Die juristische Presseschau vom 13. März 2020: Wetter-App wett­be­werbs­widrig / NetzDG im Par­la­ment / BfV beo­b­achtet AfD-"Flügel"

13.03.2020

Der Deutsche Wetterdienst darf auf seiner App keine kostenlosen Wetterberichte anbieten. Der Bundestag debattiert die Verschärfung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Der Verfassungsschutz beobachtet künftig den "Flügel" der AfD. 

Thema des Tages

BGH zu DWD-Wetter-App: Der Bundesgerichtshof hat auf die Klage eines privaten Wetterdienstes hin dem Deutschen Wetterdienst (DWD) verboten, in seiner App "WarnWetter" kostenlos detaillierte Wetterberichte und Hintergrundinformationen zum Wetter anzubieten. Allein Unwetterwarnungen seien kostenlos zulässig, da dies im Deutschen Wetterdienstgesetz vorgesehen sei. Für alle weiteren Leistungen müssten Gebühren verlangt werden. Eine kostenlose und werbefreie Wetter-App, die weit mehr bietet als Warnungen, stelle eine Überschreitung der gesetzlichen Befugnis der Behörde DWD und zudem ein wettbewerbswidriges Verhalten dar. Dieses müsse zum Schutz privatwirtschaftlicher Mitbewerber unterlassen werden. Es berichten u.a. die FAZ (Hendrik Wieduwilt), netzpolitik.org (Anna Biselli), lto.de, lawblog.de (Udo Vetter) sowie die Rechtsanwälte Annina Barbara Männig und Stefan Schreiber im FAZ-Einspruch.

Rechtspolitik

Glücksspielstaatsvertrag: Die Ministerpräsidenten der Länder haben die Reform des Glücksspielstaatsvertrags beschlossen, mit dem Glücksspiele im Internet bundesweit legalisiert werden sollen. Nun muss der Staatsvertrag noch von den einzelnen Landesparlamenten ratifiziert werden. In Kraft treten soll er am 01.07.2021. Dies meldet zeit.de und stellt den Vertrag vor.

Ihn kritisiert Volkan Agar (taz). Zwar beende der Vertrag die Praxis der "quasi unreguliert" gedeihenden Sportwettenanbieter. Andererseits sei es ernüchternd zu wissen, "dass der Staat den profitorientierten Glücksspielbetreibern hinterherläuft". Der Staat beschränke sich auf eine Legalisierung des durch die Betreiber geschaffenen Status quo. Im Hinblick auf Spielsucht wäre es besser gewesen, der Staat hätte das Glücksspiel vollständig verstaatlicht.

Gesichtserkennung: netzpolitik.org (Matthias Monroy) zufolge haben sich zehn europäische Kriminalämter auf Rahmenbedingungen für den Abgleich von Gesichtern geeinigt. Demnach soll es künftig für Strafverfolgungsbehörden möglich werden, im Rahmen ihrer Ermittlungen grenzüberschreitend Gesichtsbilder abzufragen. Die abzufragenden Gesichter sollen dezentral in den Mitgliedstaaten gespeichert werden.

Infektionsschutzgesetz: Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet über Pläne des Justizministeriums, Nachbesserungen am Infektionsschutzgesetz (IfSG) vorzunehmen. So seien Haftungsfragen unklar, die sich insbesondere im Zusammenhang mit der Absage von Großveranstaltungen stellen und in § 65 IfSG unzureichend geregelt sind.

NetzDG: netzpolitik.org (Lucia Parbel) und BadZ (Christian Rath) berichten über die Bundestagsaussprache zur geplanten Novelle des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes am gestrigen Donnerstag. Als Reaktion auf Kritik unter anderem vom Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber am Gesetzentwurf des Justizministeriums kündigten auch Politiker der Regierungskoalition an, die Notwendigkeit von im Entwurf vorgesehenen Grundrechtseingriffen wie der Herausgabe von Passwörtern seitens der Plattformbetreiber nochmals zu überprüfen. Die vorgesehene Meldepflicht für soziale Netzwerke an das Bundeskriminalamt bei Fällen rechtswidriger Hasskommentare wurde hingegen nur seitens des AfD-Abgeordneten Roman Reusch grundsätzlich kritisiert. Hier werde erstmals eine Anzeigepflicht eingeführt.

Den Entwurf von Justizministerin Lambrecht (SPD) kritisierte im Vorfeld der Debatte Tomas Rudl (netzpolitik.org). Ein mithilfe übermittelter Passwörter übernommener Account komme "beinahe einer Online-Durchsuchung gleich, die eine besonders hohe Eingriffsintensität aufweist". Für die Online-Durchsuchung vorgesehene Schutzmechanismen würden hier jedoch nicht greifen. Insgesamt sei die Bundesregierung über das eigentlich löbliche Ziel der Bekämpfung von Rechtsextremismus hinausgeschossen.

