

OLG Frankfurt zu Widerspruchsrecht: Bei einer Preiserhöhung durch ihren Mobilfunkanbieter haben Handy-Kunden immer ein Widerspruchsrecht, wie das Oberlandesgericht Frankfurt laut faz.net und lto.de entschied. Dies folge aus Unionsrecht. Beklagter war ein Mobilfunkanbieter, weil dieser den Kunden im Falle einer Preiserhöhung ein Widerspruchsrecht erst ab einer Preiserhöhung über fünf Prozent gewährt hatte.

LSG Celle zu Barthaarentfernung: Wie aus einem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen in Celle hervorgeht, dürfen Krankenkassen keine Kosten für eine Barthaarentfernung in einem Kosmetikstudio übernehmen – auch nicht für Transsexuelle. Dies melden SZ, spiegel.de, lto.de und die Welt. Die Klägerin hatte erfolglos darauf hingewiesen, dass kein Hautarzt die gewünschte Behandlung mit der Elektronadel anbiete, für eine Kosmetikerin dieser Eingriff jedoch eine Standardtherapie darstelle.

Recht in der Welt

Großbritannien – Julian Assange: Wie zeit.de meldet, ist die Anhörung zum US-Antrag auf Auslieferung des Wikileaks-Gründers Julian Assange auf September verschoben worden. Eigentlich sollte die erste inhaltliche Anhörung am 18. Mai stattfinden, wurde nun aber wegen der Corona-Pandemie absagt.

Sonstiges

Transparenz in Rundfunk- und Fernsehräten: Im Interview mit netzpolitik.org (Leonhard Dobusch) erläutert der Senior Researcher für Medienrecht Stephan Dreyer, warum es für den ZDF-Fernsehrat sehr wohl möglich wäre, selbst über das gesetzlich vorgesehene Mindestmaß an Transparenz hinauszugehen. Anknüpfungspunkt ist hierbei ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2014.


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lto/jpw

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 5. Mai 2020: Loveparade-Prozess eingestellt / Richterwahlen für BVerfG /BVerfG vor Urteil zur EZB . In: Legal Tribune Online, 05.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41503/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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