Die juristische Presseschau vom 19. März 2020: Bewäh­rungs­strafen für Cum-Ex / Unter­bre­chung von Straf­pro­zessen / Som­mer­mär­chen-Pro­zess platzt

19.03.2020

Im ersten Cum-Ex-Prozess werden Bewährungsstrafen verhängt. Um auf das Coronavirus zu reagieren, sollen Strafprozesse länger unterbrochen werden können. In der Schweiz steht der Prozess gegen ehemalige deutsche Fußballfunktionäre vor dem Aus.

Thema des Tages

LG Bonn zu Cum-Ex: Im ersten Strafprozess um die Cum-Ex-Geschäfte vor dem Landgericht Bonn sind die Angeklagten, zwei frühere Investmentbanker, wegen Steuerhinterziehung zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und zehn Monaten sowie einem Jahr auf Bewährung verurteilt worden. Damit hat zum ersten Mal ein Strafgericht entschieden, dass Cum-Ex-Deals strafbar waren. Beim Strafmaß folgte das Gericht den Anträgen der Staatsanwaltschaft und berücksichtigte insbesondere die umfangreiche Aufklärungshilfe der Angeklagten als strafmildernd. Bei den Cum-Ex-Geschäften hatten sich Banken, Händler und Investoren zu Unrecht Steuern anrechnen oder erstatten lassen und dabei allein in Deutschland einen Schaden von zehn Milliarden Euro verursacht. Es berichten SZ (Jan Willmroth/ Nils Wischmeyer), FAZ (Corinna Budras/Marcus Jung), Hbl (Volker Votsmeier/Andreas Kröner/Yasmin Osman) und über die Plädoyers lto.de. 

Rechtspolitik

Coronavirus – Unterbrechung von Strafprozessen: Das Bundesjustizministerium arbeitet an einem Gesetz, das die Unterbrechung von Strafprozessen für bis zu drei Monate und zehn Tage ermöglichen soll, wenn Einschränkungen zum Infektionsschutz dies erforderlich machen. Damit soll verhindert werden, dass während der Corona-Pandemie Strafprozesse platzen. Berufsvertretungen von Richtern und Anwälten begrüßen die Änderungen, betonen aber, dass der Ausnahmecharakter solcher Unterbrechungen gewahrt werden bleiben müsse, so FAZ (Marcus Jung) und lto.de (Annelie Kaufmann). Das Gesetz soll wohl schon nächste Woche im Bundestag beschlossen werden.

Bei einem Strafprozess vor dem Landgericht München I war es am Dienstag zu einem Eklat gekommen, als sich die Verteidiger weigerten, bei der Verhandlung teilzunehmen, weil mehr als 50 Personen im Gerichtssaal anwesend waren. Laut lto.de erstattete einer der beteiligten Anwälte Strafanzeige wegen versuchter Körperverletzung gegen den Richter, der auf der Verhandlung bestand. Ein von bild.de interviewter Münchner Anwalt fordert die vollständige Absage von Gerichtsverhandlungen während der Corona-Pandemie.

Coronavirus – Bundestag: Auch die Funktionsfähigkeit des Bundestages könnte durch die Corona-Pandemie beeinträchtigt werden. Wie Alma Libal auf juwiss.de darlegt, enthält das Grundgesetz jedoch keine Regelung zu einer Verhinderung des Bundestages, die nicht auf dem Verteidigungsfall beruhe. Sie plädiert daher für eine Grundgesetzänderung, welche die Einrichtung des Gemeinsamen Ausschusses als "Notparlament" auch für den Fall einer Pandemie ermöglichen würde.

Coronavirus – Föderalismus: In der Zeit beschäftigt sich Rechtsprofessor Udo di Fabio mit der Frage, ob der Föderalismus der Bundesrepublik sich angesichts der Corona-Pandemie als krisenfest erweisen werde: Dies sei fraglich. Man müsse kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass das Bundesinfektionsschutzgesetz nach der Krise verschärft werde.

Coronavirus – Fake News: Angesichts der erhöhten Verbreitung von Falschinformationen zum Coronavirus im Internet erläutert SZ (Simon Hutz/Klaus Ott), wie Falschinformationen bereits heute geahndet werden können. Dazu gehörten die Strafvorschriften des Betrugs und der Verleumdung, ebenso die Ordnungswidrigkeit der "grob ungehörigen Handlung." Entgegen etwa der Forderung des niedersächsischen* Innenministers Pistorius (SPD) plane Bundesjustizministerin Lambrecht (SPD) aber keine selbständige Strafvorschrift für das Verbreiten von Falschinformationen.

Coronavirus – Ausgangssperre: Anders als Nachbarländer wie Frankreich, Belgien oder Österreich hat Deutschland derzeit noch keine allgemeine Ausgangssperre zur Bekämpfung der Corona-Pandemie verhängt. Auf juwiss.de legt Anika Klafki dar, dass es für eine derartige Maßnahme derzeit auch keine Rechtsgrundlage gäbe: Weder die Generalklausel des § 28 des Infektionsschutzgesetzes noch die spezielleren Normen seien tatbestandlich anwendbar. Sofern man das Instrument der Ausgangssperre also für erforderlich halte, sei eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes notwendig – die kommende Sitzungswoche des Bundestages sei hierfür eine gute Gelegenheit. 

Coronavirus – Insolvenzanträge: Unternehmen, die wegen der Corona-Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, sollen bis Ende September von der Pflicht nach der Insolvenzordnung befreit werden, bei Zahlungsunfähigkeit binnen drei Wochen einen Insolvenzantrag zu stellen. Über dieses Vorhaben der Bundesjustizministerin Lambrecht (SPD) berichtet die BadZ (Christian Rath). Ein Gesetz soll nächste Woche beschlossen werden.

Coronavirus – Mietrecht: Auf community.beck.de plädiert Rechtsanwalt Michael Selk für eine Gesetzesänderung im Mietrecht, um den aufgrund der Corona-Pandemie zu erwartenden Mietrückständen zu begegnen. So solle im Wohnraummietrecht die Schonfrist des § 569 III Nr. 2 BGB zur außerordentlichen fristlosen Kündigung wegen Mietrückstandes von zwei Monaten auf vier oder mehr Monate verlängert werden. Dies sei allerdings nur eine von vielen nötigen Maßnahmen.

Verbot von Gifttieren: Das vom Land Nordrhein-Westfalen geplante Gifttiergesetz, welches die Anschaffung giftiger Schlangen, Spinnen und Skorpione verbieten soll, ist von Sachverständigen in einer schriftlich durchgeführten Anhörung als verfassungswidrig eingestuft worden. Der Begriff des "sehr giftigen Tiers" innerhalb des Gesetzes sei schon nicht klar definiert, überdies seien Gefährdungslagen sehr selten und rechtfertigten die starken Grundrechtseingriffe des Gesetzes nicht. Der Gesetzentwurf war als Reaktion auf die Jagd nach einer hochgiftigen Schlange in Herne im August 2019 auf den Weg gebracht worden, in deren Verlauf mehrere Häuser geräumt werden mussten. Es berichtet lto.de.

Justiz

LG Freiburg zu Auftragsmord: Das Landgericht Freiburg hat einen Mann wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, der einen 24-Jährigen erschossen hatte. Er soll im Auftrag eines Freiburger Rechtsanwalts gehandelt haben, der ihm für die Tat 50.000 Euro zahlte. Hintergrund der Auseinandersetzung seien jahrelange Drogengeschäfte zwischen dem Anwalt und dem Mordopfer gewesen, wie spiegel.de berichtet.

BVerfG – Freibetrag für Sozialabgaben: taz (Ulrike Herrmann) spricht mit dem ehemaligen Sozialrichter Jürgen Borchert über ein anstehendes Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, in dem Eltern einen Freibetrag für Sozialabgaben einklagen wollen. Das bisherige System, in dem bereits der erste Euro belastet werde, könne Familien unter das Existenzminimum treiben, so Borchert.

LG Duisburg – Loveparade-Prozess: Der Loveparade-Prozess vor dem Landgericht Duisburg ist für mehrere Wochen unterbrochen worden, weil eine Richterin unter Quarantäne gestellt wurde. Der Prozess wegen fahrlässiger Tötung bei der Massenpanik im Jahr 2010 läuft bereits seit mehr als 180 Verhandlungstagen. Die drei verbliebenen Angeklagten hatten einer Verfahrenseinstellung gegen Geldzahlung von 10.000 Euro nicht zugestimmt, so lto.de.

