Die juristische Presseschau vom 31. März 2020: Unga­ri­sches Ermäch­ti­gungs­ge­setz / Corona und Recht / Klei­dungs­ord­nung in der Prü­fung

31.03.2020

Ungarns Ministerpräsident Orbán kann auf unbestimmte Zeit ohne Parlament regieren. Im Kampf gegen Corona wird über eine Tracking-App diskutiert. Eine Berliner Studentin siegt vor Gericht gegen eine niedrige Bewertung wegen ihrer Bekleidung.

Thema des Tages

Ungarn – Notstand: Das ungarische Parlament hat den Notstand auf unbestimmte Zeit verlängert. Ministerpräsident Orbán kann nun per Dekret regieren, die Gewaltenteilung ist de facto ausgesetzt. Das entsprechende Gesetz bedroht überdies die Verbreitung von nicht näher definierten Falschnachrichten mit hohen Strafen und auch Wahlen dürfen während des Notstands nicht abgehalten werden, berichten SZ (Matthias Kolb/Peter Münch), FAZ (Stephan Löwenstein/Thomas Gutschker), lto.de, Welt (Boris Kálnoky) und zeit.de.

Für Peter Münch (SZ) kommt diese Regelung nicht überraschend, da Orbán bereits seit seiner Rückkehr an die Macht 2010 an der Aushöhlung des ungarischen Rechtsstaats arbeite. Hinzu komme aber, dass ihn in den momentan so angespannten Zeiten niemand aus dem Kreis der EU-Partner ernsthaft in die Schranken weisen werde. Hans-Peter Siebenhaar (Hbl) fordert, dass die EU diesen Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat in Ungarn nicht tatenlos hinnehme. Auch Christoph Schiltz (Welt) ist der Ansicht, dass EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen eine Strategie vorlegen müsse, wie mit Ländern wie Ungarn künftig umzugehen sei.

Corona und Recht 

Corona – Rechtsstaat: Auf zeit.de mahnt Kai Biermann an, dass die staatlichen Eingriffe zum Zwecke der Einschränkung der Corona-Pandemie den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit zu genügen hätten. Ein Teil der Maßnahmen, wie etwa sogenannte Verweilverbote oder die Berliner Anordnung, einen amtlichen Lichtbildausweis mit sich zu führen, gingen zu weit und seien teilweise vermutlich sogar illegal. Die unbestimmten Voraussetzungen verschiedener Anordnungen führten dazu, dass die Polizisten und Polizistinnen, die sie umsetzen müssten, nach Gutdünken entschieden, was beim Bürger wiederum ein Gefühl der Willkür auslöse. Rechtsanwalt Jasper Finke beobachtet auf verfassungsblog.de einen "pubertären Reiz des Verbotenen" unter Juristen, die im Angesicht der Corona-Pandemie von einem Ausnahmezustand redeten. Tatsächlich bestünde ein solcher nicht, der Staat mache lediglich von bestehenden Eingriffsbefugnissen Gebrauch und lege diese angesichts der Krisenerfahrung extensiv aus: Auch die Not kenne ein Gebot.

Corona – Triage: Auf FAZ-Einspruch erläutern die Rechtsanwälte Philip von der Meden und Frédéric Schneider die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Frage, wie Ärzte auf den Fall reagieren sollten, dass mehr Patienten intensivmedizinische Betreuung benötigen, als Betten zur Verfügung stehen. Aus strafrechtlicher Sicht könne Ärzten nur dringend geraten werden, unter keinen Umständen eine bereits eingeleitete intensivmedizinische Behandlung abzubrechen, um einen anderen Patienten behandeln zu können. Denn es stünde zu erwarten, dass die Staatsanwaltschaften einen Behandlungsabbruch als Totschlag anklagen würden. Der Doktorand Lino Munaretto erinnert auf verfassungsblog.de daran, dass jedes staatliche Handeln unter dem "Vorbehalt des Möglichen" stehe. Dies sei auch bei der Triage oder bei begrenzter Verfügbarkeit eines möglichen Impfstoffes der Fall. Aufgabe des Gesundheitssystems sei jedoch, solche Entscheidungssituationen nach Möglichkeit zu verhindern. 

