Die Anwältin Beate Bahner kämpfte gegen Corona-Einschränkungen und landete jetzt wohl in der Psychiatrie. Das BVerfG billigte einstweilen das Verbot, Gottesdienste zu besuchen. Das OVG Greifswald kippte das Verbot von Reisen an die Ostsee.
Thema des Tages
Corona – Rechtsanwältin Beate Bahner: Die Heidelberger Anwältin Beate Bahner kritisiert die Corona-Beschränkungen der Bundesländer als "Tyrannei". Die Verordnungen seien nicht durch das Infektionsschutzgesetz gedeckt, das im Kern nur Maßnahmen gegen Kranke erlaube. Ein Eil-Antrag am Bundesverfassungsgericht scheiterte am Subsidiaritätseinwand. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Heidelberg gegen Bahner wegen öffentlichem Aufruf zu Straftaten, weil sie zu Demonstrationen aufgefordert hatte. Auf Betreiben der Polizei war zeitweise auch ihre Webseite gesperrt. Es berichten taz.de (Christian Rath) und t-online.de (Lars Wienand). Darüberhinaus meldet die Rhein-Neckar-Zeitung, dass die Anwältin am Sonntagabend in eine psychiatrische Einrichtung gebracht wurde.
Corona und Recht
Corona – Demokratie und Grundrechte: Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) schreibt in der Samstags-FAZ in einem Gastbeitrag: "Dass in einer solchen Ausnahmesituation Sorgen um unseren demokratischen Rechtsstaat geäußert werden, kann nicht überraschen. Verwunderlich – und vor allem höchst bedenklich – wäre das Gegenteil, also das Ausbleiben von Zweifeln, Mahnungen und Kritik". Dabei dürften aber die Maßstäbe nicht verrutschen. Oberste Maxime bleibe die Verhältnismäßigkeit.
Im Interview mit dem Tsp (Jost Müller-Neuhof) spricht Rechtsprofessor Christoph Möllers von einem "grundrechtsfreien Zustand". Er glaube nicht, "dass es irgendwann die große verfassungsgerichtliche Abrechnung mit allen Verordnungen und Gesetzen dieser Zeit geben wird". Er glaube aber, "dass die Gerichte sich im Kleinen mit der Zeit mehr trauen werden".
Im Interview mit lto.de (Pia Lorenz) sprechen FDP-Bürgerrechtler Gerhart Baum und Anwalt Nikolaos Gazeas über die Entschärfung des NRW-Epidemiegesetzes, das an diesem Dienstag (ohne die Möglichkeit der Zwangsverpflichtung von Ärzten) im Landtag beschlossen werden soll. Im Rahmen einer Exit-Strategie könnte künftig Einlass in Geschäfte nur mit Corona-App möglich sein, Alte dürften in der Corona-Politik nicht ausgegrenzt werden.
Corona – Gleichheit: Die Montags-SZ (Wolfgang Janisch) stellt fest, dass der Staat Risikogruppen (wie ältere Menschen) stärker einschränken dürfe als den Rest der Gesellschaft. Zudem sei die Freiheit zur Selbstgefährdnung in Corona-Zeiten beschränkt, weil dabei immer auch "Gefahren für alle" geschaffen werden.
Corona – Grundrechte: Die Rechtsprofessorin Claudia Maria Hofmann kritisiert auf verfassungsblog.de, dass die Gerichte fast alle Corona-Einschränkungen für verhältnismäßig halten. Am Beispiel Bayern zeigt sie, dass besonders strenge Grundrechtseingriffe wohl nicht "erforderlich" seien, wenn andere Bundesländer ohne negative Folgen darauf verzichten können.
Rechtsprofessor Nils Grosche gibt auf verfassungsblog.de zu bedenken, dass zu große staatliche Zurückhaltung bei der Pandemiebekämpfung zu Vertrauensverlusten in den Staat führen könnte.
Corona – Gottesdienste: Das Bundesverfassungsgericht billigte in einer Eil-Entscheidung das Verbot, Gottesdienste zu besuchen. Trotz des damit verbundenen "überaus schwerwiegenden Eingriffs in die Glaubensfreiheit" habe der Schutz vor den Gefahren für Leib und Leben durch das Coronavirus Vorrang, so faz.net. Zuvor hatte auch das Oberverwaltungsgericht Berlin keine unverhältnismäßige Einschränkung der Religionsfreiheit gesehen, so lto.de. Dagegen ließ der Verwaltungsgerichtshof München eine Normenkontrollklage am fehlenden Rechtsschutzbedürfnis scheitern, so taz.de (Christian Rath). Die Kirche habe die Gottesdienste bereits selbst abgesagt.
VGH Mannheim zu Geschäftsschließung: Beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim scheiterte der Normenkontrollantrag eines Fitnessstudios gegen die erzwungene Schließung. Solche Schließungen seien auch präventiv möglich, selbst wenn sich dort noch niemand angesteckt habe. Der VGH zweifelt allerdings an der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage im Infektionsschutzgesetz, die möglicherweise zu vage sei und gegen die Wesentlichkeitstheorie verstoßen könnte, so lto.de. Die Frage blieb im Eilverfahren offen.
VG Leipzig zu Väterverbot im Kreißsaal: Das Verwaltungsgericht Leipzig billigte das Verbot eines Krankenhauses, werdende Väter bei der Geburt auszuschließen. Das Verbot diene in Corona-Zeiten der Sicherung der Krankenversorgung und sei durch das Hausrecht gedeckt, so lto.de.
OVG Greifswald zu Osterreisen: Das Oberverwaltungsgericht beanstandete das in die Corona-Verordnung von Mecklenburg-Vorpommern eingefügte Verbot von Osterausflügen an die Küste als unverhältnismäßig. Ein Strandverbot könne gar nicht verhindern, dass sich größere Bevölkerungsteile auf engem Raum aufhielten, weil zum Beispiel in Rostock der Strand zum Stadtgebiet gehöre. Es berichten lto.de und (mit Begründung) faz.net (Matthias Wyssuwa/Alexander Haneke).
Corona – Zugang zu Zweitwohnungen: Mehrere norddeutsche Landkreise haben angeordnet, dass die Eigentümer ihre Zweitwohnungen nicht mehr nutzen können. Leonel Bohnsack stellt auf juwiss.de die divergierende Rechtsprechung hierzu dar. Er hält solche Anordnungen für verhältnismäßig, wenn ein Zusammenhang mit einer möglichen Überlastung des Krankenhaussystems konkret dargelegt wird.
Corona – Entschädigung für Betriebsschließungen: Der Diplomjurist Simon Dörrenbächer postuliert auf juwiss.de, dass das Infektionsschutzgesetz (IfSG) heute schon Entschädigungen für den Verdienstausfall nach erzwungenen Betriebsschließungen ermögliche. Eine analoge Anwendung von § 56 IfSG sei geboten, weil der Gesetzgeber solche kollektiven Betriebsschließungen bei Schaffung der Norm überhaupt nicht im Blick hatte.
Corona – Quarantäne in der Psychiatrie: community.beck.de (Marcus Meißner) erläutert den Hintergrund der zeitweiligen sächsischen Pläne, Quarantäne-Verweigerer zwangsweise in psychiatrischen Krankenhäusern unterzubringen. Die Absonderung in Krankenhäusern sei gesetzlich im IfSG als Möglichkeit vorgesehen.
Fischer zu Corona: Ex-Bundesrichter Thomas Fischer beschäftigt sich in seiner spiegel.de-Kolumne mit der Verhältnismäßigkiet als "Vergleich zwischen dem Leiden anderer und dem eigenen Jammer". Auch Fischer erläutert die Rechtsgrundlage für die Absonderung von Infizierten. Die neuen Befugnisse des Bundesgesundheitsministers, die Ende März als § 5 ins Infektionsschutzgesetz eingefügt wurden, hätten "weder die Gewaltenteilung abgeschafft noch Rechtschutzmöglichkeiten unvertretbar beschränkt".
Corona – Justiz: lto.de (Markus Sehl/Annelie Kaufmann) stellen ausführlich dar, wie Gerichte derzeit in ihren Abläufen mit der Coronalage umgehen und welche Pläne sie für die nähere Zukunft haben. "Klar ist jedenfalls, dass die Gerichte flexible Lösungen finden müssen, damit sie nicht bald vor einem Berg unbearbeiteter Akten stehen." Auch faz.net (Marcus Jung) und community.beck.de (Carsten Krumm) befassen sich mit dieser Frage.
Corona – Triage: lto.de (Maximilian Amos) stellt ein Papier der Straf- und Medizinrechtler Karsten Gaede, Michael Kubiciel, Frank Saliger und Michael Tsambikakis vor. Bei knappen Atemgeräten, sollten vorrangig Patienten mit höherer Erfolgsaussicht behandelt werden. Dies gelte auch im Vergleich zwischen neuen Patienten und Patienten, die bereits beatmet werden.
Corona – Dublin-Verfahren: Der Volljurist David Werdermann zeigt auf lto.de, wie die Coronakrise Dublin-Überstellungen von Asylsuchenden wegen Fristablaufs verhindern kann. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge versuche den Fristauflauf durch Aussetzung der Vollstreckung zu hindern, was aber wohl rechtsmissbräuchlich sei. Asyl-Anwälte empfehlen, Klagen gegen die Überstellung zurückzuziehen, weil dann keine Aussetzung auf Vollstreckung möglich sei und der Fristablauf eintreten könne.
Corona – österreichische Sammelklage: Der österreichische Verbraucheranwalt Peter Kolba und sein Verein zum Schutz von Verbraucherinteressen planen eine Sammelklage gegen den Staat Österreich. Klagen sollen alle, die sich beim Skiurlaub in Tirol mit dem Coronavirus angesteckt haben. Kolba vermutet als Ursache der Ansteckung ein Behördenversagen. Es berichten die Montags-SZ (Peter Münch) und focus.de (Kim Trail/Stefan Schocher).
Corona – EMRK: Schon neun Staaten haben beim Europarat angezeigt, dass sie gemäß Art. 15 von den Verpflichtungen der Europäischen Menschenrechtskonvention abweichen wollen. Mit den rechtlichen Möglichkeiten befasst sich (in englischer Sprache) auf verfassungsblog.de Sean Molloy, der in England und Schottland forscht. Am Ende werde wohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Staaten mehr Spielräume lassen.
Corona und Recht – international: Auf verfassungsblog.de finden sich wieder viele Darstellungen (jeweils in englischer Sprache) zur Rechtslage in einzelnen Staaten. Konkret geht es um Italien, Schweden, Norwegen, Indien, Portugal, Indonesien, Irland, Südafrika, Australien, Bulgarien, Frankreich und die USA.
Rechtspolitik
EU-Asylrecht: Die Anwältin Sylvia Kaufhold befasst sich auf FAZ-Einspruch in einem langen Beitrag mit anstehenden Entwicklungen im EU-Asylrecht. Unter anderem fordert sie einen neuen Rückführungsvertrag mit der Türkei, die ein sicherer Drittstaat sei. In Griechenland solle ein einfaches Asyleinreiseverfahren eingeführt werden. Im neuen EU-Asylrecht solle es den Mitgliedsstaaten zudem überlassen bleiben zu entscheiden, ob sie subsidiären Schutz für Bürgerkriegsflüchtlinge gewähren wollen.
Justiz
BVerfG und EU-Grundrechte: Der Forschungsassistent Alexander Brade befasst sich auf verfassungsblog.de mit der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu EU-Grundrechten und arbeitet dabei Unterschiede zwischen dem Ersten und dem Zweiten Senat heraus. Der Zweite Senat tendiere dazu, ausschließlich die Grundrechte des Grundgesetzes anzuwenden, während der Erste Senat offener sei.
Recht in der Welt
Polen – richterliche Unabhängigkeit: Der in London lehrende Rechtsprofessor Laurent Pech befasst sich auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) mit der einstweiligen Anordnung des Europäischen Gerichtshofs zur Aussetzung der Disziplinarkammer und ordnet den Beschluss in den bisherigen Konflikt um die Unabhängigkeit der polnischen Justiz ein. Ein Dialog sei nur möglich, wenn die Gegenseite nicht böswillig sei.
Ungarn – Fakenews: Der Assistenzprofessor Csaba Győry befasst sich auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) mit dem neuen Straftatbestand "Behinderung der Epidemie-Prävention", der den bereits bestehenden Tatbestand der "Panikmache" ergänzt.
Sonstiges
Urheberrecht: Die ehemalige Piraten-Europa-Abgeordnete Julia Reda wird künftig bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) strategische Klagen zum Urheberrecht vorbereiten, meldet spiegel.de.
Strafrecht: Rechtsprofessor Jörg Kinzig hat ein schmales Buch über Verbrechen und Strafe geschrieben. Darin widerlege er "mit dem Langmut eines Nachhilfelehrers Klischee um Klischee", so die Montags-SZ (Wolfgang Janisch).
Methodenlehre: Die Montags-FAZ (Jochen Zenthöfer) stellt zwei neue Bücher vor. Für Markus Sehl fungiere der Begriff des "Wille des Gesetzgebers" als Übersetzungsfigur zwischen rechtlichem und politischem System. Sehl habe hierzu einen überzeugenden "realitätsbezogenen" Ansatz entwickelt. Die "Juristische Methodenlehre" von Thomas Möllers erkläre "wie kaum ein zweites Werk", wie man zu einer gerechten Entscheidung komme und setze dabei vor allem auf das teleologische Argument.
Reinhard Merkel: Die Samstags-FAZ (Hannah Bethke) widmet dem emeritierten Rechtsprofessor Reinhard Merkel aus Anlass seines 70. Geburtstags ein Portrait. "Seine Positionen reizen zum Widerspruch – an Klarheit aber mangelt es ihnen nie." Merkel hatte in ethischen Fragen wie der Embryonenforschung betont liberale Positionen vertreten.
Rechtsgeschichte – Prozesse gegen Tote: lto.de (Martin Rath) schildert zwei Strafprozesse gegen Tote, betroffen waren Papst Formosus und der englische Revolutionär Oliver Cromwell. Anlass ist ein literarisches Buch über einen fiktiven Prozess gegen den österreichischen Diktator der 1930er-Jahre Engelbert Dollfuß.
Rechtsgeschichte – Falsche Verdächtigung/Gerichts-TV: lto.de (Martin Rath) beschreibt einen Strafprozess, an dessen Ende 1963 der Bundesgerichtshof den Adenauer-Vertrauten Herbert Blankenhorn vom Vorwurf falscher Verdächtigung gegenüber einem Ministerialbeamten freisprach. Die Vorinstanz, das LG Bonn, hatte Blankenhorn verurteilt. Der dortige Vorsitzende Richter Helmut Quirini habe so öffentlichkeitswirksam verhandelt, dass daraus das deutsche Verbot von Gerichtsfernsehen folgte.
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lto/chr
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Die juristische Presseschau vom 10. bis 14. April 2020: . In: Legal Tribune Online, 14.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41284 (abgerufen am: 03.12.2024 )
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