Coronavirus – Justiz: Den Umgang der Justiz mit den Corona-bedingten Einschränkungen schildert das Hbl (René Bender/Jan Keuchel/Matthias Rutkowski/Volker Votsmeier). So würden Richter nicht eilbedürftige Verhandlungstermine aufheben, gleichzeitig müssten aber etwa Haftentscheidungen weiterhin getroffen werden. Beteiligte würden daran appellieren, im Zivilprozess großzügige Fristen und Fristverlängerungen zu gewähren. In Strafprozessen könne aber die Öffentlichkeit nicht ohne Weiteres ausgeschlossen werden. 

Coronavirus – Justizvollzug: Die Zeit (Kai Biermann/Aiko Kempen)spiegel.de (Lisa Duhm)und taz (Nadine Conti) widmen sich den Maßnahmen, welche verschiedene Bundesländer zur Eindämmung der Corona-Pandemie in Justizvollzugsanstalten treffen. Einerseits würden Freigänge gestrichen und Besuchszeiten eingeschränkt, andererseits würden Ersatzfreiheitsstrafen und Jugendstrafen derzeit nicht vollstreckt. Gefangene seien besonders gefährdet: So würden sie ohnehin besonders oft unter schweren Infektionskrankheiten wie HIV oder Hepatitis leiden und einen überdurchschnittlich hohen medizinischen Behandlungsbedarf haben, zugleich sei die medizinische Versorgung im Gefängnis oft auf ein Minimum beschränkt. 

Coronavirus – Asylverfahren: Nach Angaben der Welt (Manuel Bewarder) wird das deutsche Asylsystem derzeit nur rudimentär aufrechterhalten. So sei die Außenstelle Suhl geschlossen worden, es würden dort keine Anträge mehr angenommen und Anhörungen ausgesetzt. Grundsätzlich sollten Anhörungen zwar weiterhin stattfinden, jedoch müssten Antragsteller dann nachweisen, dass sie nicht am Coronavirus erkrankt seien oder zumindest eine 14-tägige Quarantäne eingehalten hätten.

Recht in der Welt

Schweiz – Sommermärchen-Prozess: Der sogenannte "Sommermärchen-Prozess" vor dem Schweizer Bundesstrafgericht ist wegen der Corona-Pandemie bis zum 20. April ausgesetzt worden und steht damit angesichts eines Verjährungseintritts am 27. April vor dem Aus. Alle vier Beschuldigten sind über 65 Jahre alt und gehören somit zur Risikogruppe, denen die persönliche Anwesenheit nicht zugemutet werden könne, und auch eine Verhandlung in Abwesenheit komme nicht in Betracht. Der Prozess dreht sich um eine ungeklärte Überweisung des DFB im Jahr 2005 in Höhe von 6,7 Millionen Euro. Das Gericht wies in seinem Beschluss auch auf Ermittlungsfehler hin, welche umfassende Beweisverwertungsverbote zur Folge haben könnten. Es berichten FAZ (Michael Ashelm), SZ und vorab bereits lto.de.

USA – Katy Perry: Vor einem kalifornischen Gericht hat die Popsängerin Katy Perry einen Urheberrechtsstreit um die Verwendung eines Beat-Elements im Lied "Dark Horse" gewonnen. Die Richterin hielt das Element laut lto.de für so gewöhnlich, dass es nicht unter urheberrechtlichem Schutz stehe. In erster Instanz hatten Geschworene die Sängerin und ihr Team 2019 noch dazu verurteilt, 2,8 Millionen US-Dollar zu zahlen, weil ihr Lied Elemente des Songs "Joyful Noise" des christlichen Rappers Marcus Gray aus dem Jahr 2008 enthalten habe. 

Brasilien – Amtsenthebung von Bolsonaro: In einem englischsprachigen Beitrag auf verfassungsblog.de legen die brasilianischen Rechtsprofessoren Emilio Peluso Neder Meyer und Thomas Bustamente ihre Ansicht dar, dass der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro des Amtes enthoben werden solle. Er habe sich in vielerlei Hinsicht rechtsstaatswidrig verhalten, was eine Amtsenthebung auf Grundlage der brasilianischen Verfassung rechtfertigen würde.

USA – Pferdedoping: FAZ berichtet über einen Prozess gegen 27 Angeklagte in New York, welche systematisch Rennpferde gedopt haben sollen. Viele Pferde waren in der Folge an Herzversagen gestorben. Die Anklage stützt sich unter anderem auf abgehörte Telefongespräche.

Sonstiges

Störung des beA: Das besondere elektronische Anwaltsfach leidet weiterhin an der seit Montag bestehenden Störung, berichtet lto.de (Pia Lorenz). Zwar könnten Gerichte Anwälte anschreiben, nicht aber umgekehrt. Zur Begründung eines eventuell erforderlichen Wiedereinsetzungsantrags sei es empfehlenswert, einen Screenshot von der Störungsdokumentation der Bundesrechtsanwaltskammer zu machen, in der die Ausfälle des Anwaltspostfachs dokumentiert würden.  

Coronavirus – Nutzung von Handydaten: Die Telekom hat am Mittwoch mit dem Robert-Koch-Institut einen Datensatz anonymisierter Standortdaten geteilt, um festzustellen, inwieweit die deutsche Bevölkerung den Empfehlungen zur Einschränkung ihres Bewegungsradius nachkommt. Die FAZ (Marlene Grunert/Stephan Löwenstein/Matthias Rüb) und das Hbl (Barbara Gillmann/Pierre Heumann/ Christof Kerkmann/Dietmar Neuerer/Stephan Scheuer/Hans-Peter Siebenhaar) befassen sich mit der rechtlichen Zulässigkeit dieser Nutzung von Handydaten zur Erfassung von Bewegungsströmen. Nach Ansicht des Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber sei eine solche Praxis angesichts der Anonymisierung der Daten, mit denen keine individuellen Bewegungsprofile erstellt werden könnten, rechtlich zulässig. Gleichzeitig warnen Kritiker jedoch vor dem hohen Missbrauchspotential. 

Thiemo Heeg (FAZ) begrüßt, dass deutsche Datenschützer angesichts der aktuellen Gefahrenlage "nicht auf die Barrikaden gehen" würden: Es gehe nicht um die Kontrolle von Individuen, sondern um eine Maßnahme zur Gesundheit, bei welcher datenschutzrechtliche Standards eingehalten würden.

Coronavirus – Lieferengpässe: Auf lto.de befasst sich Rechtsanwältin Katharina Spenner mit den rechtlichen Folgen von Lieferengpässen aufgrund der Corona-Pandemie. Nach dem deutschen BGB ließen sich die durch das Coronavirus ausgelösten Beschränkungen als subjektive Unmöglichkeit oder als Wegfall der Geschäftsgrundlage klassifizieren. Sollte UN-Kaufrecht anwendbar sein, sei dies für Lieferanten vorteilhaft, weil es eine weitreichende Bestimmung zum Vorliegen höherer Gewalt enthalte. 

Coronavirus – Versicherung: SZ (Herbert Fromme) beschäftigt sich mit der Reichweite von Versicherungspolicen wegen Infektionsgefahr. Eine Vielzahl von Versicherungsgesellschaften lehne es derzeit ab, für Schließungen wegen des Coronavirus zu zahlen, da dieses nicht in § 6 des Infektionsschutzgesetzes aufgeführt sei, auf den die Policen zumeist verweisen würden.

Coronavirus – Gehaltsverzicht von Fußballprofis: Nachdem der bayrische Ministerpräsident Söder (CSU) einen Gehaltsverzicht von Fußballprofis mit "ganz großen Gehältern" gefordert hat, erläutert SZ dessen rechtliche Machbarkeit. Ohne Zustimmung der Spieler sei ein Gehaltsverzicht nicht zulässig. Angesichts ebenso ausbleibender Prämien- und Sonderzahlungen sei es fraglich, ob die Profis sich dazu bereiterklären würden, wird ein Sportrechtsexperte zitiert.

 

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*Anm. d. Red.: Sachlicher Fehler beseitigt am Tag der Veröffentlichung, 15:12 Uhr.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 19. März 2020: Bewährungsstrafen für Cum-Ex / Unterbrechung von Strafprozessen / Sommermärchen-Prozess platzt . In: Legal Tribune Online, 19.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40927/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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