Justiz

EuGH zu Bahncard: Einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zufolge handelt es sich bei der Bahncard der Deutschen Bahn nicht um ein Zugticket, sondern um eine Rabattkarte und somit im Ergebnis um einen Dienstleistungsvertrag. Deshalb könne das gesetzliche Widerrufsrecht nicht ausgeschlossen werden. Vielmehr greift beim Online-Kauf einer Bahncard das für Fernabsatzvertrage übliche, zweiwöchige Widerrufsrecht. Es berichten lto.de und lawblog.de (Udo Vetter).

EuGH zu Fluggastrechten: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Fluggäste, die infolge ihrer Flüge angebotene Alternativflüge akzeptieren, zusätzlich einen Anspruch auf Ausgleichszahlung haben, wenn diese Flüge ihr Ziel mit einer Verspätung von mindestens drei Stunden erreichen. Es gebe in der EU-Fluggastrechteverordnung keine Vorschrift, die die Rechte von Fluggästen bei einem Ersatzflug beschneidet, so der EuGH. Insoweit bestehe ein doppelter Anspruch auf Entschädigung bei zweifacher Störung. Es berichten lto.de und das Hbl (Susanne Schler).

BVerfG – Berliner Mietendeckel: Das Bundesverfassungsgericht hat erneut einen Eilantrag gegen den Berliner Mietendeckel abgewiesen. Mit dem Eilantrag von Vermietern sollte lto.de zufolge die vorläufige Außerkraftsetzung der Bußgeldvorschriften des Mietendeckels erreicht werden. Die Folgenabwägung spreche gegen eine einstweilige Anordnung.

LG Berlin – Berliner Mietendeckel: Auch das Berliner Landgericht hält den beschlossenen Mietendeckel wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin für verfassungswidrig. Nun soll das Bundesverfassungsgericht im Wege einer konkreten Normenkontrolle angerufen werden, wie u.a. FAZ (Hendrik Wieduwilt/Julia Löhr) und zeit.de melden.

BVerfG zu Suizidhilfe: Im FAZ-Einspruch kritisiert der Philosophieprofessor Franziskus von Heereman das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidhilfe, in dem dieses das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig erklärt hatte. Aus den durch das Urteil geschaffenen Möglichkeiten zur Suizidhilfe ergäben sich "Folgen, die der Staat nicht verantworten kann und deshalb, wie von der Legislative gewollt, zu verhindern gehabt hätte". So werde die Menschenwürde unterminiert und die Beendigung der Freiheit des Anderen für gut befunden. Es werde der "Kultur des unbedingten Lebensrechtes der Boden entzogen".

BVerwG zu Kriegsdienstverweigerern: Einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zufolge kann der Bund von ehemaligen Berufssoldaten, die nach der Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer vorzeitig aus der Bundeswehr entlassen werden, teilweise Erstattung der Ausbildungskosten verlangen. Die Höhe des Anteils entspricht dem geldwerten Vorteil, der den betreffenden Personen nach der absolvierten Ausbildung im weiteren zivilen Berufsleben verbleibt. Es berichtet lto.de.

BGH – Fiktiver Schadensersatz: lto.de (Pia Lorenz) schreibt ausführlich über eine am heutigen Freitag vor dem Bundesgerichtshof stattfindende Verhandlung zu der Frage, ob der Verkäufer einer Eigentumswohnung einen Schaden an der Wohnung ersetzen muss, obwohl der Käufer den Schaden noch gar nicht hat beseitigen lassen. So könnte die zum Werkvertragsrecht ergangene Rechtsprechung, wonach ein Schaden nur von demjenigen abgerechnet werden kann, der ihn auch beseitigt, auch auf das Kaufrecht übertragen werden. Auch die Befassung des Großen Senats für Zivilsachen mit der Frage erscheint möglich.

BGH zu Nebenintervenienten-Kosten: zpoblog.de (Benedikt Windau) stellt einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vor, der sich mit der Frage befasst, unter welchen Umständen ein Gericht eine ergangene Entscheidung dahingehend berichtigen kann, dass sie um eine Entscheidung über die Kosten eines Nebenintervenienten ergänzt wird. Der BGH befand, erforderlich hierfür sei eine versehentliche Abweichung von dem seitens des Gericht Gewollten, die jedoch auch "offenbar" sein muss. 

BFH zu Seitensprung-Kindern: Einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs zufolge sind Seitensprung-Kinder beim Erbe schlechter gestellt als ehelicher Nachwuchs und Stiefkinder. Im Erbfall findet auf das Erbe für das Seitensprung-Kind nicht die für Kinder günstige Steuerklasse I Anwendung, sondern die Steuerklasse III. Dasselbe gilt demnach, wenn der biologische Vater seinem Kind zu Lebzeiten eine Schenkung macht. Das Kind dürfe nicht bessergestellt werden als Kinder, die nur "einen einzigen" Vater haben, also nicht einen biologischen und einen rechtlichen zugleich, so das Gericht laut lto.de

OLG Dresden – Revolution Chemnitz: Im Verfahren gegen die Mitglieder der mutmaßlichen rechtsterroristischen Gruppe Revolution Chemnitz hat die Bundesanwaltschaft wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung durch alle acht Angeklagten, schweren Landfriedensbruchs durch fünf Angeklagte und Körperverletzung durch einen Angeklagten Haftstrafen zwischen drei und viereinhalb Jahren beantragt. Für den mutmaßlichen Rädelsführer beantragte sie fünfeinhalb Jahre Haft. Es berichten die FAZ (Stefan Locke) und zeit.de

VG Köln zu Überwachungskameras: Das Kölner Verwaltungsgericht hat den Anmeldern und Teilnehmern einer für den morgigen Samstag geplanten Versammlung unter dem Thema "Demonstration gegen Repression" Recht gegeben und die Kölner Polizei verpflichtet, während der Dauer der Versammlung die am Ort der Zwischenkundgebung installierten Überwachungskameras nach außen erkennbar abzudecken. Dies berichten die FAZ (Marlene Grunert), lto.de und lawblog.de (Udo Vetter)

LG Hannover – Mord an Flüchtlingshelferin: spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet über den Auftakt eines Mordprozesses vor dem Landgericht Hannover gegen einen 33-jährigen Marokkaner, der Ende August vergangenen Jahres eine 61-jährige Flüchtlingshelferin aus Habgier getötet und ausgeraubt haben soll. Er soll sie mit Paketband gefesselt und ihren Kopf vollständig umwickelt haben, so dass die Frau erstickte. Bei seiner Festnahme hatte der Angeklagte etwa 37.000 Euro Bargeld und das Handy der Getöteten bei sich. Am ersten Verhandlungstag schwieg er. 


Recht in der Welt

Schweiz – Sommermärchen-Prozess: Das Verfahren um die Betrugsvorwürfe rund um die Fußball-WM 2006 im Schweizer Kanton Tessin ist laut spiegel.de bis auf Weiteres unterbrochen worden. Der Angeklagte Wolfgang Niersbach, ehemaliger Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, hat sich wegen eines Coronavirus-Verdachtsfalles in Quarantäne begeben. Ende April droht die Verjährung des angeklagten Delikts. 

Italien – Coronavirus: Auf verfassungsblog.de schreiben die Rechtsprofessorin Arianna Vedaschi und die Doktorandin Chiara Graziani (in englischer Sprache) über die Verfassungsmäßigkeit verschiedener Maßnahmen im Zusammenhang mit der Coronakrise, die die italienische Regierung im Wege von Exekutivdekreten ergriffen hat. Die Autorinnen bemängeln das Fehlen einer genuinen Notstandsverfassung. Die italienische Verfassung sei für Vorfälle wie das Coronavirus und entsprechende Reaktionen darauf nicht ausreichend vorbereitet. 

Russland – Verfassungsreform: Die Assistenzprofessorin Alina Cherviatsova erläutert auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) einige der von Präsident Wladimir Putin angeregten Vorschläge zur Änderung der Russischen Verfassung. 

Sonstiges

AfD-Flügel: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat entschieden, künftig den "Flügel" der AfD als "gesichert extremistische Bestrebung" anzusehen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet. Die führenden Köpfe des "Flügels", Björn Höcke und Andreas Kalbitz, bezeichnete Verfassungsschutzpräsident Haldenwang daher als "Rechtsextremisten". Durch die Einstufung wird das Spektrum des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel erweitert, die zur Beobachtung des "Flügels" eingesetzt werden können. Bislang war er lediglich "Verdachtsfall" gewesen. Über die Entscheidung schreiben die taz (Konrad Litschko/Sabine am Orde), die FAZ (Helene Bubrowski) und spiegel.de (Wolf Wiedmann-Schmidt).

Helene Bubrowski (FAZ) porträtiert anlässlich der Entscheidung zudem den Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang.

Coronavirus – Schulschließungen: Reinhard Müller (FAZ) kommentiert die Überlegungen der Länder, Schulen und Kindergärten flächendeckend zu schließen. Hier hebt er die Entscheidungsbefugnis der Länder hervor. Allzu oft entmachteten sich die Länder selbst dort, wo sie frei entscheiden könnten. Vor allem in Zeiten einer Pandemie bedeute Bundesstaatlichkeit jedoch, das große Ganze nicht aus dem Blick zu verlieren.

Anahita Thoms: Die FAZ (Marcus Jung) beglückwünscht die Leiterin der Außenwirtschaftspraxis der Kanzlei Baker McKenzie, Anahita Thoms, zur Aufnahme in die Liste der "Young Global Leader" durch das World Economic Forum.

Burkhard Hirsch: SZ (Heribert Prantl) und FAZ (Johannes Leithäuser) bringen Nachrufe auf den einflussreichen Juristen und FDP-Politiker Burkhard Hirsch, der am vergangenen Mittwoch im Alter von 89 Jahren verstarb. Er war lange Jahre eine der prägendsten Figuren des linksliberalen Flügels der FDP. Vor dem Bundesverfassungsgericht erstritt er die Urteile zum Großen Lauschangriff und zum Luftsicherheitsgesetz.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums. 

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/jng

(Hinweis für Journalisten)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 13. März 2020: Wetter-App wettbewerbswidrig / NetzDG im Parlament / BfV beobachtet AfD-"Flügel" . In: Legal Tribune Online, 13.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40819/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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