Corona – Tracking-App: SZ (Simon Hurtz/Wolfgang Janisch) und taz (Malte Kreutzfeldt) berichten über eine mögliche neue App zur Rückverfolgung von Infektionswegen. Über Bluetooth könne die App scannen, welche anderen Handys in der Nähe seien und dann im Falle der Infektion eines der Handybesitzer alle Mobilgeräte per Push-Nachricht warnen, denen er zuvor begegnet sei. Durch die Wahl einer zufälligen Identifikationsnummer seien keine Rückschlüsse auf die Identität des Nutzers möglich, weshalb eine derartige App wohl auch datenschutzrechtlich zulässig sei.

Svenja Bergt begrüßt eine derartige App im Leitartikel der taz als "privatsphärefreundliche" Variante des Trackings, betont aber, dass die Nutzung freiwillig bleiben und die Installation auch ohne Nutzung des Google-Play-Stores oder iTunes möglich sein müsse.

Corona – Bundestag/Infektionsschutzgesetz: Die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes und der Geschäftsordnung des Bundestages in der letzen Woche sind nach Ansicht von Rechtsprofessor Pierre Thielbörger und dem Wissenschaftlichen Mitarbeiter Benedikt Behlert auf verfassungsblog.de "gut gemeint", jedoch größtenteils unzulänglich. Die Funktionsfähigkeit des Bundestages sei im Fall eines inneren Notstands weiterhin nicht sichergestellt, da auch das zur Beschlussfähigkeit erforderliche Viertel seiner Mitglieder mit 178 Menschen ein hohes Risiko für die weitere Ausbreitung des Virus darstelle. Auch könne sich der Föderalismus im Katastrophenfall als Problem erweisen, da die Länder nach Art. 83 Grundgesetz weiter für die Ausführung des Gesetzes zuständig blieben.

Corona – Epidemie-Gesetz NRW: Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat laut lto.de den Entwurf eines Epidemie-Gesetzes vorgelegt, das unter anderem Zwangsverpflichtungen von Ärzten im Notfall und die Sicherstellung von medizinischem Material ermöglichen würde. Dabei gehe es sowohl um die aktuelle Corona-Krise als auch um künftige Epidemien, weshalb das Gesetz in weiten Teilen zeitlich unbegrenzt gelte. Gerade die Zwangsverpflichtung von Ärzten begegne heftiger Kritik aus der Opposition.

Corona – Maskenpflicht: taz.de (Christian Rath) erklärt die rechtliche Zulässigkeit einer auch in Deutschland möglicherweise bald geltenden Pflicht zum Tragen einer Maske beim Einkaufen nach österreichischem Vorbild. Diese könne auf § 28 des letzte Woche geänderten Infektionsschutzgesetzes gestützt werden, müsse aber von den Bundesländern oder den kommunalen Gesundheitsbehörden ausgesprochen werden. Eine Maskenpflicht könne gerade als Teil eines Exit-Plans sinnvoll sein, mit dem das öffentliche Leben langsam wieder hochgefahren werde.

Fischer zu Corona: Ex-Bundesrichter Thomas Fischer befasst sich in seiner Kolumne auf spiegel.de mit der Frage, wie lange die momentanen Einschränkungen des öffentlichen Lebens noch aufrechterhalten werden sollten. Er spricht sich dagegen aus, dies am Maßstabs des Könnens zu beurteilen: Es gehe vielmehr um das Wollen der betreffenden Entscheidungsträger.

Corona – Öffentlichkeit im Gerichtssaal: Auch während der Corona-Pandemie hat grundsätzlich jede Person das Recht, einer Gerichtsverhandlung als Zuschauer beizuwohnen. Hierauf verweist community.beck.de (Markus Meißner) und sieht in Kontaktsperren, welche keine Ausnahmen für Gerichtsverhandlungen machen, den Öffentlichkeitsgrundsatz des § 169 Gerichtsverfassungsgesetzes verletzt. Anders als es etwa das Bayerische Staatsministerium der Justiz auf seiner Website suggeriere, könne dies auch nicht durch die Gewährung einer Presseöffentlichkeit kompensiert werden. 

Corona – Justizbetrieb: zeit.de (Elke Spanner) widmet sich den konkreten Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Hamburger Justizbetrieb. Die Gerichte würden alle nicht dringenden Verfahren vertagen, lediglich in manchen Strafprozessen würde mit Sicherheitsabständen in den Zuschauerreihen weiterverhandelt. Im Justizvollzug würden Besuche nur noch in Einzelfällen genehmigt, Straftäter mit einer Verurteilung von bis zu drei Jahren Haft würden derzeit nicht zum Haftantritt geladen, sofern es sich bei ihnen nicht um Sexualstraftäter oder Täter aus der organisierten Kriminalität handele. 

Corona – Kündigungen bei Taylor Wessing: Am Wochenende hat Taylor Wessing allen Wissenschaftlichen Mitarbeitern ohne Angabe eines Grundes gekündigt, berichtet lto.de. In persönlichen Gesprächen sei indes zu hören gewesen, dass die Corona-Pandemie der Grund sei. Neben dem Ärger über die "unpersönliche Art" stelle sich die Frage, ob derartige betriebsbedingte Kündigungen arbeitsrechtlich zulässig seien. 

Corona – Soforthilfen: Die letzte Woche von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Soforthilfen für Unternehmen, Selbständige, Freiberufler und Landwirte können nun beantragt werden. Wie lto.de berichtet, ist die hierfür erforderliche Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern am Wochenende ergangen.

Corona – Adidas: Rechtsprofessor Tim Drygala erläutert auf lto.de die rechtliche Zulässigkeit des angekündigten Vorhabens von Adidas und anderen großen Handelsketten, die Mietzahlungen für ihre wegen der Corona-Pandemie geschlossenen Shops einzustellen. Grundsätzlich sei eine Einstellung der Mietzahlung zulässig, da die zwangsweise Schließung der Geschäfte einen Umfeldmangel nach § 536 Bürgerliches Gesetzbuch darstelle, welcher den Mietzins auf Null mindere. Allerdings ergebe sich aus der Gesetzesbegründung des Corona-Abmilderungsgesetzes, dass die Pflicht zur Fortzahlung der Miete grundsätzlich weiterbestehe.  

Corona – Niederlande: Mit besonderer Härte gehen die Strafverfolgungsbehörden in den Niederlanden im Zusammenhang mit Corona vor. Wie die FAZ (Thomas Gutschker) berichtet, wurden wegen der Infektionsgefahr mehrere Haftstrafen etwa gegen Personen verhängt, die andere bespuckt hatten.

Rechtspolitik

Namensrecht: Das Bundesjustiz- und das Bundesinnenministerium haben sich auf eine weitreichende Reform des Namensrechts verständigt, berichtet SZ (Robert Rossmann). So soll künftig allein auf den Wunsch des Betroffenen sowohl Vor- als auch Nachname anlasslos geändert werden können – allerdings nicht häufiger als einmal alle zehn Jahre und nur wenn kein übergeordnetes öffentliches Interesse entgegensteht. Auch sollen beide Ehepartner einen Doppelnamen wählen und an ihre Kinder weitergeben können, und slawische Nachnamen sollen in geschlechtsangepasster Form getragen werden können. 

Justiz

BGH zu Anwaltshonorar: Der Bundesgerichtshof hat eine vorformulierte Honorarvereinbarung für unwirksam erklärt, nach der ein Anwalt von seinem Mandanten mehr als das Dreifache seiner gesetzlichen Vergütung erhalten hätte. Wie zeit.de berichtet, dürfe der Anwalt für seinen Zeitaufwand von vier Stunden und 28 Minuten in einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit nur gut 1500 Euro in Rechnung stellen – ursprünglich hatte er 11.300 Euro verlangt. 

BVerwG – Combat 18: taz (Konrad Litschko) beschreibt ausführlich die im Januar vom Bundesinnenministerium verbotene Gruppierung "Combat 18", die sich vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen die Verbotsverfügung wehrt. Die Gruppe sei straff organisiert gewesen, habe regen Handel mit rechtsradikaler Musik getrieben und habe möglicherweise mehr Mitglieder gehabt als das Bundesinnenministerium angenommen habe.

LSG Celle zu Beförderungskosten: Ein Vater, der sein Kind auf eine Privatschule schickt, obwohl sich eine staatliche Schule näher am Wohnort befindet, hat für die Beförderungskosten zur Schule selbst aufzukommen. Im betreffenden Fall hatte der Mann angeführt, der Zugang von Schülern aus "bildungsfernen Schichten" würde das staatliche Gymnasium "aushöhlen", weshalb der Besuch der Privatschule notwendig sei. Das Landessozialgericht Celle erteilte diesen Erwägungen laut lto.de ein klare Absage: Zweck von Bildungs- und Teilhabeleistungen sei die Verwirklichung der Chancengleichheit von Kindern aus einkommensschwachen Familien, nicht der Besuch von Privatschulen mit Kindern aus besser situierten Familien, welche die pluralistische Zusammensetzung der Gesellschaft nicht abbildeten.

BKA – Hanau: Annette Ramelsberger kritisiert in der SZ die Auffassung des Bundeskriminalamtes, wonach der Attentäter von Hanau kein Rassist gewesen sei, sondern seine Opfer nur ausgesucht habe, um Aufmerksamkeit für seine Wahnvorstellungen zu erhalten. Es sei verständlich, wenn nun die Familien der Angehörigen aufschreien würden, denn die Taten sprächen für sich. 

Recht in der Welt

Polen – Wahlrechtsänderung: Die erste polnische Parlamentskammer Sejm hat im Rahmen eines Corona-Hilfspakets eine Wahlrechtsreform beschlossen, nach der Personen über 60 Jahren und solche, die unter Quarantäne stehen, allein per Briefwahl wählen können. Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) habe diese Maßnahme wohl zu Erhöhung der Wiederwahlchancen des amtierenden Präsidenten Duda getroffen. Die Durchführung der Präsidentschaftswahl am 10. Mai 2020 unter den momentanen Einschränkungen sei nach Ansicht zahlreicher Staatsrechtler verfassungswidrig, so zeit.de.

Juristische Ausbildung

VG Berlin zu Kleidung in der Prüfung: Ein lockerer Kleidungsstil in einer mündlichen Prüfung darf nicht zu Punktabzug führen. Dies hat das Verwaltungsgericht Berlin im Fall einer Studentin im Masterstudiengang "Recht der öffentlichen Verwaltung" entschieden, die wegen ihres Auftretens in Blue Jeans und gepunkteter Bluse weniger Punkte in der Kategorie "Präsentationsweise" erhalten hatte. Das Gericht hingegen befand, dass zwischen der Prüfungsleistung und der Kleidervorgabe kein hinreichender Bezug bestanden habe und die Vorgabe der "angemessenen" Kleidung überdies zu unbestimmt gewesen sei. Der Studentin sei daher ein neues Abschlusszeugnis mit der Note 1,3 auszustellen anstatt der ursprünglich vergebenen 1,7. Es berichten lto.de, spiegel.de und lawblog.de.

Sonstiges

Zoom – Datenschutz: Der während der Corona-Pandemie beliebt gewordene Videokonferenz-Dienst Zoom weist aus datenschutzrechtlicher Sicht erhebliche Mängel auf, berichtet Hbl (Stephan Scheuer/Dietmar Neuerer/Christof Kerkmann). So biete die Software eine Funktion, mit der Konferenzleiter die Aufmerksamkeit der Teilnehmer überwachen könnten. Überdies reiche Zoom die Daten von Nutzern an diverse Dienstleister weiter.

Anwälte im Arbeitsrecht: Rechtsanwalt Jobst-Hubertus Bauer berichtet im Hbl von einer Studie zweier amerikanischer Psychologen, deren Teilnehmer vor allem charakterlose Anwälte für besonders gut einsetzbar gehalten hätten. Dies bilde jedoch keinesfalls die Wirklichkeit ab. Gerade Arbeitgeberanwälten sei zu raten, mit dem Gegner respektvoll umzugehen: Angesichts der großen Bedeutung von Betriebsräten und Gewerkschaften könne eine Beschwerde über das unangemessene Verhalten des Firmenanwalts schnell zur Beendigung des Mandats führen. 

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mps

(Hinweis für Journalisten) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren. 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 31. März 2020: Ungarisches Ermächtigungsgesetz / Corona und Recht / Kleidungsordnung in der Prüfung . In: Legal Tribune Online, 31.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41152/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen