Die juristische Presseschau vom 8. April 2020: Love­pa­rade-Pro­zess und Corona / Ethi­krat und Triage / Bun­des­länder und Flücht­linge

08.04.2020

Das LG Duisburg schlägt die Einstellung des Loveparade-Prozesses vor. Triage ist laut Ethikrat in manchen Fällen "geboten" und die Bundesländer prüfen einen Alleingang bei der Aufnahme von Flüchtlingen nach § 23 AufenthG.

Thema des Tages

LG Duisburg – Loveparade: Das Landgericht (LG) Duisburg hat wegen der andauernden Corona-Pandemie die Einstellung des Loveparade-Strafprozesses nach § 153 Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO) vorgeschlagen, womit der Prozess ohne Urteil beendet würde. Wie die FAZ (Reiner Burger), spiegel.de und lto.de berichten, forderte das LG die Verfahrensbeteiligten auf, bis zum 20. April zu dem Vorschlag Stellung zu nehmen. Bei der Loveparade am 24. Juli 2010 kamen bei einer Massenpanik 21 Menschen ums Leben, mehr als 650 wurden verletzt. Den drei angeklagten Veranstaltern werden fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Tötung vorgeworfen, wobei für letzteren Vorwurf am 27. Juli 2020 die Verjährung eintritt. Da durch die Corona-Pandemie einige Termine verschoben werden müssen, geht das Gericht davon aus, dass es bis zur Verjährung zu keiner Entscheidung kommen wird. Eine mögliche Schuld der Angeklagten sei darüber hinaus als gering einzustufen. Wie die FAZ weiter berichtet, geht der Anwalt einiger Nebenkläger davon aus, dass die Staatsanwaltschaft und Angeklagten der Einstellung zustimmen werden. Zudem erwarten er und seine Mandanten, dass sich nun der nordrhein-westfälische Landtag mit den Folgen aus dem gescheiterten Loveparade-Prozess befasse.

Jana Stegmann (SZ) merkt an, dass es bei diesem Verfahren so viel Mitverantwortliche gebe, dass eine individuelle Schuld nur schwer nachzuweisen sei und meint, dass das Gericht aber das „Bestmögliche“ aus dem Verfahren gemacht habe.

Corona und Recht

Corona – Gottesdienstverbote: Laut dem Verwaltungsgericht (VG) Berlin und Verwaltungsgerichtshof (VGH) Hessen ist die Untersagung von Gottesdiensten in Berlin und Hessen während der Coronakrise gerechtfertigt. Damit wiesen die Gerichte die jeweils eingereichten Eilanträge ab, wie tagessschau.de und lto.de berichten. Im Berliner Fall hatte eine katholische Gemeinde beantragt, für Gottesdienste bis 50 Personen eine Ausnahme von der Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus zu machen. In Hessen dagegen hatte ein römisch-katholischer Christ den Antrag gestellt, da er sich in seiner Religionsausübungsfreiheit eingeschränkt sah. Beide Gerichte kamen zu dem ähnlichen Schluss, dass zwar ein Eingriff in Grundrechte vorliege, dieser aber in Anbetracht der in der Coronakrise zu schützenden anderen Rechte verhältnismäßig und gerechtfertigt sei.

Corona – Atemschutzmasken: In einem Beitrag auf lto.de (Christian Rath) wird der Mangel an Atemschutzmasken in Deutschland aus rechtlicher Perspektive erörtert. Ausgehend von der Risikoanalyse von 2012, in welcher bereits auf eventuelle Engpässe von persönlicher Schutzausrüstung im Falle einer Pandemie hingewiesen wurde, werden die Gesetzgebungskompetenzen und Zuständigkeiten von Bund und Ländern dargelegt. Zudem wird auf Regelungen zur Zwangsbeschlagnahme und Produktionsgeboten von solcher Schutzausrüstung im Bayrischen Infektionsschutzgesetz (BayIfSG) eingegangen.

Corona – Notparlament: In einem Podcast-Interview auf verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) erläutert Anna von Notz die verschiedenen Ansätze, wie der Deutsche Bundestag unter den Einschränkungen durch die Coronakrise trotzdem handlungsfähig bleiben kann und geht dabei unter anderem auch auf die Möglichkeit eines Notparlaments ein.

Corona – Demonstrationen: In einem Interview mit der taz-nord (Gernot Knödler) erklärt Rechtsprofessor Kay Waechter, warum er das generelle Verbot von Demonstrationen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes für problematisch hält und meint, dass zumindest unter Auflagen Kundgebungen akzeptiert werden sollten.

Ebenfalls in der taz-nord (Gernot Knödler) wird berichtet, dass in Hamburg seit letztem Freitag eine Ausnahmeregel der Verordnung zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus gilt, wonach Kundgebungen nach strengen Voraussetzungen stattfinden dürfen.

OVG Sachsen zu Corona-Verordnung: Das Sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat einen Eilantrag gegen die Sächsische Corona-Schutz-Verordnung abgelehnt. Wie SZ.de und lto.de berichten, hatte sich der Antragsteller gegen verschiedene Regelungen in der Verordnung gewendet, weil diese teilweise zu unklar seien. Zudem sollten die generellen Verbote nicht für immunisierte Personen gelten. Dem widersprach das Gericht in seinem Beschluss und befand, dass die Regelungen hinreichend bestimmt und verhältnismäßig seien.

Corona – Triage: Im Falle einer Knappheit von Beatmungsgeräten darf aufgrund der Menschenwürdegarantie der Staat keinerlei Vorgaben dazu machen, wer gerettet werden soll. Etwas anderes gelte aber für Empfehlungen von ärztlichen Fachgesellschaften, wie der Deutsche Ethikrat jetzt nahelegt. Solche medizinisch festgeschriebenen Empfehlungen seien laut Ethikrat für den Fall der sogenannten "Triage" sogar ethisch "geboten". Gemeinsam mit anderen Fachgesellschaften hat die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) bereits einen solchen Vorschlag für Empfehlungen vorgelegt, dessen Ansätze aber noch nicht vollständig mit der Auffassung des Ethikrats übereinstimmen, wie die taz (Christian Rath) zudem erörtert.

Corona – Saisonarbeit: In einem Beitrag auf community.beck (Christian Rolfs) werden die neue Fassung des § 115 Sozialversicherungsbuch (SGB) IV und dessen Besonderheiten vorgestellt. Die Änderung ist durch das "Sozialschutz-Paket" eingefügt worden und soll in dem Zeitraum bis zum 31.10.2020 sozialversicherungsfreie Saisonarbeit erleichtern.

Justiz

BayVerfGH zu Kreuzen in Behörden: Der Bayrische Verfassungsgerichtshof (VerfGH) hat eine Klage gegen § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats Bayern (AGO) als unzulässig abgewiesen. Der Antragsteller argumentierte, dass die in § 28 AGO festgeschriebene Verpflichtung in Dienstgebäuden "gut sichtbar ein Kreuz anzubringen" den Grundsatz der staatlichen Neutralität und die negative Bekenntnisfreiheit verletze und somit gegen die Bayrische Verfassung verstoße. Weil es sich bei § 28 AGO aber um eine Verwaltungsvorschrift handle, die keine unmittelbare Außenwirkung entfalte, könne diese nicht mit einer Popularklage angegriffen werden, so der VerfGH. Es berichtet lto.de.

OVG Koblenz zu Lehrer-Fotos: Ein Lehrer, der sich bei einem Fototermin mit seinen Schulklassen freiwillig fotografieren lässt, hat keinen Anspruch auf Entfernung der Bilder aus dem Jahrbuch der Schule. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Koblenz und bestätigte damit das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz. Laut lto.de sah sich der Lehrer durch die Schule in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt, da diese ein Jahrbuch mit Fotos der Klassen und jeweiligen Lehrer herausbringt. Da es sich um Bilder der Zeitgeschichte handle und ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestünde, bedürfe es nach dem OVG keiner Einwilligung.

Recht in der Welt

Australien – Kardinal Georg Pell: Das Oberste Gericht Australiens hat den Kurienkardinal Georg Pell freigesprochen, worauf dieser aus der Haft entlassen wurde. Im März 2019 war Pell wegen des Missbrauchs an zwei Chorknaben in den 90er Jahren zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Wie die SZ (Jan Bielicki), die taz (Urs Wälterlin) und tagesschau.de (Lena Bodewein) berichten, sah das Oberste Gericht nun Schwächen in den Beweisen, weshalb es Pell freisprach. Es war der erste Prozess gegen einen der weltweit ranghöchsten katholischen Kleriker wegen sexueller Vergehen vor einem weltlichen Gericht.  

Nina Apin (taz) hält den Freispruch für ein fatales Signal an alle Opfer von Missbrauch durch Vertreter der Kirche und nennt weitere Vorwürfe, die gegen Pell erhoben wurden.

Slowakei – Mord an Kuciak: Wegen Mordes hat ein slowakisches Spezialgericht in Pezinok den 37-jährigen Miroslav Marček zu 23 Jahren Haft verurteilt. Im Februar 2018 erschoss Marček den Investigativjournalisten Kuciak und seine Verlobte Kušnírová in deren Haus. Das slowakische Gesetz sieht für einen Auftragsmord mindestens 25 Jahre Haft vor mit eventueller Sicherheitsverwahrung. Wie die taz (Alexandra Mostyn) weiter berichtet, hat der zuständige Staatsanwalt bereits Revision eingelegt.

Polen – Briefwahl: Wie nun auch lto.de berichtet, hat das polnische Parlament in einer ersten Lesung einem Gesetzentwurf der nationalkonservativen Regierungspartei PiS zugestimmt, wonach die kommenden Präsidentschaftswahlen im Mai wegen der Corona-Pandemie als reine Briefwahl abgehalten werden können. Die Opposition kritisiert dieses Vorhaben und nennt es einen "Staatsstreich" der PiS. Das Gesetz geht nun in die zweite Kammer des Parlaments, den Senat, welcher allerdings nur beratende Fähigkeiten hat.

Senegal – Hissène Habré: Wie die taz meldet, darf der ehemalige Machthaber des Tschad Hissène Habré wegen der Coronakrise 60 Tage die Haftanstalt in Dakar im Senegal verlassen, da diese vorübergehend für Häftlinge in Quarantäne genutzt werden soll. Habré war 2016 von einem Sondertribunal der Afrikanischen Union (AU) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Nach den 60 Tagen muss der 78-jährige Habré in das Gefängnis zurückkehren.

Sonstiges

Flüchtlingsaufnahme: Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD einigte sich Anfang März auf die Aufnahme von 1500 Kindern aus den überfüllten Flüchtlingsunterkünften auf den griechischen Inseln. Da diesem Vorhaben bisher keine Taten folgten und die Coronakrise absehbar weitreichende Folgen in den Unterkünften haben wird, wollen nun Thüringen, Berlin und Niedersachsen selbst tätig werden. lto.de (Markus Sehl) widmet sich nun der rechtlichen Fragestellung eines solchen Alleingangs der Bundesländer und vor allem, ob hier § 23 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) anwendbar sein könnte.

Ausführlich analysiert auch Rechtsreferendar Tobias Gafus in einem Beitrag auf verfassungsblog.de die Anwendbarkeit von § 23 AufenthG und die Argumente des Bundesinnenministeriums, welches einem Alleingang der Bundesländer ablehnend gegenübersteht.

Politische Kriminalität: Aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums (BMI) auf eine Anfrage der Grünen-Politikerin Irene Mihalic wird ersichtlich, dass die Anzahl der rechtsextremistischen Straftaten im Jahr 2019 im Vergleich zu den Vorjahren deutliche gestiegen ist. Wie die SZ erörtert, scheinen dies häufig Propagandadelikte und Volksverhetzungsfälle zu sein, während die Anzahl der gemeldeten Gewaltdelikte rückläufig sei. Im Mai will das BMI die endgültigen Fallzahlen zu politisch motivierter Kriminalität herausgeben.

WHO: Den 62. Geburtstag der World Health Organisation (WHO) nimmt der Rechtshistoriker Ralf Oberndörfer zum Anlass, in einem ausführlichen Beitrag auf lto.de die Erfolge der WHO vor allem bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten zu beleuchten. Zudem erläutert er, dass die Organisation neben staatlicher auch private finanzielle Unterstützung bekommt und welche Abhängigkeiten dies birgt.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ali

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 8. April 2020: Loveparade-Prozess und Corona / Ethikrat und Triage / Bundesländer und Flüchtlinge . In: Legal Tribune Online, 08.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41248/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen